Gliederung:
- A. Historischer Hintergrund
- B. Analyse des Gedichts „Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen“ von Max Herrmann-Neiße
- I. Form
- 1. 4 Strophen zu je 4 Versen
- 2. regelmäßiger Kreuzreim
- 3. äquivalenter Kadenzenwechsel
- 4. regelmäßiger, fünfhebiger Jambus
- 5. wenige Enjambements2
- 6. Sehnsucht und Melancholie als Wirkung
- 7. epochentypisches Gedicht
- II. Inhalt
- 1. Beschreibung der Vergangenheit und ihrer Auswirkungen (V. 1 - 6)
- 2. Treue des lyrischen Ichs und sein Umgang damit (V. 7 - 12)
- 3. Situation in der Fremde (V. 13 - 16)
- III. Sprachliche Gestaltung
- 1. Metapher3, Alliteration4, Personifikation5, Verwendung melancholischer Vokale, kurzer einfacher Satzbau, Wortfeld in Bezug auf Sehnsucht zur Schaffung einer sehnsüchtigen, melancholischen und eher trauerbehafteter Atmosphäre
- 2. Romantische, heimatverbundene Wortfelder, Alliteration, Zeilenstil6, Personifikation, Inversion7, Präteritum, Parallelismus, Wiederholung, Metapher als Ausdruck der Verbundenheit zur Heimat, des Einsamseins in der Ferne und der Sehnsucht und der Klage des lyrischen Ichs
- 3. Verwendung vieler Sinneseindrücke, Kontraste, Alliteration, Personifikation als Verstärkung der Emotionalität und des Ausdrucks
- 4. Tempuswechsel, Vergleich, Antithetik, Personifikation, Metapher als Ausdruck der Veränderung der Heimat, des Lebens und deshalb auch des Gedichts
- IV. Interpretation
- 1. Ambivalentes Bild von Heimat
- a. Schönheit der Heimat gegenüber der Veränderung
- b. Räumliche und zeitliche Ambivalenz
- c. Heimat als Leben, aber auch als Untergang
- 2. Vergleich zu dem Gedicht „In der Fremde“ von Clemens Brentano in Bezug auf die Gestaltung des „Heimat“-Motivs
- a. Gemeinsamkeiten
- i. positive Konnotation8 von Heimat
- ii. Allgegenwärtigkeit von Heimat
- iii. Personifikation von Heimat und hohe Emotionalität auch in der Sprache
- b. Unterschiede
- i. keine Veränderung der Heimat
- ii. Natur als Heimat-Motiv der Romantik
- iii. kein Bezug auf Kunst
- C. Nutzen der Lyrik
Inhaltsangabe, Gedicht-Analyse und Interpretation
Weltkrieg, Wirtschaftskrise, Weimarer Republik und ihr Scheitern – nicht unbedingt vielversprechend begann die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts, die mit so viel Unheil, Schrecken und Gewalt verbunden wird. Die NS-Zeit und der dadurch verursachte 2. Weltkrieg – weitere Perioden deutscher Geschichte – zeigen nur zu deutlich, wie sehr das letzte Jahrhundert Menschen durch Schicksalsschläge geprägt hat. Aber auch der deutsche Kulturbetrieb erfuhr einen Einschnitt durch die Emigration zahlreicher unerwünschter oder regimekritischer Künstler. So wurde das Land der Dichter und Denker zum Land der Richter und Henker. Doch wie umgehen mit der Situation, den Geschehnissen und der ständigen Sehnsucht nach der Heimat? Gemäß der Doktrin des modernen Künstlers Joseph Beuys „Kunst ist Leben“ wandten sich zahlreiche deutsche Literaten im Exil der Kunst und auch der Lyrik zu. So auch der deutsche Schriftsteller Max-Herrmann Neiße, der wegen seiner jüdischen Abstammung vor den Nationalsozialisten aus Deutschland fliehen musste, in seinem 1940 erschienenen Gedicht „Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen“, in dem er – wie es für die Exilliteratur üblich war – seine Verbindung und Verbundenheit zur Heimat, seine Situation im Exil und die Veränderungen in seinem Leben ausdrückt.
