Inhaltsangabe/Zusammenfassung
„Sommerhaus, später“ war einer der größten deutschen Bucherfolge - noch im Erscheinungsjahr 1998 wurde bereits eine sechste Auflage veröffentlicht. Der Erzählband war die erste Publikation von der gebürtigen Berlinerin Judith Hermann, die Erzählungen spielen alle in und um Berlin herum. Die Autorin wurde 1970 geboren und lässt ihre Protagonisten mit fast beiläufiger Stimme Geschichten berichten, die sich um Liebe, Vergänglichkeit und die Angst drehen, ein Leben zu führen, welches eigentlich immer auf ein anderes, besseres Leben wartet. Ihre Sprache ist formlos und voller Intensität.
Sie traf damit die Stimmung ihrer Generation, gab der Berliner Gesellschaft der Künstler, Studenten und Erwerbslosen eine literarische Bühne. „Sommerhaus, später“ führte zu einer Renaissance der deutschen Kurzgeschichte und Judith Hermann wurde das Aushängeschild der sogenannten „Fräuleinwunder-Literatur“. Sie erhielt zahlreiche Literaturpreise, das Werk wurde in 17 Sprachen übersetzt und teilweise sogar verfilmt. Das Hörbuch dazu hat die Autorin selbst eingesprochen.
Übersicht der Kurzgeschichten
Rote Korallen
Die Protagonistin erzählt, dass ihr sie durch einen Besuch beim Therapeuten sowohl ihr rotes Korallenarmband als auch ihren Geliebten verloren hat. Sie berichtet davon, dass jenes Armband für den Tod ihres Urgroßvaters in St. Petersburg verantwortlich war und erzählt die Geschichte ihrer Urgroßeltern, die eine Weile in St. Petersburg lebten. Das Armband aus roten Korallen war das Geschenk eines Verehrers, es offenbarte ihrem Urgroßvater, dass die Urgroßmutter ihn betrogen hatte, er duellierte sich mit dem Galan seiner Frau und kam dabei ums Leben. Sieben Monate danach wurde die Großmutter der Protagonistin geboren, welche das Armband erbte.
Sie lernt auf einer Beerdigung ihren Geliebten kennen, der nicht viel spricht. Sie beschreibt den Staub in seiner Wohnung und in seinem Leben, beschreibt, wie sie tagelang sein Haus nicht verlässt und dem Staub zusieht, obwohl ihre Urgroßmutter sie abholen möchte und eine Weile vor der Tür steht und lärmt. Der Geliebte macht eine Therapie, er streitet sich mit ihr, weil sie mit seinem Therapeuten reden möchte. Sie streitet sich mit ihm, weil sie dem Therapeuten die Geschichte des Korallenarmbandes erzählen will und er sie nicht hören möchte.
Sie sucht den Therapeuten auf, bringt kein Wort heraus, stattdessen zerbirst das Armband und sie klaubt mühsam die 675 wutroten Korallen vom Boden auf. Der Therapeut hilft ihr nicht, er schenkt ihr kaum Beachtung, beendet die Sitzung. Sie schleudert die aufgesammelten Korallen auf den Therapeuten und geht. Nach ihrem Geliebten sieht sie noch einmal, spricht zu ihm, er hört sie jedoch nicht.
Hurrikan (something farewell)
Die Erzählung beginnt mit dem Bericht über ein Spiel ohne Regeln, es heißt „Sich-so-ein-Leben-vorstellen“. Christine liest zuhause einen Brief von Nora.
Schauplatz ist eine Insel, vermutlich im karibischen Meer, der deutsche Inselbewohner Kaspar sitzt mit seinem Besuch, Nora und Christine, auf Veranda seines Hauses und lauscht den Hurrikan-Warnungen im Radio. Einen großen Teil ihres Besuches verbringen sie in einer Bar. Bei der Bar lernen Christine und Nora Cat kennen. Cat ist von Christine fasziniert und besucht Kaspar fast jeden Tag, sie sind Freunde. Cat sitzt auf der Veranda, raucht Haschisch und beobachtet die deutschen Frauen. Nora und Kaspar waren mal ein Paar, bevor Kaspar auf die Insel gezogen ist. Christine beobachtet Cat beim gemeinsamen Essen und möchte seine Aufmerksamkeit haben. Sie langweilt sich, wenn er nicht da ist. Die Freunde warten auf ein Inselereignis, den Start eines Drachenfliegers. Nur Cat ist geduldig genug, den schwierigen Start abzuwarten.
