Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
„Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ dieses zur Redewendung gewordene Zitat aus Paul Celans Gedicht fasst in wenigen Worten jenen unbegreiflichen Horror der Konzentrationslager zusammen, welchem der Dichter, selbst ein Überlebender des Holocausts, in seiner „Todesfuge“ Ausdruck verschaffte.
Formal gesehen ist das Gedicht in 6 Strophen unterschiedlicher Länge eingeteilt, Reimschema und Metrum1 ist keines vorhanden, die Zeilenlänge variiert. Thematisch lässt sich das Gedicht in 4 Blöcke einteilen, jeder dieser Blöcke beginnt mit dem „Refrain“ „Schwarze Milch der Frühe...“. Zahlreiche Verse, Satzstrukturen und Metaphern2 des Gedichts werden, nachdem sie in einem Block das erste Mal auftreten, in anderen Blöcken wiederholt, variiert und zitiert. Dabei imitiert Celan das barocke Kompositionsprinzip der Fuge: Ein Hauptthema wird dabei immer wieder von verschiedenen Stimmen in unterschiedlichen Variationen (Modulationen) aufgegriffen, wiederholt und mit Nebenthemen verwoben. Der immer wieder beinahe unverändert wiederkehrende Refrain, der in der Wir-Form verfasst ist, kann als Hauptthema bezeichnet werden, die im jeweiligen Block nachfolgenden in Er-Form geschriebenen Zeilen bilden den Kontrapunkt (ein weiterer Begriff aus der barocken Musik): Sie wandeln sich von Block zu Block beträchtlich und sorgen für Entwicklung und Erzählung.
Das Gedicht bedient sich einer außerordentlich tiefgreifenden Symbolik, weshalb eine wörtliche Inhaltsangabe desselben nicht dem wahren Aussagegehalt entsprechen würde, trotzdem lässt sich eine grundlegende Inhaltliche Entwicklung feststellen und widergeben: Im ersten Block wird ein deutscher Wächter eines Konzentrationslagers vorgestellt, welcher zunächst einen Brief an seine Geliebte in Deutschland schreibt (daraus lässt sich schließen, dass die Handlung wahrscheinlich in Polen stattfindet), anschließend begibt er sich ins Freie, wo er seinen jüdischen Häftlingen Befehle gibt. Einige müssten Ihre eigenen Gräber schaufeln, andere sollten zum Tanz aufspielen. Der zweite Block widerholt die Tätigkeiten des Ersten, zusätzlich peitsch der Wärter einige Gefangene. Zum ersten Mal taucht eine Reaktion der Gefangenen auf: Sie formulieren in zynischer Verzweiflung: „... wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng“ (V.15). Im dritten Block taucht zum ersten Mal die Phrase „der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ (V. 24) auf. Zusätzlich wiederholt er – diesmal in bösartigem Ton – den zynischen Kommentar der Gefangenen (V. 25-26). Im vierten Block wird der Satz „der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ dreimal wiederholt, dies bildet das dramatische Finale: Die Häftlinge erkennen ihre Chancenlosigkeit und ergeben sich wohl der Mordeslust des Wächters.
Das Gedicht ist von zahlreichen widerkehrenden Motiven geprägt, welche allesamt als Metaphern verstanden werden können. Diese Motive treten auch in Variationen auf.
Das wohl auffälligste dabei ist „die Schwarze Milch der Frühe“, ein deutlich erkennbares Oxymoron3. Die Milch, welche doch eigentlich für die Kindheit, für das Leben, für die Reinheit steht ist schwarz geworden. Schwarz, die Farbe des Todes, hat die Milch ergriffen, ihre Bedeutung wurde folglich ins Gegenteil verkehrt: Sie spendet kein Leben, sondern ist ein todbringendes Gift. Damit steht sie Sinnbildlich für die Tötungsmaschinerie des NS-Staates. Mit der „Frühe“ sowie den anderen Essenszeiten „mittags und „abends“ (vgl. V. 1-2) soll ausgedrückt werden, dass es aus dem Leiden kein Entkommen gibt, genauso wie man dem Hungergefühl, dem Mahl nicht entkommen kann, so ist auch das Entfliehen vor dem sicheren, bevorstehenden Tod unmöglich.
Einen weiteren Gegensatz findet man im „Grab in den Lüften“. Dem realen Grab in der Erde, welches die Gefangen mit eigenen Händen errichten müssen, steht das transzendentale Grab in den Lüften gegenüber. Wie bei der „Schwarzen Milch“ wird der negative Begriff des Grabes mit dem positiven Aspekt des Himmels ergänzt. Der Euphemismus5 des Grabes in den Lüften hilft den Gefangenen bei der Realitätsbewältigung, sie versuchen sich vom nahenden Tod durch eine positive Darstellung desselben anzulenken.