Formal gesehen, ist das Gedicht in vier Strophen zu je vier Versen eingeteilt, deren Silbenzahl nur geringfügig variiert. Des Weiteren wird ein sehr regelmäßiger Kreuzreim mit dem Schema abab verwendet. Äquivalent1 dazu wechseln sich die Kadenzen2 ab, wobei das a im Reimschema der weiblichen Kadenz entspricht. Zusätzlich findet man einen wiederum sehr regelmäßigen, fünfhebigen Jambus vor und eine eher geringe Anzahl an Enjambements3, die sinnverwandte Verse verknüpfen. Somit könnte man auch von Zeilenstil4 sprechen. Diese regelmäßige, fast schon monotone Struktur führt schlussendlich dazu, dass eine gewisse Melancholie und Sehnsucht als Wirkung erzeugt wird. Der Leser des Gedichts fühlt sich also betroffen und wird emotional in das Gedicht miteinbezogen. Dieses Schema oder dieser Aufbau ist ziemlich epochentypisch, da wegen der Liebe zur Heimat, der Einsamkeit im Exil und den Veränderungen in der Welt sich viele Autoren der Natur- bzw. Liebeslyrik zuwandten, in denen sie sehnsüchtig und melancholisch ihre Verbundenheit zur Heimat ausdrücken. Doch nicht nur formal, sondern auch inhaltlich erkennt man zahlreiche Aspekte der Exilliteratur.
So ist signifikant, dass in dem vorliegenden Gedicht das lyrische Ich sehr zentral zum Vorschein kommt. Denn der lyrische Text beginnt schon mit der Beschreibung der Vergangenheit sowohl des lyrischen Subjekts als auch der Heimat, wie auch der Auswirkungen der Veränderungen (V. 1 – 6). So stellt das lyrische Ich dar, wie es einst zu dem deutschen Dichtertum gehörte und Heimat zentral für sich selbst, aber auch für seine Lyrik war. Darüber hinaus wird festgestellt, dass die Geschichte und die Veränderungen des Vaterlands in sehr starker Kohärenz mit dem Leben und Werk des einst deutschen Dichters waren, das je nach Lage und Situation der Heimat beeinflusst wurde. Doch diese Verbundenheit hat sich geändert, da die Heimat nicht mehr treu zum lyrischen Ich stand und sich mehr und mehr von seinen Vorstellungen gelöst hat, sodass nun sogenannte böse Triebe das einst geliebte Land beherrschen. Im darauffolgenden Sinnabschnitt (V. 7 - 12) beschreibt das lyrische Ich, dass es trotz dieser Veränderungen die Heimat verehrt und zu ihr hält, auch wenn sich das lyrische Subjekt wegen seiner Abwesenheit nur noch seinen Vorstellungen hingibt, wie sein Herkunftsland auszusehen vermag, was sich vor allem aus seinen Erfahrungen und Erinnerungen speist. So stellt sich das lyrische Ich in der Fremde mit Wehmut und Sehnsucht die einstige Heimat vor und erinnert sich an alle glücklichen Momente und Aspekte dort wie die Gebäude in der Abendsonne und den Flug der Schwalben. In der vierten und damit letzten Strophe (V. 13 - 16) wechselt aber die Situation und das lyrische Ich beginnt über seinen derzeitigen Aufenthaltsort in der Fremde zu sprechen. So werden die Einsamkeit und die fremde Sprache thematisiert, durch die niemand die Werke des lyrischen Subjekts verstehen kann. Zum Schluss wird wieder die Vergangenheit als deutscher Dichter aufgegriffen, aber diesmal zur jetzigen Situation kontrastiert, die das Leben aber auch die lyrischen Werke des Sprechers im Gedicht zu einem als Spuk beschriebenen Zustand geführt hat. Es wird also deutlich, dass in dem gesamten lyrischen Werk das lyrische Ich die zentrale Rolle darstellt, was sich aber auch in der sprachlichen Gestaltung fortführen lässt.
