Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
In der Ballade „Die Ballade von dem Drainage-Leger Fredi Rohsmeisl aus Buckow” von Wolf Biermann geht es um die drakonisch anmutende Bestrafung des Fredi Rohsmeisl fürs Auseinandertanzen - eine Straftat, die Jahre danach sogar der Staatsanwalt akzeptiert und ausübt, der Rohsmeisls Strafe zu verantworten hat. Es handelt sich dabei um ein gesellschaftskritisches Werk, das dennoch Züge des Sozialistischen Realismus aufweist, wenn auch nicht der Doktrin der SED folgend.
Das Gedicht ist in 6 Strophen untergliedert, von denen jede bis auf die letzte 12 Verse hat, die letzte hingegen hat 11. Ein durchgängiges Reimschema gibt es nicht, lediglich einige Endreime sind zu erkennen: In der fünften Strophe bilden beispielsweise Vers 6 und 8 den Endreim, in der dritten Strophe stellt sich der Endreim genauso dar. Bei den letzten 4 Versen einer jeden Strophe - außer bei der letzten Strophe, hier sind es 3 Verse - handelt es sich um den Refrain, der jedes Mal leicht abgeändert wird. Ein durchgängiges Metrum1 weist die Ballade allerdings nicht auf. Zu den auffälligsten sprachlichen Mitteln gehören der hypotaktische Aufbau sowie die Anaphern2, die beispielsweise in der zweiten und fünften Strophe vorkommen, während die Ballade bis auf diese Stilmittel in einem sehr nüchternen Stil gehalten ist. Auf diese Weise schlägt die Ballade eine Brücke zwischen dem lyrischen Werk und einer nüchternen Erzählung, die auf kunstvolle Stilmittel verzichtet und aufgrund der Anaphern wie aus dem Stegreif gesprochen wirkt. Biermann klagt auf diese Weise keine Institution direkt an, da das lyrische Moment Allgemeingültigkeit besitzt. Aufgrund seiner eigenen Biographie und des erzählenden Stils wird jedoch deutlich, dass Biermann sich durchaus an die Regierung der DDR richtet, indem er ihr eine literarisch maskierte Version seiner eigenen Empfindungen präsentiert und dabei nicht auf Emotionen verzichtet, die die Anaphern der zweiten und fünften Strophe darstellen. Bei dem Refrain, der sich bis auf den der sechsten Strophe ständig mit Abwandlungen wiederholt, handelt es sich um eine rhetorische Frage, die sich der Leser von alleine beantwortet und die ihn in dem Glauben unterstützt, die Sachlage von selbst korrekt beurteilt zu haben.
Der Sozialistische Realismus wollte die Realität darstellen, wie sie historisch korrekt war, während gleichzeitig der Einfluss der sozialistischen Revolution einfließen sollte, um die werktätigen Leser ideologisch im Geiste des Sozialismus zu formen. Wolf Biermann stellt in der Ballade die Realität in diesem Sinne dar, ohne propagandistische Kunst zu schreiben. Fredi Rohsmeisl ist ein Arbeiter, entspricht also den Vorstellungen des Sozialistischen Realismus über die Hauptfiguren. Er scheint gleichzeitig nicht darüber nachgedacht zu haben, dass das Auseinandertanzen verboten war, es scheint keinen Sinn für ihn zu ergeben - denn seine Straftat mit einem lapidaren „Na schön...” (S. 1 V. 8) kommentiert. Für das Auseinandertanzen, mit dem er tatsächlich niemandem etwas getan hat, wird er allerdings verprügelt, was in der zweiten und dritten Strophe beschrieben wird. Er muss sich alleine zur Wehr setzen, denn halb Buckow sieht der Szene zu, doch niemand kommt ihm zur Hilfe (vgl. S. 3 V. 4). Letztendlich erhält Fredi Rohsmeisl eine Gefängnisstrafe, die sein Wesen und seine Einstellung zum Sozialismus verändern. Der ehemals als unbekümmert dargestellte Rohsmeisl birgt nun einen stillen Zorn in sich (vgl. S. 4 V. 5), er ist bitter und glaubt nicht mehr an den Sozialismus, wie er in der Realität praktiziert wird (vgl. S. 5 V. 2 ff). Aus der gleichen Strophe geht aber auch hervor, dass er durchaus für den Sozialismus und für dessen Erneuerungen ist - er sieht lediglich die reelle Ausübung nicht als die ideale Staatsform an. Zur Veröffentlichungszeit des Gedichtes im Jahre 1965 war die abschließende sechste Strophe eine reine Zukunftsvision Biermanns: Denn er sieht, dass selbst der Staatsanwalt auseinandertanzt, der Rohsmeisl die Gefängnisstrafe aufgebürdet hat (vgl. S. 6 V. 6 ff). Er ist zu der Einsicht gelangt, dass das sinnlose Verbot des Auseinandertanzens, das Rohsmeisl seinerzeit nicht getan hat, um sich bewusst den Regelungen zu widersetzen, sondern weil er nichts Schlimmes darin sah, unfrei macht - denn der Staatsanwalt wird durch das Auseinandertanzen selbst „frei” (S. 6 V. 7). Der Sozialistische Realismus wird allerdings auch an dieser Stelle nicht aufgegeben, denn es ist nicht die Rede davon, dass der sozialistische Staat gescheitert ist; er hat sich lediglich verändert. Vielmehr stellt Biermann die geforderte Realität so dar, dass der Sozialismus durchaus weiter bestehen kann, sofern er sich dazu bereit zeigt, die aktuellen unsinnigen Regelungen abzuschaffen. Dies bestätigt er im Refrain, der dieses Mal bereits im elften Vers endet und die immer wieder fast schon rhetorisch gestellte Frage nach dem Nutzen bejaht (vgl. S. 6 V. 11). Auffallend ist, dass die positive Antwort in Klammern steht, während die Verneinung in den vorherigen Strophen stets ohne Klammern gegeben wurde. Auf diese Weise will Biermann dem Leser einen Vorschlag unterbreiten, die Bejahung in Klammern dient als Entscheidungshilfe und Endergebnis, dessen Lösungsweg der Leser selbst finden muss.Die Ballade von dem Drainage-Leger Fredi Rohsmeisl aus Buckow ist einerseits dem Geiste des Sozialismus dienlicher als die Umsetzung des Sozialistischen Realismus, wie sie andere Schriftsteller praktiziert haben, gleichzeitig weist sie biographische Züge auf und will eine Form des Sozialismus zustandebringen, die 1965 noch nicht herrschte. Biermann stellt einerseits die Situation dar, wie sie tatsächlich war, denn das Auseinandertanzen wurde als westlich-dekadent empfunden. Der Tanzstil stammte aus der Rockmusik, und diese wiederum war in den Vereinigten Staaten, dem Inbegriff der westlichen Welt, entstanden. Ferner störte der ausgelassene Tanzstil das Geschlechter- und Gesellschaftsbild, das sich sowohl in der DDR als auch in der BRD dieser Zeit bildete und durch einen vorgegebenen Tanzstil aufrecht erhalten werden sollte: Es war das des männlichen Beschützers und der asexuellen Hausfrau, deren Weiblichkeit den privaten Bereich dominierte. Eine solche Metaphorik rechneten die meisten jungen Menschen dem Auseinandertanzen aber nicht bei, sondern hätten es genau wie Rohsmeisl aus Spaß getan, ohne über seine tiefgründigere Bedeutung nachzudenken. Das wiederum machte das Verbot unsinnig, da damit der Staat nicht zusammengehalten wurde. Wolf Biermann selbst war Sozialist, er entstammte einer Familie aus Altkommunisten und geriet lediglich mit dem praktizierten Sozialismus der DDR in Konflikt. Den sozialistischen Staat wollte er ebenso wie Rohsmeisl, doch auch er wurde von diesem zurückgewiesen, wie beispielsweise der Ausschluss aus der SED 1963 zeigte. Seine Ballade erfüllt damit eher die Funktion der literarischen Gattung des Sozialistischen Realismus als diejenigen Werke, die im Sinne der SED ausfielen: Denn dem grundsätzlich sozialistisch eingestellten Bürger wird am Beispiel eines Arbeiters, also eines Protagonisten der DDR, vorgeführt, dass der aktuelle Sozialismus seinen Traum vom gelebten, realistischen und langfristig haltbaren Sozialismus nicht erfüllen können wird. Stattdessen muss er auf unsinnige Regeln verzichten und dem Bürger Zufriedenheit schenken, anstatt ihm ideologisch bedingte Repressalien aufzubürden, deren Ideologie er schlichtweg nicht sieht.