1. Roman: Effi Briest (1890-1894)
Autor/in: Theodor FontaneEpoche: Realismus
Aufgabe
In der Literatur sind vor allem die Opfer wichtig. Analysieren sie diese Aussage anhand von zwei der im Unterricht behandelten Werken. Gehen sie dabei auch darauf ein, wer diese Opfer je nach Kontext sind und wie sie als Opfer dargestellt werden.
Interpretationshypothese
Die Autoren möchten durch die Opferfiguren den Druck der Gesellschaft auf einzelne Individuen zeigen.
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
In dem Lustspiel „Minna von Barnhelm“, geschrieben im Jahre 1763 und dem Roman „Effi Briest“, geschrieben von Theodor Fontane, im Jahre 1894, nehmen die Opfer eine wichtige Rolle im Verlaufe des Romans ein. In beiden Werken gibt es eine zentrale Opferfigur, in Effi Briest ist es Effi und in Minna von Barnhelm ist es Tellheim und beide gehören dem Adel an. Effi Briest wird mit 17 an einen doppelt so alten Mann verheiratet, die Eltern haben die Ehe arrangiert. Effi ist sehr unglücklich in der Ehe, betrügt ihren Ehemann sogar und wird deshalb von der Gesellschaft ausgestoßen. Tellheim ist bereits zu Anfang des Romans aus der Gesellschaft ausgestoßen worden und sieht sich deshalb nicht mehr als ehrenvoll genug, um seine alte Liebe Minna zu heiraten. Durch diese Opfer zeigen die Autoren den Druck, welchen die ehrbesessene Gesellschaft auf das einzelne Individuum ausübt, wobei die Auswirkungen unterschiedlich sind, dies wird im Folgenden Aspekt orientiert erläutert.
Beide Opferfiguren leider persönlich sehr stark unter ihrer Opferrolle, wodurch der Druck der Gesellschaft gezeigt wird. Besonders Effi leidet anfangs jedoch noch sehr im Verborgenen, der Leser ist der einzige, der erahnen kann, wie schlecht es ihr eigentlich geht. Dies liegt vor allem an der damaligen Heiratspolitik, die 17-jährige Effi heiratet den damals doppelt so alten Innstetten, welcher Landrat ist, viel in der Gesellschaft erreichen möchte und diese auch voranbringen will (er wird zum Ende Ministerialdirektor), „aus dem was wird in der Welt“. Für seine berufliche Laufbahn ist ihm die Familie jedoch zweitrangig, so lässt er Effi häufig alleine, weil er wichtige Berufliche Verpflichtungen hat (Besuch bei Bismarck etc.). Außerdem ist Effi von Anfang an noch nicht bereit für diese Ehe, was Fontane besonders gut durch Symbolik beschreibt: „kleinblättrigem Efeu“. Der Efeu ist ein Leitsymbol des Romans, er erscheint immer, wenn etwas Wichtiges mit Effi passiert. Denn beide ähneln sich nicht nur vom Namen, sondern auch vom Verhalten, denn der Efeu wächst immer um einen Stamm, ohne ihn kann er nicht überleben. Genau dies geschieht mit Effi, schon mit jungen Jahren rankt sie sich um einen Ehemann, als er sie ausstößt, ist sie verloren. Und am Anfang zeigt Fontane mit dem Efeu schon, dass Effi noch nicht bereit ist, er ist noch zu „kleinblättrig“ um zu heiraten. Dennoch verlangt die Gesellschaft dies von ihr und macht sie damit zu einem Opfer der Gesellschaft. Ihr Leiden drückt sie anfangs nie direkt aus, aber dem gewissenhaften Leser entgeht es trotzdem nicht. So äußert sie ihre Sehnsüchte gegenüber Johanna: „Ich habe solche Sehnsucht, und…ich habe solche Angst“. Fontane benutzt einen schnellen Duktus und einen parataktischen Aufbau in dem Gespräch mit Johanna, um Effis verwirrte Seele und ihre Angst widerzuspiegeln. Der Leser soll ihre Angst spüren und ihr Leiden, Effi wird klar als Opfer dargestellt, welches Fontane durch die Antworten von Johanna zeigt: „…die hatten wir alle“. Denn Effi war damals nicht die einzige Frau mit diesen Problemen, durch den Gesellschaftlichen Zwang heirateten viele Frauen unfreiwillig und die wenigsten waren wirklich glücklich. Die Antwort von Johanna zeigt hier die deutliche Gesellschaftskritik des Autors, welche durch das Leiden von Effi beschrieben wird.
