Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
In dem Gedicht „Andacht“ von Ludwig Tieck geht es um einen Menschen, der sich in der Natur aufhält und dort sein Glück findet. Er achtet auf die Geräusche der Natur und versucht sich mit Jubelliedern selbst einzubringen. Wahrscheinlich fand er in der ländlichen Gegend auch seinen Glauben zu Gott.
Das Gedicht besitzt vier Strophen mit jeweils vier Versen, in denen sich ein vierhebiger Trochäus als Metrum1 finden lässt. Der Reim ist ein Kreuzreim, jedoch gibt es in der dritten Strophe eine Ausnahme. Des Weiteren enden alle ungeraden Verszahlen mit einer weiblichen Kadenz2 und alle geraden Verszahlen mit einer männlichen KadenV. Anhand dieser Eigenschaften kann ich erkennen, dass in dem vorliegenden Gedicht die Form eine sehr große Rolle spielt. Da der Rhythmus eines Trochäus etwas Schweres und Ernstes mit sich bringt, passt dieses Metrum meiner Meinung nach sehr gut zu dem Titel des Gedichts. In einer Andacht konzentriert man sich in der Stille mit seinem Geist auf eine Sache; auch dies ist für mich eher eine ernste Angelegenheit.
Die erste Strophe weist einen starken Bezug zu der Sonne auf, so ist das „Abendrot“ (V. 1) eine Metonymie3 für die untergehende Sonne. Zugleich ist es aber auch eine Personifikation4, da es nicht küssen kann: „Mit den Abschiedsflammen küßt,“ (V. 2). Die Abschiedsflammen sind demzufolge eine Metapher5 für die letzten Sonnenstrahlen am Tag, weil diese ihn sozusagen verabschieden. In dem folgenden Vers ist dann die Rede von dem „Morgenscheine“, also von der aufgehenden Sonne. Hierbei fällt auf, dass der Zeitabschnitt der Nacht ausgespart wurde. Ich denke, die Ursache hierfür könnte sein, dass die Nacht mit eher schlechten Attributen belastet ist. Damit meine ich zum Beispiel die Unheimlichkeit, die mit der Dunkelheit einhergeht, oder die Einsamkeit, weil die meisten Lebewesen schlafen. Während im zweiten Vers die Sonne noch den Tag verabschiedet, wird sie nun im vierten Vers vom „Lerchenklang“ begrüßt. Der Lerchenklang ist eine Personifikation, weil er nicht grüßen kann. Die Lerche wiederum ist ein Vogel, der am frühen Morgen zu singen beginnt und damit sinnbildlich für den Tag steht. Es fällt auf, dass die erste Strophe mit einem Komma als Satzzeichen endet, demzufolge erstreckt sich der angefangene Satz auch in die zweite Strophe hinein. Zusätzlich sind noch Enjambements6 in Vers eins und drei zu finden.
Die zweite Strophe beginnt mit den Worten „O, dann werf ich Jubellieder“ (V. 5). Als erstes ist mir die Interjektion7 „O“ aufgefallen. Sie verdeutlicht die Freude und Begeisterung des lyrischen Ichs. Das Wort „dann“ bezieht sich auf die voraus gegangenen Satzstellen mit „Wann“ in Vers eins und drei. Wenn also die beschriebenen Bedingungen erfüllt sind, dann wird das lyrische Ich etwas ausführen. Nun fällt auch auf, dass der Dichter anstelle von dem sprachlich richtig klingenden „Wenn“ das „Wann“ eingesetzt hat. Das lyrische Ich möchte seine Jubellieder „Ins Lobpreisen der Natur“ (V. 6) werfen. Ich nehme an, das „Lobpreisen“ ist eine Metapher und steht für die Geräusche der Natur, wie zum Beispiel die in Strophe eins genannten Vogelgesänge oder aber auch das Blätterrauschen aus den Hainen. An dieser Stelle würde also eine Vermischung der Natur mit etwas Menschlichem auf der hörbaren Ebene stattfinden. In den Versen sieben und acht ist geschrieben „Echo spricht die Töne wieder, Alles preist den Ewgen nur.“ Ein Echo ist die Wiederholung von Lauten, somit werden, denke ich, nicht nur die Jubellieder des lyrischen Ichs wiedergegeben, sondern auch die Naturgeräusche. Ich kann mir vorstellen, dass dadurch die sowieso immer vorhandene Geräuschkulisse in der Natur noch einmal enorm verstärkt wird. Der „Ewge“ ist eine Metonymie für Gott.
