Inhaltsangabe, Gedicht-Analyse und Interpretation
Der Abend ist ein ganz besonderer Zeitpunkt im Verlauf des Tages. Während tagsüber alles wach, aktiv, voller Energie ist und gedeiht, befindet sich die nächtliche Welt in einer Art Schlaf, in dem sich Geräusche und Bewegungen reduzieren. Die Nacht ist auch für den Menschen von eminenter Bedeutung. Für den einen symbolisiert diese etwas Transzendentes, Magisches und Besonderes, für den anderen ist es einzig und allein ein standardisierter, fest vorhandener Zustand, in der sich immer wieder aufs Neue wandelnden Abfolge des Tages.
Dieser erhebliche Kontrast kommt auch in den Gedichten „Sprich aus der Ferne“ von Clemens Brentano (1801) und „Der Abend“ von Georg Heym aus dem Jahr 1911 voll und ganz zur Geltung. Während die Nacht in „Sprich aus der Ferne“ als etwas Besonderes, Beruhigendes und Magisches wahrgenommen wird, steht sie in Heyms „Der Abend“ im Licht der Normalität und im gewöhnlichen Ablauf des Tages.
In der ersten Strophe wendet sich das lyrische Ich direkt an die „heimliche Welt“ und berichtet weiterführend über den Übergang von Tag zu Nacht. Darüber hinaus wird die nächtliche Atmosphäre ausführlich beschrieben. „Heimliche Welt, die sich so gerne zu mir gesellt“ (V.2f): Zum einen wird der Welt durch das Adjektiv „heimlich“ (V. 2) etwas Geheimnisvolles, Unerklärbares zugeschrieben, andererseits gerät sie ebenfalls in den Mittelpunkt, da sie auch als eine Art von Heimat für das lyrische Ich fungiert und somit voll und ganz akzeptiert ist. Durch das Enjambement2 rückt das Relativpronomen „die“ (V. 3) in den Vordergrund und das Possessivpronomen „mir“ (V. 4) am Ende der ersten Strophe in den Hintergrund. Die Erde ist also von sich aus bereit dem lyrischen Ich Aufmerksamkeit zu schenken. „so gerne“ (V. 3) und das Verb „gesellen“ (V. 4) verstärken die Zuwendung der Erde als einen Freund und Gesellen nochmals. „Wenn das Abendrot niedergesunken keine freudige Farbe mehr spricht (…)“: Das Kompositum „Abendrot“ (V.5) setzt sich aus dem Zustand „Abend“ und der Farbe „rot“ zusammen, welche eigentlich nicht direkt für Harmonie steht, das wird aber durch die Beschreibung „freudige Farbe“ (V. 6) schnell relativiert, wodurch nun ein Zustand voll von Harmonie entsteht. Auch das Verb „wiedersinken“ (V.5) erzeugt Ruhe und Gelassenheit. Ein schnelles Schwinden der Nacht ist somit nicht vorhanden und auch nicht erwünscht. Durch Personifizierung mit dem Verb „sprechen“ (vgl. V. 6) bekommt das „Abendrot“ menschliche Eigenschaften. Es hat die Fähigkeit indirekt zu kommunizieren, eine Wirkung für den Betrachter bereitzustellen. Im weiteren Verlauf „flechtet“ die Nacht „still leuchtende Funken“ um die dunklen, von Schatten erfüllten Planeten. Auch hier bringt die Nacht Licht ins dunkle, eigentlich lediglich von Schatten und Lichtlosigkeit geprägte Umfeld der Planeten des Universums. „Wehet der Sterne heiliger Sinn“ (vgl. V. 9f): Die Sterne, vermutlich aufgrund ihrer Ausstrahlung, erzeugen Emotionen, sogar einen „heiligen Sinn“ (V. 10). Die Beschreibung „heilig“ stellt die Sterne, also einen Teil des Universums als erhaben und mächtig dar. Sie sind nicht nur einfache, bedeutungslose Punkte im Kosmos