So ist auffällig, dass sich viele Alliterationen5 wie „Seele Sprache spricht“ (V. 14) und Metaphern6 wie „Traumbild“ (V. 7) vorfinden. Dies erzeugt eine sehnsüchtige, aber auch melancholische wie auch trauerbehaftete Atmosphäre. Dies wird zusätzlich verstärkt durch Personifikationen7 wie „Heimat klang in meiner Melodie“ (V. 2), die in Verbindung mit dem Tempus Präteritum sehr wehleidig klingt. Darüber hinaus werden oft Worte benutzt, die symbolisch für die Sehnsucht stehen. Beispiele sind „Ferne“ (V. 9), „treu“ (V. 8) oder „gedenkend“ (V. 10). Melancholische Vokale wie „e“, „o“ oder „a“ sind weitere Belege dafür, dass die beschriebene Wirkung erzeugt wird. Denn diese Vokale lassen sich in zahlreichen Begriffen finden wie beispielsweise „Traumbild“ (V. 7) oder „welkte“ (V. 4). Abgerundet wird dieser Effekt durch den sich über das komplette Gedicht ziehenden einfachen Satzbau (vgl. V. 13ff.), der einerseits das lyrische Werk zugänglicher für den Rezipienten macht, aber auch Kargheit, Trauer und auch Wehmut erzeugt. Doch – wie schon erwähnt – wird das lyrische Ich und seine Zustände durch zahlreiche rhetorische Mittel beschrieben. So ist festzustellen, dass überwiegend heimatverbundene und romantische Wortfelder benutzt werden. Beispiele sind „Abendgiebel“ (V. 11) oder die ständige Wiederholung des Wortes „Heimat“ (V. 2). Dies drückt deutlich die Verbundenheit des lyrischen Ichs zur Heimat aus und seine dauerhafte Erinnerung daran. Diese Liebe wird zusätzlich verstärkt durch die Personifikation „Heimat hat mir Treue nicht gehalten“ (V. 5), wobei die Heimat als eine Art Mensch gesehen wird und somit zeigt, dass das lyrische Ich immer noch sehr verbunden mit jener ist. Doch auch das Einsamsein des lyrischen Ichs wird betont durch Alliterationen wie „fremde Ferne“ (V. 9) oder der Metapher „Spuk“ (V. 16), die zeigt, wie sehr das lyrische Ich unter seinem neuen Leben im Exil leidet. Des Weiteren finden sich auch Parallelismen wie „mit ihr welkte und mit ihr gedieh“ (V. 4), die wiederum die Verbundenheit zum Herkunftsland des lyrischen Ichs ausdrücken. Schlussendlich verstärken der allgemeine Zeilenstil und die Verwendung des Präteritums die Klage und die Sehnsucht, da sich das lyrische Subjekt die Vergangenheit vorstellt und sie hochleben lässt, gleichzeitig aber auch durch den Zeilenstil die resignierende und wehmütige Einstellung auf die jetzige Situation ausdrückt. Des Weiteren wird die Emotionalität des Gedichts, aber auch des lyrischen Ichs ausgedrückt. So verstärkt die Personifikation „Heimat klang in meiner Melodie“ (V. 2), wie emotional das lyrische Subjekt seine Heimat sieht. Doch auch durch die Verwendung vieler Sinneseindrücke wie „klang“ (V. 2) oder „Melodie“ (V. 2), die das Ohr als Sinnesorgan anspricht, wird der Ausdruck des Gedichts gesteigert und der Leser wird eher in das Geschehen des lyrischen Texts „hineingezogen“. Dazu kommen Alliterationen wie „Seele Sprache spricht“ (V. 14), die wiederum Emotionen ausdrücken durch die Verwendung des Bezugs zur Seele. Auch Kontraste wie in Vers 4 und 5 verstärken diesen Effekt, da schlagartig von der Beschreibung der schönen Vergangenheit der Heimat zur jetzigen befremdlichen Situation gewechselt wird. Dies beeinflusst den Leser selbst, drückt aber auch die emotionale Verfassung des lyrischen Ichs aus, das zwischen der Vergangenheit und Gegenwart schwankt. Doch vor allem herausstechend ist der Tempuswechsel von Präteritum zu Präsens hin. So „klang“ die Heimat in der „Melodie“ (V. 2) des lyrischen Ichs, aber in der Gegenwart „kann [das lyrische Ich] nur [sein] Traumbild noch gestalten“ (V. 7). Diese Antithetik setzt sich im gesamten Gedicht fest und verstärkt die Diskrepanz8 zwischen der Heimat der Gegenwart und Vergangenheit. Doch nicht nur der Herkunftsort ändert sich, auch das Leben und Werk des lyrischen Ichs. Dies wird impliziert durch die Verwendung der Metapher „Spuk“ (V. 16), mit der das neue Leben beschrieben wird, aber in starkem Kontrast steht zu der stolz anmutenden Alliteration „deutsche Dichter“ (V. 1). Auch die Personifikation „Heimat klang in meiner Melodie“ (V. 2) steht im Gegensatz zu dem Vergleich „wie mein Gedicht“ (V. 16), wodurch nochmals die Veränderung des lyrischen Schaffens, aber auch des Gedichts selbst ausgedrückt wird. Mit all diesen Veränderungen sind natürlich auch die Trauer, Klage und Sehnsucht nach der Heimat verbunden, die nun anschließend näher betrachtet wird.
