Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das von Heinrich Heine im Jahr 1844 veröffentlichte Gedicht „Zur Beruhigung“ beschäftigt sich mit den politischen Problemen in Deutschland zu der Zeit, vor allem mit der Einstellung zum Deutschen Bund und richtete sich an das deutsche Volk während dieser vorrevolutionären Phase. Liest man das Gedicht zum ersten Mal, so könnte man denken, dass es einfach nur dazu dient, den Fürsten die Angst vor einem Umsturz zu nehmen. Jedoch erkennt man beim genaueren Lesen die Ironie, die hier vom Schriftsteller verwendet wurde, was typisch für viele Werke dieses Lyrikers ist. In dieser Dichtung verdeutlicht der Autor die Situation in Deutschland im Jahre 1844, also kurze Zeit vor der Märzrevolution. Heine strebt einen Vergleich des deutschen Volkes mit den Römern an, die er als Tyrannenmörder bezeichnet. Davon ausgehend macht er, unter vollem Gebrauch von seinem bekannten Sarkasmus und Ironie, deutlich, dass sich die Deutschen im Vormärz genauso verhalten haben.
„Zur Beruhigung“ besteht aus 8 Strophen zu je 4 Versen, welche dem Reimschema AABB folgen (Paarreim). In der ersten Strophe leitet Heine das Gedicht ein, indem ein Vergleich der beiden Völker gezogen wird (V. 1 „Wir schlafen ganz, wie Brutus schlief -“). Mit „Wir“ bezeichnet er das gesamte deutsche Volk, welches schläft und somit auch keine Gefahr von ihm ausgeht. Dies ist eine Anspielung auf den Untertanengeist der Deutschen. Mit dem Gedankenstrich am Ende des ersten Verses wird wiederum eine Betonung auf das Verb „schlief“ gelegt, das, obwohl es auf Brutus bezogen ist, durch den Vergleich auch eine Aussage über die Deutschen trifft. Auch stellt er diese mit den Mördern Cäsars gleich. Allerdings ändert sich dies in dem zweiten Vers, indem ein „Doch“ (V. 2) eingeworfen und somit verdeutlicht wird, dass Unterschiede vorhanden sind. Heine schreibt, dass „jener“ (Brutus) „erwachte und bohrte“ (V. 2). Der erwachende Brutus ist gleichzustellen mit dem hoffentlich bald erwachenden deutschen Volk und das „Bohren“ stellt eine Metapher1 für das Erdolchen der Herrscher dar. Im letzten Vers der ersten Strophe folgert der Autor aus dieser Aktion, dass die Römer Tyrannenfresser waren und somit vor einem Mord nicht zurückschreckten, um sich damit eines unangenehmen Machthabers zu entledigen.
In der zweiten Strophe wird der zuvor angedeutete Unterschied direkt angesprochen „Wir sind keine Römer, wir rauchen Tabak.“ (V. 5). Damit verdeutlicht Heine, dass „Wir“ keine Römer seien und daher auch keine Tyrannenfresser, sondern ein kultiviertes und zivilisiertes Volk, das Tabak raucht und sich den sinnlichen Begierden hingibt. In den nächsten beiden Versen spricht das lyrische Ich nicht von den Deutschen oder den Römern, sondern von Völkern allgemein. Dass „jedes Volk […] seinen Geschmack“ (V. 6) und „seine Größe“ (V. 7) hat. Von der „Größe“ kann man auch auf den Mut oder die Angst bezüglich eines Widerstandes gegen die Staatsmacht schließen. Der letzte Vers (V. 8 „In Schwaben kocht man die besten Klöße.“) der zweiten Strophe ist wie ein plötzlicher Einwurf und zwar ohne Zusammenhang zu den vorherigen Versen und hier nicht nur fehl am Platz, sondern auch noch vollkommen belanglos. Es wirkt daher eher als ein Mittel, die zuvor erläuterten Auffassungen ins Lächerliche zu ziehen. Somit wird der Sarkasmus aufgezeigt, der in fast jedem Vers vorhanden ist. Aus diesem Grund müssen die ersten Strophen unter ein anderes Licht gestellt werden und so kann man nun darauf schließen, dass Heine dem deutschen Volk zumindest das Potential zu einer Revolution einräumt.
