Der Expressionismus
Sonntag, 31. August 2008Der Expressionismus ist eine Epoche, die mich seit dem Kontakt im Deutschunterricht fasziniert hat. Insbesondere der literarische Expressionismus und der Expressionismus in der Bildenden Kunst weist interessante Facetten auf. Expressionistische Bilder versuchen häufig nicht, anders als vorangegangene Epochen, fotorealistische und teils romantisch verklärte Abbildungen zu erzeugen, sondern dass „Wesen“ einer Situation darzustellen. Themen wie Krankheit, Krieg oder Tod werden nicht mehr in beschönigten Darstellungen verherrlicht, sondern es werden auch die unschönen Aspekte wie Grausamkeit und Ekel dargestellt. Die Maler spielen dabei mit kontrastreichen Farben und ihrer Wirkung auf den Zuschauer, düsteren Stimmungen, harten Linien, verengten Perspektiven und übertriebenen grotesken Darstellungen. Beispiele dafür sind Ludwig Meidner, Erich Heckel, Ludwig Kirchner oder Otto Dix. Interessant finde ich die expressionistischen Bilder deshalb, weil sie die eigene negative Stimmung manchmal „sichtbar“ machen und sich die unaussprechlichen Gefühle, die man in manchen Zeiten hat, in diesen Bildern manifestieren. Kein Wunder, denn der Begriff „Expressionismus“ im eigentlichen Sinne heißt genau das: Ausdruckskunst, die Darstellung von innerlicher Wahrheit und nicht der bloßen Erscheinung, wie sie das Auge wahrnimmt. Dies unterscheidet den Expressionismus vom Impressionismus, da der Expressionismus die Wahrnehmung des Ichs in den Vordergrund stellt und den Leser oder Zuschauer innerlich zu erschüttern, während der Impressionismus hingegen versuchten einen flüchtigen und oberflächlichen Augenblick festzuhalten. Der Impressionismus versucht wesentlich stärker eine Szenerie auch tatsächlich wie das Gesehene abzubilden, d.h. Körper, Formen, Räume und Farben waren relativ naturgetreu und die Expressionisten haben diese traditionellen Formen zertrümmert und stattdessen projiziert der Betrachter seine Empfindungen auf das Gesehene. Dadurch sind Farben nicht mehr naturgetreu, Körper und Perspektiven treten in den Hintergrund und können frei geformt werden.
Der literarische Expressionismus folgt dieser Prämisse und behandelt neben Themen wie Krieg, Weltuntergang und Krankheit auch Themen, die die damalige Gesellschaft widerspiegeln. Dazu zählen die Untergangsstimmung einiger expressionistischer Zeitgenossen, die drohenden Vorzeichen eines neuen Krieges und die Folgen der Urbanisierung. Die Expressionisten waren damit Stimmungsfänger und Katalysatoren der Gesellschaft zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Wie in einem Schmelztigel sammelten sich die gesellschaftsrelevanten Themen und Schwingungen, wurden geschmolzen und in künstlerische Formen gegossen. Dabei sind die Werke, bei denen ich mich vorwiegend für die Gedichte interessiere, meist unpolitisch. Dies steht im Gegensatz zu dem vorangegangenen Naturalismus, der sich sehr politisch gegeben hat. So hat z.B. Heinrich Heine die Weberaufstände in „Die schlesischen Weber“ problematisiert und auf die damaligen Hungersnöte, Unterbezahlung der Weber, schiefen Machtverhältnissen und Verdrängung der Weber durch die Industrialisierung hingewiesen. Der Expressionismus hingegen beschränkt sich auf das Beschreiben von subjektiven Eindrücken; dadurch sind die Gedichte sehr persönlich und fantasievoll durch die Beschreibung des Erzählers gefärbt, aber sie enthalten keine offensichtliche Bewertung des Geschilderten. Natürlich wird der Leser durch die Wohlwahl in eine bestimmte Richtung gedrängt, aber dennoch wird ihm die Beurteilung selbst überlassen, was mir lieber ist als wenn das Gedicht das Fazit gleich mitzuliefern versucht. Zudem wird nicht versucht weltverbesserisch daher zu kommen oder von einem exponierten Standpunkt aus Dinge zu verurteilen, auch wenn es durchaus das erklärte Ziel der Expressionisten war, die bürgerlichen Werte zu erschüttern. Da dem Leser nicht gleich die Beurteilung des Inhalts vorgekaut wird, sind die Gedichte auf dem ersten Blick manchmal rätselhaft und damit ist es umso interessanter sie zu „entschlüsseln“. Aber der Expressionismus wendet sich vom Naturalismus nicht nur dahingehend ab, als dass er kaum noch appellativen Charakter hat, sondern auch dass er auch den kalten Rationalismus der Naturalisten ablehnte.