Tellheim ist, im Gegensatz zu Effi, schon zu Anfang des Romans ein Opfer des gesellschaftlichen Drucks. Er war einst ein hochangesehener Offizier, wurde dann aber als Hochstapler von seinem Posten enthoben, was ihn zutiefst verletzt hat. Er sieht nun keinen Sinn und Zweck mehr in seinem Leben, da alles, wofür er gestrebt hat, die Ehre war, welche ihm wieder genommen wurde. Wie wichtig die Ehrbesessenheit damals war, zeigt Lessing immer wieder durch eine Vielfalt stilistischer Mittel: „Es ist gekommen, wie es kommen müssen. Die Großen haben sich überzeugt, daß ein Soldat aus Neigung für sie ganz wenig, aus Pflicht nicht viel mehr, aber alles seiner eigenen Ehre wegen tut.“ Dieses Zitat stammt von Tellheim und ist klimatisch aufgebaut, wodurch er selber zugibt, dass die Ehre alles für ihn ist. Der klimatische Aufbau verdeutlicht auch, wie wenig er sich selber schätzt, er fängt an mit den „Großen“ und spricht dann von den schwachen, „entbehrlich(en)“ „Soldat(en)“, denn für diesen entbehrlichen Soldaten hält er sich selber, so ist ein Mann ohne Ehre ist für die Gesellschaft nichts wert. Wie wichtig diese Ehre deshalb für ihn ist, wird durch die Alliteration1 („eigene(n) Ehre“) und das Trikolon verdeutlicht, welches zeigt, wie wichtig die Ehre damals war und wie sehr Tellheim persönlich darüber leidet, diese verloren zu haben. Dass die Ehre das Wichtigste für Tellheim in seinem Leben ist, wird durch seine Liebe zu Minna verdeutlicht, denn, obwohl er Minna von Barnhelm immer noch aufrichtig liebt „meine Minna“, was durch das Possessivpronomen „meine“ verdeutlicht wird, will er es ihr nicht mehr gestehen, denn sein Ehrgefühl verbietet es ihm, selber zu denken und zu handeln, so wäre es für einen Ausgestoßenen wie ihn wäre es damals unerhört gewesen, eine feine Dame, wie Minna zu lieben. Aus diesem Grund versinkt Tellheim in tiefstes Selbstmitleid, woraus er sich selber nicht mehr befreien kann, er beschreibt sich selber als „Krüppel“ und „Bettler“.
