Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Übersetzung ins heutige Deutsch:
Als es dahin kam, dass Friedrichs von Österreich
Seele das Leben und sein Leib den Tod fand,
da nahm er meinen stolzen Kranichschritt mit in die Erde.
Da schlich ich umher wie ein Pfau wohin immer ich ging,
und den Kopf ließ ich hängen bis auf die Knie.
Jetzt aber richte ich ihn auf im Bewusstsein meines Wertes.
Ich habe ein gastliches Herdfeuer gefunden:
König und Reich haben mich aufgenommen.
Auf denn, wer tanzen will zur Geige!
Meiner Lasten bin ich ledig,
endlich kann ich meinen Fuß wieder fest auf die Erde setzen
und mein Herz hoch aufsteigen lassen.
Meine folgende Interpretation bezieht sich auf diese Übersetzung.
"Dô Friderich ûz Ôsterrîch alsô gewarp" ist eine politische Spruchdichtung von Walther von der Vogelweide, die nach dem Jahre 1198 entstand. Diese Dichtungen greifen Thematiken der damaligen Zeit auf und sind auch maßgeblich davon beeinflusst, in welchem Dienste sich der schreibende Dichter befand. Es ist also nur schwer möglich, eine Spruchdichtung inhaltlich zu analysieren, ohne Rücksicht auf die damaligen Gegebenheiten zu nehmen. In Anbetracht dieser Vorbemerkung möchte ich mich nun inhaltlich mit dem genannten Werk auseinandersetzen.
Bevor Walther von der Vogelweide den Spruch verfasste, war er als Berufsdichter am Wiener Hofe unter Friedrich I. beschäftigt. Einen Verweis auf diese Zeit lässt sich gleich in den ersten Versen finden, da das lyrische Ich zugleich der Dichter selbst ist. Hier heißt es unter anderem, dass Friedrichs "Seele das Leben und sein Leib den Tod fand.", Z.2. Für mich bedeutet dies, dass Walther von der Vogelweide eine gläubige Persönlichkeit gewesen sein muss. Obwohl Friedrichs Körper starb, lebt seine Seele nach dem Tod weiter. Diese Glaubensandeutung hat zwar keine weitere Bedeutung für die weitere Interpretation des Werkes, dennoch kann ich aus ihrer durchaus würdigenden Formulierungsweise auf ein gutes Verhältnis zwischen Walther von der Vogelweide und Friedrich I. schließen.
Aufgrund seiner Festanstellung am Wiener Hofe führte von der Vogelweide wahrscheinlich ein gutes Leben, der Tod Friedrichs und sein damit verbundener Weggang aus der gewohnten Umgebung müssen für ihm eine große Veränderung bedeutet haben. Dass diese nicht von positiver Natur war, erfährt der Leser in der dritten Zeile, in der geschrieben ist, "da nahm er meinen stolzen Kranichschritt mit in die Erde." Zentrale Aussage ist, dass sein Stolz zusammen mit dem Leben Friedrichs erlosch. Infolge dessen "schlich [er] umher wie ein Pfau", Z.4.
Interessant und hervorzuheben ist, dass er an dieser Stelle zur Verdeutlichung seiner unterschiedlichen Lebenslagen zweimal in Folge das Bild eines Vogels nutzt. Während es beim ersten Mal noch der Kranich mit dem stolzen Schritte ist, so ist es im darauf folgenden Male der umher schleichende Pfau. Viele Menschen assoziieren mit einem Pfau aber in erster Linie nicht ein zögerliches, unsicheres Tier, wie der Dichter hier suggeriert, sondern viel mehr den prächtigen ausgebreiteten Pfauenschwanz. Dennoch ist seine Wahl sehr passend und durchdacht. Das "Umherschleichen" bezieht sich auf seine nun neue Lebensweise als fahrender Vortragskünstler. Gegenüber der alten besitzt sie viele Nachteile, insbesondere wenn man daran denkt, dass von der Vogelweide mit seinem teils sehr kritischen Gedichten und Liedern nicht überall auf Zuspruch stieß. Daraufhin litt sein Selbstbewusstsein stark, wie er in Zeile 5 erkennen lässt "und den Kopf ließ ich hängen bis auf die Knie."
