Inhaltsangabe/Zusammenfassung
Was nützen Wächter und Gesetze, wenn ein Kommissar keine Beweise liefern kann, sich stattdessen aber selbst zum Richter aufschwingt? Und wie gefährlich ist sein Gegenspieler, der wohlhabende Gastmann, von dem Dürrenmatt schreibt: „Ein Hohlkopf an der Spitze einer Großmacht, [...], ein Gastmann und schon sind unsere Ketten durchbrochen, die Vorposten umgangen“?
Friedrich Dürrenmatt veröffentlichte seinen Kriminalroman „Der Richter und sein Henker“ zwischen 1950 und 1951 als 29-jähriger Jungautor als Fortsetzungsgeschichte in acht Folgen im „Schweizerischen Beobachter“.
Die Figur des Kommissars Bärlach, der den Feind und Mörder in den Reihen der eigenen Polizeibehörde ausmacht und ihn zum Henker zu instrumentalisieren weiß, begleitete Dürrenmatt auch später noch. Mit „Der Verdacht“ (1951) und „Das Versprechen“ (1957) gelang es Dürrenmatt, die populäre Kriminalgeschichte zu einer literarischen Kunstform von Klassiker-Format zu erheben.
Kapitelübersicht
Kapitel 1
Ein Schweizer Dorfpolizist entdeckt am Straßenrand einen blauen Mercedes. Er meint, der Fahrer sei im Alkoholrausch eingeschlafen. Dann bemerkt er, dass der Mann tot ist und offensichtlich erschossen wurde. Anhand seiner Papiere identifiziert er ihn als Ulrich Schmied, Polizeileutnant aus Bern. In Bern wird der Fall Schmieds Vorgesetzten, Kommissar Bärlach, übergeben. Bärlach ordnet an, die Angelegenheit geheim zu halten. Sofort nimmt er Ermittlungen auf und führt dazu ein Gespräch mit den Vermietern des Toten. Er gibt vor, Schmied sei ins Ausland gereist, untersucht das Zimmer des Toten und nimmt von dort eine Mappe mit.
Kapitel 2
Bärlach wirft einen Blick in die Unterlagen, die er aus Schmieds Wohnung mitgenommen hat. Dann erstattet er seinem Vorgesetzten, dem Untersuchungsrichter Dr. Lucius Lutz Bericht. Dort äußert er, er habe bereits einen Verdacht, wer der Mörder gewesen sein könnte, will sich aber nicht näher dazu äußern. Er erbittet sich den Kriminalbeamten Tschanz als Assistenten zur Unterstützung bei den Ermittlungen.
Dann besucht Bärlach den Fundort der Leiche. Dort berichtet man ihn, in Twann seien in der Nacht keine Schüsse, sondern nur das Geräusch des laufenden Motors zu hören gewesen. Bärlach findet eine Revolverkugel.
Kapitel 3
Tschanz betritt Bärlachs Büro. Der Kommissar fragt, warum Schmied wohl am Tatort gewesen wäre. Er vermutet, Schmied habe den Täter gekannt. Schließlich habe er ihm die Wagentür geöffnet.
Tschanz macht Bärlach darauf aufmerksam, dass Schmied einen Anzug trug. Vermutlich habe er an einer Abendveranstaltung teilgenommen. Von Schmieds Freundin Anna wisse Tschanz, dass Schmied regelmäßig im Anzug ausgegangen sei.
Tschanz befragt Bärlach nach seinem Verdacht. Den gäbe es zwar, erwidert Bärlach, Beweise zu seiner Bestätigung müsse nun aber Tschanz erbringen. Tschanz Frage, ob er in Schmieds Wohnung etwas finden konnte, verneint Bärlach, verschließt aber in dessen Beisein Schmieds Mappe im Sekretär.
Kapitel 4
Tschanz holt Bärlach am Abend zu weiteren Ermittlungen ab. Durch die unverschlossene Tür betritt er das Haus. In der Bibliothek stößt er auf den scheinbar schlafenden Kommissar. Auf dem Schreibtisch liegt ein schlangenförmiges Messer, eine Erinnerung an Bärlachs Zeit in Konstantinopel. Die Ermittler machen sich auf den Weg, um Schmieds Route nach Lamboing zu rekonstruieren. Tschanz weiß, dass Schmied seinen Wagen den Blauen Charon nannte. Er fragt an Tankstellen, ob jemandem der Mann mit diesem Wagen aufgefallen sei. Tatsächlich erinnert sich jemand, den Wagen in der Nähe gesehen zu haben. Daraufhin halten sie an einer Abzweigung zwischen Twann und Lamboing.