sondern exklusiv und anziehend. Dieser heilige, beruhigende Zustand der Wahrnehmung dieser Wirkung wird durch das Adverb „leis“ (V. 11) intensiviert. Auch das Ziel, die Ankunft am lyrischen Ich („Bis zu mir hin“) deutet darauf hin, dass trotz der unendlichen Größe des Universums, die Wirkung der Sterne eine omnipräsente Stellung annimmt. Die dritte Strophe führt einleitend die Mondsymbolik ein: „Wenn des Mondes still lindernde Tränen lösen der Nächte verborgenes Weh (…)“ (vgl. V. 13ff). Tränen, die eigentlich im Zustand der Trauer und Verzweiflung entstehen, lindern hier „verborgenes Weh“ (V. 16). Somit lässt sich ebenfalls deuten, dass der Mond, welcher in der Nacht besonders gut zu sehen ist, durch seine alleinige Wirkung Sorgen auflöst und versucht, eine aufgewühlte Seele zu stillen. Der Friede kann nur „wehen“ (V. 15), also entstehen, wenn der Mond aktiv wird. Die Bedeutung des Mondes nimmt hier erheblich zu, da nur durch dessen Anwesenheit Sorgen gelöst werden können. Er ist somit ein Katalysator3, welcher zusammen mit der Nacht bedeutsame Veränderungen bewirken kann. Die „goldenen Kähne“ (V. 15), welcher vermutlich aufgrund der Spiegelung des Mondlichts auf der Wasseroberfläche entstehen, heben ein normales, in der Natur vorkommendes Phänomen in den Vordergrund. Der Moment des visuellen Empfangens dieser „goldenen Kähne“ wird mit Geistern verglichen. Vielmehr sind jene es, die Steuermann der Schiffe sind. Somit könne nur Wesen, die von höherem, magischen Ursprung sind, verantwortlich sein für solch Ereignisse. In der vierten Strophe vereinen sich visuelle und akustische Signale. „Glänzende Lieder“ (V. 16) und ein „klingender Lauf“ (V. 18) „ringeln“ sich nieder. Die entzückende, von Stille und Harmonie geprägte Situation lässt Lieder entstehen und soll nicht schwinden. „Wallet hinauf“ (V. 20) verstärkt den Zustand der immer wieder aufkommenden, berauschenden Empfindungen. Erneut wird ein Zustand personifiziert und durch eine Bedingung in den Vordergrund gerückt. Die Dunkelheit durchdringt den Wald hier nicht schnell, sondern behutsam und langsam. Die Büsche bekommen personenbezogene Eigenschaften und schauen „wundersam“ (V. 23). Sie sind keinesfalls überrascht oder verängstigt, sondern bewundern die Wirkung der Dunkelheit. „Alles sich finster tiefsinnig beugt“ (V. 24). Die Adverbien „finster“ und „tiefsinnig“ stehen hier im direkten Kontrast. Demnach löst die Finsterkeit einen tieferen Sinn aus und stellt somit auch für das lyrische Ich das Fundament für tiefes, kontemplatives Nachdenken dar. Der sich bahnende Weg der Nacht wird als „freundliches Spiel“ betitelt, wodurch die Nacht an Sympathie und Akzeptanz gewinnt. Auch der Leser beginnt hier womöglich seine bisherigen Denkmuster zu hinterfragen, um die Nacht in einem anderen Licht wahrzunehmen. Das „stille Funkeln der Lichter“ resultiert in einem „schimmernden Ziel“ (V. 28). Schimmer zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es nur ganz bestimmte Merkmale gibt, an denen ein Objekt sichtbar ist. Je länger man hinschaut, desto mehr erfährt man über das Objekt. Das „schimmernde Ziel“, welches am Ende der vorletzten Strophe steht, wirkt ähnlich. Das lyrische Ich hat