Aufgabe: Schreibe eine Szenenanalyse und interpretiere Bild 8 aus „Der gute Mensch von Sezuan“. Zeige, welche Mittel des epischen Theaters Brecht verwendet und erläutere die Funktion der Szene innerhalb des Stücks.
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
Inhaltsangabe/Zusammenfassung , Szenenanalyse und Interpretation
Das während der Exilliteratur entstandene Drama „Der gute Mensch von Sezuan“ von Bertolt Brecht, welches im Jahre 1943 erschienen und uraufgeführt wurde, handelt von dem Konflikt zwischen Moral und Überleben und dem Versuch ethische Grundsätze unter schwierigen Umständen aufrechterhalten zu wollen. Im folgenden Text werde ich das achte Bild inhaltlich zusammenfassen und analysieren.
Einordnung in den Inhaltszusammenhang
In der achten Szene geht es um Frau Yang, die in einer zeitraffenden Retroperspektive vom Aufstieg ihres Sohnes Yang Sun in der Tabakfabrik von Shui Ta erzählt.
Voraussetzung dieser Szene ist, dass drei Götter auf die Erde gesandt wurden, um einen guten Menschen zu finden. Erst wenn sie einen guten Menschen gefunden haben, haben sie einen Beweis gefunden, dass die göttlichen moralischen Gebote von den Menschen erfüllt werden können, sodass sie nicht die Welt verändern müssen und ihre Existenz weiterhin gesichert werden kann. Als die drei Götter auf die Prostituierte Shen Te treffen, sind sie überzeugt, dass ihre Suche erfolgreich war und entlohnen sie, sodass sich Shen Te einen Tabakladen von dem Geld kauft. Aufgrund ihrer Verhältnisse wird Shen Te von ihren Mitmenschen ausgenutzt, sodass ihr Geschäft in seiner Existenz gefährdet ist. Dies ist der Grund, weshalb sie sich in ihren Vetter Shui Ta verwandelt, der durch seine Strenge ihr Überleben und somit ihre Existenz sichert. Im weiteren Verlauf der Handlung lernt sie den arbeitslosen Flieger Sun kennen, in den sie sich verliebt. Jedoch nutzt er sie aus und will von ihr nur ihr Geld. Als Shen Te und Sun heiraten wollen, kommt die Hochzeit nicht zu Stande, da Sun Shen Te nur unter Bedingung heiraten will, wenn ihr Vetter ihm genügend Geld gibt, um seinen Traum als Postflieger zu ermöglichen. Dadurch, dass Shen Te in Gestalt von Shui Ta Suns Absichten durchschaut hat, kann und will Shui Ta ihm nicht die restliche Summe übergeben, sodass die Hochzeit scheitert. Dennoch besitzt Sun 200 Silberdollar von Shen Te, die er nicht zurückbezahlen kann. Daraufhin klagt Shui Ta im Namen von Shen Te Sun wegen Bruchs des Heiratsversprechens und Erschleichung von 200 Silberdollar an. Schließlich stellt Shui Ta Sun vor die Wahl, aufgrund der Anzeige verurteilt zu werden oder die 200 Silberdollar durch Arbeit in der Tabakfabrik zurückzuzahlen. Sun entschließt sich zu der letzteren Variante und arbeitet sich in der Firma vom Arbeiter zum Prokuristen hoch, indem er versucht, Shui Ta davon zu überzeugen, dass er ein intelligenter Mensch ist und diese Intelligenz im Sinne der Firma und Shui Ta miteinbringen kann. Zum Schluss der Szene singen die Arbeiter, die von Sun zu erhöhter Arbeitsleistung angetrieben werden, das „Lied vom achten Elefanten“, in dem die ausbeuterische Arbeitssituation widergespiegelt wird.
Auswirkungen des achten Bildes ist, dass Sun noch mehr Macht erreichen will und Shui Ta beschuldigt, Shen Te entführt zu haben. Zuletzt zeigt er Shui Ta bei der Polizei an, dass er die schwangere Shen Te entführt haben soll. Da Shui Ta dies abstreitet, kommt es zur Gerichtsverhandlung. Bei dieser offenbart sich Shen Te als Shui Ta.