Die Insel bereitet sich auf den Hurrikan vor. Cat sagt Christine, dass er sie mag. Christine erfährt, dass Cat von seiner Frau und seinem Kind verlassen wurde und auf ihre Rückkehr wartet. Christine kann sich nicht entscheiden, ob sie trotzdem etwas mit ihm anfangen will. Lovy, die Frau von Cat, kommt plötzlich zurück, Nora fürchtet, sie würde sie und Christine verhexen. Jeder der Freunde leidet unter unausgesprochenen Wünschen und nicht getroffenen Entscheidungen. Christine möchte ihren Aufenthalt auf der Insel hinauszögern, doch Kaspar ertappt sie dabei. Am Abend, bevor sie abreist, küsst sie Cat. Nora bleibt bei Kaspar auf der Insel.
Sonja
Ein Künstler aus Berlin lernt eine junge Frau, Sonja, auf einer Bahnfahrt von Hamburg nach Berlin kennen. In Hamburg hat der Künstler seine Freundin Verena besucht. Sonja gibt ihm ihre Telefonnummer. Vierzehn Tage später ruft er sie an, sie verbringen einen Abend in einem Café, er redet stundenlang.
Am nächsten Tag hat er Sonja vergessen, bereitet einen Ausstellung vor, es ist Juni, Verena kommt nach Berlin. Am Tag der Ausstellungseröffnung steht Sonja auf einmal vor der Galerie, wirft ihm vor, er habe sich nicht gemeldet. Er erzählt ihr von Verena. Sie besucht seine Galerie.
Einen Monat später fährt Verena zurück nach Hamburg, der Künstler vermisst sie nicht, er ruft Sonja an. Sonja geht ihm eine Weile aus dem Weg, dann lädt sie ihn zu einem Fest in ihrer Wohnung ein. In den kommenden Wochen verbringen sie die Nächte zusammen, schlafen aber nie miteinander. Sie schmiegt sich um sein Leben herum, nimmt Anteil. Verena kommt wieder nach Berlin, in einem Freibad treffen alle drei aufeinander, Verena bemerkt nichts. Als Verena wieder in Hamburg ist, kommt Sonja wieder in sein Leben. Sie erpresst ihn mit Emotionen, zwingt ihn dazu, dass er ihr ein Heiratsversprechen macht.
Sonja muss einen Monat fort, der Künstler vermisst sie. Er fährt nach Hamburg und verlobt sich mit Verena. Zurück in Berlin sagt er Sonja, dass er Verena heiraten wird. Sie wirft ihn aus ihrer Wohnung, er schreibt ihr, entschuldigt sich und entdeckt irgendwann, dass sie unbekannt verzogen ist.
Ende von Etwas
Sophie sitzt in einem Café und erzählt von den letzten Jahren ihrer Großmutter. Am Schluss habe sie nur noch im Bett gelegen. Sophies Vater kümmerte sich morgens um sie, wohnte nur zwei Häuser entfernt. Er machte ihr Frühstück und stellte den Tee auf ein Stövchen mit Kerzenlicht, weil die Großmutter so haben wollte. Die Großmutter beschimpfte ihn und glaubte, alle würden ihr alles stehlen wollen. Mittags brachte Sophies Mutter, sorgte für Essen und Alkohol. Die Großmutter, ihre Mutter, stritt sich mit ihrer Tochter über den Schnaps, den die Tochter vergeblich versuchte, vor ihrer Mutter zu verstecken.
Sophie wechselt während ihrer Erzählung von Café zu Wein. Sie berichtet, wie ihre Großmutter kaum noch selbst laufen konnte, manchmal ins Bett machte, sich einmal die Woche von Sophie und ihrer Mutter die Haare waschen lies. Die Großmutter lacht manchmal und weint oft, leidet unter Verfolgungswahn, wünscht sich den Tod. Zu ihrem Sohn sagt sie, alles sei gut. Der Sohn wurde als Kind einmal am Bahnhof vergessen, er hat nur ein Auge, das andere hat seine Schwester ihm mit einer Schleuder ausgeschlagen.
Am Geburtstag von Sophies Cousine lässt sich die Großmutter nochmal aus dem Haus auf die Feier tragen, sie schenkt einen Topfdeckel, redet wirr. Am Morgen nach der Feier verbrennt die Großmutter durch die Kerze in ihrem Stövchen.