eventuell ein Ziel vor Augen, das auf längere Sicht nur erreichbar ist, wenn man sich immer wieder mehrmals damit beschäftigt, um am Ende des Tages durch das Erreichen des Zieles den „Schimmer“ zu beenden. „Alles ist freundlich wohlwollend miteinander verbunden“ (V. 29): Begriffe wie „freundlich“ und „wohlwollend“ erzeugen ein Gefühl der reinsten Symbiose aller Naturelemente, in der kein einziges weniger wertvoll ist. Die Natur hilft sich darüber hinaus gegenseitig, jeder Bestandteil hat eine ganz besondere, individuelle Aufgabe und trägt zum Wohle des Ganzen bei. Empathie rückt hier in den Vordergrund und wird durch die Adverbien „trösten“ und „trauern“ hervorgehoben. Diese Alliteration4 steht für eine weitgreifende, positive Eigenschaft, die von der Gesellschaft als positiv angesehen wird. Einerseits ist die Nacht fähig zu trösten, andererseits kann sie auch die Rolle des stillen Zuhörers übernehmen, welcher nur „mittrauert“. Durch „ewige Verwandtschaft im Inneren“ wird abschließend wiederholt die tiefgreifende Verbindung aller Elemente intensiviert. Die letzte Strophe spiegelt inhaltlich und syntaktisch die erste wider, wodurch die innige Verbindung von Natur und Mensch nochmals geltend gemacht wird. Vermehrte parataktische Strukturen verstärken die Wirkung des Gedichts. Es wird weitgehend auf komplizierte, indifferente Begriffe verzichtet, was das Lesen angenehm macht. Abwechselnde männliche und weibliche Kadenzen5, gepaart mit Kreuzreimen symbolisieren nochmals das Gefühl der Ruhe, des Einklangs und der vollkommenen Zufriedenheit. Mehrmaliges Vorkommen von romantischen Worten wie „leuchtende“ (V. 7), „goldener“ (V. 15) und „heilig“ (V. 21) bekräftigen die Atmosphäre der Zufriedenheit. Aufgrund dieser Erkenntnisse lässt sich das Gedicht klar in die Epoche der Romantik zuordnen, in der Harmonie mit der Natur und Transzendenz im Vordergrund stehen.
Das Gedicht „Der Abend“ von Heym steht aufgrund der objektiveren, realistischen Ansicht der Nacht, wie bereits erwähnt, in starkem Kontrast zu Brentanos „Sprich aus der Ferne…“. Die Überschrift „Der Abend“ lässt das Thema und den Zeitzustand des Gedichts direkt am Anfang erkennen. „Versunken ist der Tag im Purpurrot“: Der Tag hat seine Aufgabe erfüllt und ist nun in der Obhut der Nacht. Auch das Adjektiv „purpurrot“ (V. 1) zeigt, dass mehrere Farben sichtbar werden und eine nicht definierte Zeit bevorsteht. Die Personifikation6 des Stroms, wobei er „weiß“ in „ungeheurer Glätte“ schwimmt, löst durch die Farbe Weiß eine eher unspektakuläre Stimmung, da keine weiteren Farben wahrgenommen werden. Gepaart mit der Hyperbel7 „ungeheuer“ (V. 2) lässt sich in dem Strom keinerlei Bewegung finden, alles ist still. Im weiteren Verlauf rückt eine Person, ein „Schiffer“ (V. 4) in den Vordergrund, vor dem aber lediglich die Silhouette erkennbar ist. Durch das inversive Personalpronomen8 „Es“ (vgl. V. 2), welches sehr unbestimmt und schwer definierbar ist, wird die Unbestimmtheit und Fremdheit der Silhouette verstärkt. Begriffe wie „heben“ und „groß“ verdeutlichen einmal das langsame, undeutliche Hervorkommen der Person, ebenso die leicht mit Misstrauen verknüpfte große, fremde Gestalt. Die Nacht vertuscht