Kapitel 5
Sie warten. Tschanz ist überzeugt, Schmied habe den Anzug nur getragen, weil er an einer Abendgesellschaft teilnehmen wollte. Tatsächlich nähern sich bald einige Limousinen. Bärlach und Tschanz folgen den Wagen bis zu einem Privathaus am Ende eines Feldweges. Auf einem Schild am Haus ist ein „G“ zu lesen. Tschanz hat bereits im Telefonbuch recherchiert und so herausgefunden, dass es nur zwei Personen mit dem Initial G vor Ort gibt. Beim Hauseigentümer müsse es sich demnach um eine Person namens Gastmann handeln.
Kapitel 6
In entgegengesetzter Richtung umkreisen Bärlach und Tschanz das Haus. Im Dunkeln taucht vor Bärlach ein großer Hund auf, der angreift, sich in Bärlachs Arm verbeißt und erst im letzten Moment durch einen Schuss aus Tschanz Revolver niedergestreckt wird. Die Feiernden sind nun alarmiert und zeigen sich durch den Besuch der Polizei sichtlich gestört. Oberst von Schwendi, Gastmanns Anwalt, verhindert den von Bärlach gewünschten Kontakt zum Hausherrn, erklärt sich aber bereit, ihm ein Foto des Toten zu zeigen und später Bericht zu erstatten. Tschanz will noch mit den Polizisten von Lamboing über Gastmann sprechen. Bärlach steuert ein Wirtshaus an.
Kapitel 7
Tschanz trifft die Polizisten, die Gastmann befragt haben. Schmied sei ihm unbekannt. Ein ihm bekannter Schriftsteller könne vielleicht Auskunft geben. Tschanz will Bärlach vom Restaurant abholen, aber der ist bereits aufgebrochen. Als Tschanz erneut den Tatort passiert, stoppt eine Person den Wagen. Tschanz greift zum Revolver. Es ist Bärlach. Sie sehen sich lange wortlos an, bevor sich Bärlach nach Tschanz Ermittlungen erkundigt. Vor Bärlachs Haus angekommen, bedankt sich der Kommissar: Tschanz habe ihm das Leben gerettet. In der Bibliothek legt Bärlach seine Waffe ab. Unter dem Mantel trägt er einen Schutzverband, wie er bei der Abrichtung von Hunden eingesetzt wird.
Kapitel 8
Am nächsten Morgen erscheint von Schwendi, Gastmanns Anwalt, bei Untersuchungsrichter Lutz, dessen Parteifreund er ist. Er will wissen, warum man Schmied Gastmann unter falschem Namen auf den Hals gehetzt habe. Unter dem Namen Dr. Prantl habe Schmied inkognito an Gesellschaften Gastmanns teilgenommen. Das ist eine Neuigkeit für Lutz. Die Polizei habe keinerlei Ermittlungen durchgeführt. Von Schwendi folgert, demnach müsse Schmied ein Spion gewesen sein. Er ist nicht bereit, Informationen zu Gastmann zu geben, lenkt dann aber ein, und legt eine Liste aller Gäste Gastmanns vor. Diese führt Künstler, Industrielle und Angehörige einer fremden Gesandtschaft auf, mit der inoffiziell verhandelt werde.
Kapitel 9
Von Schwendi ist überzeugt davon, Lutz bei der weiteren Ermittlung in der Hand zu haben. Lutz beschwichtigt ihn dann auch, dass die geheimen Verhandlungen fraglos nicht zu beanstanden seien. Auch eine Hausdurchsuchung bei Gastmann schließt er aus. Alle Fragen an Gastmann würden mit von Schwendi abgesprochen. Zu Gastmanns Rolle als Gastgeber der Gespräche lässt von Schwendi wissen, dass er als ehemaliger Gesandter Argentiniens in China sowohl das Vertrauen der fremden Macht genieße, als Ex-Verwaltungspräsident eines Trusts auch gute Kontakte zur Industrie unterhalte. Zu klären bliebe allerdings weiter, in wessen Auftrag Schmied tätig war.
Kapitel 10
Bärlach trifft bei Lutz ein, um sich die Einwilligung geben zu lassen, Gastmanns Haus durchsuchen zu dürfen. Lutz verschiebt es auf den Nachmittag, Bärlach in Kenntnis davon zu setzen, was er zuvor mit von Schwendi besprochen hat.
