Gedicht: Von der Freundlichkeit der Welt (1921)
Autor/in: Bertolt BrechtEpoche: Expressionismus
Strophen: 4, Verse: 16
Verse pro Strophe: 1-4, 2-4, 3-4, 4-4
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt und kann daher nicht angezeigt werden.
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Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Der deutsche Dramatiker und Lyriker Bertolt Brecht, welcher 1898 in Augsburg geboren wurde und 1956 in Berlin verstarb, veröffentlichte im Jahr 1921 das Gedicht „Von der Freundlichkeit der Welt", welches allgemein den Lebensweg eines jeden Menschen von der Geburt bis zum Tod auf eine metaphorische Weise thematisiert beziehungsweise universell darzustellen versucht, dabei jedoch vielmehr auf die negativen und dunklen Seiten des Lebens von Menschen eingeht, welche wahrscheinlich in eher unglücklicheren Zeiten wie bspw. einem Krieg auf der Erde gelebt haben.
Nicht nur aufgrund des zeitlichen Entstehungskontextes lässt sich Brechts Werk dem Expressionismus zuordnen, denn es zeigt ebenso inhaltlich eine starke Orientierung in Richtung einer Zeit von gesellschaftlichen Umbrüchen, insbesondere bedingt durch rasante Fortschritte in technischen Entwicklungen, welche das Leben der Bevölkerung zu dieser Zeit stark beeinflussen. Die Epoche des Expressionismus darf hierbei jedoch nicht auf die fortschrittlichen Errungenschaften und auf die das gesamte Jahrhundert prägenden Ereignisse reduziert werden, denn eine differenzierte Sichtweise erscheint hier von Nöten, wenn es neben der aufstrebenden Industrialisierung auch zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen mehreren Staaten kommt (Erster Weltkrieg, 1914-1918), unter denen Millionen von Menschen leiden.
Eben diese Eindrücke versucht Brecht mit seinem hier vorliegenden Werk auf eher düstere Weise zu verdeutlichen, wobei man durch biographische Bezüge seine Glaubhaftigkeit gegenüber den Schilderungen in seinem Gedicht unterstreichen kann. Brecht arbeitet nämlich zur Zeit des ersten Weltkrieges ein Jahr als Sanitäter in einem deutschen Lazarett, wodurch sicherlich auch subjektive Empfindungen dieser Zeit mit einfließen.
Das Gedicht besteht aus vier Strophen mit jeweils vier Versen, welche durch zwei Paarreime als Reimschema in einer jeweiligen Strophe miteinander in Verbindung stehen. Als Metrum1 wurde überwiegend ein fünfhebiger Trochäus mit männlicher Kadenz2 gewählt, um dem Versende sowohl mehr Nachdruck als auch Tiefe zu verleihen. Somit sollen insgesamt die Involviertheit und Betroffenheit der Adressatinnen/ der Adressaten, welche von einem lyrischen Ich in der zweiten Person im Plural angesprochen werden, intensiviert werden. Sie sollen die damalige düstere Stimmung und die Kälte dieser Zeit spüren, um im Vergleich mit ihrem Leben letztlich schlussfolgern zu können, wie gut es ihnen geht, auch wenn sie dies nicht immer wertzuschätzen wissen.
Zunächst wird inhaltlich mit der Geburt eines jeden Menschen eingeführt, wobei die Ausschmückung mit Adjektiven hier wie auch im gesamten Gedicht eine insgesamt sehr triste und düstere Atmosphäre erschafft. Der Wind wird als „kalt" (V. 1) und das neu geborene Kind als „nackt" (V. 2) beschrieben, welches beinahe hilflos und ausgeliefert in die große, bedrohliche Welt ausgesetzt wird, bevor sich eine unbestimmte Frau das Neugeborene kümmert, welche nicht unbedingt als Mutter des Kindes identifiziert werden kann (vgl. V. 3f.). Somit wird zudem deutlich, dass alle Menschen gleichen Ursprungs sind bzw. alle Menschen gleich sind, zumal auch die Leserschaft mit dem Personalpronomen3 „Ihr" (V. 2) angesprochen wird. Erst im Laufe des Lebens entscheidet man über seine Charaktereigenschaften, seinen Stand in der Gesellschaft, usw., wobei einige Personen dafür eine bessere, andere hingegen eine weniger gute Ausgangslage haben. Auch in der heutigen Gesellschaft zeigt sich eine ähnliche Ungerechtigkeit, sodass diese Thematik der unbeeinflussbaren Benachteiligung und Ungleichheit nicht an Aktualität verloren hat.
