Roman: Tauben im Gras (1951)
Autor/in: Wolfgang KoeppenEpoche: Nachkriegsliteratur / Trümmerliteratur
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt und kann daher nicht angezeigt werden.
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt und kann daher nicht angezeigt werden.
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Der vorliegende Textauszug stammt aus dem Werk „Tauben im Gras“ von Wolfgang Köppen, welches 1951 veröffentlicht wurde. Der Roman behandelt das Leben in der Nachkriegszeit in einer Süddeutschen Großstadt, vermutlich München. Der Roman ist epochentechnisch der Epoche der Nachkriegszeit zuzuordnen, was durch Thematik und auch Entstehungszeit deutlich wird.
Der Textauszug beschreibt einen Besuch von Washington Price in Carlas Wohnung. Es wird die Lebenssituation der beiden und auch der anderen Bewohner dargelegt.
Der Text lässt sich in fünf Sinnesabschnitte gliedern.
Im ersten Abschnitt fährt Washington Price mit seiner „horizontblaue[n] Limousine“ (Z. 1) vor das Mietshaus. Er hat Blumen für Carla, seine deutsche Freundin, gekauft. Washington fühlt sich beobachtet. Es wird die Enge der Zimmer beschrieben, düse werden mit Käfigen (vgl. Z. 6) verglichen. Aus diesen Zimmern wird Washington beobachtet.
Im darauffolgenden zweiten Abschnitt werden die Reaktionen auf das Ankommen von Washington Price geschildert. Es wird beschrieben, dass für die Menschen, die in den Mietshäusern wohnen, Washingtons Blumen und Geschenke einen höheren Stellenwert haben als die Person, was durch die Beschreibung „[b]etrachtet wurden die Blumen, gezählt wurden die Pakte, die er trug“ (Z. 10f.) verdeutlicht wird. Zudem wird deutlich, dass das Auto von Washington Price mehr Wert ist als ein Haus am Münchener Stadtrand. Die Menschen, die in den Häusern leben und Washington Price beobachten, sind neidisch auf das, was Washington Price zu bieten hat.
Der dritte Abschnitt findet von einem entfernteren erzählerischen Standort statt. Es werden „ein paar alte Frauen“ (Z. 15) beschrieben, die sich über das Treiben in einer der Wohnungen beschwert haben. Die Polizei greift jedoch nicht ein, da sie mit der Situation in München ohnehin schon überfordert sind. Es wird weiter gezeigt, dass die Damen das Eingreifen der Polizei sogar bedauern würden, da dieses Treiben das einzige Schauspiel sei, das sie sich leisten können.
Im vierten Abschnitt wird wieder Washington Price beschrieben, der nun die Treppe zur Wohnung hinaufgeht. Die Menschen, die vor der Tür der Wohnungen stehen und horchen, werden als Raubtiere charakterisiert, die auf ihre Chance warten, um an Washington heranzukommen. Frau Welz öffnet die Türe und Washington tritt ein, es wird Abneigung seitens Washington Price deutlich. Frau Welz erklärt ihm, dass Carla nicht da sei und Washington Price tritt in den Korridor, um zu Carlas Zimmer zu gelangen. Auf seinem Weg wird er von anderen Mädchen beobachtet, die auch bei Frau Welz leben. Es wird klar, dass Washington die Wohnung nicht mag und sogar unter ihr leidet. Des Weiteren wird deutlich, dass Carla Washington erklärt, dass sie seinetwegen keine Wohnung fänden (vgl. Z. 32f.).
Nun folgt der fünfte und letzte Abschnitt. Es wird hervorgehoben, dass auch Carla unter der Wohnung leider, dies jedoch maßlos übertreibe, um so weiterhin Geschenke von Washington zu erhalten. Carla verachtet zwar die Mädchen und Frau Welz, doch wenn sie alleine ist, tratscht sie gerne mit den Mädchen und Frau Welz, um sich so zu beschäftigen. Betrachten wir nun die Erzählform des vorliegenden Romanauszugs. Im ersten Abschnitt (Z. 1-8) liegt ein neutraler Erzähler vor. Dieser beschreibt die Gefühle Washingtons beim Halten vor dem Mietshaus.
