Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Die Liebe muss zu den mächtigsten und stärksten Gefühlen zählen, die ein Mensch empfinden kann. Sie vermag es, uns vollkommen einzunehmen und alles andere bedeutungslos erscheinen zu lassen. Jeder, der schon einmal eine Liebesbeziehung eingegangen ist, weiß wohl, wie sehr man sich an den Partner bindet und wie schön das Gefühl der berühmten Schmetterlinge im Bauch sein kann. Umso schmerzhafter ist es jedoch, wenn die Liebe zerbricht oder man sich für eine gewisse Zeit vom Partner trennen muss. Oft bleiben in einer solchen Situation nicht mehr als Trauer und Einsamkeit zurück.
Sophie Mereau thematisierte 1803 in ihrem Liebesgedicht „In Tränen geh ich nun allein“ die Sehnsucht und die Trauer des lyrischen Ichs, welches sich von seinem Geliebten verabschieden musste. Durch das Gedicht ziehen sich zahlreiche Motive aus der Natur. Vor allem der „Bach“ (Vers 3) spielt eine zentrale Rolle. Aus diesem Grund lässt sich das Werk nicht nur der Liebes- und Gefühlslyrik, sondern auch der Naturlyrik zuordnen. Bereits der Titel lässt erahnen, worum es in der Dichtung geht. Das Substantiv „Tränen“ erzeugt eine traurige und betrübte Grundstimmung, während das Adjektiv „allein“ auf Einsamkeit und einen Abschied hindeutet. Nach dem ersten Lesen wird deutlich, dass die Sehnsucht nach einer geliebten Person im Mittelpunkt steht.
Das lyrische ich tritt in diesem Gedicht bereits im ersten Vers direkt in Erscheinung und stellt den Protagonisten dar. Ob es sich bei dem lyrischen Sprecher um eine weibliche oder männliche Person handelt, lässt sich nur mutmaßen, jedoch nicht einwandfrei bestimmen. Es wird sich vermehrt an das lyrische Du gewandt, welches vermutlich den Geliebten des lyrischen Ichs verkörpert. Durch die sehr persönlich-subjektive Perspektive, aus der das Gedicht geschrieben ist, ist es dem Leser möglich, in die Gefühlswelt des lyrischen Sprechers einzutauchen und mit ihm mitzufühlen. Dementsprechend gestaltet sich die Wortwahl des Werkes sehr emotionsbetont. Die Sprache ist leicht zu verstehen, wirkt aber dennoch durch zahlreiche beschreibende Adjektive wie beispielsweise „klar“ (Vers 13), „frisch und hell“ (Vers 18) oder „wundervoll“ (Vers 19) sehr kunstvoll und romantisch.
Formal gesehen gliedert sich das Gedicht in sechs Strophen zu je vier Versen und weist ein regelmäßiges Kreuzreimschema auf. Auch das Metrum1 ist beständig. Es findet ein konstanter Wechsel von drei- und vierhebigem Jambus statt. Diese Art des Metrums besitzt einen fortschreitenden Charakter und könnte symbolisieren, dass sich das lyrische Ich von der Trauer lösen möchte, um optimistisch in die Zukunft schauen zu können. Trotzdem nimmt das jambische Metrum dem Gedicht nicht den relativ ruhigen Charakter.
In der ersten Strophe beschreibt das lyrische Ich, wie es an einem Bach steht und voller Trauer hineinblickt. Der erste Vers ist identisch zum Titel es Gedichtes und weist eine Apokope am Ende des Verbes „geh“ (Vers 1) auf. Dadurch wird an dieser Stelle ein unnötiger Bruch im Metrum vermieden. Die Ergänzung „Du kennst ihn wohl“ in Vers zwei deutet darauf hin, dass der Ort am Bach sowohl dem Sprecher, als auch dem lyrischen Du bekannt ist. Vermutlich handelt es sich um einen früheren Treffpunkt des Liebespärchens. Es ist davon auszugehen, dass der beschriebene Ort für das lyrische Ich eine besondere Bedeutung hat und es Erinnerung mit diesem verknüpft. Deutlich wird das in Vers vier, da das lyrische Ich hier nach Trost im Bach sucht.
In der zweiten Strophe wird der Abschied des Geliebten bedauert. Der sechste Vers lässt dabei darauf schließen, dass sich der Geliebte in weiter „[F]ern[e]“ (Vers 6) befindet. Der vorangegangene Vers betont durch den Neologismus2 „Liebesangesicht“ (Vers 5), dass es wohl kein dauerhaftes Liebesaus des Paares gab, sonders sich das lyrische Ich immer noch im romantischen Sinne zu seinem Partner hingezogen fühlt. Die Substantive „Tageslicht“ (Vers 7) und „Abendstern“ (Vers 8) stehen sich antithetisch gegenüber und verdeutlichen abermals, wie sehr sich der Protagonist nach einem Wiedersehen sehnt.
Die folgende Strophe beschreibt, dass der lyrische Sprecher selbst in seinen „Träumen“ (Vers 11) noch an den Geliebten denken muss. Es wird eine besonders innige Beziehung zwischen den Figuren deutlich. In den Versen neun und zehn „schließt [das lyrische Ich] die Augen“ (Vers 9), da es den Partner „nicht mehr“ (Vers 10) sehen kann und so keinen Sinn mehr im Offenhalten der Augen sieht. Das heißt also, dass im Leben lyrische Ichs der Liebespartner eine entscheidend große Rolle spielt. Das verwendete Substantiv „Herz“ (Vers 12) ist zudem ein ganz deutliches Symbol für die Liebe.