Eine weitere Anspielung auf den Untertanengeist der Deutschen wird in der dritten Strophe durch die Äußerung „Wir sind Germanen, gemütlich und brav, / Wir schlafen gesunden Pflanzenschlaf,“ (V. 9-10) noch verstärkt, denn Pflanzen ist es nicht möglich zu schlafen/denken. Die wirkliche Bedeutung liegt jedoch darin, dass sich die Deutschen wahrscheinlich sehr intensiv mit den damaligen Geschehnissen auseinandersetzten. Es scheint, als spielt Heine auf die deutsche Treue an, die das Volk veranlasst, nie Hand an ihre Staatsoberhäupter zu legen. Aber wenn man den vom Autor so typischen Sarkasmus berücksichtigt, wird das genaue Gegenteil ausgesagt, sprich, dass es den Deutschen sehr wohl nach dem Blute ihrer Fürsten dürstet.
Die vierte Strophe führt den Gedanken der Treue fort durch „Wir sind so treu wie Eichenholz“ (V. 13), Eichenholz ist sehr beständig und hart. Dies könnte eine der ganz seltenen Stellen sein, in der Heine keinen Sarkasmus zu verstecken versuchte. Jedoch wird ein Vers weiter die deutsche Treue mit „Lindenholz“ (V. 14) verglichen, Lindenholz ist leicht verformbar und leicht zu bearbeiten. Es scheint also, als ob die deutschen Seelen und Geister Wachs in den Händen der Herrscher seien und deswegen kein „Tyrannenfresser“ (V. 4) unter diesen zu finden sei.
Die folgende Strophe ist auf zwei Arten zu deuten. Denn „Und wenn auch ein Brutus unter uns wär, / Den Cäsar fänd er nimmermehr, / Vergeblich würd er den Cäsar suchen;“ kann sich entweder auf das politische Problem beziehen, dass die Fürsten zu viel Macht haben und ein „Brutus“ niemals an diese herankommen könnte. Oder es soll auf die territoriale Situation der Partikularstaaten hinweisen, die zu viele „Cäsaren“ (Fürsten) haben und somit einem „Brutus“ das Auffinden des Cäsaren unmöglich macht. Ein Anschlag auf einen höchsten Herrscher könnte es so nicht geben, da es einen solchen Führer ebenfalls nicht gibt und sich viele Fürsten die Gewalt über das eigentliche deutsche Herrschaftsgebiet teilen. Dies erweckt den Eindruck, dass Heine gegen die Vielstaaterei klagte und für einen einheitlichen Machthaber ist. Weiterhin kritisiert er, dass die Fürsten nicht mehr sind wie Cäsar. Cäsar festigte die römische Weltmachtstellung, gründete zahlreiche neue Kolonien, stellte die Wirtschaft auf eine gesunde Grundlage, begann zahlreiche bedeutende Bauwerke, ließ Rechte erfassen und führte den Julianischen Kalender ein. Die Fürsten waren im Deutschen Bund jedoch mehr an der Sicherung ihrer fürstlichen Rechte, als am Aufbau eines einheitlichen Nationalstaates interessiert. Mit „Wir haben gute Pfefferkuchen“ (V. 20) wirft der Autor wieder einen zusammenhangslosen Vers ein und zieht somit wieder alles zuvor Genannte ins Lächerliche.
