Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das romantische Gedicht „Ein Weib“, welches 1840 von Heinrich Heine verfasst und 1844 veröffentlicht wurde, thematisiert eine (zunehmend) ungleiche Beziehung eines Paares.
Das Gedicht ist sowohl thematisch als auch stilistisch ein typisches Heine-Werk, an dem man die romantische Ironie dieses Autoren erkennen kann. Heine demaskiert und entromantisiert auch mit diesem Werk die „Gefühlsduselei“ der Romantiker und greift zur Erreichung des Ziels – wie so oft – auf ein (vermeintliches) Liebespaar zurück.
Inhaltlich wird deutlich, dass die anfangs sehr harmonisch und unbeschwert erscheinende Situation des als strolchenhaft beschriebenen Liebespaares sich sukzessive verschlechtert und zuletzt ins Groteske1 abgleitet. Die Verschlechterung der Situation ist dabei auffallend asymmetrisch: Während der Mann vor allem durch die Trennung leidet, bleibt die Frau unbekümmert und fast schon gleichgültig. Heine baut dabei in der ersten Strophe eine falsche Erwartungshaltung auf und weckt Assoziationen, um den Leser bzw. die Leserin zu überraschen und am Ende ein voneinander entrücktes Verhältnis der beiden (vermeintlich) Liebenden darzustellen, welches sogar mit dem mitleidlos hingenommenen Tod des Liebhabers endet. Als besonders gefühlskalt wird die weibliche Protagonistin dargestellt, weil sie unabhängig von der Situation des Liebhabers immer identisch reagiert. Sie entwickelt sich nicht weiter, sondern behält auch in unangemessenen Situationen das Lachen aus der ersten Strophe, welches aber aufgrund des geänderten Kontextes von einem unbeschwerten Lachen in ein hämisches und schadenfrohes Lachen überzugehen scheint.
Das Gedicht besteht aus vier Strophen zu je vier Versen. Das Reimschema ist ein regelmäßiger Paarreim. Dieser schafft einen sehr flüssigen Lesefluss und lässt das Gedicht fast heiter wirken. Beim ersten Lesen des Gedichtes fallen dem Leser direkt die Parallelismen in dem jeweils letzten Vers einer Strophe auf („Sie warf sich aufs Bett und lachte“, „Sie stand am Fenster und lachte“, „Sie schüttelt' das Haupt und lachte“, „[Sie] Trank roten Wein und lachte“). Diese spiegeln das konstante Verhalten der Frau wider und ändern ihre Bedeutung im Wesentlichen nur durch den geänderten Kontext der drei anderen Verse einer Strophe.
In der ersten Strophe wird der Leser knapp in das Geschehen eingeführt. Es geht um eine Beziehung zwischen einem „Dieb“ (V. 2) und einer „Spitzbübin“ (V. 2). Die Beziehung wird als sehr gut beschrieben, denn „beide [hatten sich] so herzlich lieb“ (V. 1). Wenn er, also der Dieb, einen „Schelmenstreich“ (V. 3), also einen Diebstahl oder Ähnliches machte, nahm sie dies unkommentiert hin und maßregelte oder warnte ihn nicht. Dem Leser wird damit zunächst suggeriert, dass es sich um harmlose kleine Vergehen handelt, die der Liebhaber möglicherweise als Beweis seiner Liebe erbringt und an denen die Frau evtl. auch beteiligt gewesen ist oder bei denen sie zumindest eine Mitwisserin darstellt. Dies wird daran deutlich, dass sie ebenfalls als „Spitzbübin“ (V. 2) bezeichnet wird, d. h. sie und der „Dieb“ (V. 2) sind somit ähnliche Charaktere. Das Alter der Personen wird im Gedicht übrigens nicht direkt erwähnt, aber das „spitzbübische“ und „schelmenhaft“ Verhalten der beiden Personen legt nahe, dass es sich um Jugendliche handelt. Von der weiblichen Protagonistin geht dabei in der ersten Strophe des Gedichts eine erotische Ausstrahlung aus, weil sie sich unschuldig lachend dem Mann im Bett anzubieten scheint (V. 4 „Sie warf sich aufs Bett und lachte“). Dieser Eindruck wird in den ersten beiden Versen der zweiten Strophe noch bestärkt.