somit das wahre Gesicht des Schiffers, sie verändert Dinge und macht diese zu reinen Objekten. Der herbstliche Wald „steigt auf alle Inseln“ (vgl. V. 5): Er besiedelt das freie Land förmlich, wenn auch nicht unbedingt in einem negativen Sinne. Nicht nur wenige, sondern „alle Inseln“ (V. 5) verändern ihr äußeres Erscheinungsbild. Dadurch, dass der Wald mit seinen „roten Häuptern in den Raum“ sticht, wird klar, dass der Wald trotz seines vermehrten Vorkommens auf allen Inseln nur ein Teil eines „Raumes“ ist, wodurch er in eine realistische Betrachtung gerät. Die „roten Häupter“ verstärken dennoch das äußere Bild des Waldes, über dem man aufgrund der intensiven Farbgestaltung nicht hinwegzuschauen vermag. Im zweiten Teil der zweiten Strophe wird der Ton des Waldes, die entstehenden Geräusche, welche durch „tiefe Schluchten“ (V. 7) entstehen, mit dem „Rauschen der Kitharen“ verglichen. Die „dunkle Tiefe“ erzeugt somit nicht wie erwartet ein dumpfes, tiefes und bedrohliches Geräusch, sondern vielmehr ein Rauschen, also einen leisen Ton, der mit einem Zupfinstrument verglichen wird. Die Natur beziehungsweise der Wald erfährt aufgrund des direkten Vergleichs mit einem aus dem Alltag stammenden Instrument eine durchaus eindringliche und wichtige Wirkung. Somit müssen die „dunklen Tiefe“ nicht zwangsläufig für etwas Negatives stehen sondern können Anlass für besondere Töne sein. „Das Dunkel ist im Osten ausgegossen, wie blauer Wein kommt aus gestürzter Urne“ (V. 9ff): Mit dem Begriff „Das Dunkel“ ist offensichtlich die Nacht gemeint, welche mit „blauem Wein“ verglichen wird und somit in Verbindung mit einem Genussgetränk gesetzt wird. Sie wird nicht mit etwas Magischem, Übernatürlichem verglichen, sondern mit Wein, wodurch die Nacht entromantisiert wird. In dem letzten Teil der dritten Strophe wird die Nacht wiederholt personifiziert und „steht“ (V. 11) vom Mantel „schwarz umflossen“ auf der Kothurne. Durch die Beschreibung „fern“ (V. 11) wird die Nacht in eine besondere, wartende Position gesetzt. Dadurch, dass diese steht, befindet sie sich in einer Position, in der es leicht ist, sich zu bewegen, wieder aktiv zu werden. Die Nacht erhält einen Mantel, der sie voll und ganz „umfließt“ und sie schwarz erscheinen lässt. Begriffe wie „schwarz“ und „Urne“ korrelieren hier, da sie beide stellvertretend für den Tod stehen. Zum Ende hin wird die Nacht als „hoch“ betitelt, was ihr eine vorherrschende Stellung, von Macht erfüllte Position zuschreibt. Es scheint, als sei sie indirekt immer präsent, man kann sie leidglich nicht immer sehen. Auch die „schattigen Kothurne“ (V. 12), welche die Nacht symbolisch trägt sorgen für eine Intensivierung der Präsenz der Nacht.
Die nicht allzu groß ausfallende Länge des Gedichts unterstützt den Inhalt nochmals, da auf Übertreibungen und wirklichkeitsverzerrende Elemente verzichtet wird. Darüber hinaus existiert kein lyrisches Du oder ein lyrisches Ich, wodurch die Situation ohne jegliche persönliche Empfindungen geschildert wird. Der Leser nimmt eine distanziertere Haltung ein. Das Gedicht lässt aufgrund der Todesthematik, den expressionistischen Begriffen und dem Autor in die Epoche des Expressionismus zuordnen.
