Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Tränen des Vaterlandes. Anno 1636“ von Andreas Gryphius ist das wohl bekannteste Antikriegsgedicht, welches in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges verfasst wurde und verdeutlicht die Auswirkungen des Kriegstreiben auf die Bevölkerung. Im Vordergrund steht dabei Gryphius Aussage, dass die religiösen Wurzeln der Einwohner verloren gehen und das Vertrauen in die Kirche gebrochen ist.
Das Gedicht wurde als Sonett1 verfasst. Wie bei einem Sonett üblich, gliedert sich der Text äußerlich in zwei Quartette und zwei Terzette. Diese strenge Komposition ist erstaunlich in dieser von Krieg und Auflösung geprägten Epoche. Das allgemein vorherrschende Versmaß ist ein Alexandrinervers, also ein 6-hebiger Jambus mit einer Zäsur2 nach der dritten Hebung.
Die beiden Quartette weisen jedes für sich einen umfassenden Reim auf, wobei jeweils erster und vierter Vers mit einem weiblichen Versschluß, zweiter und dritter Vers hingegen mit einer männlichen Kadenz enden. Reimschema und Kadenz sind also miteinander verknüpft, ebenso wie der tragende Vokal „e“ mit den Reimwörtern der weiblich auslautenden bzw. der Umlaut „au“ mit den Reimwörtern der männlich auslautenden Verse.
Die beiden sich anschließenden Terzette sind, obwohl durch einen Absatz getrennt, durch einen Schweifreim miteinander verbunden. Auch hier fällt eine Parallelität zwischen dem Reimschema und den Kadenzen3 auf.
Inhaltlich stimmt der Aufbau mit dem eines Emblems mit den Abschnitten “inscriptio“ (Überschrift), „pictura“ (Bild) und „subscriptio“ (Kommentar) überein.
Schon die Überschrift weist auf einen religiösen Hintergrund des Gedichtes hin, da als „Vaterland“ hier das Land Gottes, des „Gottvaters“, symbolisiert wird. Die „Tränen“ implizieren den Schmerz und die Trauer, die der Krieg auslöst und zeigen die Abneigung des Lyrischen-Ichs, wie auch im weiteren Verlauf deutlich wird.
Darauf folgt das „pictura“, welches die zwei Quartette und das erste Terzett beinhaltet und die aktuelle Situation bildlich darstellt; diese Aktualität wird auch durch das Tempus, hier Präsens, bestätigt. Hierbei werden viele religiöse Bezüge hergestellt. So ist zu erkennen, dass „Posaun“ und „Karthaun“ hier als biblische Zitaten aus der Offenbarung benutzt werden und als Vorboten des Krieges dienen. Zudem unterstreicht Gryphius einen Hauptuslöser des Krieges mit „die Kirch ist umgekehret“ und weist auf den aktuellen Religionskrieg hin, der die Menschen „verheeret“. Die „geschändeten Jungfrauen“, die für das Gute, Unschuldige und Reine stehen, jedoch auch verdorben sind, dramatisieren die Auswirkungen des Gefechts. Das folgende Terzett, welches immer noch in den Abschnitt des „picturas“ gehört, hebt die Trostlosigkeit des Krieges hervor. Hierbei legt Gryphius seinen Schwerpunkt auf mehrere Hyperbeln4, wie „rinnt allzeit frisches Blut“ und „von Leichen fast verstopft“. Diese Hyperbeln legen dar, dass dieser Krieg viel zu lange nun schon anhält, sodass die Schäden und Toten überall erkennbar und im Überfluss vorhanden sind. Auch hier sind wieder biblische Bezüge zu erkennen. „Dreimal sechs Jahr“ verdeutlicht zum Einen die unerträgliche Länge des Krieges, zum Anderen symbolisiert diese Zahlenkombination „666“ den Antichristen und die bevorstehende Apokalypse. Durch diesen Zusammenhang wird die Aussichtslosigkeit in dieser Zeit auf Besserung gesteigert. Diese bildliche Darstellung des Krieges wird durch viele Adjektive veranschaulicht und auch Metaphern5, wie „das vom Blut fette Schwert“, versinnbildlicht.
Die letzte Strophe, also das „subscriptio“, beinhaltet die für Gryphius schlimmste Folge der Zerstörung und des Kampfes. Das sich hier die Meinung des Autors ausdrückt, wird durch den Wechsel vom lyrischen-Wir zum lyrischen-Ich deutlich. Über allem Leid durch Hunger, Pest und Tod steht der verlorene „Seelen Schatz“, der Glaube und das Vertrauen in die „umgekehrte Kirch“ und Gott. Zur Zeit des Barocks und dem weit verbreitetem Glauben, war eine unbeschadete Seele und ein tiefer religiöser Glaube von großer Wichtigkeit. Das hierbei die religiöse Prägung Gryphius auf den Text einwirkte, wird dadurch offenkundig.
Die biblischen Anleihen Gryphius zeigen die Wichtigkeit der Glaubenstreue die in dieser Zeit im Vordergrund stand und welch großen Verlust die Menschheit dadurch erleidet, dass die Glaubenstiefe verloren geht. Hiermit werden auch die wesentlichen Aspekte des Barocks erfüllt. Auch hat das Gedicht als Antikriegsgedicht immer noch einen Aktualitätsbezug, auch wenn eine formale Umsetzung heute anders aussehen würde, kann die Religionslosigkeit der Gesellschaft als Kritikpunkt angesehen werden, welches auch zu einer Verrohung und Orientierungslosigkeit führen kann.