Roman: Hiob (1930)
Autor/in: Joseph RothEpoche: Neue Sachlichkeit
Die Analyse des Textausschnitts bezieht sich auf das folgende Buch:
EinFach Deutsch
Joseph Roth: Hiob
Schöningh-Verlag
ISBN 978-3-14-022555-7
Die Analyse des Textausschnitts bezieht sich auf das folgende Buch:
EinFach Deutsch
Joseph Roth: Hiob
Schöningh-Verlag
ISBN 978-3-14-022555-7
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Der Roman Hiob, geschrieben von Joseph Roth im Jahr 1930, thematisiert den Lebensweg einer jüdisch-orthodoxen Familie im fiktiven Schlett Zuchlow (Russland) sowie nach deren Auswanderung nach Amerika.
Die zentrale Hauptfigur, der Familienvater Mendel Singer erleidet schwere Schicksalsschläge, durch die sowohl seine Frömmigkeit als auch sein Gottesglaube auf eine harte Probe gestellt werden.
Der hier zu analysierende Textausschnitt ist inhaltlich an den Anfang des Romans einzuordnen. Es handelt sich hierbei um eine Passage des zweiten Kapitels aus dem ersten Teil des Buches. Zuvor wurde nur der Alltag der Familie Singer beschrieben, der mit immer wiederkehrenden Tätigkeiten gefüllt ist. Die Frau Mendels, Deborah kümmert sich um den Haushalt und die drei Kinder Schermajah, Jonas und Mirjam sowie nach dessen Geburt ebenso um Menuchim, den jüngsten und behinderten Sohn der Familie.
Mendel Singer arbeitet als jüdischer Lehrer, womit er nur ein geringes Einkommen erzielen kann und es ihm schwer fällt, die Familie zu ernähren.
Da Deborah auf eine Heilung des behinderten Menuchims hofft, begibt sie sich mit ihrem kranken Sohn auf den Weg zu einem Wunderrabbi. Dieser prophezeit ihr, dass Menuchim irgendwann gesund werde, es aber bis dahin noch einige Zeit dauern könne. Mendel Singer unterstützt diese Reise nicht, da er es für sinnvoller hält, das Schicksal einfach so hinzunehmen. Auch die übrigen Kinder halten nicht viel davon, dass Menuchim so sehr im Mittelpunkt der Familie steht und sie außerdem auf ihren Bruder aufpassen müssen. Sie versuchen ihn daher in einer Regentonne zu ertränken, er überlebt aber wider der Erwartungen. Er war ein „mächtiger Krüppel“ (Buch S. 18 Z. 18), der als „letzte missratene Frucht“ (S. 18 Z. 15) von Deborah bezeichnet wird. Von diesem Moment an beginnt nicht nur der Körper Deborahs zu altern, sondern auch die Liebesbeziehung des Ehepaar Mendel bröckelt gewaltig.
Dem zu analysierenden Ausschnitt folgt eine Situation, in der der behinderte Sohn Menuchim, der bislang nicht reden konnte, zum ersten Mal das Wort „Mama“ ausspricht.
Zuvor reagierte er immer nur auf Geräusche, konnte sich selbst aber nie verständigen.
Für den weiteren Verlauf der Handlung ist der starke Lebenswille Menuchims noch von sehr großer Bedeutung, er wird von der „letzten missratenen Frucht Deborahs“ zum einzigen Kind, dass der Familie noch bleibt, und erreicht mit seiner Heilung und der darauffolgenden Karriere ganz andere Dinge, als zuvor von ihm erwartet wurden.
Die Beziehung zwischen Mendel und Deborah entwickelt sich jedoch immer weiter ins Negative. Als Deborah stirbt, merkt Mendel, dass es sich in ihrer Partnerschaft eigentlich immer nur um ein zweckmäßiges Zusammenleben hielt, sie sich sie aber schon seit langer Zeit nicht mehr begehrten.
In dem vorliegenden Ausschnitt wird eine prägnante Situation beschrieben, die die missliche Situation darstellt, in der sich das Ehepaar Mendel befindet, diese Lage sich aber im Laufe des Romans aber nur noch immer weiter verschlechtert.