Im zweiten Abschnitt (Z. 8-14) findet sich ein auktoriales Erzählverhalten. Es wird wertungsfrei über die Meinung und die Wertschätzung von Washington und dem Neid über seine Limousine berichtet.
Im dritten Abschnitt (Z. 15-20) liegt weiterhin ein auktorialer Erzähler vor, die Distanz des Erzählers hat sich jedoch erhöht. Der Einwurf der Zeitugnsschlagzeile „Kriegsschäden der Demokratie“ (Z. 16) lässt auf einen olympischen Erzählstandort schließen, da der Erzähler Überblick nicht nur über die Szene, sondern über einen viel größeren Bereich, hat.
Im vierten Abschnitt wird sich wieder Washington Price zugewandt. Nun liegt ein neutraler Erzähler vor. Dieser stellt jedoch nicht nur die Gefühle Washingtons, sondern auch die von Frau Wels dar. Diese möchte „den schwarzen Bock [melken]“ (Z. 26), also von Washingtons höherem Einkommen profitieren.
Der fünfte Abschnitt (Z. 33-42) wird durch die Verwendung eines Hakenstils miteinander verknüpft. In diesem Falle geschieht dies durch die Verwendung des Motivs des Leidens unter der Wohnung, was durch die Beschreibung „[a]uch Carla litt unter der Wohnung“ (Z. 33) verdeutlicht wird. Auch hier liegt ein neutraler Erzähler vor, der jedoch, gegenteilig zum vierten Abschnitt, die Außensicht beschreibt. Zudem findet ein Perspektivwechsel von Washington Price zu Carla statt.
Betrachten wir nun die Lebenssituation der behandelten Figuren. Washington Price ist ein schwarzer, amerikanischer Besatzungssoldat, der in der Kaserne der Besatzungsmächte in München stationiert ist. Er ist, im Vergleich zum Großteil der Münchener Bevölkerung, als wohlhabend anzusehen. Er führt eine „horizontblaue Limousine“ (Z. 1). Diese Limousine hat den Wert eines kleinen Haues am Stadtrand. Die Farbe „horizontblau“ (ebd.) steht für die Freiheit und die vielen Privilegien, die er in den Augen der Bevölkerung genießt. Zudem ist er erfolgreicher Baseballspieler. Es ist ihm möglich, Geschenke und Blumen (vgl. Z. 2) für Carla zu kaufen. In seinem Heimatland Amerika leidet Washington unter den Auswirkungen der Apartheid und bekommt auch in Deutschland, wie im Verlauf des Romans deutlich wird, Rassismus und Ausgrenzung zu spüren, trotz seiner gehobenen materiellen und sozialen Stellung. Er ist getrieben von materiellem Ängsten und der Angst, Carla nicht genügen zu können. Er überlegt sogar, Benzin zu klauen, um Geld zu verdienen zu können (vgl. S.46-47). Er glaubt an das Gute im Menschen und ist optimistisch und idealistisch. Er träumt davon, ein Lokal in Paris zu öffnen, in dem jeder geachtet und willkommen ist. Washington Price wird als „Hochzeiter“ (Z. 1) charakterisiert. Er sehnt sich nach der wahren Liebe und möchte ein Kind. Dieses idealistische Weltbild wird auch dadurch deutlich, dass Washington Frau Welz verabscheut (vgl. Z. 28f.) und die Tatsache, dass Washington Price unter Carlas Wohnung leidet (vgl. Z. 31f.). Es wirkt so, als on Washington Price von dem Kupplerwesen, welches von Frau Welz beschrieben wird, angewidert wird, da er dies nicht mit seinem Weltbild vereinbaren kann.
Carlas Lebenssituation ist anders. Sie ist die Tochter von Herr Behrend und Frau Behrend. Herr Behrend ist ehemaliger Musikmeister, der seine Frau für eine Liebhaberin verließ, die ihn im Krieg das Leben gerettet hatte. Frau Behrend wohnt allein in ihrer Mansardenwohnung . Sie hält an konservativen, nationalistischen Strukturen fest und ist gegen eine Beziehung von Carla und Washington Price.