Auch „dein goldenes Haar Margarete“ und „dein aschenes Haar Sulamith“ bilden ein Gegensatzpaar. Margarete, der Name stammt wohl vom „Gretchen“ aus dem Faust, steht dabei allegorisch für eine deutsche, Sulamith, eine biblische Figur, für eine jüdische Frau. Hat Margarete noch „goldenes Haar“ so wird Sulamiths Haar als „aschen“ beschrieben, ein weiteres Symbol für den Schrecken und das Leiden im Holocaust. Der Gegensatz der beiden Frauen ist ein durchgehendes Motiv des Gedichts, mit den Frauen gehen auch die Gegensätze zwischen dem Wächter und den Gefangenen einher.
Als einzige explizit genannte Figur der Todesfuge wird „ein Mann, der wohnt im Haus“ charakterisiert. In jeglicher Hinsicht erweist er sich als Kontrapunkt zu den Gefangenen: Während diese wohl in Baracken wohnen, wird ihm ein Haus zugewiesen, seine Handlungen sind stets befehlend, während die Häftlinge diese Befehle nur empfangen und ausführen. Die „Rüden“ (V. 7) stehen sowohl für die Kampfhunde, welche in Konzentrationslagern eingesetzt wurden, als auch enthalten sie das Wort „rüde“, welches eine weitere Beschreibung der Wärter bildet. Obwohl der Mann durchwegs negativ dargestellt ist, handelt er im Schreiben des Briefes an seine Geliebte (V. 6) durchaus in positiver, lieblicher oder gar romantischer Weise. Damit wird dem Leser klar, dass es dich beim Wächter nicht nur um eine kaltblütige Tötungsmaschine, sondern um eine Person handelt, welche kultiviert und wohl auch zum Lieben fähig ist. Dies verstärkt den Eindruck der Unverständnis, welche viele Menschen bei diesem Thema begleitet.
Überdeutlich wird die Grausamkeit des Wärters in seinem Befehl zum Tanz auszuspielen. Es scheint grotesk6, dass an einem so grausamen, todesschwangeren Ort wie einem Konzentrationslager getanzt wurde, doch historisch gesehen gab es tatsächlich zahlreiche Häftlingskapellen, welche zur Unterhaltung der Belegschaft dienen sollten.
Die Todesfuge kann als Verarbeitung des eigenen Schicksals Celans angesehen werden. Als Pole jüdischer Abstammung wurde er 1942 von Deutschen Truppen in ein Arbeitslager deportiert, aus dem er 1944 freikam. Dabei musste er nicht nur die Strapazen und Grausamkeiten des Lageralltags, sondern auch den Tod seiner Eltern ertragen. Nach dem Krieg floh er nach Rumänien, wo er auch dieses Gedicht verfasste. Celan hatte Zeit seines Lebens schwer mit diesen Ereignissen zu kämpfen, zwar verfasste er zahlreiche Werke, in denen er seine Vergangenheit dokumentierte und aufarbeitete, doch gelang es ihm letztendlich nicht seinen Schmerz zu überwinden, weshalb er wohl 1970 Selbstmord beging.
Doch so sehr der Name Celans wohl mittlerweile in Vergessenheit geraten ist, so lebendig ist die Rezeption seiner Todesfuge. Häufig wird diese exemplarisch als Kontraargument zu Adornos Aussage „nach Auschwitz Gedichte schreiben ist barbarisch“ benutzt. Während Adorno meinte, dass keine Dichtersprache mehr fähig wäre das Leiden und den Schrecken des Holocausts so darzustellen, dass sie denselben auch gerecht würde, vermerkten seine Kritiker, oft eben in Verweis auf die Todesfuge, dass Werke von so hoher Ausdruckskraft und metaphorischer Dichte auch die Möglichkeit, oder das Recht hätten, zumindest einen Teil dieser Grausamkeit zu verarbeiten. Kritiker letztgenannter Meinung führten aber an Celans Gedicht würde den Holocaust zu ästhetisch darstellen, den Schrecken durch lyrische Umschreibung abmildern und damit der Thematik nicht gerecht werden. Adorno selbst ändert jedenfalls nach einiger Zeit seine Meinung und gab zu, dass die Todesfuge durchaus seine Berechtigung habe.
Heute lernen hunderttausende Kinder in Deutschland die Todesfuge als ein Teil der Nachkriegsliteratur kennen. Gerne wird diese auch als eines der prägendsten Werke der Literatur des 20. Jh. bezeichnet. Wie weitreichend der Einfluss der Todesfuge ist, wird selbst im Film „Schindlers Liste“ ersichtlich. Zahlreiche Elemente des Gedichts wie die Häftlingskapelle, der romantische aber grausame Kommandeur und selbst die Frauenfiguren, die goldhaarige Margarete aber auch die das jüdische Mädchen mit den aschenen Haaren, werden im Film von Steven Spielberg rezipiert7.