Hier wird das erste Mal im Gedicht deutlich, dass das lyrische Ich eine gläubige Person sein muss. Ich denke Gott wird gepriesen, da die Natur sowie auch der Mensch nach dem kirchlichen Verständnis seine Erschaffung sind. Somit weisen alle Geräusche, die bis jetzt im Gedicht vorgekommen sind, einen dankenden Charakter an den Schöpfer auf. In der zweiten Strophe lässt sich wie auch schon in der ersten ein Enjambement finden, dieses Mal am Ende des Verses fünf. In diesen zwei Strophen ist mir auch aufgefallen, dass der Dichter Wörter geändert hat, um eine bestimmte Silbenzahl aufrecht zu erhalten. Alle ungeraden Verszahlen haben acht Silben und alle geraden Verszahlen sieben Silben. Aus diesem Grund hat er wahrscheinlich im Vers drei aus „prächtigen“ das Wort „prächtgen“ gemacht und aus „den Ewigen“ im Vers acht wurde „den Ewgen“. Hieran wird die erwähnte Wichtigkeit der Form noch einmal sehr gut deutlich.
Die nächste Strophe beginnt mit dem Vers: „Mit den Quellen geht mein Grüßen,“ (V. 9). Wenn ich an Quellen denke, fällt mir unter anderem auch ihre Bedeutung für das Leben ein. Sie führen Wasser, welches alle Lebewesen benötigen. Somit kommt jede Quelle irgendwann in den Kontakt mit Pflanzen, Tieren oder aber auch Menschen. In diesem Zusammenhang vermute ich, dass das lyrische Ich seine Grüße hinaus an die lebende Welt sendet. Da das „Grüßen“ jedoch nicht gehen kann, liegt hier eine Personifikation vor. Stattdessen fließt es mit dem Wasser der Quellen davon. In dem folgenden Vers ist dann die Rede von einem [tauben Herz], V. 10. Meiner Auffassung nach ist diese Aussage ein Paradoxon8, da man normalerweise mit dem Herzen fühlt. Außerdem ist „taub“ ein Wort, das ich auch mit dem Hörvermögen der Ohren in Verbindung bringe. Im Kontext mit Vers elf erschließt sich für mich der mögliche Sinn: das taube Herz „hat dem Gott erwachen müssen“. Es findet also mit dem Herzen eine Veränderung von „taub“ zu „erwachen“ statt. Wenn etwas erwacht, ist es wieder spürbar lebendig, vielleicht sogar noch lebendiger als vor dem Schlaf, weil es dort erschöpft war. So ähnlich stelle ich es mir auch in diesem Teil des Gedichts vor. Das Herz des lyrischen Ichs war taub, es konnte somit nichts empfinden.
