Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das zu analysierende Gedicht „Der Herbst des Einsamen“ wurde im Jahre 1915 von Georg Trakl veröffentlicht. Es beschreibt eine herbstliche Landschaft und den aufkommenden Sonnenuntergang. Besonders auffällig ist der Wandel von einer überwiegend positiven zu einer negativ-bedrohlichen Stimmung und Beschreibung des Herbstes. Epochentechnisch ist das Gedicht der Epoche des Expressionismus zuzuordnen.
Das Gedicht umfasst drei Strophen mit jeweils sechs Versen, das Gedicht besteht also aus 18 Versen. Das Reimschema ist durchgehend regelmäßig, es liegt ein Kreuzreim vor. Es reimen sich demnach also jeweils der erste, der dritte und der fünfte und der zweite, vierte und sechste Vers (ababab cdcdcd efefef). Das Metrum1 lässt sich als regelmäßiger Jambus identifizieren.
Betrachten wir zunächst die erste Strophe des Gedichts. Es wird zunächst die Einkehr, also der Beginn des Herbstes beschrieben. Dieser bringt „Furcht und Fülle“ (V. 1) mit sich. Im darauffolgenden Vers wird der Herbst als „vergilbter Glanz von schönen Sommertagen“ charakterisiert (V. 2). Vergilbt zeigt zum einen, dass der Herbst für das lyrische Ich einen geringen Stellenwert besitzt als der als „schön […]“ (V. 2) beschriebene Sommer. Zum anderen beschreibt „vergilbt[…]“ (V. 2) aber auch die Blätter der Bäume und die herbstliche Situation der Natur. Steht vergilbt eigentlich für die Verfärbung von Papier, charakterisiert re im Bezug auf die Natur die unabwendbare Verfärbung der Blätter durch den Wandel der Jahreszeit.
Im folgenden Vers wird das Aufklaren des Himmels beschrieben. Die Wolken verschwinden und der blaue, klare Himmel kommt zum Vorschein. Nun, im nächsten Vers, wird der Vogelzug der Zugvögel in wärmere Regionen beschrieben. Der Zug der Vögel erzählt und berichtet von alten Sagen (vgl. V. 4). Im fünften Vers wird beschrieben, dass der „Wein [bereits] gekeltert [ist]“ (V. 5) und „milde Stille“ (V. 5) herrscht. Diese eben beschriebene Stille (vgl. V. 5) ist „[e]rfüllt von leiser Antwort dunkler Fragen“ (V. 6).
Wenden wir uns nun der zweiten Strophe zu. Zunächst werden Kreuze auf einsamen Hügeln beschrieben, sogenannte Gipfelkreuze. Daraufhin zeichnet das lyrische Ich das Bild einer Herde, die sich im „roten Wald verliert“ (V. 8). Der „rote […] Wald“ (ebd.) steht hier für einen Wald, dessen Blätter sich im Zuge des Herbstes rötlich verfärbt haben. Es ist des Weiteren nicht ersichtlich, um was für eine Herde es sich explizit handelt. Im folgenden Vers wird ein „Weiherspiegel“ (V. 9), also eine glatte Oberfläche eines kleinen Sees beschrieben. Auf dieser Oberfläche spiegelt sich eine Wolke, die vorüberzieht. Im folgenden Vers betritt ein „Landsmann“ (V. 10) die Szenerie. Mit dieser Beschreibung ist vermutlich ein Bewohner einer ländlichen Region gemeint, der männlich ist. Dieser Landsmann ruht, was durch die Beschreibung „Es ruht des Landmanns ruhige Gebärde“ (V. 10) verdeutlich wird. Auffällig ist hier die Wiederholung des Begriffes „ruhig“ (ebd.). Dies betont das Bild der Ruhe. Im folgenden Vers werden „des Abends blaue Flügel“ (V. 11) beschrieben, es wird nun der nahende Abend dargestellt. Die blauen Flügel erzeugen eine sehr schwache Brise, die das Strohdach der Hütte erzittern lässt und auch die „schwarze Erde“, vermutlich das umgegrabene Feld, das zu dieser Hütte gehört, erreicht.
Widmen wir uns nun der dritten und letzten Strophe. Hier wird ein Ausblick auf den weiteren Verlauf des Herbstes getätigt, was durch den Begriff „bald“ verdeutlicht wird. Anfänglich wird beschrieben, dass „Sterne in des Müden Brauen […] nisten“ (V. 13). Mit dem Müden ist wahrscheinlich der in der vorherigen Strophe beschriebene Landsmann gemeint. Im folgenden Vers wird erläutert, dass „[i]n kühle Stuben ein still Bescheiden [einkehrt]“ (V. 14). Dies deutet vermutlich auf den nahenden Winter und den damit verbundenen Mangel an frischen Lebensmitteln und dem darauffolgenden, beschriebenen Lebensstil hin. Nun folgt die Beschreibung von Engeln, die aus den Augen von Liebenden treten die daraufhin „sanfter leiden“ (V. 16). Im folgenden Vers wird zunächst ein Rohr beschrieben, dass rauscht. Im letzten Vers wird das Bild einer kahlen Trauerweide gezeigt, von welcher schwarzer Tau tropft (V. 18).
