Drama: Der gute Mensch von Sezuan (1938-1940)
Autor/in: Bertolt BrechtEpoche: Literatur im Nationalsozialismus / Exilliteratur / Emigrantenliteratur
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt und kann daher nicht angezeigt werden.
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt und kann daher nicht angezeigt werden.
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
Der vorliegende Textauszug (S.131, Z. 31 – S.134, Z. 11) stammt aus der 10. Szene des von Bertolt Brecht verfassten Dramas „Der gute Mensch von Sezuan“, welches 1953 nach einigen Theateraufführungen erstmals als Buch veröffentlicht wurde. Er handelt von einem Gespräch zwischen den Göttern und Shen Te, in dem sie über die Zukunft Shen Tes und der Welt diskutieren. Shen Te versucht den Göttern aufzuzeigen, dass sie als guter Mensch versagt hat, und verlangt von ihnen Ratschläge bezüglich ihres weiteren Vorgehens, während die Götter an ihrer Illusion vom guten Menschen in Shen Te festhalten und die Welt somit unverändert verlassen.
Im Folgenden werde ich zunächst die Handlungsvoraussetzungen und den Inhalt zusammengefasst darstellen und anschließend die Dramenszene unter Einbezug der Dialogführung analysieren.
Die drei Götter sind auf die Welt gekommen, um einen guten Menschen zu finden, der unter lebenswürdigen Bedingungen leben kann. Nur wenn sie solch einen Menschen finden, könne die Welt so bleiben wie sie ist. Die Prostituierte Shen Te erfüllt die von den Göttern gestellten Anforderungen zunächst, erfindet dann jedoch ihren kaltherzigen Vetter Shui Ta (Shen Tes Alter Ego), um ihre Existenz zu sichern. Dieses versteckte Handeln als böser Mensch beichtet sie den Göttern in dem vorliegenden Textauszug. Während der zweite Gott zunächst enttäuscht ist und als Folge dessen das Gutsein Shen Tes anzweifelt, geht der erste Gott von Beginn an kaum auf Shen Tes Beichte ein und erhält seine Vorstellung ihres guten Handelns und somit auch die Welt mit ihren Ordnungen und Geboten. Im Laufe des Gespräches wird der zweite Gott vom ersten überzeugt. Sie gestehen Shen Te den zeitweisen Gebrauch ihres Alter Egos zu und verlassen schließlich die Welt.
Die Interessenkollision wird gleich zu Beginn der Textstelle deutlich. Shen Te berichtet den Göttern, dass sie ihre Erwartungen und Vorstellungen aufgrund der ökonomischen Verhältnisse in der kapitalistischen Gesellschaft nicht erfüllen konnte: „Für eure großen Pläne, ihr Götter war ich armer Mensch zu klein.“ (Z. 1). Sie gibt an, dass das Gutsein unmöglich mit einem lebenswürdigen Leben zu vereinbaren sei. Der erste Gott hingegen unterbricht sie und befiehlt ihr, nicht weiter zu sprechen, um seiner Euphorie aufgrund des Auffindens von Shen Te nichts entgegenzusetzen. Shen Te enthüllt jedoch weiterhin ihre schlechten Taten, doch der erste Gott ignoriert dies und verweigert die Wahrheit. Dieser Gegensatz wird insbesondere durch den folgenden Parallelismus deutlich: „…, dass ich der böse Mensch bin, von dem alle hier diese Untaten berichtet haben.“ (Z. 4) und „Der gute Mensch, von dem alle nur Gutes berichtet haben!“ (Z. 5).
Schließlich geht der erste Gott doch auf Shen Tes Beichte ein und versucht, die Untaten durch zahlreiche Ausreden zu verschleiern.
Im Gegensatz dazu stellt der zweite Gott zweifelnde Fragen bezüglich der Zukunft Shen Tes: „Aber wie soll sie weiterleben?“ (Z. 8). Der erste Gott hält weiterhin unbeirrt an seiner Meinung fest und es wird erkennbar, weshalb dem Gutsein Shen Tes eine solch große Bedeutung zukommt. Er möchte das Versagen der Götter nicht eingestehen und schon gar nicht die Welt verändern. Weiterhin verweigert er die Einsicht, dass die von den Göttern aufgestellten Gebote für einen Menschen in kapitalistischer Gesellschaft unmöglich zu erfüllen sind. Dies wird anhand folgender rhetorischer Fragen sowie der darauffolgenden Emphase sichtbar: „Sollen wir eingestehen, dass unsere Gebote tödlich sind? Sollen wir verzichten auf unsere Gebote? Niemals!“ (Z. 11-12). Er unterstreicht seine Illusion mit einem Lied, das von Shen Te als gutem Menschen berichtet. Auch das Niederlassen einer rosafarbenen Wolke (Z. 24) betont die realitätsferne Vorstellung der Götter.
Shen Te verzweifelt in ihrer Ratlosigkeit und wird sich nochmals all ihrer schlechten Taten, die sie als Shui Ta begangen hat, bewusst. Man erkennt ihr schlechtes Gewissen und ihre Angst vor den Konsequenzen: „Wie soll ich den beiden guten Alten in die Augen schauen, die ihren Laden verloren haben, und dem Wasserverkäufer mit der steifen Hand?“ (Z. 26-27). Daraufhin spricht der erste Gott ihr gut zu und ermutigt sie, einfach gut zu handeln, um alle Probleme zu lösen. Jedoch weicht er von seinen ursprünglichen Bedingungen ab und erlaubt Shen Te, sich monatlich in ihren Vetter Shui Ta zu verwandeln, um seine Illusion aufrecht zu erhalten.
Schließlich verlassen die Götter den guten Menschen Shen Te preisend die Welt und lassen die ratlose und flehende Shen Te zurück.
Zusammenfassend kann man sagen, dass es sich bei dem untersuchten Gespräch um einen misslungenen Dialog handelt und sich somit meine zu Beginn aufgestellte These bestätigt. Die Antagonisten finden in ihren jeweiligen Intentionen nicht zueinander und der Interessenkonflikt wird nicht gelöst. Shen Te erhofft sich nach ihrer Beichte Ratschläge von den Göttern, wie sie ihre Untaten wieder gut machen könnte und auf welche Weise sie nun weiterleben soll. Die Götter jedoch streiten ihr Versagen und die Notwendigkeit einer Veränderung ab und verlassen die Welt schließlich.
In der Szene aus Brechts Drama wird der zentrale Konflikt zwischen dem Handeln als guter Mensch und dem Leben in einer kapitalistischen Gesellschaft deutlich. Außerdem erkennt man, dass dieser Konflikt nicht von einer höheren Macht wie den Göttern gelöst wird, sondern eine Veränderung und Besserung der Verhältnisse von allen Menschen gemeinsam ausgehen muss.