Bali-Frau
Die Erzählerin, Christiane und Markus Werner verbringen einen Winterabend gemeinsam. Markus Werner trägt einen geerbten Pelzmantel, Gummihandschuhe und nimmt Kokain. Die Erzählerin erzählt einer unbekannten Person die Geschichte, die an jenem Abend geschah.
Christiane hat sich in einen Regisseur verliebt, sie möchte seine Nähe und geht mit der Erzählerin und Markus Werner ins Theater, zur Premierenfeier. Die Erzählerin wohnt mit Christiane zusammen, sie befürchtet eine neue, unglückliche Liebesgeschichte. Christiane tanzt, als der Regisseur ins Bild kommt, sie tanzt animierend, der Regisseur wird aufmerksam. Plötzlich betritt eine exotische Frau die Tanzfläche und nimmt Christiane alle Aufmerksamkeit ab, stiehlt ihr die Show. Es ist die balinesische Gattin des Regisseurs.
Die Erzählerin verliert sich auf der Feier, will nicht mit Markus Werner reden, ist allein, sieht den Menschen zu und trinkt. Christiane trommelt sie und Markus Werner, der betrunken mit einem Megafon durch das Theater zieht, zusammen. Christiane sagt, sie müssten jetzt zusammen mit der Bali-Frau nach Hause, sie wolle es so. In der Wohnung des Regisseurs, der bereits schläft, warten die Kinder des Ehepaares. Die Bali-Frau setzt sich mit Christiane, Markus Werner und der Erzählerin in die Küche und erzählt ihnen Blondinenwitze, ohne zu lachen. Christiane weint, Markus Werner schläft ein, die Bali-Frau deckt ihn mit seinem Pelzmantel zu. Als es Tag wird, verlassen Christiane und die Erzählerin die Wohnung, sie hören den Schnee unter ihren Füßen knirschen.
Hunter-Tompson-Musik
Der ältere Mann, Hunter Tompson, wohnt im Washington-Jefferson-Hotel, einem heruntergekommenen Asyl für arme, alte Menschen, die aber nicht obdachlos sind. In einer Wohnung gegenüber der seinen ist vor drei Wochen ein Mann gestorben. Hunter geht seinen alltäglichen Gewohnheiten nach, er hört viel Musik, immer die passende zur Stimmung und Tageszeit. Gegenüber zieht ein junges Mädchen ein. Hunter lernt sie kennen, sie vertraut ihm an, dass ihr Kassettenrecorder gestohlen wurde. Er beginnt, sie für sie zu interessieren. Stellt ihr Musik zusammen, besucht seinen Vertrauten Lenny in einem Laden, kauft einen neuen Kassettenrecorder und will nicht zugeben, dass der Recorder für das Mädchen ist.
Er verabredet einen festen Termin zur Übergabe des Recorders mit ihr, zieht sich dafür extra einen Anzug an. Das Mädchen verpasst den Termin. Hunter ist erschüttert in seiner Gedankenwelt, als das Mädchen endlich kommt, schiebt er ihr nur den Kassettenrekorder und die Kassetten in den Flur und verweigert jedes Gespräch mit ihr. Sie fragt ihn, warum er im Washington-Jefferson wohnt, er antwortet, weil es seine eigene Entscheidung ist und er auch woanders hingehen könnte. Er ist sich sicher, das Mädchen wird aus seinem Leben verschwinden.
Sommerhaus, später
Die Erzählerin begleitet einen Taxifahrer, der Stein genannt wird, von Berlin hinaus aufs Land, wo er in Canitz ein Haus gekauft hat. Auf der Fahrt denkt sie über ihn nach, eine Weile hatte sie eine Beziehung mit ihm, drei Wochen lang wohnte er bei ihr. Dann gehörte er auf einmal zum Freundeskreis dazu, nie komplett, aber er war oft ein Teil von ihr und ihren Bekannten, und er schlief mal mit der einen, mal mit der anderen. Mit der Erzählerin verbindet ihn eine besondere Beziehung, einmal brach einer ihrer Freunde beim Schlittschuhlaufen ein, alle anderen waren schockiert und suchten Hilfe, nur sie und Stein blieben stehen und lachten.
