Parabel: Wann merkt ein Mann (1994)
Autor/in: Botho StraußEpoche: Gegenwartsliteratur / Literatur der Postmoderne
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Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
In der Parabel von Botho Strauß mit dem Titel „Wann merkt ein Mann“ geht es um Naivität und die Unfähigkeit von Gewohnheiten abzukommen. Vielmehr werden gewohnte Erscheinungen zu sehr mit der Realität in Verbindung gebracht, was oftmals täuschen sein kann. Inhaltlich handelt es sich um einen Mann, welcher einen verlassenen Bahnhof aufsucht. Dieser Bahnhof hat keinerlei Personal und jegliche Einrichtungsgegenstände sind zerstört oder beschädigt. Der Wanderer nimmt auf einer Bank Platz und wartet auf seinen Zug. Immer wieder fahren Züge an dem Bahnhof vorbei, aber der Mann lässt sich dadurch nicht verunsichern. Als mögliche Deutungshypothese wäre zu nennen, dass man sich oft, verursacht durch Gewohnheiten und logischen Verknüpfungen, sehr stark täuschen lässt und die Realität vor lauter Informationen nicht mehr wahrnehmen kann.
Der Text fängt mit der Frage an, wann ein Mann merke, dass er auf einem Bahnhof, der nicht mehr in Betrieb ist, aussichtslos auf einen nie ankommenden Zug wartet. Das Adjektiv „vergeblich“ (Z. 2) deutet auf die Nutzlosigkeit hin, an einem „stillgelegten“ Bahnhof auf einen Zug zu warten. Im weiteren Verlauf werden Bahnhöfe beschrieben, welche nicht mehr in Betrieb sind. Die Beschreibungen „verschlossen“ und „heruntergelassen“ zeigen den Zustand der Bahnhöfe. Durch die Farbe schwarz, welche in Verbindung mit „politischen Malen“ (Z. 17) gebracht wird, ist erneut die Verlassenheit des Ortes zu erkennen. Ein sich durch den Text ziehender zentraler Begriff ist das Wort „kein“ (vgl. Z. 6; 7; 17; 36; 38; 46). Dies bekräftigt die Gesamtsituation. Der Bahnhof ist leer und verlassen, es gibt nichts Brauchbares mehr. „Und doch hat sich der müde Wanderer auf einer Bank niedergelassen“ (Z. 19 f.), zeigt einen Widerspruch. Trotz der offensichtlichen Situation eines „stillgelegten Bahnhofes“ (vgl. Z. 2), setzt sich der Mann auf die Bank. Bevor er sich allerdings hinsetzt, beseitigt er zuerst den auf der Bank liegenden Müll, um sich hinsetzen zu können. Was auffällt ist, dass er die Bank putzen muss, bevor er sich setzen kann. Dies zeigt nochmals die Unbelebtheit und Verlassenheit des Ortes. „Er wartet gegen jede Wahrscheinlichkeit auf Ankunft und Halt seines Zuges“ (vgl. Z. 22 f.): Hier entsteht erneut ein Widerspruch, da er „gegen“ jede Wahrscheinlichkeit wartet. Darauffolgend fahren zwei Züge „brausend“ am Bahnhof vorbei: „Ein Güterzug“ und ein „Schnellzug“. Durch das Brausen wird die Vergänglichkeit der Züge deutlich. Ebenfalls wird kein Zug angekündigt, wodurch wiederholt klar wird, dass der Bahnhof vollkommen reaktiv ist. Der Mann ist dadurch aber nicht verunsichert und er wartet weiter. Als nächstes sieht der Mann als Legitimation für das warten, die Tatsache, dass er nach langem Laufen den Bahnhof erreicht hat. Er ordnet somit dem bildlichen Objekt, also dem Bahnhof, nur aufgrund dessen Existenz, eine Funktionalität zu. Der „einsame Fußweg“ und auf „bequeme Weise“ machen auf der einen Seite deutlich, wie realitätsfern der Mann ist und auf der anderen Seite zeigt es aber auch, wie sehr sich der Mann durch sein naives Denken täuschen lässt. Er ist so tief in seinen Gedanken versunken, dass er nicht merkt, dass der Bahnhof leer ist. Er ist nicht in der Lage, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden. Im weiteren Verlauf wird dies weiter deutlich, da er annimmt, dass ein geschlossener Bahnhof verriegelt sein müsse. Er generalisiert seine Annahmen und ist in keinster Weise selbstbestimmt. Der Wanderer sitzt somit auf seinen Annahmen fest und vertraut blind in diese. Mit der hinzugefügten Beschreibung des Gemütszustandes „müde“ (Z. 38), wirkt der Wanderer sehr ohnmächtig und unfähig, eigene, durchdachte Entscheidungen zu fällen. Er ist sich sicher, dass sein Warten belohnt wird, da er viele Stunden gelaufen ist und dafür eine Belohnung erwartet (vgl. Z. 46 f.). Des Weiteren legt sich der Mann sogar hin, da er fest davon überzeugt ist, der Zug komme. Schließlich beginnt die nächste Stufe und der Wanderer verliert den Bezug zum Geschehen, da er einschläft. Am Schluss werden noch Begriffe wie „lästig“ und „abträglich“ benutzt, um zu zeigen, wie aussichtslos es ist, dass der Mann seine Meinung ändere. Vergleicht man den Anfang des Textes mit dem Ende, zeigt sich deutlich, wie sich die Stimmung vom negativen, zerstörten, deaktiven, dreckigem Bahnhof zu einem Ort der Ruhe wandelt. Es liegt vorwiegend ein auktoriales Erzählverhalten vor und der Text wird in der Einleitung durch einen Erzählbericht geprägt. Parataxe und Hypotaxe wechseln sich häufiger ab, was auch eine Ziellosigkeit bedeuten kann. Natürlich spielt das Wort „kein“ auch eine wichtige Rolle und ist textprägend. Das Verhältnis zwischen dem verlassenen Bahnhof und dem Mann ist durchgehend präsent.
Zusammengefasst kann man sagen, dass sich die am Anfang genannte Deutungshypothese bestätigt hat. Der Wanderer entfernt sich durch Gewohnheiten und durch sein Denken von jeglicher Realität. Seine tiefe Überzeugung, dass doch noch ein Zug komme, fokussiert ihn nicht auf das Wesentliche sondern lenkt ihn ab. Übertragen auf eine alltägliche Situation, wäre zu nennen, dass wir oftmals vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen und aufgrund eines starken Strebens oder Verlangens nach einer Sache, alles andere ausblenden und das Ziel aus den Augen verlieren. Meines Erachtens ist die Parabel dem Autor Bodo Strauß sehr gut gelungen, da seine Aussage zeitlos und auf alle Gebiete anwendbar ist. Zudem hat er durch gezieltes Auswählen von Begriffen, Adjektiven und Wiederholungen ein gutes Verständnis geschaffen und die Zusammenhänge verständlich dargelegt.