Analyse und Interpretation
Der Anfang der Szene beginnt mit einer im Präteritum gesprochenen Ansprache, bei dieser Frau Yang rückblickend erzählt, wie Sun „aus einem verkommenden Menschen in einen nützlichen verwandelt wurde“ (S. 111). Nach dieser Ansprache zum Publikum tritt Sun in der Erzählung von Frau Yang agierend auf und verkörpert die Erzählung. In dem Dialog zwischen Shui Ta, Sun und Frau Yang wird deutlich, dass Frau Yang einen der größten Redeanteile besitzt und versucht sich immer wieder bei Shui Ta für ihren Sohn zu entschuldigen, da dieser vom rechten Weg abgekommen ist und sie selbst getäuscht sowie geschädigt hat (vgl. S. 111 – 112). Bei diesen Sätzen fällt auf, dass sie, im Gegensatz zu Shui Ta, einen parataktischen Satzbau verwendet (vgl. S. 112). Nachdem Shui Ta Yang Sun eingestellt hat, tritt Frau Yang nochmals „an die Rampe zurück“ (S. 112) und spricht den Zuschauer an, das heißt sie tritt aus der Handlung heraus. Dadurch wird die Aufmerksamkeit des Publikums gesteigert und dieses reflektiert über die vorherige Situation zwischen Shui Ta und Sun. Zusätzlich leitet Frau Yang durch ihre Ansprache an das Publikum neue Orte der Erzählung ein, wie beispielsweise die inneren Räumlichkeiten der Tabakfabrik, wo sich die nächste Situation von ihrer Erzählung abspielen wird.
Auch hier fällt auf, dass das Proletariat in parataktischen Phrasen spricht, ohne jegliche Nebensätze. Außerdem wird im Dialog zwischen dem Schreiner und Sun deutlich, wie verzweifelt die Arbeiter durch die Ausbeutung Shui Tas sind.
Der Schreiner macht den Zuschauer durch die rhetorische Frage: „Und wovon sollen wir leben?“ (S. 113) deutlich, wie ernst die Lage ist und dass sie unter schlechten Arbeitsbedingungen, egal wie alt sie sind, arbeiten müssen, um ihre Familien zu ernähren. Ein weiteres Kennzeichen des Jargons der Besitzlosen ist, dass sie eine vulgäre Sprache verwenden, wie „Gib den einen Ballen her, du Krüppel!“ (S. 113). Außerdem kommentiert Frau Yang mit ihrer Ansprache zum Publikum das Geschehen (vgl. S. 113). Noch dazu werden durch die Sprache Shui Tas die gesellschaftlichen Bedingungen deutlich, da er Arbeiter, die aufgrund körperlicher Beeinträchtigung nicht so produktiv sind wie andere, beschuldigt „keinen guten Willen zu haben“ (vgl. S. 113).
Ein weiterer Fall, bei dem Sun versucht besser dazustehen, ist der Tag, an dem der Lohn ausgezahlt wird. Hier wird dem Zuschauer deutlich gemacht, welche heuchlerische Sprache Sun verwendet, um mittels Intrigen aufzusteigen (vgl. S. 114). Als er endlich sein Ziel erreicht hat und Aufseher geworden ist, wird der Jargon des Proletariats deutlich, da er immer wieder eine vulgäre Sprache anwendet, als er die Arbeiter hemmungslos zu erhöhter Arbeitsleistung antreibt. Diese menschenverachtende Sprache wird durch rhetorische Fragen und Ausrufe zusätzlich betont, wie beispielsweise „Ihr faulen Hunde, wofür bezahlen wir euch Lohn?“ (S. 115).
