Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Der berühmteste Dichter der Barockzeit, Andreas Gryphius, verfasste 1636 das Sonett1 „Tränen des Vaterlandes“. Hierbei handelt es hauptsächlich um das immer wieder auftretende Motiv „memento mori“ und das „Vanitas-Motiv“, welche zwei der drei wichtigsten Motive der Barockzeit sind. Außerdem ist es vermutlich ein Antikriegs-Gedicht.
In den ersten drei Strophen schildert das lyrische Ich, welche Folgen der 30-jährige Krieg mit sich gebracht hat. Von den materiellen Sachen, wie die in Trümmern liegende Stadt, bis hin zu den körperlichen Folgen, wie den Tod. Aber auch die Hungersnot und die wütende Pest in der Zeit werden genannt.
In der letzten Strophe steigert es sich, bis hin zu den seelischen Folgen der Überlebenden.
Das Gedicht zeigt viele formale Aspekte die typisch für die Gedichte aus der Epoche des Barocks sind. Zum einen handelt es sich um ein Sonett, auf Grund von den 14 Versen, die in 2 Quartette und 2 Terzette unterteilt sind. Die beiden Quartette bilden jeweils einen umarmenden Reim abba/abba und die beiden Terzette einen Schweifreim ccd/eed. Die 14 Verse, die durchgehend im Hakenstil2 geschrieben sind, beginnen mit einer männlichen Kadenz am Versanfang und weisen auch sonst überwiegend männliche Kadenzen3 auf. Diese streng eingehaltende Struktur des Gedichts wird durch den gleichmäßigen Rhythmus eines Alexandriners, der ein 6-hebiger Jambus mit meist einer Mittelzäsur4 ist, unterstützt.
Das lyrische Ich scheint in den ersten drei Strophen mitten im Geschehen dabei zu sein und nimmt somit die Rolle des Beobachters ein. Dies wird durch das beginnende Wort „wir“ deutlich. Das Wort „wir“ steht für die Gesellschaft dieser Zeit, die dieses Geschehen miterlebt hat. Somit spricht das lyrische Ich die Bevölkerung direkt an.
Schon die Personifikation in der Überschrift bringt zum Ausdruck, dass etwas Trauriges, Bedrückendes über die Gesellschaft und deren Land vorgefallen ist.
Worauf auch gleich in der ersten Strophe das Correctio5 „Wir sind doch nunmehr gantz, ja mehr denn gantz verheeret!“ folgt. Dadurch wird sofort eine der Kriegsfolgen hervorgehoben. Das lyrische Ich macht deutlich, dass die Menschen viel verloren haben und vieles oder so gut wie alles zerstört wurde. Diese Zerstörung bzw. der Krieg werden in den darauffolgenden Strophen durch die asyndetische Anhäufung von Personifikationen6 verbildlicht dargestellt. Es muss ein lautes Durcheinander geherrscht haben, was durch die Verben „rasend“ (Vers 2) und „donnernd“ (Vers 3) zum Ausdruck kommt. Das Symbol „Schwert“ in Vers 3 hebt den Krieg nochmals besonders hervor und das Wort „Blut“ deren Folgen bzw. den Tod. Dies könnte man in Bezug mit dem Motiv „memento mori“ (gedenke dem Tod) gleichsetzen, da dort der Tod bzw. der Gedanke an den Tod indirekt angesprochen wird. In dem nächsten Vers schwankt es jedoch eher zum Vanitas-Motiv über, da alles was erschaffen wurde, jeder „Fleiß“ der damit verbunden war, ist nun Vergangenheit, da das Erschaffene zerstört wurde. Der ganze Aufwand und mit dem Verbundene „Schweiß“ ist somit umsonst gewesen, genauso wie der „Vorrat“ vergänglich ist. Diese Vielfalt von Vergänglichkeit wird mit dem Polysyndeton besonders hervorgehoben. Mit dem hier angesprochenen Vorrat, der verbraucht ist, ist wahrscheinlich die Nahrung mit gemeint. Denn während und auch nach dem 30-Jährigen Krieg herrschte eine starke Hungersnot.