In der Zeitepoche der Romantik, aus der dieses Gedicht stammt, gewann der Stadt-Land-Gegensatz an Bedeutung. Die Leute fühlten sich von der voranschreitenden Industrialisierung in den Städten bedroht und der städtische Tagesablauf war mit viel Hektik verbunden. Dagegen stand die Idylle des Landes und der Natur. Ich nehme an, dass das lyrische Ich zunächst ein Stadtmensch war und aufgrund der negativen Seiten des Lebens dort nicht an Gott geglaubt hat. Nun aber, da er sich außerhalb der Stadtmauern befindet und die Schönheit der Natur wahrnimmt, hat sein Herz „dem Gott erwachen müssen“, V. 11. Im Angesicht der für ihn überwältigenden Natur hatte er also keine andere Wahl, als an einen Gott glauben zu müssen. Nur dieser alleine ist mit seiner Unerklärbarkeit für die Menschen in der Lage, alle möglichen Existenzen auf diese Weise zu erschaffen. In dem letzten Vers der dritten Strophe heißt es dann: „Der uns schirmet für und für.“ (V. 12). Hiermit könnte gemeint sein, dass Gott die Menschen immer und immer wieder schützt. Der Ausdruck des „für und für“ könnte sich aber auch auf die unterschiedlichen Gegenden der Stadt und des Landes beziehen. In dieser Interpretationsweise würde er demnach Menschen in der Stadt genauso schützen, wie diejenigen auf dem Land.
Bis zu dieser Stelle hat Ludwig Tieck einige Landschaftsgebiete in seinem Gedicht beschrieben. In der ersten Strophe waren es die Haine mit den Vogelgesängen, in der zweiten Strophe indirekt die Echo wiedergebenden Berge und in der dritten Strophe dann die Täler, welche Quellen führen. Nun beginnt die vierte Strophe mit einem Verweis auf das Meer. In Vers 13 steht geschrieben: „Meereswogen laut erklingen,“. Ich setze diese Äußerung in Verbindung mit den Quellen aus Vers neun. Die Meereswogen sind sowohl von der Größe als auch von der Lautstärke her über den Quellen gestellt. Es ist meiner Meinung nach gut möglich, dass das Grüßen des lyrischen Ichs mit den Quellen sein Weg bis hin zu dem Meer gefunden hat. Hier könnte es sich eventuell mit dem Lobpreisen anderer, fremder Menschen aus aller Welt vermischen und darum in der Gesamtheit „laut erklingen“. Dies stellt einen Bezug zu der Mächtigkeit des Meeres her. Auch der nächste Vers nimmt in meiner Auffassung Bezug auf etwas Vorheriges im Gedicht. Hier heißt es: „In den Wäldern wohnt manch Schall;“ (V. 14) Ich vermute, es wird der Schall sein, der sich aus dem Echo der Jubellieder des lyrischen Ichs und der Naturgeräusche zusammengesetzt hat. Zugleich ist er eine Personifikation, da ein Schall nicht „wohnen“ kann.
Die letzten beiden Versen dieses Gedichts schließen mit einer Frage ab: „Und wir sollten nicht besingen, da die Freude überall?“ Mit „wir“ wird zum ersten Mal direkt auch der Leser angesprochen. Da der Leser aber theoretisch jeder sein könnte, ist also, denke ich, die gesamte Menschheit gemeint. Um diese beiden Verse besser verstehen zu können, fasse ich noch einmal zusammen, worum es bis jetzt im Gedicht ging. Das lyrische Ich befindet sich die ganze Zeit über in der Natur, nimmt ihre Schönheit wahr und lobt daraufhin den Herren. Somit kommt es für mich in Frage, dass „Die Freude“ die göttliche Erschaffung in Form der Natur ist. Der Mensch hat sich in den Städten bewusst von einem Leben mit der Natur getrennt und ist stattdessen seinen eigenen Weg gegangen. Vielleicht möchte das lyrische Ich nun den Leser der damaligen Zeit mit seiner rhetorischen Frage dazu anhalten, diese Lebensart zu überdenken. Möglicherweise gab es viele Leute, die als Stadtmenschen ein Leben führten, das keinen Glauben an Gott aufgrund der fehlenden, natürlichen Umgebung zuließ. Sie hatten also keinen Grund die Freude, die sich überall um sie herum auf dem Land finden lässt, zu besingen. Möglicherweise hat sich das lyrische Ich eine Änderung gewünscht, indem sich der Mensch wieder in die Natur eingliedert.