So ist im Gedicht eine Ambivalenz der Heimat festzustellen. Denn einerseits stellt die Heimat einen Sehnsuchtsort dar, der mit vielen Erinnerungen und „Glück“ (V. 12) verbunden wird. Die Heimat stellt für das lyrische Ich ein zentrales Thema dar, von dem nur durch Veränderungen abgewichen wird. Somit wird die andere Seite der Heimat deutlich, die nun „den bösen Trieben“ (V. 6) unterlegen ist. Die Schönheit der ursprünglichen Heimat tritt also in starke Konkurrenz zur jetzigen Situation. Doch auch diese Ambivalenz zeigt sich in räumlicher und zeitlicher Ausgestaltung. So wirkt die Heimat für das lyrische Ich „nah“ (V. 10), aber zugleich „[i]n fremder Ferne“ (V. 9). Zeitlich spiegelt sich diese Ambivalenz in dem Tempuswechsel wider, der ausdrückt, dass ein starker Zwiespalt zwischen der Vergangenheit und Gegenwart vorherrscht und somit auch zwischen der ehemaligen Schönheit, die sich das lyrische Ich im „Traumbild“ (V. 7) immer wieder vorstellt und der tristen Realität beherrscht von „den bösen Trieben“ (V. 6). Aber auch in der Verbundenheit zur Heimat zeigt sich die Ambivalenz, da Heimat einerseits „Leben“ (V. 3), andererseits „Spuk“ (V. 16) bereitet. Somit ist die Einstellung zur Heimat auch ambivalent und auch ihre Auswirkungen. Doch erst im Vergleich zu anderen Gedichten zeigt sich die unterschiedliche Auffassung zum Thema „Heimat“.
Als Vergleichsobjekt eignet sich dabei sehr gut das Gedicht „In der Fremde“ von Clemens Brentano. Dieser lyrische Text aus der Epoche der Romantik behandelt auch das Motiv der Heimat, aber wie üblich romantisiert. Gemeinsam ist beiden Gedichten aber die positive Konnotation9 der Heimat. Bei Neiße, dessen Gedicht aus der Exilliteratur stammt, wird zwar nur teilweise die Heimat positiv gesehen, da diese von „bösen Trieben“ (V. 6) befangen ist, aber das lyrische Ich hat trotzdem eine optimistische Einstellung und Sehnsucht nach der Heimat. Bei Brentano erkannt man die positive Sichtweise auf die Heimat durch die romantische Atmosphäre, die durch zahlreiche Naturwortfelder, aber auch die klassische, beruhigende Form geschaffen wird. Diese Sehnsucht durch das lyrische Subjekt und die Ruhe und Beruhigung, die Heimat ausstrahlt, finden sich auch in beiden Texten. So erinnert sich das lyrische Ich bei Neiße immer wieder an das „Glück“ (V. 12) und die romantische, beruhigende Atmosphäre in dem Herkunftsort, wobei bei Brentano das lyrische Ich „die Heimat suchen“ (V. 7) muss und, sobald gefunden, „Schlaf und Traum und Friede“ (V. 11) erfährt. Bei beiden Gedichten findet sich diese Parallele, sowie die starke Bindung des lyrischen Ichs zu Heimat. Auch ist diese bei beiden Gedichten allgegenwärtig, bei Neiße durch ständige Erinnerungen, bei Brentano durch die komplette Übereinstimmung der Heimat mit dem lyrischen Ich selbst, da „[h]ier wie dort“ (V.15) die Heimat vorhanden ist. Auch sprachlich stellt man fest, dass beide Gedichte Heimat personalisieren und so den Wert der Herkunft steigern. Jedoch finden sich auch zahlreiche Unterschiede. Der bedeutendste ist, dass bei Neiße Heimat Veränderungen erfährt und von „bösen Trieben“ (V. 6) bestimmt ist. Das