Inhaltsangabe, Gedicht-Analyse und Interpretation
Mit dem Winter assoziiert man zwar meist Kälte und Dunkelheit, aber diese Jahreszeit hat auch dennoch, verursacht durch die Weihnachtszeit, einen sehr festlichen, schönen und besinnlichen Charakter. Diese Feststellung resultiert jedoch aus unseren heutigen Lebensumständen und Lebensvorstellungen, was darauf hindeutet, dass diese Jahreszeit in anderen Epochen auch anders empfunden wurde. In den mir vorliegenden Gedichten kann man diesen Sachverhalt eindeutig erkennen.
Das Gedicht „Im Winter“ von Georg Trakl stammt aus der Epoche des Expressionismus (ca. 1919-1924) und thematisiert ebenso wie Joseph von Eichendorffs romantisches Gedicht (Romantik ca. 1795-1840) „Winternacht“ eine winterliche Nacht.
Das expressionistische Wintergedicht Georg Trakls stammt aus einer Zeit, die durch den Umbruch, gekennzeichnet durch neue Erfindungen, Fortschritt, Verstädterung und dadurch auch Orientierungslosigkeit und Pessimismus, charakterisiert werden kann. Diesen Umbruch erkennt man schon an der Form des Gedichts. Es besteht aus drei Strophen à vier Versen, die zwar jeweils einen umarmenden Reim bilden, aber das Metrum1 weicht von den starren Konventionen ab. Das Metrum lässt sich nicht genau bestimmen. Nur in manchen Versen lässt sich erahnen, dass es sich um einen Jambus handeln könnte. Trakl weist mit dem Bruch und Nichteinhalten lyrischer Gesetzmäßigkeiten auf den Umbruch seiner Zeit hin. Auf diese Tatsache werde ich noch im Verlauf meiner Interpretation eingehen.
Diese teilweise Unregelmäßigkeit unterstreicht auch die pessimistische Grundstimmung seines Gedichtes. Es wird eine bedrohlich kühle Winterlandschaft beschrieben, in der Jäger am Rande eines Waldes an einem Acker Wild erlegen.
Diese Stimmung könnte meiner Meinung nach auch von Trakls Lebensgeschichte herrühren. Zeitlebens war er unglücklich. Ein Liebesverhältnis zu seiner Schwester wurde ihm verboten und zudem hatte er eine sehr schlechte Bezeichnung zu seinen Eltern, was sein Leben sehr belastete und ihn sogar in die Drogenabhängigkeit führte.
Die Stimmung lässt sich schon im ersten Vers erkennen. Dort wird der anfangs genannte Acker durch eine Synästhesie näher beschrieben. („Der Acker leuchtet weiß und kalt.“). Dieses sprachliche Bild von einem gefrorenen und mit Reif überzogenen Acker weckt im Leser eine kühle und ungemütliche Grundstimmung.
Der Blick des beobachtenden lyrischen Ichs schweift nun weiter sowie auch höher und er betrachtet den Himmel, der mit den Adjektiven „einsam und ungeheuer“ (V.2) personifiziert wird. Hier verstärkt sich das pessimistische und dunkle Gefühl des Lesers, da das erste Adjektiv die dunkle und homogene Wolkenmasse darstellt und eine Einsamkeit vermittelt, weil keine weißen Wolkenflecken zu erkennen sind. Das Adjektiv „ungeheuer“ beschreibt den Himmel noch deutlicher und charakterisiert ihn als etwas Düsters und Angsteinflößendes. Ich als Leser stelle mir dabei eine große dunkle Wolkenwand vor, die durch ihre Homogenität als ein Ganzes wirkt und somit ungeheuerlich erscheint.
Gleichzeitig kreisen Raben über einen Teich (V.3). Raben stehen immer als Symbol für Tod und etwas Düsteres bzw. Geheimnisvolles. Mit der Verwendung dieses Symbols will Trakl noch stärker auf die Grundstimmung des Lesers einwirken.
