Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Im Versepos „Deutschland. Ein Wintermärchen“ von Heinrich Heine, erschienen im September 1844, beschreibt der Erzähler eine Reise, die Heine wirklich (wenn auch nicht genauso) unternommen hat und formuliert auf jeder seiner Stationen der Reise auf verschiedene Arten eine mehr oder weniger versteckte Kritik am vorherrschenden System der Monarchie und am allgemeinen Zustand der deutschen Gesellschaft. Die Reise fand im Winter 1843 statt und führte von Paris, wo Heine im Exil lebte, nach Hamburg. Im Caput 18, in dem Heine sich in Minden befindet, findet man auch diese Gesellschafts- bzw. Regierungskritik: Hier zeigt Heine die preußische Regierung als ungerechten Unterdrücker, indem er im Rahmen eines Traums und mithilfe einiger Symbole und Anspielungen auf Mythen seine Angst vor dieser schildert.
Der Abschnitt ist die Beschreibung einer der Stationen Heines. Hier wird die für sein Werk typische Kritik deutlich, im besonderen Maße geht es hier aber um Preußen und weniger um Minden selbst, da es Heine ja um die Kritik am monarchischen System allgemein geht, wie auch an der Wiederholung des Wortes „preußisch“ zu sehen ist (vgl. V. 3 und V. 57) und um Heines eigene Angst. Zuvor hatte Heine schon auf viele verschiedene Arten die Gesellschaft und Regierung kritisiert, auch mit vielen ironischen Mitteln. Zuletzt hatte er an den Kaiser Barbarossa, der ihm im Traum begegnet war, appelliert, er möge das Kaiserreich wiederherstellen, was natürlich ironisch gemeint ist, weil es besser sei als der jetzige Zustand Deutschlands.
In Minden möchte Heine nun übernachten. Er kommt in der Festung an und fühlt sich schon durch die Atmosphäre dort bedroht. Das Essen schmeckt ihm nicht und schlafen kann er auch nicht gut. Im Traum erscheinen ihm verschiedene bedrohliche Wesen oder Symbole, wie der preußische Adler, und er wünscht sich nach Paris zurück. Am Morgen ist er froh, wieder aus Preußen abreisen zu können.
Aufgebaut ist das Kapitel in 17 Strophen a vier Verse, die, wie im gesamten Werk, aus einem Kreuzreim des jeweils zweiten und vierten Verses bestehen. Da uns bekannt ist, dass Heine die Reise selbst unternommen hat und im Werk seine eigene politische Meinung zum Ausdruck bringt, werde ich den Ich-Erzähler im Folgenden mit Heine gleichsetzen.
Schon zu Anfang des Kapitels stellt Heine Preußen als sehr unbehaglich dar. Als er in Minden eintrifft, „stöhn[t]en [die Planken der Zugbrück] So schaurig“ und „die hohen Bastionen schau[t]en [ihn] an, So drohend und verdrossen“ (V. 6-7 und 9-10), Heine fühlt sich also bedroht oder sogar beobachtet, seine (wahrscheinlich berechtigte) Angst vor der Regierung überträgt er also auf das Sinnbild dieser: Die Festung Minden. Das Gefühl von Gefangenschaft beschreibt er mit einem Vergleich zu „des Odysseus Seele, Als er gehört, dass Polyphem Den Felsblock schob vor die Höhle“ (V. 14-16), außerdem dadurch, dass ihm weder das Essen in Minden noch die Decken im Wirtshaus passen (vgl. V. 21-24). Am Ende des Kapitels ist Heine froh über den „freien Odem“ (V. 66), den er außerhalb Preußens, also außerhalb der Unterdrückung, schöpfen kann.