In Strophe sechs geht der Schriftsteller weiter auf das Thema der Kleinstaaterei ein, indem er mit den „sechsunddreißig Herrn“ (V. 21) beginnt, womit alle Fürsten der deutschen Staaten gemeint sind. Im darauffolgenden Vers zeigt Heine durch die äußerliche Gestaltung einer Zeile seinen Sarkasmus sehr deutlich auf, wie in keinem der restlichen Teile des Gedichts. Indem er „(Ist nicht zu viel!)“ (V. 22) durch die Setzung der Klammern und des Ausrufezeichens versieht, hebt er somit noch einmal seine Meinung zur damaligen territorialen Lage hervor. Danach setzt er mit den Worten fort „und einen Stern/trägt jeder schützend auf seinem Herzen,“ (V. 22 23). Dieser „Stern“ bezieht sich auf die Fürsten und stellt deren Adels- und Machtanspruch dar. Dazugehörig wird in Vers 23 und 24 hinzugefügt, dass dieser sie beschütze und sie daher keine Furcht vor den Ideen des Vormärz haben müssen. Doch dies ist wieder nur eine von Ironie gespickte Textpassage von Heine, denn die revolutionären Gedanken richteten sich vor allem gegen die Regentschaft, die Machtgrundlagen und die Prinzipien des Adels.
Fortfahrend beschäftigt sich die vorletzte Strophe wieder mit der Thematik der Rolle der Fürsten und bezeichnet sie als „Väter“ (V. 25). Weiterhin benennt der Autor, das Land, welches den Fürsten „erbeigentümlich“ (V. 27) gehört, als „Vaterland“ (V. 26). Dies ist wieder sarkastisch gemeint und soll einen falschen Patriotismus, die Liebe zum Vaterland, darlegen. Denn wie kann EIN Volk, das deutsche Volk, zu mehreren Vaterländern zugehörig sein!? Zudem wird auch kritisiert, dass ein großes Land in mehrere Eigentümer unterteilt ist, denn es sollte eine Einheit sein, die auch dementsprechend regiert wird. Dies lässt auf eine demokratische Lösung der politischen Probleme in Deutschland schließen. Danach folgt in Vers 28 zum dritten Mal eine Verspottung („Wir lieben auch Sauerkraut mit Würsten.“), die wieder vollkommen zusammenhangslos eingefügt wurde und ein Fingerzeig Heines auf seinen Sarkasmus darstellt.
Die achte und letzte Strophe von „Zur Beruhigung“ steht nicht im direkten Zusammenhang zur vorherigen und bildet somit einen deutlich abgegrenzten Abschluss. Sie beginnt mit Vers 29 bis 31 („Wenn unser Vater spazieren geht, / Ziehn wir den Hut mit Pietät;“) sehr ruhig und ausgeglichen, sogar fast idyllisch. Jedoch wirkt der letzte Vers im totalen Gegensatz dazu und zerstört die vorher aufgebaute Harmonie. Der „deutschen Kinderstube“ (V. 31) wird nun die „Mördergrube“ (V. 32) gegenübergestellt. Der Vers 32 „Ist keine römische Mördergrube.“ wirkt jedoch so sarkastisch, dass es schon fast wie ein Aufruf zu einer Revolution klingt.
Heinrich Heine schuf meiner Meinung nach ein Leitbild für alle politischen Gedichte. Er schrieb nicht nur einen plumpen Aufruf an das deutsche Volk, dass sie endlich „ihren Hintern hoch bekommen und Widerstand leisten sollen“, sondern er verpackte es viel überlegter und anspruchsvoller durch seinen Sarkasmus. Somit übte er mittels seiner wunderbar unterschwelligen Botschaften schwerste Kritik an der politischen Situation seines Vaterlandes in der Zeit des Vormärz. Mit seiner scharfzüngigen und brillanten Dichtung über den Zustand seiner Heimat, zeigte er dem Volk seine Fehler durch ironisch, verpönende Weise auf und gab ihm Anlass sich zu erheben. Schlussfolgernd ist zu sagen, dass der Titel des Gedichts „Zur Beruhigung“ schon allein Ironie ist, denn für die damaligen Herrscher wird es alles andere als beruhigend gewesen sein.