Das Mittel des epischen Theaters: Das Lied vom achten Elefanten
Im letzten Teil der Szene baut Brecht das „Lied vom achten Elefanten“ ein, das eine Verbildlichung der Arbeitssituation ist und somit die katastrophalen Umstände verdeutlicht. Es zeigt aus einer anderen Perspektive die verzweifelte Lage der ausgebeuteten Arbeiter und das unsolidarische Verhalten Suns gegenüber der Arbeiterklasse. Dieses Lied ähnelt einer Fabel, indem sieben Elefanten von einem achten Elefanten dazu angespornt werden, im Auftrag von Herr Dschin einen Wald vor Nachteinbruch zu roden. Bei diesem Lied wird betont, dass der achte Elefant auch nicht vor Gewalt zurückschreckt.
Das Lied besitzt einen Refrain und in dem fünften oder sechsten Vers einen Ausruf oder eine rhetorische Frage. Zusätzlich reimt sich der zweite Vers auf den Vers, der vor den Ausrufen oder rhetorischen Fragen steht.
Das Lied stellt eine Parabel dar, die auf die Wirtschaftsordnung in der Fabrik aufmerksam machen soll. Hierbei wird deutlich, dass dieses Lied eine poetische Reflexion auf die Fließbandarbeit darstellt. Somit werden viele sprachliche Bilder verwendet, die dem Zuschauer zeigen sollen, dass Herr Dschin in dem Lied den Fabrikbesitzer Shui Ta darstellt. Die sieben Elefanten hingegen stellen die Arbeiter dar, die vom achten Elefanten im Sinne vom Herr Dschin ausgebeutet werden. Somit kann gesagt werden, dass Herr Dschin bzw. Shui Ta der Ausbeuter ist und den achten Elefanten als sein Werkzeug verwendet, der im Falle von Shui Ta Sun ist. Der Wald stellt den Tabakladen dar, in dem in Akkordarbeit geschuftet werden muss. Verse wie: „Und Herr Dschin stand dahinten und lachte“, zeigen die typische Einstellung des Kapitalismus, nämlich, dass nur der Gewinn des Aufsehers bzw. des Chefs zählt. Somit wird diese ausbeuterische Situation, die schon einer Sklaverei ähnelt durch die Parabel verbildlicht, damit die Zuschauer die Missstände in der Tabakfabrik bemerken.
Die Ironie in dem Lied liegt darin, dass die Regieanweisung besagt, dass einer der Arbeiter das Lied des achten Elefanten anstimmt und die anderen mitsingen. Doch Sun klatscht im Takt mit und „hat den Refrain der dritten Strophe lachend mitgesungen“ (S. 117). Somit verfremdet Sun das Lied und es verliert seine Wirkung, weil er dieses als Ansporn für die Arbeiter nimmt. Dadurch wird auch klar, dass Sun ein unsolidarisches Verhalten gegenüber den Arbeitern an den Tag legt. Die einzige Loyalität gilt sich selbst, denn er hat seine Klasse verraten und ist somit zum Aufsteiger im kapitalistischen System geworden. Durch den Verrat an seiner Klasse ist er zum Handlanger des Kapitalisten Shui Ta geworden, der mit allen Mitteln versucht, den Profit zu maximieren.
Im Großen und Ganzen lässt sich sagen, dass Brecht zwei verschiedene Mittel zur Verfremdung benutzt hat. Beide Mittel sollen den Zuschauer zum Nachdenken anregen und ihm die ausbeuterischen Seiten des Kapitalismus zeigen. Die Lieder, die Brecht eingebaut hat, sollen keine Stimmungsfunktion besitzen, denn sie sollen einen Bruch in der Handlung sein. Sie kommentieren die Handlung und das zuvor Geschehene aus einem anderen Blickwinkel. Dabei verlassen die Schauspieler ihre übliche Rolle und sie distanzieren sich von dieser.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Szene eine wichtige Funktion in der Handlung hat, denn das eingebaute Lied macht im Refrain und in den Strophen am deutlichsten, wie die Arbeiter ausgebeutet werden und wie skrupellos und egoistisch das Verhalten der Aufseher ist.