Im strömenden Regen wohnen sie der Beerdigung Schmieds bei, bei der sie auch die Vermieterin und die Verlobte des Toten antreffen. Die Zeremonie wird jäh durch das Grölen zweier Betrunkener gestört, die einen mit einer Schleife geschmückten Kranz über Schmieds Sarg werfen, die die Aufschrift: „Unserem lieben Doktor Prantl“ trägt.
Kapitel 11
Bei seiner Rückkehr nach Hause bemerkt Bärlach einen Mann, der in Schmieds Mappe blättert. Sofort erkennt er in ihm Gastmann. Die beiden Männer haben in Konstantinopel eine Wette abgeschlossen. Bärlach werde Gastmann seine Verbrechen nachweisen. Gastmann hat dagegen gewettet: Bärlach gelinge dieser Beweis nicht.
Gastmann weiß, dass Bärlach schwer krank ist: Falls er sofort operiert werde, bleibe ihm noch ein Jahr. Gastmann nimmt die Mappe an sich. Er fordert Bärlach auf, ihn doch mit dem Revolver daran zu hindern. Der Kommissar vermutet, der Waffe sei die Munition entnommen. Gastmann ist bereits verschwunden, als Bärlach feststellt, dass der Revolver geladen war.
Kapitel 12
Bärlach trifft Lutz in dessen Büro, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Überraschend für Lutz stimmt Bärlach zu, den Schwerpunkt der Ermittlungen auf die Rolle Schmieds statt auf die Rolle Gastmanns zu legen. Bärlach erbittet sich eine Woche Krankheitsurlaub, den Lutz gewährt. Gemeinsam mit Tschanz fährt Bärlach zu dem Schriftsteller, der ebenfalls Besucher von Gastmanns Abendgesellschaften war. Tschanz hat den „Blauen Charon“, das Auto Schmieds, gekauft. Als er Bärlach darauf anspricht, die Vermieterin Schmieds habe ihm erzählt, Bärlach habe eine Mappe aus Schmieds Zimmer mitgenommen, tut Bärlach das als „Privatsache“ ab.
Kapitel 13
Der Schriftsteller empfängt seinen Besuch in einem schummrigen, abgedunkelten Zimmer. Als Tatverdächtiger komme er nicht infrage. Er hat ein Alibi, das Bärlach auch bereits überprüft hat. Gastmann beschreibt der Schriftsteller als exzellenten Koch und schwelgt dann minutenlang von dessen Kochkünsten und Rezepten. Bärlach lässt sich auf die Plauderei ein. Tschanz aber unterbricht sie brüsk mit der Frage, ob Gastmann Schmied getötet habe. Das schließt der Schriftsteller aus. Er habe sich als Letzter von Gastmann verabschiedet, Schmied sei kurz zuvor gegangen. Der Schriftsteller beschreibt Gastmann als Musterbeispiel eines Nihilisten1: Zu jedem Verbrechen imstande, sei sein Handeln immer vom Zufall gelenkt.
Kapitel 14
Tschanz meint, nun stünde ein Verhör Gastmanns an. Bärlach hingegen ordnet an, nach Bern zurückzukehren. Er will dem Wunsch von Lutz Folge leisten und Gastmann aus den Ermittlungen heraushalten. Tschanz zeigt Unverständnis. Er möchte die Ermittlungen zu Gastmann „lückenlos“ fortsetzen und bittet Bärlach darum, erneut mit Lutz zu sprechen, um ein Verhör von Gastmann doch noch möglich zu machen. Bärlach lehnt ab. Gastmann sei nicht der Mörder. Dann verweist er auf sein Alter und seine Krankheit. Er brauche Ruhe. Für ihn habe nun der einwöchige Krankenurlaub in Grindelwald höchste Priorität.
Kapitel 15
Bärlach bespricht sich mit dem Arzt Doktor Hungertobel, mit dem er gemeinsam das Gymnasium besucht hat. Bärlach fragt den Arzt, ob er mit jemandem über seine Erkrankung gesprochen habe. Hungertobel verneint und verweist auf das Ärztegeheimnis. Bärlach fragt, ob vielleicht eingebrochen wurde. Hungertobel erinnert sich, dass sein Schreibtisch durchwühlt worden sei. Daraufhin kann Bärlach seinen Arzt selbst mit der ausstehenden Diagnose überraschen. Binnen der nächsten drei Tage müsse er sich operieren lassen, dann habe er vielleicht noch ein Jahr zu leben. Der Arzt nickt stumm. Was Bärlach sagt, entspricht exakt den Untersuchungsergebnissen, die in seiner Krankenakte verzeichnet sind.