Weitere Folgen die der Krieg mit sich bringt, werden in dem Parallelismus in Vers 5 und 6 geschildert, wobei es sich hier um die materiellen Sachen handelt. Vieles steht in Flammen, ist zerstört und verwüstet. Wobei die Verwüstung durch die Antithese7 der beiden Wörter „stehn“ (Vers 5) und „ligt“ (Vers 6) besonders zum Ausdruck gebracht wird. Dieses Leiden im Krieg, das ganze Durcheinander und auch das hin und her gerissene der Gesellschaft muss sehr schrecklich gewesen sein, denn in Vers 5 wird gesagt „die Kirch ist umgekehret“. Hierbei muss man beachten, dass die Kirche bzw. die Religion früher einen viel höheren Stellenwert hatte als heute. Außerdem ist damit auch die Entfremdung der Kirche gemeint. Denn im 30-jährigen Krieg, war es normal, als Sieger, die Kirchen zu entweihen, um dem besiegten Volk seinen eigenen Glauben aufzuzwingen. Somit wurde der Gesellschaft auch dieser Halt an der Kirche und der Religion und diese Geborgenheit daran genommen. Sogar der Halt an dem Rathaus, also dem politischen Zentrum liegt im „Grauß“, somit ist auch dort, wo normaler Weise Ordnung herrscht ein unangenehmer Platz. Auch bei den „Starcken“ (Vers 6) kann die Gesellschaft kein Halt oder Unterstützung finden. Mit der Metapher8 die „Starcken sind zerhaun“ sind entweder die gemeint, die das Land verteidigen doch im Krieg gefallen sind oder der König und die Adligen, die sich dem Krieg nicht entziehen können, aber auch nicht helfen können oder sogar gestorben sind.
Es wurde zu der Zeit vor nichts und niemandem halt gemacht, somit wurden auch Frauen erniedrigt, in dem sie vergewaltigt wurden (siehe Vers 7).
Der Klimax9 in Vers 8 „Feuer, Pest, und Tod“ hebt nochmals die schwere des Krieges hervor und deren Folgen, wo drunter die Menschen sehr zu leiden hatten. Wobei sie wohl auch keine Hoffnung und kein Ende dieses Grauens gesehen haben. Verdeutlicht wird dies noch von der Alliteration10 „wo wir“ in Vers 7.
Denn in der dritten Strophe lässt sich auch noch kein Ende sehen, da immer mehr Menschen ums Leben kommen. Das Sterben der Menschen wird als Hyperbel11, also übertrieben dargestellt. Da gesagt wird, dass „allzeit frisches Blutt“ durch die Stadt rinnt (Vers 9). Diese Übertreibung drückt jedoch die viele Anzahl der Sterbenden zu der Zeit aus und vielleicht auch so, wie die Menschen es sehen.
Der Krieg muss den Menschen unwahrscheinlich lange vorgekommen sein, da die Zeit als Periphrase12 und Alliteration ausgedrückt wird „Dreymal sind schon sechs Jahr“ (Vers 10). Außerdem sind die Zahlen auch symbolisch zu betrachten. Da die drei für die „drei Einigkeit“ stehen könnte, also ergibt sich wieder ein Bezug zur Religion und zur Kirche. Die Zahl sechs könnte als Symbol für den Teufel stehen. Vielleicht sahen die Menschen diesen Krieg auch als eine Tat des Teufels an oder es ist wieder diese Schrecklichkeit und Grausamkeit des Krieges gemeint, die mit dem Teufel oder der Hölle zu vergleichen ist. Denn es wird grausam beschrieben, wie viele Menschen ums Leben gekommen sind. Verdeutlicht wird dies durch die Hyperbel in Vers 11 „Von Leichen fast verstopfft“.
Die letzte Strophe hebt sich von den anderen ab, da das lyrische Ich nun nicht mehr die Rolle des Beobachters einnimmt, sondern bewertend wird und die schlimmste Folge die es vom Krieg sieht, beschreibt. Dass das lyrische Ich jetzt aus seiner persönlichen Perspektive spricht, ist an dem Nomen „ich“ in Vers 12 zu erkennen.