positive Bild von der Heimat ist also ein „Traumbild“ (V. 7) und existiert nur durch die Gedanken und ehemalige Erfahrungen des lyrischen Ichs. Bei Brentano dagegen ist die Heimat real und es ist keine Veränderung vorzufinden. Denn die Heimat und sinnbildlich der Ruheort des lyrischen Ichs ist – wie üblich für die Romantik – die Natur selbst. Der Wald, der „Berg“ (V. 2) oder der „wilde Wasserfall“ (V. 6) – unberührte Natur – verdeutlichen, dass Romantiker wie Brentano Flucht vor Realität in die Natur betrieben und romantisiert haben. Deshalb ist dort, wo „lieb Frau Nachtigall“ (V. 7), eine Metapher für Schönheit und Ästhetik, singt, die Heimat der Romantiker – nämlich in völligem Einklang mit der Natur. Zusätzlich wird in Brentanos Gedicht ein Suchprozess beschrieben, wohingegen bei Neiße die Heimat schon gefunden, aber trotzdem unerreichbar ist. Dieser Zugang zur Heimat ist also auch unterschiedlich in beiden lyrischen Texten dargestellt. Des Weiteren finden sich bei Neiße deutlich Bezüge zur Kunst, und zwar zum „Gedicht“ (V. 16). Die Heimat beeinflusst das Schaffen, das Leben und alle Entwicklungen. Eine deutliche Abhängigkeit des lyrischen Ichs zur Heimat ist feststellbar, wohingegen bei Brentano zwar schon Verbundenheit thematisiert wird, aber das lyrische Ich geht auf die Heimat zu und sucht sie und nicht andersherum. In der Sprache zeigt sich deutlich, dass – wie in der Romantik üblich – Naturbegriffe verwendet werden, was im Kontrast zu Neiße steht, der solche Begrifflichkeiten eher weniger benutzt. Dadurch zeigt sich auch, dass bei Neiße ein realer Ort oder eine Nation als Heimat bezeichnet wird, bei Brentano die Natur als ungriffige und „schwammige“ Definition von Heimat aber kein klar umrissenes Gebiet festlegt. Was beide Gedichte verbindet, ist aber die starke Emotionalität in der Sprache. Viele Metaphern, Sinne und die ästhetisch ähnliche Form werden bei beiden Gedichten aufgegriffen. So wird bei Neiße die „Seele“ (V. 14) angesprochen, bei Brentano das „Herz“ (V. 15) und Emotionen, die Sehnsucht und die Ergriffenheit des lyrischen Ichs beispielsweise durch den weitgehenden Zeilenstil ausgedrückt. Somit ist Heimat als Motiv bei zahlreichen Gedichten vorzufinden, aber – wie analysiert – mit vielen Unterschieden.
Es wird also deutlich, dass in Gedichten – wie auch in den vorliegenden – Erfahrungen, Sehnsüchte und Geschehnisse verarbeitet oder ausgedrückt werden. Und das in einer Literaturgattung, die oft als zu unsachlich, zu verweichlicht und als schwer zugänglich abgestempelt wird. Dabei bietet die Lyrik enormes Potenzial, auch wenn sie in der modernen Welt immer mehr durch neuartige Medien verdrängt wird. So bietet sie eine Plattform, mit der in kurzen Worten und mit einer Ästhetik, die den Leser anspricht und bewegt, essenzielle Erfahrungen ausgedrückt werden können, die oft als unbeschreiblich und schwer vorstellbar gelten. Damit eröffnet die Lyrik zahlreiche Möglichkeiten und kann auch helfen, besser mit dem Leben umzugehen. Denn wie schon der deutsche Dichter Rainer Maria Rilke sagte: „Edle Lyrik ist das beste Heilmittel gegen die nüchterne Unrast jeder Zeit.“