Autor/in: Georg Trakl Epoche: Expressionismus Strophen: 1, Verse: 17 Verse pro Strophe: 1-17
Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tötlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düster hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt,
Das vergossne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain1,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre,
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.
Anmerkungen
1
Kleinerer Wald
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Grodek“, welches von dem Expressionisten Georg Trakl verfasst wurde, erschien zu Beginn des ersten Weltkrieges, 1914.
Es handelt von der Schlacht bei Grodek, einem Ort in der Ukraine. Trakl selbst wurde in der Schlacht als Sanitäter eingesetzt. Er verarbeitete mit diesem Gedicht seine Kriegserfahrungen, die so schrecklich waren, dass er wenige Tage, nachdem er das Gedicht schrieb, Selbstmord beging.
Das einstrophige, im Hakenstil1 verfasste Gedicht, besteht aus 17 Versen. Man kann kein Reimschema erkennen. Dennoch gliedert es sich in drei Sinnabschnitte (von Vers 1 bis 6; von Vers 7 bis 14; von Vers 15 bis 17).
Im ersten dieser Abschnitte ist es Abend. Georg Trakl leitet das Gedicht mit einer Alliteration2 ein (s. V. 1 „Am Abend […]“). Trakl personifiziert die Wälder (s. V. 1 „[…] tönen die herbstlichen Wälder“) und so scheint es, als würden sie selbst an der Schlacht teilnehmen. Die Jahreszeit, der Herbst, steht für ein nahes Ende. Der lyrische Sprecher verstärkt die Aussagekraft der Waffen mit dem Adjektiv „tödlich“. Das ist eigentlich überflüssig, weil Waffen generell diese Tötungsabsicht haben. Der zweite Teil von Vers zwei und der gesamte dritte Vers stellen den Schauplatz der Schlacht sehr idyllisch und etwas verklärt dar. Denn wirklich blaues Wasser gibt es kaum, und schon gar nicht in Seen. Deshalb könnte man das als Hyperbel3 betrachten. Möglicher Weise wird hier auch die Farbmetaphorik genutzt, um die Sehnsucht des lyrischen Ichs auf ein baldiges Kriegsende zu verbildlichen.
Die Personifikation4 (s. V. 3 /4 „[…] die Sonne […] hinrollt […]“) verstärkt die Situation des Krieges. Das Enjambement5 verdeutlicht die rollende Bewegung der Sonne zusätzlich. Man könnte sagen, das lyrische Ich versucht damit auszudrücken, dass das Ende nah ist, indem es behauptet, die Sonne, also die größte Macht im Universum, würde wegrollen und die Erde somit ihrem Schicksal überlassen. Die Verbindung der Sonne mit dem Adjektiv düster ist widersprüchlich. Die Sonne wirkt wie eine zerstörerische Kraft und nicht als Licht und Lebensspender.
Mit der Synekdoche6 in Vers sechs reduziert der lyrische Sprecher den Soldaten auf ein Körperteil, den Mund. Hier findet man eine Metapher7 (s. V. 6 „[…] zerbrochene Münder“).
Im zweiten Sinnabschnitt tritt mit der Nacht, die ja bekanntlich für den Tod steht, auch die Stille ein. Die Kennzeichnung dieses Abschnittes geschieht auch durch die Konjunktion „Doch“ (s. V. 7). Die Weide, ein Ort, der sonst eigentlich voller Leben ist, ist still. Rote Wolken werden oft mit Krieg in Zusammenhang gebracht. Es wird gesagt, dass Blut vergossen wurde, wenn die Sonne rot unter- oder aufgeht. Die Farbe Rot steht außerdem für den Tod und in diesem Falle wahrscheinlich für den „zürnenden Gott“ Mars. Mars ist allerdings nicht nur Kriegsgott, sondern auch der Gott der Toten.
Mit der hereinbrechenden Kälte (s. V. 9 „[…] mondne Kühle“) drückt das lyrische Ich erneut den Stillstand und den Tod aus. Das „rote Gewölk“ kontrastiert die „mondne Kühle“. Eine
kräftige und warme Farbe wird einem blassen und kaltem Mond gegenübergestellt, das Leben dem Tod.
In den Versen sieben bis neun findet sich ein Hyperbaton, denn der achte Vers scheint die beiden eigentlich zusammengehörigen Verse sieben und neun zu trennen.
Vers sieben und neun wiederum beinhalten zusätzlich eine Inversion8, das Wort „sich“ müsste eigentlich nach dem Verb „sammelt“ folgen.
In Vers zehn nutzt das lyrische Ich erneut die für den Expressionismus typische Farbmetaphorik. Schwarz steht genauso wie Rot für den Tod. Alle Straßen führen also in den Tod. Das wird durch das Substantiv „Verwesung“ zusätzlich verdeutlicht. Es gibt kein Entkommen- auch nicht für das lyrische Ich.
Der „schwarzen Verwesung“ folgt zugleich ein „goldenes Gezweig der Nacht“ (vlg. s. V. 11). Der Vernichtung auf der Erde trotzen die ewigen Sterne am Himmel. Im zwölften Vers begibt sich Trakl auf eine etwas übersinnliche Ebene: Ein Geist einer Frau wandert durch den stillen Wald, um die Kriegsopfer zu grüßen.
Trakls Schwester litt 1914, als er sie zum letzten Mal sah, an einer schweren Krankheit. Vielleicht stellt „der Schwester Schatten“ seine eigene, von ihm bereits todgeglaubte Schwester dar.
In Vers 13 bezeichnet der lyrische Sprecher die Gefallenen als „Helden“, ein Zeichen für die Kameradschaft im Krieg. Wieder nutzt er eine Synekdoche und reduziert den Soldaten auf ein Körperteil, diesmal auf den Kopf (s. V. 13 „[…] die blutenden Häupter“)
Im letzten Sinnabschnitt dieses Gedichtes, spricht das lyrische Ich direkt. Mit der Apostrophe9 (s. V. 15 „Oh stolzere Trauer!“) wird auf ironische Art die Vorstellung der Soldaten von Ehre kritisiert.
Der „gewaltige Schmerz“ wird auch in der folgenden Generation noch spürbar sein. Es werden zwar noch Kinder geboren, aber diese müssen ohne ihre Väter aufwachsen. Sie haben einen Teil ihrer Familie verloren, bevor sie überhaupt geboren worden.
Die Flammen noch zusätzlich mit „heiß“ zu beschreiben, ist überflüssig. Genauso wie bei den Waffen in Vers zwei, wird die Aussagekraft der Flammen dadurch verstärkt.
Betrachtet man das gesamte Gedicht, fällt auf, dass jeder Vers mit einem Substantiv endet. Nur Vers acht, in dem Gott direkt erwähnt wird, bildet eine Ausnahme.
Georg Trakl bringt mit diesem Gedicht sein persönliches Entsetzen über den Krieg zum Ausdruck. Er thematisiert den Krieg, wie viele andere expressionistische Autoren. Da erkennt man auch, dass sich die Umstände der Zeit, also speziell der erste Weltkrieg, in den lyrischen
Werken widerspiegeln. Das Gedicht wäre so nie entstanden, wäre Trakl nicht selbst 1914 in dieser Schlacht gewesen. Dieses Gedicht ist also abhängig von der gesellschaftlichen und geistigen Lage um die Jahrhundertwende.
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