Das Verb „schweig“ in Vers 12 verdeutlicht die Angst, die er vor der schlimmsten Folge des Krieges hat. Selbst den Tod ordnet das lyrische Ich dem unter, was durch den Vergleich in Vers 12 „was ärger als der Tod“ deutlich wird. Durch das Polysyndeton in Vers 13 zählt es weitere Folgen auf, die er dem unterordnet, wie „Pest und Glutt und Hungersnoth“, dadurch wird die schwere seiner schlimmsten Folge verstärkt. Außerdem ist Vers 13 ansatzweise eine Rhetorische Frage. Eventuell wollte es, es nicht direkt als Rhetorische Frage stellen, da es nur seine Meinung dazu ist und manche vielleicht eine andere Folge als schwerer ansehen und es daher nicht offensichtlich wäre. In dem letzten Vers spricht es die schlimmste Folge, die er aus dem Krieg sieht, aus. Denn die schlimmste Folge sieht er darin, dass die Überlebenden so viel Schmerz und Leid mit sich tragen müssen und starke seelische Folgen erleiden. Sie haben sozusagen ihre Seele verloren oder das was ihre Seele ausmacht und die Seele ist wohl das wichtigste an einem. Daher wird dies auch mit der Alliteration und Allegorie13 „Seelen Schatz“ hervorgehoben. Diese traumatischen Erlebnisse, die die Menschen dieser Zeit erlebt haben, müssen schrecklich und unvergesslich gewesen sein. Außerdem wurde ihnen der Glaube genommen – ihr letzter Halt. Somit fehlt ihnen die Hoffnung. Die Hoffnung auf bessere Zeiten oder das sich ihr Leben überhaupt zu etwas Guten wendet. Daher sieht das lyrische Ich diese Folge auch als schlimmste Folge des Krieges an.
Das lyrische Ich schildert den Krieg sehr grausam und mit vielen Folgen, die der Krieg mit sich bringt. Dies sind nicht nur materiellen Zerstörungen und physische sondern auch psychische, wie auch die seelische Zerrissenheit. Dadurch bestätigt sich meine anfängliche Vermutung, dass es ein Anti-Kriegs Gedicht ist, was auch zu dem Autor passt, denn er war erfüllt von einer tiefen Friedenssehnsucht. Zusätzlich herrschte auch noch die Hungersnot und die Pest, was die Menschen zusätzlich belastete. Dadurch und durch den Krieg kamen extrem viele Menschen ums Leben, daher tretet das Motiv „memento mori“ auch immer wieder in dem Gedicht auf. Außerdem erschien das Vanitas-Motiv mehrmals in dem Gedicht, da vieles Zerstört wurde und somit vergänglich ist „die Türme stehn in Glutt“ Vers 5. Diese beiden Gedanken sind typisch für die Zeit des Barocks, vor allem während des 30-jährigen Kriegs.
Das lyrische Ich könnte man auch auf den Autor Andreas Gryphius beziehen, da er auch den 30-jährigen Krieg miterlebte und dieser ihn sehr geprägt hat. Dass er die seelischen Folgen als tragischer und schwerer ansah, lässt sich damit erklären, dass seine Eltern, sowie Geschwister von ihm sehr früh gestorben sind und auch sein Stiefvater vertrieben. Darunter hat er sehr gelitten. Der letzte Halt wurde ihm daher vielleicht auch durch den Verlust des Glaubens genommen, der einen sehr hohen Stellenwert zu dieser Zeit hatte.
Deshalb könnten sich vermutlich auch die meisten anderen Menschen zu dieser Zeit mit dem lyrischen Ich identifizieren, weil einfach der ganzen Gesellschaft materiell alles genommen und zerstört wurde und viele ihre Familie und Freunde während der Zeit verloren haben. Dadurch kommt auch immer wieder das Vanitas Motiv in den Gedanken der Gesellschaft vor. Da die Gesellschaft dem Tod sehr nahe war, haben sie sich auch mit dem Tod beschäftigt, wobei das „Memento Mori“ Motiv aufkommt. Durch den Verlust ihres Glaubens, wird auch der letzte Halt der Menschen genommen und somit auch die Hoffnung, was daher die furchtbarste Folge war.