Auch „Jäger steigen nieder vom Wald“ (V.4). Somit hat der Verfasser die Natur und ihre Tiere zusammen mit dem Menschen in einer Strophe vereint. Ein Jäger ist jemand, der in die Natur eingreift und eine gewisse Macht über diese ausüben kann, weil er die Populationsdichte einer Region bestimmen kann, indem er Wildtiere tötet. Trakl will damit das Handeln des Menschen kritisieren. Der Mensch darf sich seiner Meinung nach wahrscheinlich nicht über die Natur stellen. Um diese Intention deutlicher zu machen, wird auch als Abschreckung die Tötung eines Wildtieres in der letzten Strophe beschrieben.
Alle Geschehnisse der ersten Strophe geschehen gleichzeitig, was im Expressionismus als Simultanstil2 bezeichnet wird. Auch die kurzen parataktischen Sätze und der Zeilenstil3 werden nicht nur in der ersten Strophe sichtbar, sondern auch in den beiden letzten Strophen.
Die zweite Strophe befasst sich mit der weiteren Umgebung des Ackers. Um die Einsamkeit und Stille zu betonen, wird eine Personifizierung angewandt: „Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt.“ (V.5). Durch die Inversion4 werden die „schwarzen Wipfel“ hervorgehoben. Diese zeigen die typisch expressionistische Farbkomposition, welche meistens dunkle bzw. grelle oder angsteinflößende Farben beinhaltet. Weitere Beispiele dafür sind der „graue Mond“ (V.8), „der Acker leuchtet weiß“ (V.1) oder „das Rohr bebt gelb“ (V.11), was ebenfalls eine Synästhesie ist.
Neben dem Jäger deuten auch Vers sechs und sieben auf eine menschliche Existenz in der natürlichen Landschaft hin. In Vers sechs ist von Hütten die Rede, aus denen ein Feuerschein huscht, was auch wieder eine Personifizierung ist. Vermutlich meint Trakl damit das Licht im Inneren der Behausung, welches durch die Fenster leuchtet.
In Vers sieben wird das Schellen eines Schlittens erwähnt, der wahrscheinlich durch die Winterlandschaft fährt.
Auch diese Handlung eines Menschen in der Natur wird negativ dargestellt, denn die Glocken des Schlittens klingen nicht romantisch, sondern sie „schellen“ (V.7), was man mit einer nervigen Türklingel assoziieren könnte.
Der letzte Vers dieser Strophe beschreibt ebenfalls personifiziert das Steigen des Mondes.
Aus der Abendstimmung wird also mehr und mehr eine tiefere Nacht.
Vom erschossenen Wild, was ich eingehend schon erwähnt hatte, erfährt man nun am Anfang der letzten Strophe. Ich denke, dass hier absichtlich von einem „Wild“ die Rede ist, damit dieses Wild als Symbol für alle von Jägern getöteten Tiere wie Rehe, Wildschweine oder Hasen verstanden werden kann.
Das Wild „blutet sanft am Rain “ (V.9) und sein sterben bzw. Ausbluten wird somit als Euphemismus5 beschrieben, da das Verbluten durch das Adjektiv „sanft“ beschönigt wird. Gleichzeitig ist es ebenfalls eine Antithese6. Obwohl damit also das Sterben verharmlost wird, entsteht beim Leser jedoch genau ein entgegengesetztes Bild. Das Verbluten des Tieres erscheint meiner Ansicht nach viel ekliger und schrecklicher.
Auch hier treten wieder Raben auf und symbolisieren diesmal den Tod, da das Wildtier gerade im Sterben liegt. Die Raben hüpfen („plätschern“ V.10) im ausströmenden Blut des Tieres. Die Blutlache wird durch die Metapher der „blutigen Gossen“ (V.10) verschlüsselt.
Vers 11 ist besonders verschlüsselt und kann daher vermutlich auch vieldeutig interpretiert werden.