Carla arbeite in der Kaserne, wo sie auch Washington Price kennen gelernt hat. Sie erwartet ein Kind von ihm und ist sich unsicher, bi sie dieses behalten soll, da sie Angst vor der sozialen Ächtung hat. Deswegen besucht sie auch Dr. Frahm, der den Eingriff vornehmen soll. Die hat ein gestörtes Verhältnis zu ihrer Mutter und wenig Kontakt zu ihrem Vater. Sie ist von den Geschenken und Zuneigungen Washingtons abhängig und stellt ihr Leiden unter ihrer schlechten wohnlichen Situation in den Vordergrund, um die Zuneigungen von Washington Price zu sichern und um diese auf einem Niveau zu halten. Carla wohnt in einem kleinen Zimmer in einem Mietshaus. Die Zimmer der Häuser werden als „jedes Zimmer ein Käfig, im Zoo hauste man geräumiger“ (Z. 6) beschrieben. Die Gardinen der Fenster werden als „oft gestopft und immer wieder gestärkt […]“ (Z. 7) dargestellt, was Carlars momentane Situation zeigt. Carlas Lebenssituation wird auch im dritten Abschnitt des Textauszugs deutlich. Die anderen Bewohner des Hauses werden in eine Dschungel-Metaphorik gehüllt. Sie werden als „domestizierte Raubtiere“ (Z. 21) beschrieben, die darauf warten sich auf Washington Price zu stürzen, um von seinen besseren Lebensumständen profitieren zu können. Diese Personifikationen2 der Menschen als „domestizierte Raubtiere“ (ebd.) zeigt, dass es den Menschen in der Nachkriegszeit häufig nur um das nackte Überleben ging. Um dies zu erreichen, wurden alle Möglichkeiten ausgeschöpft, auf legalem und auf illegalem Weg. Die Polizei kann, wie im dritten Abschnitt (Z. 15-20) beschrieben, nicht nachkommen.
Im Gegensatz zu Washington, der ein optimistisches und idealistisches Weltbild hat, ist Carlas Weltbild eher realistisch. Dies wird an der Metapher3 der Blumen deutlich. Dadurch, dass Washington Price Carla Blumen schenkt, versucht er seine Zuneigung zu ihr kundzutun. Die Reaktion der Nachbarn, die ihn durch das Fenster beobachten, ist negativ. „Blumen bringt er ihr. Siehst die Blumen. Dass er sich nicht- “ (Z. 8). Für die Menschen in der Nachkriegszeit hatten materielle Dinge einen höheren Stellenwert als idealistische Dinge wie Blumen, was auch durch die Beschreibung beobachtet „wurden die Blumen, gezählt wurden die Pakte, die er trug“ (Z. 10f.) deutlich wird.
Dass Carlas Weltbild auch idealistische Seiten hat, wird dadurch deutlich, dass sie Frau Welz und die anderen Mädchen zwar, aufgrund ihrer Arbeit als Prostituierte und Zuhälterinnen, ablehnt und verachtet (vgl. Z. 37), jedoch sich, wenn sie einsam ist, zu ihnen gesellt, mit ihnen redet und mit ihnen tratscht und ihnen ihre Geheimnisse verrät (vgl. Z. 38ff.) Dies zeigt, dass Carla aufgrund ihrer schlechten finanziellen Verhältnisse gezwungen ist, ihr idealistisches und positives Weltbild aufzugeben.
Abschließend lässt sich sagen folglich sagen, dass sich aufgrund der grundverschiedenen Lebensumstände sich auch das Weltbild Washington und Carla unterscheidet.
Washington ist, aufgrund seiner guten gesellschaftlichen Stellung als Besatzungssoldat, fähig, ein idealistisches Weltbild zu pflegen, wohingegen Carla gezwungen ist, diese aufzugeben. Bei ihr geht es mehr um das einfache Überleben.