Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Bei August Stramms „Traum” von 1914 handelt es sich um ein typisch expressionistisches Gedicht.
Es besteht aus einer einzigen Strophe mit neun Versen unterschiedlicher Länge und ohne Reime.
Zunächst wirkt das Werk wie eine simple Aneinanderreihung verschiedener Wahrnehmungen und Eindrücke aus der Natur.
Das Gedicht besteht aus zwei Sätzen, die durch Punkte gekennzeichnet sind, jedoch fehlen jegliche Kommata, die für das Verständnis von starkem Vorteil wären und somit zur Verwirrung des Lesers beitragen.
Die von Stramm beschriebenen Wahrnehmungen wirken auf den ersten Blick abstrakt und verwirrend, sind jedoch am besten nachzuvollziehen und zu entschlüsseln, indem man sie sich bildlich vorstellt. Die Atmosphäre ist mystisch und an einigen Stellen bereits unheimlich und gruselig.
Der erste Satz ist noch einer zwar inversierten, jedoch gängigen, grammatikalisch richtigen Form gehalten (Objekt-Prädikat-Subjekt).
Die Sterne werden personifiziert, indem sie sich bewusst zu bewegen scheinen und durch Büsche winden (Z.1). Vermutlich sind die sich im Wind bewegenden Zweige der Büsche gemeint, zwischen denen die Sterne durchfunkeln, sodass es scheint, als bewegten sie sich.
Darauffolgend beginnt der zweite und zugleich letzte Satz, der wie eine Auflistung ohne Punktierung zu verstehen ist.
Auch die Augen werden personifiziert, indem man ihnen menschliche Tätigkeiten zuordnet. Unklar bleibt zunächst, wo sie reintauchen, blaken und sinken (V.2). Dieser Vers stellt eine erneute Auflistung dreier Tätigkeiten dar, bei der ebenfalls die Kommata fehlen wodurch eine Verwirrung des Lesers stattfindet, da man nicht genau weiß, wie an sich die Situation vorzustellen hat.
Im folgenden Vers findet man neben der Personifikation1 des Flüsterns Lautmalerei beim Wort „plätschert” vor.
Synästhetische Wahrnehmungen entwickelt der Sprecher, wenn er von spritzenden Düften spricht (V.5). Hier vermischen sich die olfaktorische und die haptische, möglicherweise aber auch visuelle Wahrnehmung.
Die Gewalt der Schauer, wird durch das Verb „stürzen” zum Ausdruck gebracht, dass eine Steigerung des Begriffs bewirkt (V.6). Gleichzeitig handelt es sich bei diesen drei aufeinanderfolgenden Wörtern (spritzen-Schauer-stürzen) (V.5/6) um eine Alliteration2. Jedoch bleibt unklar, ob es sich bei den „Schauern” um Schauer handelt, die einem sprichwörtlich den Rücken runterlaufen und in diesem Fall sogar stürzen oder um Regenschauer, die mit gewaltiger Kraft auf die Erde stürzen.
Die Winde werden dynamisch dargestellt, eine weitere Aneinanderreihung von Tätigkeiten ohne Kommata wird aufgelistet. Auf Grund dieser Nummerration wirkt der wind unbezähmbar ,da er schnell ist, mal prellt, dann wieder anschwellt und nicht zu bändigen werden können scheint. Gleichzeitig liegt ein dreifacher Binnenreim vor, der eine Zusammengehörigkeit der Wörter bewirkt (V.7).
Der Sprecher berichtet von reißenden Tücher. Man kann die Geräusche des Zerreißens förmlich hören, sodass hier erneut das Stilmittel der Lautmalerei angewendet wurde (V.8).
„Fallen” ist eine Art Wortneuschöpfung bzw. –umwandlung, da es normalerweise als Verb gebraucht, hier aber nominalisiert und zugleich personalisiert wird (V.9).
Abschließend lässt sich feststellen, dass man bei diesem expressionistischen Werk, die typische Auflösung der Formen findet, die sich mit der Zersplitterung der gesellschaftlichen Gefüge erklären lässt. Es werden teilweise Begriffe zusammengefügt, die eigentlich nicht zusammen passen (z. B. „Düfte spritzen” (V.5)), wodurch eine weitere Mystifizierung der Umwelt stattfindet. Durch die ständige Personifizierung eigentlich lebloser Gegenstände (z. B. Sterne (V.1) wird der Eindruck einer gruseligen Szenerie hervorgerufen und gefestigt.
1914 ist ein auf politischer und gesellschaftlicher Ebene sehr unsicheres Jahr: Der erste Weltkrieg bricht aus, die Gesellschaft gerät aus ihrem Gleichgewicht.
Die vielfach fehlende Satzstruktur, erzeugt eine gewisse Verwirrung des Leser. Dies ist auf die beschriebene damalige Situation zu übertragen, die ebenfalls unübersichtlich und chaotisch ist.
Die Natur wird von Stramm durch die ihr gegebenen Attribute als Bedrohung dargestellt und durch das „Fallen schrickt” im letzten Vers noch einmal betont.
Daran lässt sich sehen, dass nicht nur der derzeitige technische und militärische Fortschritt und Wandel die Menschen zweifeln lässt, sondern auch die Natur kein Ort mehr der reinen Harmonie ist.