Sachtext: Die Lust an der Erleuchtung (2005)
Autor/in: Ulf von RauchhauptEpoche: Gegenwartsliteratur / Literatur der Postmoderne
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Kommentar
Welcher Berg ist in Deutschland am höchsten? Wann wurde Karl der Große gekrönt? Wann fiel die Berliner Mauer? Diese Fragen sollte man mit seinem Allgemeinwissen beantworten können. Das eigentlich Interessante ist aber, woher und vor allem warum man dieses Wissen hat. Entweder man hat es in der Schule oder Uni gebüffelt, um gute Noten zu erlangen oder irgendwo gelesen, damit die Wartezeit beim Zahnarzt nicht so unerträglich ist. Natürlich würden auch viele darauf bestehen, dass sie sich solches Wissen aus reinem Interesse angeeignet haben. Doch alle haben eines gemeinsam. Sie verfolgen ein Ziel. Da stellt sich doch die Frage, ob es überhaupt Wissen als Selbstzweck gibt, das man sich aneignet, nur damit es im Gedächtnis bleibt. Dies ist eine sehr umstrittene Frage, die in dem Text „Die Lust an der Erleuchtung“ von Ulf von Rauchhaupt behandelt wird.
Zunächst einmal sollte man aber die verschiedenen Arten und Definitionen von Wissen klären. Da wäre zum einen das Wissen, das aus der Frage nach dem „Warum“ entsteht. Früher haben das, wie Rauchhaupt es trefflich beschreibt, die Griechen als „theoria“ bezeichnet, die im totalen Gegensatz zur Praxis steht. Und diese ist auch schon die zweite Wissensart, nämlich das Leistungswissen, also Wissen, das im Leben etwas nützt. Rauchhaupt nennt hier das treffende Beispiel eines Handwerkers, der nicht zu wissen braucht, warum sein Handwerk funktioniert, sondern nur wie. Diese beiden gegensätzlichen Wissensarten können sich natürlich auch vermischen, wenn eine theoretische Erkenntnis beispielsweise auch einen Nutzen vorweist. Und damit wären wir auch schon wieder bei der grundsätzlichen Frage nach der Existenz von Wissen nur alsSelbstzweck. In der heutigen Welt, die von Profit- und Gewinnstreben getriebenist, ist die Antwort einfach: Nein! Denn gibt es irgendeine Forschung, die nur aus Jux und Tollerei forscht? Nein! Irgendeine Firma, die Menschen zum Spaß ausbildet? Irgendein Unternehmen, das seine Angestellten auf Fortbildungen schickt, nur, damit sie etwas wissen? Nein! Alle Firmen, Konzerne oder auch Kleinbetriebe verfolgen nur ein einziges Ziel, nämlich Erfolg und zwar Erfolg durch Wissen, das im Hinblick auf Nutzbarkeit angeeignet worden ist. Wer jetzt aufschreit und meint, dass er sich Wissen einfach so beschafft, der hat nicht bedacht, dass er damit ein gewisses Ziel verfolgt. Sei es Neugier, „Macht durch Wissen“ wie Rauchhaupt zitiert, Interesse oder wie im Anfangsbeispiel die vermeintliche Verkürzung der Wartezeit beim Arztbesuch. Es gibt, gab und wird auch nie ein Wissen als reinen Selbstzweck geben, auch wenn Ulf von Rauchhaupt dies verneint. Trotzdem hat er Recht, wenn er schreibt, dass die Grundlagenforschung immer unwichtiger wird. Der Grund liegt auf der Hand, denn diese Art der Wissensbeschaffung hat weitgehend keinen Nutzen, ist ergo unbrauchbar. Das gleiche gilt für Kultur- oder Geisteswissenschaften, aber auchfür technische Wissenschaften, die keinen Zweck mehr haben oder schlicht und ergreifend zu teuer sind, wie beispielsweise die bemannte Raumfahrt. Diese Entwicklung stützt auch die nachvollziehbare These, dass Wissen nie als Selbstzweck galt, sondern immer mit Hintergrundgedanken verbunden ist, da andernfalls sich dieses Wissen nicht lohnt und deshalb, wie die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung, unnütz ist. Zu bezweifeln ist aber auch, dass es überhaupt Grundlagenforschung, die Wissen als Selbstzweck hervorbringt, gibt. Obwohl Rauchhaupt dies in seinem Text beschreibt, kann das aber eigentlich nicht stimmen, denn solche Grundlagenforschung und das damit verknüpfte Wissen haben sehr wohl eine Funktion, nämlich das Stillen des Bedürfnisses nach der Frage „Warum“. Diese Erkenntnisse sind dadurch ohne Selbstzweck. Man kann also die Hypothese aufstellen, dass Wissen als Selbstzweck überhaupt nicht existiert. Auch wer sich bildet, was von Rauchhauptangesprochen wird, verfolgt damit Ziele. Entweder will er anderen imponieren oder, wenn er in einer Bildungseinrichtung ist, gute Noten damit erlangen. Das Wissen, das mit Hilfe von Rauchhaupts „Bildung“ angeeignet wird, ist also nicht vollkommen zweckfrei, sondern erfüllt durchaus bestimmte Funktionen, die von dem Grund der Wissensbeschaffung abhängen. „Bildung“ bedeutet also nicht das Erlernen von Wissen ohne Zweck. Immer gibt es einen Grund oder eine Funktion und damit keinen Selbstzweck. Schlussfolgernd müsste man also die Hypothese, dass Wissen nie ein Selbstzweck ist, akzeptieren und sogar darüber hinaus feststellen, dass hinter der Wissensbeschaffung immer und ohne Ausnahme ein weiterer Grund oder eine weitere Funktion neben der grundsätzlichen Wissensaneignung besteht.
Wagt man nun eine Prognose in die Zukunft, so muss man feststellen, dass Wissen immer mehr an dem davon abhängenden Nutzen gemessen wird. Durch fortschreitende Industrialisierung und Rationalisierung wird sich daran auch in näherer Zukunft nichts ändern. Somit bleibt diese Wissensanschauung bestehen, denn wie schon Francis Bacon schrieb: „Tantum possumus quantum scimus“.