Die zweite Strophe beginnt mit einer Litotes (vgl. V. 5) und geht dabei vermutlich auf unerwünschte Schwangerschaften ein, wodurch die Freude und das Verlangen nach dem neugeborenen Kind erheblich beschränkt werden. Unabhängig davon trifft jedoch die Tatsache der Unbekanntheit (vgl. V. 7) natürlich auf alle Neugeborenen zu, da jeder Mensch bei der Geburt zunächst noch ein unbeschriebenes Blatt ist, bevor er durch seine Familie in die Gesellschaft nach und nach integriert wird. Hervorgehoben wird in diesem letzten Vers der Strophe die Person der Männer bzw. allgemein der Väter, welche mithilfe schützender „Hand" (V. 8) für Geborgenheit und Sicherheit sorgen.
Als Fokus der dritten Strophe kann ein mögliches Ableben, bspw. durch Suizid, herausgestellt werden, denn „Keiner hält euch, wenn ihr gehen wollt" (V. 10). Es scheint so, als würde das Fehlen einiger Personen in der Gesellschaft nicht auffallen und sich niemand an sie erinnern würde. Vermutlich lassen sich hier auch Parallelen ziehen zwischen der Arbeit Brechts als Sanitäter im ersten Weltkrieg, wenn er hiermit die verblassende Erinnerung an die zahlreichen Soldaten schildert, die im Krieg gefallen sind. Auch wenn die Kinder den Tod ihres Vaters in jungen Jahren noch nicht realisieren, so ist die Trauer seitens der Frauen über den Verlust ihrer Ehemänner doch enorm („Viele aber weinten über euch", V. 12).
Mit der letzten Strophe endet thematisch auch das Leben, welches durch eine Beerdigung veranschaulicht wird. Der Parallelismus „Auf die Erde" (V. 1) und „Von der Erde" (V. 13) hebt hier hervor, wie gleich alle („Geht ihr all (...)", vgl. V. 14) Menschen vor dem Tod sind, da nämlich keine Differenzierung nach bestimmten Kontinenten oder Sozialschichten nötig ist. „Schorf und Grind" (V. 14) stehen hier stellvertretend für die schlimmen Verletzungen durch den Krieg, welchem zahlreiche Soldaten nicht unversehrt entkommen können. Sie sind dem Dichter sicherlich durch seinen Dienst in einem Lazarett stark im Gedächtnis geblieben, wo er sich als Sanitäter um die Verwundeten kümmern muss. Nicht selten erliegen sie ihren Verletzungen und müssen daher beerdigt werden. Die „zwei Hände Erde" (V. 16) stehen sowohl für das Ritual, den Sarg mit Erde zu beschütten, als ebenso für das Zeichen der Geborgenheit und Schutz, auch über den Tod hinaus.
In der direkten Gegenüberstellung fällt schnell die Unterteilung der Existenz eines jeden Menschen durch Brecht auf, welcher das Leben in seinem Gedicht anhand der drei Bereiche Geburt („Auf der Erde", V. 1), Leben („Hier auf Erden", V. 7) und Tod („Von der Erde", V. 13) näher beschreibt. Es zeigt sich dabei allein schon durch diese drei Stationen eine zunehmend pessimistische Stimmung/ Atmosphäre, welche völlig gegensätzlich zu dem von Brecht gewählten Titel erscheint. Die „Freundlichkeit der Welt" erscheint beinahe nicht existent zu sein, denn stattdessen zeigt sich der Umgang der Menschen untereinander oftmals kühl und gefühlslos bzw. gleichgültig (vgl. V. 11). Dies spiegelt insbesondere das Leben von Menschen wider, die in unglücklichen Zeiten auf der Erde gelebt haben, z. B. während schlimmen Kriegen wie dem Ersten Weltkrieg (Das Gedicht wurde 1921 veröffentlicht). Allen anderen kann das Gedicht verdeutlichen, was sie für ein erfreuliches Leben haben und wie glücklich sie sich schätzen können. Somit hat Brechts Werk auch bis heute inhaltlich nichts an Aktualität einbüßen müssen.