Die Erzählerin ist verwundert, dass Stein nach einer zweijährigen Suche endlich ein Haus gekauft hat. Er holt den Schlüssel bei einer schmutzigen Frau ab, das Haus selbst ist eine baufällige Ruine, es ist kein Schlüssel nötig, um hinein zu kommen, die Türen sind morsch, die Fenster zerbrochen. Stein sagt, er wolle hier für alle Freunde ein gemeinsames Zuhause schaffen. Sie könnten Gras anbauen und jeder hätte ein eigenes Zimmer. Die Erzählerin fragt, ob Stein wirklich für so eine Idee 80.000 Mark ausgegeben habe. Stein sagt, dass sei die falsche Frage. Den Efeu müsse man wegschneiden, sagt die Erzählerin. Sie denkt sich in Stein hinein, vor ihrem inneren Auge taucht immer wieder das hässliche Kind von der Frau mit den Schlüsseln auf.
Sie nimmt die Schlüssel mit nach Berlin zurück, sagt niemandem etwas von Steins Haus. Stein hat es irgendwann fertig eingerichtet, er schreibt ihr jeden Tag, immer mit den Worten „Wenn Du kommst, Du hast ja die Schlüssel.“ Die Erzählerin liest seine Karten und schläft mit anderen Männern.
Drei Tage lang bleiben die Karten aus, dann kommt ein Brief, die Adresse ist von Stein geschrieben, im Umschlag ist ein Zeitungsartikel. Im Artikel steht, das Haus in Canitz sei verbrannt, der Besitzer werde vermisst. Die Erzählerin legt den Artikel in eine Schublade zu den Karten, für später.
Camera Obscura
Marie ist jung und nicht in ihrem Körper zuhause. Sie will etwas von einem Künstler, der zu klein und zu hässlich für sie ist, und sie weiß selbst nicht genau, was sie von ihm möchte. Sie küsst ihn. Sie unterhalten sich, er gibt ihr viel Wodka zu trinken. Sie gibt zu, wegen ihrer Schönheit alles zu erreichen, was sie will. Drei Tage nach diesem ersten Treffen ruft der kleine, hässliche berühmte Künstler Marie an. Sie treffen sich in einem Café, Marie trägt flache Schuhe, um nicht so viel größer zu sein, als er es ist.
Marie ist nachdenklich in den folgenden Tagen, fahrig, verwirrt. Der Künstler ruft an und sagt, er liebe sie. Marie erwidert nichts, sie blickt sich im Spiegel an und scheint sich selbst nicht zu sehen.
Eines Tages fragt sie ihn, ob er mit ihr ins Bett will. Er schickt sie fort, Marie ist wütend. Sie sucht ihn auf, er lässt sie in seine Wohnung, sie hören Musik. Er holt seine externe Webcam hervor, die Marie wie ein schwarzes Auge vorkommt, und nimmt mit ihr Bilder von Marie aus allen Perspektiven auf.
Marie empfindet das als unheimlich und abstoßend. Als sie Sex haben, sieht sie ihrem eigenen Körper selbst teilnahmslos im Bildschirm des Computers zu.
Diesseits der Oder
Der Protagonist, Koberling, wohnt mit seiner Frau Constanze und dem gemeinsamen Sohn Max in einem Haus nahe der Oder. Ihr Leben ist geordnet, unaufgeregt. Anna und ihr Freund Tom tauchen auf einmal in dem geordneten Leben auf, Anna ist die Tochter eines alten Freundes. Tom wird von Koberling nur als „Der Kiffer“ wahrgenommen. Annas Erscheinen weckt bei Koberling Erinnerungen an seine Vergangenheit, an Annas Vater, an die Zeit, als er Constanze kennenlernte. Constanze reagiert positiv auf die Besucher, sie nimmt Tom und Max mit zum Einkaufen, unterhält sich mit Anna und Tom. Koberling ist entsetzt davon, dass Anna morgens einfach in seinem und Constanzes Schlafzimmer auftaucht.
Koberling soll Anna den Oderbruch zeigen, sie reden dort miteinander. Alles an Anna und dem Kiffer beeinflusst ihn negativ, er möchte nicht mit Anna über seine Entfremdung zu ihrem Vater sprechen, weigert sich, ihr davon zu erzählen. Er sagt, er habe die Zeit damals überwunden.
Koberling hat Angst, dass Max sich an Anna ein Beispiel nimmt, dass er eines Tages auch mit einer kiffenden Freundin bei Annas Vater auftaucht. Er hat Angst um sein geordnetes Leben. Constanze wiegelt seine Bedenken ab, lacht. Am nächsten Morgen steht Anna nicht mehr im Schlafzimmer, sie ist in der Nacht mit Tom verschwunden, hat ihre Adresse in Berlin dagelassen. Koberling weiß nicht, was er sagen soll und spricht zum Abschluss nur eine Beleidigung aus.