Doch die Verbannung von Gesellschaft hat unterschiedliche Folgen, denn besonders Effi trifft die Verbannung sehr hart, nicht nur ihr Mann verstößt sie, sondern auch ihre Eltern wollen sie nicht mehr sehen, die Ehre verbietet es. Selbst ihre eigene Tochter darf sie jahrelang nicht mehr treffen, was Effi zutiefst bedrückt. Ihre Leiden werden nun allen offenbart, Fontane möchte vor allem dem Leser zeigen, was die Gesellschaft aus einer anfangs noch so fröhlichen jungen Frau gemacht hat: „Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und nachdem sie vergeblich dagegen angekämpft hatte, brach sie in ein heftiges Schluchzen und Weinen aus.“. Effis Tod wird noch etwas länger hinausgezögert, allerdings weiß der Leser, dass dieser nur eine Frage der Zeit ist. Die schönen Zeiten werden kürzer und Effi erfährt immer weniger schöne Momente. Am schlimmsten trifft es sie jedoch, als sie ihr Kind wiedersieht, denn selbst dieses behandelt sie wie eine Ausgestoßene, antwortet nur in parataktischen Sätzen: „O gewiss, wenn ich darf“ wiederholte ihre Tochter Annie drei Mal, welches Effi zutiefst verletzt. Ihr geliebtes Kind gehört nun der Gesellschaft an und will deshalb keine Bindung mehr zu ihr. Kurz darauf fällt sie ihn Ohnmacht, erste Zeichen eines Nervenleidens lassen sich erkennen. Sie stirbt eine kurze Zeit später, nichts kann sie mehr retten. Damit möchte Fontane endgültig zeigen, wie viel Effi Briest leiden muss, nur aufgrund dieser Ehe, die von Anfang an nicht das richtige war. Der Leser soll schockiert sein von dem, was Effi zugestoßen ist und mitleidig darüber nachdenken, wie es denn nur so weit kommen konnte.
Die Geschichte der Opferrollen in Minna von Barnhelm nimmt trotz der Verbannung ein anderes Ende. Major Tellheim leidet jedoch ähnlich so stark wie Effi, selbst ein Wirt hat den Respekt vor einem einst so hoch angesehenen Major verloren. Fast alle seiner treuen Diener verlassen ihn, bis auf Just. Er hat kaum noch Geld und ist auf dem Weg ein ähnliches Schicksal zu erleiden wie Effi, denn da die Ehre alles für ihn in seinem Leben war, sieht er keinen Sinn mehr im Leben, er beschreibt sich als „Tellheim, der Verabschiedete, der an seiner Ehre Gekränkte, der Krüppel, der Bettler.“. Mit dieser Aufzählung und dem Parallelismus bemerkt der Leser, wie gering Tellheim sich selbst einschätzt, wie viel das Ehrgefühl ihm nimmt. Dass Minna anfangs nur an ihm vorbeiredet, merkt man durch die fehlende Modestia, Tellheim ist in seiner eigenen Welt und will keine Hilfe mehr wahrnehmen. Doch im Verlaufe des Romans erfährt Minna eine drastische Wende. Anstatt nur emotional auf ihn einzureden, beginnt sie ihren eigenen Verstand zu benutzten, sie wird aufgeklärt. Dadurch kann sie Tellheim mit einer List aus seinem ehrlosen-Ich herausholen und selber zum Nachdenken anregen. Auch Tellheim beginnt seinen eigenen Verstand zu benutzten und sobald er dies tut, wird auch anerkannt, dass er gar kein Hochstapler ist, sodass er immer noch ein ehrenwerter Major, und noch viel wichtiger, dass die Liebe zu Minna, egal ob mit oder ohne ehre, das allerwichtigste ist. Somit zeigt Lessing durch Tellheim, wie wichtig es ist, seinen eigenen Verstand zu benutzten, ohne diesen hätte er das gleiche Schicksal wie Effi erdulden müssen, doch Minna konnte ihn aus diesem emotionalen Loch herausholen, indem auch sie ihren Verstand benutzt. Hiermit will Lessing den Zuschauer aufklären, selber zu denken, anstatt nur so wie es andere vorschreiben.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Opferrollen eine sehr wichtige Rolle in beiden Werken einnehmen. Die zentrale Gesellschaftskritik wird durch sowohl Effi als auch Tellheim, dem Leser dargestellt. Das Leiden von Effi soll Kritik an der Heiratspolitik, sowie der Ehrbesessenheit der Gesellschaft zeigen. Effis Tod schockiert den Leser und zwingt ihm zum Nachdenken, ob die Gesellschaft so etwas verantworten sollte. Tellheim hat eine etwas andere Rolle. Durch ihn möchte Lessing zwar auch die ehrbesessene Gesellschaft kritisieren, aber vor allem den Zuschauer aufklären, seinen eigenen Verstand zu benutzen.