Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das zu analysierende Gedicht „Der Unbekannte“ wurde im Jahre 1837 von Joseph von Eichendorff beschrieben.
Das Gedicht handelt von dem Besuch eines Wanderers in einem Dorf. Es wird die Wanderlust des Wanderers und sein Bezug zur Natur beschrieben, sowie die Wirkung des Wanderers auf die Bewohner des Dorfes.
Das Gedicht besteht aus sechs Strophen mit jeweils sechs Versen, also insgesamt 36 Versen. Das Reimschema ist regelmäßig, es folgen zwei Kreuzreime auf einen Paarreim, das Reimschema ist demnach ababcc, dedeff , usw.
Betrachten wir zunächst die erste Strophe genauer. Im ersten Vers wird beschrieben, dass bereits die „Abendglocken klangen“ (V. 1) es wird also deutlich, dass der Abend beginnt. Auch „[d]ie müden Vöglein gingen […] zur Ruh“ (V. 2), es singen nur „noch die Heimchen [auf den Wiesen]“ (V. 3). Mit „Heimchen“ (V. 3) sind hier Grillen gemeint, die auf den Feldern zirpen. Außerdem „rauscht’ der Wald dazu“ (V. 4). In den letzten zwei Versen der Strophe wird „ein Wandrer“ (V. 5) beschrieben, „hergezogen [aus fernen Landen]“(V. 6) der „durch die Ährenwogen“(V. 5) kommt.
In der ersten Strophe werden zunächst vier verschiedene Geräusche beschrieben, das Läuten der Abendglocken (V. 1), die müden Vögel (V. 2), das Zirpen der Grillen (V. 3) und das Rauschen der Wälder (V. 4). Die Geräusche erzeugen eine ruhige, idyllische Stimmung. Diese Idylle wird durch das Auftreten des Wanderers unterbrochen, was durch das Semikolon im vierten Vers deutlich wird. Der Wanderer wird, durch die Beschreibung „[a]us fernen Landen schien er hergezogen“ (V. 6) als fremd aber auch als weltkundig und weise charakterisiert.
Es lässt sich demnach festhalten, das im ersten Vers zunächst eine Beschreibung der Umgebung getätigt wird, welche durch ein unübliches Ereignis, dem Ankommen eines Fremden, unterbrochen wird.
In der zweiten Strophe wird beschrieben, dass der Wanderer von einem Mann „zum fröhl’chen Rasten“ (V. 8) eingeladen. Die Frau des Mannes bringt „Wein und Brot und Trauben“ (V. 8) und setzt sich dann mit ihrem Kind auf ihrem Schoß, neben den Mann. Sie beobachtet ihn scheu (vgl.).
In der dritten Strophe werden die Gedanken der Frau geschildert. Ihr kommt es so vor als wäre der Mann „schon einst im Dorf gewesen“ (V. 13). Seine Tracht, also seine Kleidung, kommt ihr jedoch „fremd und seltsam“ (V. 14) vor. Betrachtet sie den Mann genauer kommt es ihr so vor, als könne sie in seiner Miene eine „[feurige] Schrift“ (V. 15) lesen, die einem „Wetterleuchten bei stiller Nacht“ (V. 16) gleicht, also dem Schein eines weit entfernten Gewitters. Es wird zudem beschrieben, dass wenn ihr Blick den seinen trifft es ihr so vorkommt, als schaue sie in den Himmel schauen (vgl. V. 17f.) Das in der dritten Strophe beschriebene Wetterleuchten hat eine mehrschichtige Bedeutung. Zum einen wirkt das Gesicht des Mannes bedrohlich, das Wetterleuchten deutet auf ein Gewitter hin. Zum anderen wirkt die Mimik des Mannes aber auch abwesend und schwierig zu erfassen, was durch die hohe Entfernung des Wetterleuchten deutlich.
Die Beschreibung „Himmelsgrund“ zeigt, wie tief und unergründlich der Mann für die Frau scheint. Sie kann seine wahre Herkunft, die sie zu Beginn der Strophe zu ergründen versucht, immer noch nicht entschlüsseln.
In der vierten Strophe werden die Erzählungen des Fremden beschrieben. Der Mann erzählt über einen langen Zeitraum hin, der Abend schreitet fort, was durch die Beschreibung „wie sich die kühler nun die Schatten breiten“ (V. 19) verdeutlicht wird. Er erzählt vom italienischen Vulkan Vesuv, „[v]om blauen Meer“ (V. 21), von „[k]ristallnen Inseln“ und von „Glocken, die im Meeresgrunde schlagen“ (V. 23).