Betrachten wir nun die sprachliche Gestaltung des Gedichts. In der ersten Strophe fallen besonders die Vermischung von positiv konnotierten und negativ konnotierten Wörtern auf. Negativ konnotiert sind in der ersten Strophe vor allem Wörter wie „dunkle Herbst“ (V. 1), „vergilbt[…]“ (V. 2), „verfallen[…]“ und „alt[…]“ (V. 4). Positiv konnotiert sind Begriffe wie: „voll Frucht und Fülle“ (V. 1), „schönen Sommertagen“ (V. 2), „reines“ (V. 3), „tönt“ (V. 4) und „mild“ (V. 5).
Diese Wechselspiel der Konnotationen2 zieht sich durch das ganze Gedicht und wird von Strophe zu Strophe verstärkt. In der zweiten Strophe finden sich mehr negativ behaftete Worte wie „ödem“, „verliert“ (V. 8), „dürr[…]“ (V. 12) und „schwarz“ (V. 12). Positive Konnotationen finden sich nur bei der Beschreibung der Flügel oder dem Ruhen des Landmannes (vgl. V. 10f.). In der letzten Strophe stechen keinerlei positive Konnotationen hervor, die negativen dominieren die Szenerie, vor allem Wörter wie „Müden“ (V. 13), „kühle“ (V. 14), „still“ (ebd.), „Bescheiden“ (ebd.), „leiden“ (V. 16), „knöchern“ (V. 17), „schwarz“ (V. 18) und „kahl[…]“ (V. 18) stechen ins Auge. Es lässt sich also festhalten, dass die Stimmung des Gedichts von einer leicht positiven zu einer negativ-bedrohlichen gewandelt wird.
Im ersten Vers des Gedichtes findet sich die Alliteration3 „voll Frucht und Fülle“ (V. 1).. Diese lässt sich mit der im darauffolgenden Vers vorliegenden Alliteration „schönen Sommertagen“ (V. 2) verbinden. Die „Frucht und Fülle“ (V. 1), die zu Beginn des Herbstes noch vorliegen, sind „vergilbter Glanz“ (V. 2) des Sommers. Das heißt, dass im Herbst von dem, was im Sommer angepflanzt wurde, gelebt wird. „[V]ergilbt“ (V. 2), steht in diesem Fall für die Vergänglichkeit des geschaffenen Reichtums. Im folgenden Vers wird ein „reines Blau“ (V. 3) beschrieben, dass aus verfallener Hülle tritt. Dies kann, wie zuvor beschrieben, als Beschreibung des Aufklaren des Himmels gesehen werden. Des Weiteren wird aber auch eine Schmetterlingsmetapher4 getätigt. Der Himmel klart auf, der Schmetterling schlüpft aus seiner Hülle und ist, wie das Blau, rein. Im folgenden Vers wird der Flug der Vögel beschrieben. Dieser „tönt von alten Sagen“ (V. 4). Dies könnte insofern gedeutet werden, als dass der Zug der Vögel die Abenteuerlust im lyrischen Ich weckt. Diese Wander- und Abenteuerlust gilt als typisches Motiv für die Epoche der Romantik. Im Folgenden wird beschrieben, dass der Wein gekeltert ist, was darauf hindeutet, dass der Herbst weiter fortschreitet, da das Sammeln der Trauben, was im Spätsommer und im frühen Herbst stattfindet, bereits abgeschlossen ist. Dieser Sachverhalt führt zur Schaffung einer bedrohlichen Szenerie, sie arbeitet gegen die positiven Konnotationen in der Strophe. Der fünfte und sechste Vers der Strophe werden durch ein Enjambement verbunden, es wird erläutert, dass die milde Stille erfüllt ist von leiser Antwort auf dunkle Fragen (vgl. V. 5f.) Die Beschreibung der dunklen Fragen (V. 6) schafft weiter eine düstere Stimmung. Die Bedrohlichkeit wird durch den Gegensatz der milden Stille, die von Antworten auf dunkle Fragen erfüllt ist, verdeutlicht. Es lässt sich festhalten, dass das Gedicht geprägt ist von einer Unruhe, es wirkt, als arbeiteten zwei Strömungen, positiv und negativ, gut und böse, gegeneinander. Die Szenerie wird positiv konnotiert beschrieben und später durch die Einstreuung kleiner Ungereimtheiten wird diese Szenerie wieder gestört. In der ersten Strophe finden sich einige romantischen Tendenzen, wie z. B. das Motiv der Abenteuerlust oder die Farbe Blau (vgl. V. 3f.). Durch die Vielzahl an negativ konnotierten Warten, wie zuvor beschrieben, werden diese jedoch negativ dargestellt.