In dem Gedicht „Der Gott der Stadt“ von Georg Heym wird beispielweise das Wesen der Stadt beschrieben, wobei der Erzähler dem Leser Spielraum darin lässt, was dieses Wesen denn nun eigentlich ausmacht. In diesem Gedicht wird deutlich, wie sorglos die Stadtmenschen der Industrialisierung und zunehmenden Verstädterung gegenüberstehen und wie wenig der einzelne Mensch aus dem „dummen“ Kollektiv herauszuragen noch im Stande ist.
Der Expressionismus ging von ca. 1910 bis 1925, d.h. viele Künstler haben die zunehmenden Spannungen in Europa und den Beginn des Ersten Weltkrieges miterlebt. Viele der Expressionismus waren aktiv am Krieg beteiligt und haben ihre traumatisierten Erfahrungen verarbeitet. Otto Dix tat dies auf erschreckende Weise in seinen Bildern. Der psychisch kranke und drogenabhängige Georg Trakl hat sein Trauma und seine Eindrücke in Grodek als Militärarzt im Gedicht „Grodek“ verschriftlicht. Trakl gilt heute als einer der vielschichtigsten, genialsten und zugleich am schwersten verständlichen Dichter. Georg Heym, der ebenfalls als einer der größten Dichter des 20. Jahrhunderts gilt, obwohl er selbst wohl nie plante als freier Schriftsteller seinen Lebensunterhalt zu verdienen, hat in „Der Krieg“ geradezu visionär und prophetisch den Beginn des Ersten Weltkrieges vorausgesehen – das Gedicht entstand 1911. Der Krieg tritt als Riese aus der Hölle in Erscheinung, der nach dem letzten deutsch-französischen Krieg wieder erwacht ist und nun Städte und Menschen in einem Flammenmeer tilgt.
Genauso wie die malenden Expressionisten haben auch die Dichter versucht Themen wie den Tod unemotional anzugehen und auch Ekel und Abscheu zu erzeugen. So schonungslos wie Otto Dix den Krieg in vielen seiner Werke dargestellt hat, so schonungslos war auch der Arzt und Pathologe Gottfried Benn, wenn es darum ging den Tod zu beschreiben. In „Schöne Jugend“ lässt Benn dem Leser bewusst werden, dass der Tod alles andere als eine romantische Angelegenheit ist, denn er beschreibt wie eine Wasserleiche von Wasserratten angefressen wird und zu einem Nest für die weidenden Tiere wird. Damit hat Benn den Ophelia-Kult mit seiner Schön-Wasserleichen-Poesie entzaubert, in dem er die Realität aufgezeigt hat und eine „Ästhetisierung des Hässlichen“ schuf. Benn hat damit zu seiner Zeit ein Tabu gebrochen, denn der Tod galt bis dahin als unantastbar und kaum jemand traute sich, eine Leiche realistisch zu beschreiben. Stattdessen versuchte man den Tod zu „romantisieren“.
Eine weitere Parallele zur Bildenden Kunst der Expressionisten war der Hang Sachverhalte bizarr, grotesk oder überzeichnet darzustellen. Alfred Lichtenstein hat diesen Stil in seinen Gedichten übernommen. So hantiert er in „Die Stadt“ recht frei mit seltsamen Kombinationen aus Adjektiven, Verben und Nomen. Gegenstände bekommen menschliche Züge und die gesellschaftliche Beobachtungen konzentrieren sich in minutiösen Beobachtungen wie dem Blindekuh-Spiel oder dem verspotteten Irren.
Der Expressionismus war leider relativ kurz. Die Gründe dafür sind wohl, dass zum einen viele der Autoren schlichtweg „wegstarben“ durch Krieg oder Selbstmord, zum anderen aber sank das Interesse an dieser Kunstform. Mit dem Beginn des Dritten Reiches war dann das Ende des Expressionismus‘ endgültig besiegelt, da der Expressionismus unter die so genannte „Entartete Kunst“ fiel und damit die Ausübung verboten und die Werke konfisziert und vernichtet wurden. Leider wurden dabei z.B. einige Werke von Otto Dix zerstört.
Heute hört und sieht man leider kaum noch etwas vom Expressionismus, obwohl mein Eindruck ist, dass diese Kunstform bei verschiedenen Künstlern wieder auftaucht.