In der zweiten Strophe wird der schnelle Lebensstil der beiden beschrieben, denn sie lebten in „Freud und Lust“ (V. 5). Beide suchen permanent nach (sexuellen) Abenteuern, doch letztlich scheinen sich beide treu zu sein und die Frau schmiegt sich Schutz suchend an die Brust des Liebhabers (V. 6). Soweit entspricht das von Heine dem Leser bzw. der Leserin gezeichnete Bild dem von zwei abenteuerlustigen Jugendlichen. Ab dem nächsten Vers beginnt die Stimmung im Gedicht allerdings zu kippen. Die „Schelmenstreiche“ (V. 3) des Liebhabers sind offenbar doch ziemlich ernst und werden ihm zum Verhängnis, da er ins Gefängnis gebracht wird (V. 7). Aufgrund der zuvor als eng beschriebenen Beziehung des Paares würde man erwarten, dass die Liebhaberin Anteil an seiner Festnahme nimmt oder ihre Abenteuerlust aufgrund der plötzlichen Trennung in Liebeskummer übergeht. Aber nicht bei Heine, denn sie steht nur am Fenster und lacht. Der wohlwollende Leser bzw. die wohlwollende Leserin mag zum Ende der zweiten Strophe vielleicht noch an die Ernsthaftigkeit der Beziehung glauben und assoziiert möglicherweise, dass die Frau beim Abführen ihres Liebhabers ihn zuversichtlich und im festen Glauben anlacht, dass er bald schon wieder freikommt. Der Inhalt des zur Last gelegten Vergehens wird von Heine schließlich bewusst offen gelassen, sodass man hoffnungsvoll meinen könnte, dass es sich um eine minderschwere Tat handelt. Tatsächlich hält Heine diese Hoffnung in der nachfolgenden dritten Strophe weiter aufrecht.
In der dritten Strophe wird dargestellt, wie er, der Dieb, ihr eine Nachricht überkommen lässt, diese soll seine Sehnsucht nach ihr ausdrücken. Sie reagiert allerdings wie schon zuvor durch ein Lachen. Die Hoffnung auf ein gütliches Ende aus der zweiten Strophe wird auch in der dritten Strophe weiter offen gelassen. Vom Liebhaber erfahren wir nur, dass er aktiv eine Nachricht an seine Geliebte senden lässt. Da das zum Ausdruck bringen seiner tiefen Sehnsucht seine einzige dokumentierte Handlung im Gefängnis ist, wird weiterhin der Eindruck erweckt, dass er sich in einer Situation befindet, die sich schon bald in Wohlgefallen auflösen wird oder die zumindest mit seiner Freilassung endet. Die Geliebte schüttelt allerdings den Kopf und lacht (V. 12). Die Reaktion wirkt unerwartet, aber vor dem Hintergrund, dass sich die Situation bald aufklären wird, könnte dies weiterhin als lasziv-erotische Handlung interpretiert werden, um den Liebhaber aufzureizen. Nicht ganz klar ist, ob die Geliebte dem übersendeten Wunsch, bei dem Gefangenen vorstellig zu werden (V. 11 „Ich rufe nach dir“) tatsächlich nachkommt.
In der vierten Strophe wird dem Leser bzw. der Leserin endgültig offenbart, dass die zuvor aufgebaute Erwartungshaltung und die damit einhergegangenen Assoziationen grundlegend falsch waren. Dabei gibt es eine zeitlich schnelle Abfolge der Ereignisse. Der Urteilsspruch wird nicht einmal erwähnt, stattdessen wird der Liebhaber bereits früh morgens am Galgen gehängt (V. 13). Eine Stunde später wird er beerdigt und noch eine weitere Stunde später trinkt die Geliebte bereits roten Wein und lacht erneut (V. 15 und 16). In der Finalstrophe wird die unangemessene Reaktion der Geliebten überdeutlich. Statt um ihren Liebhaber zu trauern, geht sie bereits nach kurzer Zeit wieder ihrer alltäglichen Routine nach oder feiert die Hinrichtung sogar.