Trakl wendet eine Synästhesie an: „Das Rohr bebt gelb und aufgeschossen.“ Mit bebendem Rohr könnte das Gewehr des Jägers gemeint sein, welches durch einen Schuss („aufgeschossen“) bebt und eine gelbe Rauchentwicklung durch das Schießpulver hervorbringt.
Andererseits könnte auch ein gelbes Rohr auf das Schilf des Weihers hinweisen, welches sich bewegt („bebt“), weil durch einen Schuss Tiere aufgeschreckt wurden („aufgeschossen“).
Der letzte Vers beschreibt die letzten Eindrücke des beobachtenden lyrischen Ichs durch eine Akkumulation: „Frost, Rauch, ein Schritt im leeren Hain.“ (V.12). Auch hier werden nochmals alle Sinne angesprochen. Das lyrische Ich spürt die Kälte, sieht den Nebel und hört Schritte, während es einsam über den Acker läuft. Diese Schritte können entweder seine eigenen sein, da er seinen Beobachtungsposten verlassen hat oder die der Jäger, die ihre Arbeit erledigt haben und einen von verscheuchten oder getöteten Tieren leeren Hain hinter sich lassen.
Trakl hinterlässt dadurch eine pessimistische und traurige Stimmung beim Leser. Er kritisiert Macht des Menschen in der Natur und wie wir Menschen respektlos in die Natur eingreifen können.
Ein komplett anderes Winterbild stellt Eichendorff in seinem Gedicht „Winternacht“ (1839) dar.
Anders als Trakls Gedicht enthält „Winternacht“ nicht nur einen regelmäßigen Reim (Kreuzreim abab), sondern auch einen gleichmäßigen Jambus mit regelmäßigem Wechsel von männlicher und weiblicher Kadenz7.
Beide Gedichte haben dieselbe Form, da sie auch drei Strophen mit jeweils vier Versen bestehen.
Die Sprache von Eichendorff und Trakl unterscheidet sich deutlich.
Der Expressionistische Lyriker verwendet viele Synästhesien8 oder Neologismen9 wie „aufgeschossen“ (V.11).
Der Romantiker Eichendorff verwendet mehr Metaphern10 (Bsp: ´“Gottes Lob wird rauschen.“ V.12) und hat auch eine vollkommen andere Wortwahl. Seine Worte sind viel sanfter und feinfühliger im Verglich zu Trakls derbem Vokabular. Während Trakl von Blut und Tod spricht, schildert Eichendorff die stille der Nacht und die schöne Natur.
Dennoch gibt es auch Gemeinsamkeiten, wie die Personifikation11 der Natur, die auch Eichendorff benutzt: „Verlassen steht der Baum im Feld.“ (V.3) oder „Hat längst sein Laub verstreut.“ (V.4).
Alle drei Strophen sind hypotaktisch und bilden jeweils nur einen Satz, was im Gegensatz zu Trakls parataktischen Versen steht.
Auffällig ist die Verwendung von vielen Verben in beiden Gedichten („Im Winter“ besitzt 11 Verben und „Winternacht“ 10 Verben.). Das zeigt die Aktivität und Handlungsvielfalt beider Gedichte.
Obwohl auch im zweiten Gedicht ein beobachtendes lyrisches Ich vorhanden ist und durch die Wortwahl seine bestimmten Gefühle und Eindrücke schildert, besteht ein großer Unterschied.
Bei Eichendorff erscheint in der zweiten Zeile das Personalpronomen12 „Ich“ und das lyrische Ich beschreibt direkt seine emotionale Verfassung: „Ich hab nichts, was mich freuet“ (V.2).
Somit ist auch hier eine düstere oder traurige Grundstimmung am Anfang vorzufinden.