Neben der allgemeinen Unbehaglichkeit schildert Heine auch innerhalb seines Traums eine konkretere Bedrohung gegen seine Person. Dafür benutzt er einen Quast, der vermutlich am Bett hängt, und lässt ihn im Traum immer neue Formen annehmen. Zuerst scheint er wie „des Damokles Schwert“ (V. 31), ein Symbol für Bedrohung in einer scheinbar unbedrohlichen Situation, über Heine zu hängen, dann als „Schlangenkopf“ (V. 33), der Heine in der Festung gefangen halten will. Die „Gendarmen in Leichenlaken gehüllt“ (V. 45) sind ein weiteres Zeichen dafür, dass Heine sich von der Regierung bedroht fühlt. Außerdem erscheint Heine auch eine „kalte[n] Zensorenhand“ (V. 43), ein (für Heine allgegenwärtiger) Agent der Regierung, und „[s]eine Gedanken wichen“. Wahrscheinlich musste Heine an dieser Stelle sein Werk wegen der Zensur kürzen und spielt so darauf an.
Verglichen mit dieser sehr indirekten und allgemeinen Kritik an Preußen durch das Unbehagen und die Bedrohung wird an einigen Stellen deutlicher, dass Heine die Regierung und ihre Unterdrückung seiner Person direkt kritisiert. Im Rahmen des Traums beschreibt Heine, wie er, in Anlehnung an die Sage des Prometheus, an eine Felswand gekettet wird und der preußische Adler, das Zeichen der preußischen Regierung, ihm die Leber aus dem Leib frisst. Hier kritisiert Heine die Regierung also, indem er sich mit Prometheus, dem Freund und Schöpfer der Menschen, vergleicht und die Regierung (durch den preußischen Adler symbolisiert), wie die Götter in der Sage des Prometheus, als ungerechte Obrigkeit darstellt, welche die Menschen (bzw. Heine) zu Unrecht bestraft. Außerdem spielt Heine auf sein Ziel an, eine Veränderung der deutschen Gesellschaft und Regierung zu bewirken, indem er sich, als bei der Einreise nach Minden nach seinem Namen gefragt wird, als „Niemand“ und als „Augenarzt“, der „den Star den Riesen“ sticht, vorstellt (V. 19-209. Mit dieser Anspielung auf die Geschichte des Odysseus bei den Zyklopen, in der er den einäugigen Riesen Polyphem überlistet und ihm ein Auge aussticht, möchte Heine wahrscheinlich ausdrücken, dass er (wie der Held Odysseus) gekommen ist, um sich und seine Kameraden von einer grausamen und dummen Regierung zu befreien und dass er dieser die Blindheit nehmen („den Star stechen“) und sehend, als auf die Missstände aufmerksam, machen will. Des Weiteren fängt das Kapitel mit offensichtlichem Spott über die Religion an, da Heine den Anfang des evangelischen Kirchenlieds „Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen“ verändert hat und veralbert, da es nun „Minden ist eine feste Burg“ (V. 1) heißt. Was man auch als Regierungskritik auffassen kann, ist Heines Wunsch zu seiner „lieben Frau in Paris“ (V. 39) zurückzukehren, also lieber im freien Frankreich als im unterdrückten Preußen zu sein. Sprachlich fällt auf, dass Heine die Regierung nie direkt beschimpft, das hätte sicherlich zu Zensur geführt, aber trotzdem Ausdrücke wie „Verflucht“ (V. 29) oder „böse“ und „schmutzig“ (V. 53) benutzt, diese aber auf den Quast, der die Regierung lediglich symbolisiert, bezieht. Dadurch, und durch die Einbettung in einen Traum, verschleiert Heine seine Kritik.
Insgesamt zeigt sich also auch in diesem Caput wieder Heines allgegenwärtige Regierungskritik, hier bezogen auf die preußische Regierung und die Verfolgung und Unterdrückung Heines. Durch aus dem Werk bekannte Methoden wie die Einbettung in einen Traum oder durch Symbole versucht Heine die Zensur zu umgehen, spart aber nicht mit Anspielungen, z. B. auf die Zensur seines Werkes, oder mit indirekter Kritik an der preußischen Regierung, bzw. am ganzen System der Monarchie, welches Preußen hier vertritt. So wird in diesem Caput vielleicht weniger direkt kritisiert als in anderen, durch die Beschreibung der bedrückenden Atmosphäre und des Traums wird aber viel indirekt kritisiert und die preußische Regierung als Vertreter der Monarchie als ungerecht und als Unterdrücker Heines und seiner Vorstellung eines freien Deutschland dargestellt.