In der darauffolgenden Strophe tritt der Wirt des fremden Mannes in den Vordergrund. Er fragt den Mann, ob er denn „ewig wandern“ (V. 25) wolle und schlägt ihm vor hier zu bleiben und „[a]m eignen Herd dein kleines Gärtchen [zu] baun“ (V. 27), eine der „Nachbars Töchter“ (V. 28) zu heiraten, „nicht allein zu ruhen“ (V. 28).
Nun folgt die letzte Strophe, in welcher die Reaktion des Fremden auf das, in der vorherigen Strophe, Gesagte des Mannes geschildert wird. Der Wanderer steht auf, der Abend ist schon sehr fortgeschritten und verabschiedet sich mit den Worten „‚Gesegn euch Gott! Mein Heimatland liegt ferne. -‘“ (V. 33). Als er sich von der Frau und dem Mann gewandt hat „[k]am himmlisch Klingen von der Waldeswiese“ (V. 35). Die Nacht wird zudem als besonders sternklar beschrieben. Es lässt sich also sagen, dass die Eheleute die Begegnung mit dem Wanderer als göttliche Erfahrung empfinden, die von der Natur untermalt wird.
Bei eingehendem Lesen des Gedicht wird schnell eine Parallele zur biblischen Erzählung der Emmaus-Jünger deutlich. In dieser Erzählung begegnen zwei Jünger dem kürzlich gekreuzigten Jesus auf ihrem Weg nach Emmaus. Sie erkennen Jesus nicht und halten ihn für einen unbekannten Wanderer. Hier findet sich die erste Parallele zum Gedicht. Dort laden sie ihn ein, die Nacht bei ihnen zu verbringen. Als dieser beim Abendmahl das Brot mit ihnen bricht, erkennen sie in ihm den verstorbenen Jesus, welcher daraufhin sofort verschwindet.
Auch in Eichendorffs Gedicht „der Unbekannte“ fragt sich die Frau wer dieser Unbekannte ist, „ihr [ist so als] wär [er] schon einst im Dorf gewesen“ (V. 13). Trotzdem erkennt sie die Person nicht und seine Erscheinung kann sie, wie zuvor beschrieben, nicht entschlüsseln. Als der Mann der Familie dem Wanderer den Vorschlag unterbreitet, er solle sich doch im Dorfe niederlassen, steht dieser auf, spricht ein Segenswort (vgl. V. 33) und verschwindet. Auch hier lässt sich eine parallele zu den Emmaus-Jüngern erkennen.
Das Motiv der göttlichen Erfahrung findet sich auch schon bei den Beobachtungen der Frau, sie lässt sich aber auch aus den Geschichten herauslesen, von welchen „der schöne Gast zu sagen“ (V. 24) wusste.
Die Frau beschreibt den Mann auf verschiedene Weise. Zum einen sei in „seinen Mienen feurige Schrift zu lesen“ (V. 15) die einem Wetterleuchten, einem entfernten Gewitter gleicht. Sein Blick wird mit dem Himmelsgrund, also sozusagen mit dem Ende des Himmels verglichen. Beide Eigenschaften sind nicht menschlicher Natur, das Wetterleuchten ist ein bedrohlich wirkendes, weit entferntes, aber trotzdem natürliches Vorkommen. Der Himmelsgrund zeigt zum einen die Übermenschlichkeit und auch die Unergründlichkeit des Mannes.
Die Beschreibungen sind zunächst noch realistisch, so berichtet er zunächst vom Vesuv und von einem „blauen Meer, wo Schwäne singend gleiten“ (V. 21). Beim Fortschreiten der Erzählungen werden diese immer unrealistischer. Nun berichtet er von „[k]ristallnen Inseln“ (V. 22) die aus diesem Meer auftauchen (vgl. ebd.) und von „Glocken, die im Meeresgrund[…] schlagen“ (V. 23), ein Vorgang, der auf die Familie, die den Mann im Gedicht beherbergt, als auch auf den Leser sicherlich unglaublich wirkt.
Es lässt sich jedoch festhalten, dass das Gedicht nicht unbedingt eine übermenschliche Erfahrung darstellen möchte, sondern die Wirkung von Wanderern auf die niedergelassene Bevölkerung verdeutlicht. Ihre Geschichten und ihre Unergründlichkeit hat eine mystische, übermenschliche Wirkung.
Das Gedicht lässt sich der Epoche der Romantik zuordnen. Dies liegt vor allem an Entstehungszeit und Autor, aber auch an der Verwendung typisch romantischer Motive, wie zum Beispiel die Hinwendung zur Natur oder das Motiv des Wanderns.