Deborah betrachtet sich im Spiegel und ist von ihrem alternden Körper frustriert. Mendel scheint ihr bei ihren Beobachtungen zuzuschauen und sie schämt sich für ihren Körper. Von diesem Moment an verändert sich das Verhältnis der beiden grundlegend. Sie schläft kaum noch mit Mendel und tauscht auch ansonsten mit ihm keine Zärtlichkeiten mehr aus.
Dabei beginnt der Ausschnitt mit einer sehr positiven Darstellung des Tagesanbruchs. Die Darstellung der Natur mit „zwitschernder Sperling“ (Buch S. 18 Z. 25), „Pfiff“ (Z. 26), „Geträumtes“ (Z. 26), „Glückliches (Z. 26), „Sonnenstrahls“ (Z. 27), beschreiben einen schönen Tag, vermutlich im Frühling, der auf den Beginn von etwas Schönem und Neuem schließen lässt. Tatsächlich sin dies nur die letzten Eindrücke der Nacht mit all den schönen Träumen, aus denen Deborah allmählich erwacht und sich nun in der Realität wiederfindet.
Noch verrinnen die Kanten der Möbel im Schatten der Nacht (vgl. Z. 29, 30), doch Deborah ist schon hellwach und hat eine uneingeschränkte Wahrnehmung auf das harte Leben des Alltags. „Ihr Auge war klar, ihr Gedanke hart, ihr Herz kühl“ (Z. 30 f.). All dies sind Sinneseindrücke, die eine Vorausdeutung auf den negativen Verlauf des Tages schließen lassen. Mendel schläft noch, doch Deborah betrachtet ihren Mann innig und erkennt einige Alterserscheinungen und Verhaltensweisen, die sie abstoßend reagieren lassen (vgl. Z. 34 f.).
Mit negativ konnotierten und zum Teil einsilbigen Begriffen wird daraufhin beschrieben, wie Deborah sich selbst im Spiegel begutachtet. „Schnell“ (Z. 34), „Spiegel“ (Z. 34), strählend“(Z. 35), „schütteren“ (Z. 35), „Scheitel“ (Z. 35), „Strähne“ (Z. 36), „Stirn“ (Z. 36), beschreiben nur die einseitige Wahrnehmung ihrer Haare, die Deborah überhaupt nicht mehr gefällt. Die Häufung an negativen Empfindungen wird hier durch die Alliteration2 mit dem Buchstaben S verstärkt, die dadurch umso einseitiger wirkt.
Anschließend begutachtet sie außerdem ihre Brüste („schlaff“ (S. 19 Z. 2f.)), ihren Leib („hohl, gewölbt“ (Z. 4)), sowie ihre Adern, („blau, verzweigt“ (Z. 4f)). Sie stellt nichts Schönes mehr an sich fest und und beschließt wieder ins Bett zu gehen. Da sie mit der Beobachtung ihres Körpers so beschäftigt ist, denkt sie nicht mehr an ihren noch schlafenden Mann, der sie jederzeit beobachten könnte. Umso beschämter ist sie, als sie ein geöffnetes Auge bei Mendel Singer erkennt. Später stellt sich zwar heraus, dass dieser weiterhin schläft, doch Deborah fürchtet nichts mehr, als dass er ihr zugeschaut haben könnte. Deborahs Wahrnehmung des geöffneten Auges wird sehr genau beschrieben, und erinnert sie an einen vereisten See mit einem schwarzen Punkt (Z. 12). Diese bildliche Wahrnehmung kann für die Beziehung des Ehepaars stehen, deren Verhältnis „vereist“ ist und nur noch im „schwarzen Punkt“ ein bisschen Hoffnung auf Besserung enthält.