Kapitel 16
Bärlach wird von Geräuschen aus dem Schlaf geweckt. Als er das Licht anmacht und zu seinem Revolver greift, reißt der Einbrecher die Lampe heraus und löst einen Kurzschluss aus, sodass es dunkel wird. Bärlach muss davon ausgehen, dass der Einbrecher ihn mit seinem Schlangenmesser töten will. Um die Nachbarn zu alarmieren und den Eindringling aus der Reserve zu locken, feuert er mit dem Revolver dreimal durch das Fenster. Der Eindringling schleudert das Schlangenmesser, das sich neben Bärlachs Kopf in die Wand bohrt. Als die Lichter im Nachbarhaus angehen, hört Bärlach, wie der Eindringling das Haus verlässt.
Kapitel 17
Bärlach verständigt Tschanz, der überstürzt herbeieilt. Bärlach hat den Einbrecher nicht erkennen können, meint aber, zu wissen, wer es war. Am nächsten Tag ruft er ein Taxi, als dessen Fahrer sich Gastmanns Diener entpuppt. Auch Gastmann sitzt im Wagen.
Gastmann fordert Bärlach auf, die Wette verloren zu geben. Da er nicht Schmieds Mörder sei, werde Bärlach ihn auch nicht überführen können. Bärlach kontert: Dann werde er Gastmann eines Verbrechens überführen, das er nicht begangen habe. Als Gastmann ihm den Tod androht, sagt Bärlach, er werde noch heute das Todesurteil durch seinen Henker an Gastmann vollstrecken.
Kapitel 18
Vor der Kirche erwartet Tschanz Schmieds Verlobte Anna. Im Gegenzug für das Versprechen, dass sie ihm dasselbe sein werde wie dem Toten, teilt Tschanz ihr mit, er werde Ulrichs Mörder töten. Tschanz begibt sich sodann nach Ligerz und von dort zu Fuß zu Gastmanns Haus in Lamboing, wo er Gastmann und seine zwei Diener kurz vor deren Abreise im Foyer des Hauses antrifft.
Gastmann realisiert, dass Tschanz der von Bärlach angekündigte Henker sein muss. Als einer der Diener seine Waffe zieht und Tschanz an der Schulter trifft, schießt Tschanz dreimal auf Gastmann und seine zwei Diener.
Kapitel 19
Das Überfallkommando stellt fest, dass aus allen Waffen geschossen wurde. Tschanz sei es trotz erlittener Verletzung am Unterarm gelungen, die drei Männer zu töten. Lutz hat über Nacht Gastmanns Tagebücher gelesen, die von seinen Verfehlungen und Verstrickungen zeugen. Weil Schmied Gastmann auf die Schliche kam, sei er ihm gefährlich geworden. Das überzeugt von Schwendi davon, dass Gastmann Schmied ermorden ließ. Die Mordwaffe wurde in der Hand eines Dieners gefunden. Als die anderen gegangen sind, betrachtet Bärlach die Leiche Gastmanns. Wie totes Wild liegt er zu Füßen des Jägers, in der Unermesslichkeit des Todes, „einem Richter, dessen Urteil das Schweigen ist“.
Kapitel 20
Um zu feiern, dass Schmieds Mörder gefasst sei, lädt Bärlach Tschanz zu einem opulenten Mahl ein. Während Bärlach in den Delikatessen schwelgt, sagt er Tschanz auf den Kopf zu, dass der aus Eifersucht zu Schmieds Mörder wurde. Die Revolverkugel, mit der er den Hund Gastmanns tötete, sei der Beweis. Bärlach habe Tschanz als Henker benutzt, um Gastmann zu töten, nachdem Tschanz mit dem Mord an Schmied Bärlachs ursprüngliche Pläne zunichtegemacht habe. Als Tschanz zur Waffe greifen will, schickt der Kommissar ihn davon. Lutz wisse von seinem Besuch. Tschanz solle gehen, es sei genug, dass Bärlach einen Menschen richtete.
Kapitel 21
Als bei Tagesanbruch Lutz zu Bärlach eilt und aufgebracht berichtet, Tschanz sei tot unter seinem von einem Zug erfassten Wagen aufgefunden worden, findet er Bärlach todkrank vor. Der Kommissar hat die gesamte Nacht bewegungslos im Lehnstuhl verbracht. Nichts ist von seiner unbändigen Lebenskraft verblieben. Mit letzter Kraft lässt Bärlach seinem Arzt Hungertobel mitteilen, dass er nun bereit sei, sich operieren zu lassen. Lutz hört, wie der Kommissar leise sagt: „Nur noch ein Jahr, nur noch ein Jahr“.