Betrachten wird nun die zweite Strophe. Durch die Beschreibung „hier und dort“ (V. 7) wirkt es so, als lasse das lyrische Ich seinen Blick über die Landschaft streifen. Es beschreibt „öde […] Hügel“ (V. 7), auf deren Spitze sich ein Kreuz befindet. Dies kann als Anspielung auf den Tod gesehen werden, das Kreuz steht symbolisch für den Tod, der Hügel könnte ein Grab darstellen. Der Blick des lyrischen Ichs streift weiter, es fällt ein roter Wald auf, in welchem sich eine „rote Herde“ (V. 8) verirrt. Die Farbe Rot kann hier als Signalfarbe für Gefahr oder den Tod stehen. Die Herde, die sich im Wald verliert, wird nicht genauer charakterisiert, um die Allgegenwärtigkeit des Todes zu verdeutlichen, es verdeutlicht, dass dieser jedem einholt, sogar eine ganze Herde. Im dritten Vers der Strophe wird eine Wolke personifiziert, die über einem Weiher wandert. Die Tatsache, dass es sich hier um eine einzelne Wolke handelt, verdeutlicht die Einsamkeit, die der lyrische Sprecher spürt. Die Beschreibung des „Weiherspiegels“, also einer Oberfläche, die sich spiegelt, zeigt, dass das lyrische Ich die eigene Einsamkeit erkennt, was auch mit dem Titel des Gedichts „Der Herbst des Einsamen“ in Verbindung gebracht werden kann. In den letzten drei Versen der Strophe kehrt wieder Ruhe ein. Es wird die ruhige Gebäre des ruhigen Landmannes beschrieben. Die Wiederholung des Terms „Ruhe“ verdeutlicht den absoluten Ruhezustand, was fast gekünstelt und krampfhaft wirkt. Die letzten zwei Verse der Strophe werden durch ein Enjambement verbunden. Der elfte Vers beginnt mit der Hyperbel5 „sehr leise rührt“ (V. 11). Hier findet ebenfalls eine Synästhesie6 statt. Das Hören und die Wahrnehmung einer Bewegung werden miteinander gepaart. Es wirkt, als würde das lyrische Ich weiter krampfhaft versuchen, die ruhige Stimmung zurückzugewinnen. Die „blauen Flügel“ (V. 11) charakterisieren eine sehr leichte Brise. Diese Brise vermag es trotzdem, das „dürre Stroh“ (V. 12) und die „schwarze Erde“ (V. 13) zu rühren, zu bewegen. Die Brise wird also untertrieben dargestellt- Dies zeigt weiter den Versuch, die Ruhe des Gedichts zu bewahren. Des Weiteren zeigt die Beschreibung, wie dürr das Stroh auf dem Dach ist.
Nun wird in der dritten Strophe ein Ausblick auf die Zukunft getätigt. Es wird beschrieben, dass bald Sterne, ähnlich wie Vögel, in des Müden Brauen nisten (vgl. V. 13). Der Mensch, der müde ist, vermutlich der Landmann, wird nur auf seine Müdigkeit reduziert. Das Nisten der Sterne könnte zum einen auf die nahende Nacht und den damit verbunden Schlaf oder den Tod hindeuten. Die Metaphorik des Nistens impliziert einen längeren Zustand, weswegen die zweite Variante an Plausibilität gewinnt. Im zweiten Vers der Strophe wird das Einkehren von Bescheidenheit, Kühle und Stille in die Häuser beschrieben, es geht vermutlich um das Auftreten des Winters. Die in Strophe eins beschriebenen „Frucht und Fülle“ (V. 1) ist aufgebraucht das Voranschreiten der Zeit hatte bereits das Keltern des Weins in der zweiten Strophe beschrieben, der Lebensstil der Menschen wird bescheidener. Vers drei und Vers vier der letzten Strophe werden wieder durch die Verwendung eines Enjambements7 verbunden. Es werden Engel beschrieben, die die Augen von Liebenden verlassen, die daraufhin sanfter leiden. Es wird also der Tod von mindestens sich zwei liebenden Personen beschrieben.Die Engel stehen für die Seelen der Menschen, die in eine andere Welt aufbrechen. Die Tatsache, dass die Seelen nun sanfter leiden, zeigt, dass die Menschen selbst nach dem Tod noch leiden müssen. In Vers sechzehn wird plötzlich das Rauschen eines Rohres beschrieben (vgl. V. 16). Die ruhige Stimmung die das ganze Gedicht lang krampfhaft am Leben gehalten wurde, ist nun vorüber. Das lyrische Ich wird von einem „knöchern Grauen“ erzittert. Die Beschreibung „knöchern[…]“ (V. 17) verdeutlicht die Allgegenwärtigkeit des Todes. Der Vers wird ebenfalls mit dem nächsten Vers verbunden, durch das Wort „wenn“. Der schwarze Tau kann wieder als Metapher für Tod, aber auch für die Nacht angesehen werden.
Abschließend kann gesagt werden, dass es sich bei dem vorliegenden Gedicht um ein typisch expressionistisches Gedicht handelt. Dies wird durch Entstehungszeit und Autor, aber auch durch die Umkehrung von typisch romantischen Motiven wie Natur, Jahreszeiten, Abenteuerlust und Ruhe deutlich.