Die Anapher2 „Um sechse des Morgens […] / Um sieben ward er [...]“ (V. 12f.), verdeutlicht den sehr kurzen Handlungszeitraum in der letzten Strophe. Dieser verdeutlicht, wie unwichtig der Frau die Beziehung war, sodass sie innerhalb von zwei Stunden über sie hinwegkommen kann, bzw. wieder lachen kann.
Mit dem Wissen um das Ende des Liebespaares kann man auch die vorherigen Strophen anders deuten. In der ersten Strophe liegt die Geliebte im Bett, anstatt sich um den schelmischen Liebhaber Sorgen zu machen. In der zweiten Strophe wird ihr Geliebter in das Gefängnis gebracht. Doch auch hier macht die Spitzbübin sich keine Sorgen, sondern lacht nur vor sich hin und sieht ihm nach. Doch auch die Nachricht des Diebes aus dem Gefängnis lässt sie völlig kalt. Auch hier lacht sie wieder.
Zuletzt kann man noch einen Blick auf den Titel „Ein Weib“ werfen. Während das Wort „Weib“ für eine Frau heutzutage eindeutig als abwertend aufgefasst wird, so wurde der Begriff in früherer Zeit als neutrale Bezeichnung für eine Ehefrau verwendet. Erst im 19. Jh. verschob sich die Bedeutung des Begriffs ins Negative, denn das Wort „Dame“, welches zuvor von Adeligen benutzt wurde, verdrängte das Wort „Weib“ im Alltagsgebrauch. „Weib“ wurde zunehmend nur noch für einfache Frauen aus der Unterschicht verwendet und erlangte schließlich seine heutige negative Bedeutung. Zu Heines Zeiten war der Begriff „Weib“ also durchaus noch ambivalent zu betrachten und keineswegs immer als Beleidigung gemeint, d. h. auch im Titel spielt Heine bereits mit der Mehrdeutigkeit seines Werkes. Darüber hinaus fällt auf, dass Heine nicht Das Weib, sondern Ein Weib als Titel gewählt hat. Dies kann vom Leser nach dem Erfassen des Gesamtzusammenhangs als subtile Unterstellung verstanden werden, dass die Protagonistin im Gedicht nicht für einen Einzelfall steht, sondern das generelle Wesen einer Frau verkörpert.
Das Gedicht lässt sich der Epoche der Romantik zuordnen. Allerdings gilt Heine nicht als typischer Romantiker, sondern als deren Überwinder. Die Gefühlssensibilität und Sentimentalität der Romantiker stoßen bei Heine auf Ironie und Realität. Heinrich Heine persifliert auch in diesem Gedicht einige romantische Motive ganz bewusst und macht sich darüber lustig. Hier wird in erster Linie das Sehnsuchtsmotiv parodiert, da nur der Geliebte diese Sehnsucht empfindet, jedoch die Geliebte im Gegenzug nur Gleichgültigkeit fühlt und sogar nach dem Tod ihres sogenannten Geliebten ihrem frohen Lebensstil ohne zu trauern nachgeht. Liebe wird von Heine im Vergleich zu anderen Romantikern als etwas sehr Vergängliches dargestellt. Aber nicht nur das, denn Liebe kann auch blind machen. Blind für die fehlende Zuneigung und Wertschätzung von der Gegenseite (hier in Form der Liebhaberin), aber auch blind dafür ausgenutzt zu werden. Ausgenutzt nicht nur in der Hinsicht, dass der Liebhaber gut genug zum Ausleben ihrer (sexuellen) Abenteuerlust war. In Heines „Ein Weib“ wird dies zwar nicht gesagt, aber es besteht zumindest der Verdacht, dass die „Spitzbübin“ ihren Liebhaber zu einer Straftat angestiftet haben könnte und sie letztlich auch Nutznießerin vom Tod des Geliebten ist (entweder monetär gesehen oder weil mit ihm der einzige Zeuge einer vielleicht gemeinsamen Straftat beseitigt wird, welches sie mit Rotwein begießt).