Die Strophen vier und fünf sind zusammenhängend zu betrachten, da sie durch die wiederholte Verwendung der Worte „Welle“ (Vers 13, 15, 17) und „klar“ (Vers 13, 20) sehr eng miteinander verknüpft sind. Die „Welle“ (Vers 13, 15, 17) greift das Motiv des Baches wieder auf und sorgt zudem für Dynamik im Gedicht. Das lyrische Ich beschreibt auch den „grünen“ (Vers 14) Grund des Gewässers. Die Farbe Grün spielt in allen drei letzten Strophen des Gedichtes eine tragende Rolle und symbolisiert die Hoffnung auf ein Wiedersehen beziehungsweise das Abklingen der Trauer. Mit der Interjektion3 „O!“ (Vers 15), welche die Verzweiflung des lyrischen Ichs ausdrückt, wird gleichzeitig die Welle personifiziert. In Vers 16 wird deutlich, dass sich der Protagonist krank vor Trauer fühlt und nur durch den Geliebten „geheilt“ werden kann.
In Strophe fünf verschwindet die Welle, welche zuvor noch die Trauer beseitigen sollte. Es ist nun erneut die Rede von „grün[en] […] Pflanzen[…]“ (Vers 19). An dieser Stelle ändert sich die Stimmung des lyrischen Ichs. Im Vordergrund stehen nun nicht mehr Trauer, Verzweiflung und Trennungsschmerz, sondern neu geschöpfte Hoffnung, die erneut durch die Farbe Grün symbolisiert wird (vgl. Vers 19).
Auch in der letzten Strophe wird deutlich, dass sich die Grundstimmung im Vergleich zum restlichen Gedicht in eine positiv-optimistische Richtung gewendet hat. Dieser neue Charakter tritt besonders durch die Adjektive „frisch[]“ (Vers 21) und „hell“ (Vers 22) in Erscheinung. Das lyrische Ich erkennt, dass die ewige Trauer nicht zielführend ist und findet Trost in Gedanken an den Liebespartner. In der letzten Strophe findet sich zudem der einzige unreine Reim im gesamten Gedicht („Wasserreich“ (Vers 21) – „Zweig“ (Vers 23)). Es ist also auch hier eine Art Bruch beziehungsweise Neuanfang erkennbar, welcher mit der Abkehr von der Trauer einhergeht.
Den letzten beiden Versen des Werkes wird eine besondere Bedeutung zuteil. Da sie in Anführungszeichen gesetzt wurden, lässt sich vermuten, dass sie von einer anderen Person gesprochen wurden. Oder aber es wird hier lediglich verdeutlicht, welcher Gedanke dem lyrischen Ich letztlich zum Finden von „Trost“ (Vers 22) verholfen hat. Die abschließenden Verse könnten darauf hindeuten, dass nicht nur das lyrische Ich unter dem Abschied leidet, sondern auch das lyrische Du mit der Trennung zu kämpfen hat und nun beide neue „Hoffnung“ (Vers 23) schöpfen können. Das Substantiv „Tränen“ (Vers 1, 24), welches bereits im Titel sowie im ersten Vers verwendet wurde, findet sich nun als vorletztes Wort des Gedichtes und verleiht diesem eine in sich vollkommene und abgeschlossene Wirkung.
Sophie Mereau war eine Dichterin der Romantik. Ihr Gedicht weist zahlreiche sehr epochentypische Merkmale auf. So ist beispielsweise die Sehnsucht als zentrales Motiv in vielen romantischen Gedichten, die in der Regel zwischen 1795 und 1840 verfasst wurden, zu finden. Zudem verknüpft Mereau in ihrem Werk die Gefühlswelt einer Person mit Elementen der Natur. In der Epoche der Romantik war eine solche Verknüpfung von Mensch und Umwelt nicht unüblich, da das menschliche Wesen als Individuum, welches selbst Teil der Natur ist, betrachtet wurde. Das Bild des fließenden Wassers, welches hier durch den „Bach“ (Vers 3) beziehungsweise die „Quelle“ (Vers 2, 20) dargestellt wird, lässt sich auch in anderen Werken der Epoche wie beispielsweise in Eichendorffs „Frische Fahrt“ finden. Das Gedicht „In Tränen geh ich nun allein“ lässt sich also eindeutig als typisch romantisches Gedicht bezeichnen.
Insgesamt ist es der Autorin auf sehr kunstvolle Art und Weise gelungen, ein Liebesgedicht zu verfassen, welches die Gefühle des lyrischen Ichs sehr deutlich zum Ausdruck bringt. Die Beschreibung der Natur erzeugt zudem ein recht lebhaftes Bild, welches wohl noch einige Zeit in den Köpfen der Leser verweilen wird. Die zu Beginn gestellte Deutungshypothese lässt sich im Grunde bestätigen. Es geht in Mereaus Gedicht tatsächlich um den zeitweisen Abschied eines Liebespartners. Es sollte noch ergänzt werden, dass es dem Liebespaar am Ende gelingt, aus der Trauer neue Hoffnung zu schöpfen und optimistisch in die Zukunft zu blicken.