Im direkten Vergleich beider Gedichte zeigen sich Schnittmengen, aber auch Unterschiede. Auffallend ist zunächst das gleiche Thema, die Nacht. Gleich zu Beginn fällt auf, dass in „Sprich aus der Ferne“ die Nacht erst beginnt, nachdem das Abendrot „niedergesunken“ ist. Somit versinkt nicht wie in „der Abend“ der Tag in der Nacht beziehungsweise der Dämmerung sondern ein Teil der Nacht, der Anfang von dieser sinkt nieder und leitet in die vollkommene Dunkelheit ein. Somit verstärkt sich nicht wie in „Der Abend“ der reine Ablauf von Tag zu Nacht sondern der Übergang von Tag zu Nacht wird als etwas Transzendentes, als ein Prozess beschrieben, der nicht plötzlich eintritt. Die Nacht ist somit deutlich mehr im Vordergrund und ist Auslöser für Empfindungen, welche die Nacht in Heyms Gedicht nicht bietet. In beiden Werken kommt das Bild des Gewässers auf. Wohingegen in „Sprich aus der Ferne“ das Wasser als himmlisch bezeichnet wird, auf dem sogar Geister mit goldenen Schiffen existieren, wird die Wirkung des Wassers in „Der Abend“ nicht thematisiert. Lediglich die Nutzung dessen, also das Fortbewegen mit einem Schiff wird genannt. Des Weiteren bringt das Wasser in Verbindung mit der Nacht Gefahr und undefinierte Zustände. Genau wie das des Wassers findet sich auch das Thema des Waldes in beiden Gedichten wieder. In Brentanos Gedicht herrscht eine rege Interaktion zwischen den Bestandteilen des Waldes. Büsche reagieren demnach auf die Nacht, indem sie „wundersam schauen“. Kontrastiert wird diese mythische, zauberhafte Stimmung bei dem Vorkommen des Waldes in „Der Abend“. Hier wird lediglich die Eigenschaft des Waldes beschrieben, ohne dass diese eine bestimmte Wirkung ausübt. Der Wald existiert lediglich und wird als reines Objekt realistisch betrachtet. Er wird entmythisiert, er hat keinerlei magische Anziehung, geschweige denn einen Betrachter, der dies wahrnehmen könnte. Des Weiteren lösen bei „Sprich aus der Ferne“ die dunklen Tiefen des Waldes eine „Tiefsinnigkeit“ aus, wohingegen Schluchten im Wald bei „Der Abend“ eine „dunkle Tiefe“ auslösen. Somit wird die undefinierbare Waldlandschaft einmal als tiefsinnig bezeichnet, bietet also Grundlage für transzendente Erfahrungen und einmal auf das Wesentliche reduziert. Auch hinsichtlich den Versen „Sprich aus der Ferne“ bei Brentano, bei dem die Ferne aktiv agiert und etwas macht, steht die Nacht in „Der Abend“ einfach still und beobachtet nur. Die Ferne wird somit komplett anders definiert und erzeugt im Gegensatz zu „Sprich aus der Ferne“ keinerlei magische Anziehung. Dennoch werden in beiden Gedichten die Geräusche mit Musik verbunden. In Brentanos Gedicht sind es „Glänzende Lieder“, klingende Geräusche, in Heyms Gedicht stehen die von der Waldlandschaft erzeugten Töne im Vergleich mit dem Rauschen der Kithara. Dennoch gibt es einen Unterschied zwischen einem rauschenden und einem glänzenden, klingenden Geräusch. Ersteres ist etwas undefiniert, zweiteres erfüllt von Harmonie und Vielfalt. Das Gedicht von Georg Heym endet damit, dass die Nacht in der Ferne steht und womöglich darauf wartet, wieder auf die Welt einzuwirken. Der Prozess des intensiven Wirkens, welcher in „Sprich aus der Ferne“ unglaublich ausführlich dargestellt wird und sich fast über das halbe Gedicht zieht, wird in „Der Abend“ nicht erwähnt. Das lyrische Ich befindet sich in Brentanos Gedicht durchgehend mitten im Geschehen und erlebt alles hautnah mit. Vergleicht man zwei weitere Verse, wird ein weiterer Aspekt ersichtlich. „Sprich aus der Ferne“ enthält den Vers „Wandelt im Dunkeln“ und „Der Abend“ setzt „Das Dunkel“ gleich an den Anfang der dritten Strophe. Durch das „Wandeln“ scheint es so, als stellt die Nacht einen großen Raum von unendlicher Größe bereit, in dem sich jegliche Arten von Geschehnissen vollziehen können. Durch die Substantivierung „Das Dunkel“ gerät die Nacht in den Vordergrund. Die Nacht bietet hier somit keinerlei Raum für Entscheidungen, sie ist aktiv und alleinig am Geschehen verantwortlich.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass beide Gedichte für ihre jeweilige Epoche spezifische Eigenschaften besitzen, die sie grundlegend voneinander unterscheidet. Clemens Brentano „Sprich aus der Ferne“ lässt sich somit aufgrund vorheriger Analyse klar der Romantik zuordnen, in der der Mensch die Natur als Vorbild sieht und diese als Refugium und Schmerzstiller wahrnimmt. Georg Heyms „Der Abend“ lässt sich zu der Epoche des Expressionismus zuordnen, da Todesmotive dominieren und die Natur entmythisiert wird.