Nach dieser Zeile beginnt in dem Spruch inhaltlich gesehen ein neuer Abschnitt, der in Verbindung mit einem ebenfalls neuen Lebensabschnitt steht. Der Dichter berichtet in Zeile 6 wie er nun [seinen Kopf im Bewusstsein seines Wertes aufrichtet]. Zur Deutung dieses Ausspruchs ziehe ich noch einmal das Bild des Pfaus heran. Angenommen, "sein Wert" steht für die Schönheit der prachtvollen Schwanzfedern und ist eine Metapher1 für seine Dichterkunst und den Wahrheitsgehalt seiner Äußerungen. Er wird sich dessen nun bewusst und sein Selbstwertgefühl gelangt zu neuen Kräften. Den Grund hierfür gibt er mit der Aufnahme an einem neuen Hofe an. Er schreibt von einem "gastlichen Herdfeuer" (Z.7), das ihm "König und Reich" (Z.8) bieten. Bei Auseinanderlegung des Wortes "Herdfeuer" ist der Herd ein Sinnbild für das Kochen und Essen, also für Versorgung. Das Feuer hingegen strahlt Wärme aus und symbolisiert somit eine Unterkunft, da man andernfalls ohne Unterkunft draußen in der Kälte dasteht.
Vielleicht wird sein Selbstwertgefühl auch gerade dadurch bestärkt, dass es die für ihn höchste Instanz ist, die ihn aufgenommen hat. Aus zahlreichen anderen von der Vogelweide Texten geht hervor, dass der König für ihn der Inbegriff gottgewollter Macht ist und jeder Papst grundsätzlich als Feind angesehen wird. Mit diesem Vorwissen habe ich versucht die Zeile 9 zu interpretieren, in der es heißt, "Auf denn, wer tanzen will zur Geige!" Meine Überlegung war, ob es die Redewendung "jemanden nach der Geige tanzen" schon zu der damaligen Zeit gab. Falls ja, so richtet sich dieser Aufruf vielleicht verhöhnend an die Papstanhängerschaft. Außer König Philipp von Schwaben, an dessen Hof von der Vogelweide nun wirkte, amtierte gleichrangig der vom Papst Innozenz eingesetzte König Otto IV. Walther von der Vogelweide akzeptierte diesen jedoch nicht, da nur Philipp von Schwaben im Besitz der Reichsinsignien war. Möglicherweise forderte er darum ein ähnliches Verhalten von seinen Mitbürgern im römisch-deutschen Reich.
Eine andere Deutungsvariante ist weniger tiefgründig, aber meiner Meinung nach auch vorstellbar. Es ist eventuell auch einfach nur ein fröhlicher, lebensbejahender Ausruf an eine imaginäre Gesellschaft bei Hofe. Er ist der Auftakt zu einem Tanz oder vielleicht sogar zu einem Fest und bedeutet in etwa so viel wie "Hier bin ich, ich gehör dazu!" Hiermit legt er nochmals eine Portion Glaubwürdigkeit zu seinem neuen Selbstbewusstsein nach und verkündet seinen Tatendrang, sich am Hofe beweisen zu wollen. Ihm wurden alle Hürden im Hinblick auf die Anerkennung seiner Werke genommen, da er nun auf der Seite der Leute steht, die er innerlich schon immer unterstützen wollte. Es ist ihn jetzt möglich, dies auch nach außen in die Tat umzusetzen, ohne ablehnende Reaktionen in seinem Umfeld befürchten zu müssen.
Hierzu sei noch einmal gesagt, dass die Ansichten zu jener Zeit im römisch-deutschen Reich zwei gespalten waren und er sich als umherfahrender Dichter mit Äußerungen in diese Richtung stark zurücknehmen musste. Nun konnte er aber endlich frei das äußern, wozu er stand und Stellung beziehen wollte. Diese Tatsache veranlasst ihn im Spruch zu sagen, "endlich kann ich meinen Fuß wieder fest auf die Erde setzen", Z.11. Verständlicherweise schätzt er sich glücklich über die Situation und hat Grund wieder zu hoffen und positiv über die Zukunft zu denken, was er mit Z.12 "und mein Herz hoch aufsteigen lassen" bekundet.
Es war nur selten bei Spruchdichtungen der Fall, dass das Geschriebene mit den persönlichen Denken des Dichters überein stimmte. Bei diesem Spruch trifft genau das meiner Meinung nach zu, da nach dem heutigen Wissensstand Walther von der Vogelweide tatsächlich die Herrschaft von Philipp von Schwaben befürwortete. Das ist das Schöne an diesem Werk, es ist ehrlich geschrieben und nich auf Grund der Abhängigkeit vom Herrn heuchlerisch verfälscht.