Als sich das Auge wieder schließt, ist Deborah erleichtrt, da sie sich nun nicht mehr beobachtet fühlt. Sofort wird die gesamte Umgebung wieder positiv dargestellt. „fernes Trillern von Millionen Lerchen…“ (Z. 16f.) und weitere Beschreibungen der Natur ermöglichen eine harmonische Stimmung, die nur von dem Erwachen der beiden getrübt bzw. normalisiert wird. Solange Mendel und Deborah schlafen, scheint alles friedlich, doch sobald sie erwachen, schämt sich der eine vor dem anderen und besitzt „neue Sinne“ (vgl. Z. 27) die darauf Acht geben, das richtige Verhalten dem anderen gegenüber zu wahren. Deborah kann nicht mehr unbeschwert leben, sie hat ständig Angst davor, sich ihrem Mann gegenüber falsch aufzutreten. In ihrer Angst wird nun auch die Natur nicht mehr so schön wie zu Beginn des Textausschnittes beschrieben. „Die Lerchen trillerten nur noch in unerreichbarer Ferne“ (Z. 30), alles Schöne scheint unerreichbar und weit entfernt für Deborah, genauso wie ihre einstige Schönheit, die sie doch niemals zurückerlangen wird. Nur im Übergang zwischen Schlaf, Traum und Erwachen herrschen noch schöne Aspekte, diese existieren allerdings nur noch in den Wunschvorstellungen und sind aus der Realität des Lebens verschwunden. Und auch die Liebesbeziehung zwischen Mendel und Deborah wird nicht mehr so sein wie sie einst einmal gewesen ist. Als Mendel erwacht, scheint Deborah erleichtert denn nur so kann sie sich sicher sein, dass er sie zuvor nicht im Spiegel beobachtet hat, sondern noch schlief. Allerdings wundert er sich darüber, dass Deborah nicht wie sonst üblich neben ihm im Bett liegt, sondern bereits aufgestanden war (vgl. S. 20 Z. 1 f.). Diese Beschreibung bestätigt die Vermutung, dass dieser Morgen anders ist als normalerweise und nun eine Veränderung stattfindet. Von diesem Morgen an „hörte die Lust auf zwischen Mendel Singer und seiner Frau“ (Z. 7), und die Beziehung verschlechtert sich stetig, hat aber noch lange nicht ihren Tiefpunkt erreicht.
Der Autor Joseph Roth verwendet in diesem Ausschnitt eine dauernd wechselnde Erzählinstanz. Er nutzt durchgängig die Erzählform der dritten Person und beschreibt die Situation von einem distanzierten Standort aus als allwissender Erzähler, der sowohl die Innen-, als auch Außensicht der einzelnen Personen, hier vor allem von Deborah veranschaulicht. Dabei wird nur einmal die Darbietungsform der direkten Rede mit den Worten „Warum bist du nicht im Bett?“ (S. 20 Z. 1f.) verwendet.
Die wechselnde Erzählform verläuft parallel zum Wechsel der jeweiligen Stimmung. Wird Deborah bzw. ihre Gefühle beschrieben, ist die Situation negativ, die Natur jedoch wird mit positivem oder Neutralem gleichgesetzt. Der Autor verwendet an einigen Stellen Vorausdeutungen, um die Spannung auf das Eintreffen dieser Situation zu erhöhen. Bsp. S. 19 Z. 19 „Bald musste die Uhr sechs Schläge schlagen“ sowie S. 19 Z. 36 „Die Uhr schlug wie eine Erlösung“ , denn Deborah kann es kaum erwarten, dass die gedrückte Situation mit dem Erwachen ihres Mannes zu Ende geht.
In den letzten Zeilen des Ausschnitts wird eine lange Zeitspanne in nur wenigen Worten dargestellt. Deborah und Mendel halten nicht mehr viel voneinander, stattdessen gehen sie schlafen „wie zwei Menschen gleiche Geschlechts“ (S. 20 Z. 8). Der anfänglich langsame Rückgang ihrer Liebe zueinander schreitet nun immer schneller voran. Beide werden älter und somit verändern sich auch ihre Körper und Attraktivität. So scheinen sie im Laufe der Zeit über immer weniger persönlicher Beziehung zueinander zu verfügen, und leben nur noch aus pragmatischen Gründen zusammen. Deborah versorgt das Haus und die Kinder, während Mendel den Lebensunterhalt verdient. Ihre zerrissene Situation wird den beiden aber mangels Kommunikation untereinander nie bewusst. Erst viel später, als Deborah stirbt und Mendel auf die Beziehung zurückblickt erkennt er vieles, was die beiden verpasst haben.