Auch das Motiv der Einsamkeit kommt wieder zum Tragen. Im ersten Gedicht war es der einsame Himmel und hier ist es der einsame Baum auf dem Feld. („Verlassen steht der Baum im Feld.“ V.3)
Auch das Wintermotiv durchzieht wie bei Trakl das ganze Gedicht. Der Baum „hat längst sein Laub verstreut.“ (V.4), was darauf hindeutet, dass der Herbst schon sehr lange vergangen ist und der Winter Einzug gehalten hat.
Das Nachtmotiv wird hier nicht mit dem Mond versinnbildlicht, sondern durch den „Traum“ (V.8).
In Eichendorffs einsamer Nacht befindet sich im Vergleich zu Trakls Nacht nur ein Baum anstelle eines Waldes und bis auf das lyrische Ich selbst ist von keinem Menschen oder menschlichem Eingreifen in die Natur die Rede. Das Gedicht bezieht sich nur auf die winterliche Jahreszeit und ihre Auswirkung auf das Empfinden des Menschen.
Der Traum ist ein typisches Motiv der Romantik. Mit ihm verbindet man Hoffnung und Erfüllung aller Sehnsüchte. So ist es auch mit dem Traum des Baumes aus dem Eichendorffgedicht.
Der Wind „rührt […] seine Wipfel sacht“ (Personifizierung, V.7), was zur Folge hat, dass bestimmte Geräusche in den Baumwipfeln entstehen. Diese Geräusche klingen wie die menschliche Sprache, was der Verfasser durch einen Vergleich versinnbildlicht: „[Er] redet wie im Träume.“ (V.8). Der Baum „träumt von künft’ger Frühlingszeit.“ (V.9). Der Frühling stellt die Hoffnung, also das Erträumte für diesen Baum, dar. Somit gibt es für ihn nach dieser düsteren wieder eine bessere Zeit. Gleichzeitig symbolisiert dieser einsame Baum auch das unglückliche lsrische Ich aus Vers zwei, das heißt, dass auch für ihn Hoffnung besteht und die Phase des Unglücks oder der Hoffnungslosigkeit bald vorüber ist. Dieser positive Wandel innerhalb des Gedichts ist bei „Im Winter“ nicht zu beobachten. Hier scheint es für immer und ewig Winter für das lyrische Ich zu bleiben, zu mindestens in einer Gefühlswelt.
Auch für das Wild besteht keine Hoffnung mehr, denn es wurde getötet und sein Leben dadurch abrupt für immer beendet.
Das positive Ende im romantischen Gedicht wir durch zwei Nomen besonders hervorgehoben: „Quellenrauschen“ (V.10) und „Blütenkleid“. Beides steht für die Natur, ihre Bewegung und Aktivität, ihre Schönheit und ihr Erwachen.
Typisch für die Romantik war der starke religiöse Glaube, der in der letzten Zeile zum Ausdruck kommt. Auch Gott ist ein Synonym für Hoffnung und fehlt somit völlig im durchgängig pessimistischen expressionistischen Gedicht.
Im romantischen Gedicht wird angedeutet, dass Gott im Frühjahr wieder Gutes tun und die Natur erwecken wird. („Gottes Lob“ V.12).
Ein letzter Vergleichsaspekt ist die Verwendung von Farben. Ich hatte schon bei Trakls Gedicht erwähnt, dass seine Farbadjektive hauptsächlich negativ bestimmt sind (schwarz, gelb, grau). Bei Eichendorff wird nur eine einzige Farbe erwähnt und das ist „Grün“ (V.10) – die Farbe der Hoffnung.
Somit stellen die Farben schon die Grundstimmung der Gedichte und dem Schreibstil der Lyriker der jeweiligen Epochen dar.
Beide Gedichte veranschaulichen sehr gut das emotionale Empfinden und die Wahrnehmung der Menschen in Bezug auf ihre Umgebung. Man merkt, wie sich die Lebenseinstellungen beider Lyriker an der Jahreszeit des Winters widerspiegeln.
Beide beschreiben das Gleiche, aber meinen Unterschiedliches.