Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Sachliche Romanze“ wurde von Erich Kästner verfasst und im Jahr 1928 publiziert. Das lyrische Werk behandelt hierbei ein Paar, welches seine Beziehungsprobleme ignoriert und diese nicht miteinander bespricht, sodass man von einer gescheiterten Liebe sprechen kann. Infolgedessen wird verdeutlicht, dass die Protagonisten unfähig sind, mit Gefühlen umzugehen, was sich in einem eher lässigen Tonfall äußert.
Nun gilt es, das Gedicht inhaltlich zu erschließen. In der ersten Strophe des Werkes wird allgemein der Verlust thematisiert und die Ausgangssituation beschrieben. In diesem Kontext geht eine Liebe nach acht Jahren zu Ende. Dieses Erlebnis wird anschaulich mit dem Verlust eines Gegenstandes verglichen. Zudem werden in der zweiten Strophe die Gefühle und Reaktion behandelt. Hier wird dargestellt, dass beide Partner traurig und ratlos sind, nichtsdestotrotz sich aber nichts anmerken lassen. Anschließend zeigt die Frau ihre Trauer, indem sie weint. Jedoch bekennt der Mann keine Reaktion und geht dementsprechend nicht auf den Gefühlsausbruch seiner Partnerin ein. In der dritten Strophe wird sich mit der Außenwelt und den Gewohnheiten befasst. Außerhalb des Raumes, in dem sich das Paar befindet sieht man hierbei Schiffe und man hört jemanden Klavier spielen. Zudem merkt der Mann an, dass das Paar mal gemeinsam daran gewohnt war, zusammen einen Kaffee zu trinken. Letztendlich wird in der vierten und letzten Strophe die Sprachlosigkeit im Café thematisiert. Infolgedessen wird der Aufenthalt der beiden in einem Café beschrieben. Hierbei reden beide Partner nicht miteinander, obwohl sie sich dort mehrere Stunden aufhalten.
Zudem gilt es den formalen Aufbau des Gedichts zu beschreiben. Zunächst kann man feststellen, dass das Gedicht aus vier Strophen besteht, wobei die ersten drei Strophen vier Verse aufzeigen und die letzte Strophe fünf Verse aufweist. Davon abgesehen haben die ersten drei Strophen hierbei das Reimschema abab, was einem Kreuzreim entspricht. Dieser wird wiederrum abgelöst, da man in der vierten Strophe das Reimschema abaab vorfindet. Zudem lässt sich sagen, dass es überwiegend einen vierhebigen Jambus gibt. Daraus lässt sich schließen, dass eine scheinbare Lässigkeit und Unbekümmertheit suggeriert wird, gleichzeitig aber auch eine planvolle, überlegte und geregelte Struktur zum Ausdruck gebracht werden soll. Des Weiteren soll nicht außer Acht gelassen werden, dass die letzte Strophe länger als die vorhergehende ist und diese vierte Strophe somit besonders hervorgebracht wird. In diesem Kontext ist zu konstatieren1, dass der Vers „Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort“ (s. V. 16) derjenige ist, der nicht in das regelmäßige Reimschema eines Kreuzreims
(abab) passt und folglich hervorsticht. Hier wird das, was zuvor schon sehr präsent ist, das Schweigen über das Scheitern und den Verlust der Liebe, inhaltlich auf die Spitze getrieben und formal in die Länge gezogen. Das, was mit dem Paar geschieht, kann es nicht „fassen“ und somit gleichermaßen auch nicht in Worte „fassen“. Dies erfasst sogleich die erstaunte Sprachlosigkeit und schockierte Fassungslosigkeit. Genau wie der Vers (vgl. V. 16) scheint auch das Paar aus dem Konzept gekommen zu sein (vgl. V. 16). Da hierbei vor allem die Beziehung bzw. das Scheitern der selbigen in den Augenschein genommen wird, bezieht sich das Gedicht nur auf das Paar. Das lyrische Ich fungiert infolgedessen nur als Beobachter und findet seine „Rolle“ in einem Betrachter aus der Vogelperspektive.
Darüber hinaus gilt es die Sprache und die verwendeten rhetorischen Mittel im Gedicht zu analysieren, um ein tieferes Verständnis über die Intention des Autors und Message des lyrischen Werkes zu erlangen. Im Folgenden werden somit sprachliche und inhaltliche Auffälligkeiten erläutert.
Zunächst birgt der Titel des Gedichts „Sachliche Romanze“ für sich genommen einen starken inhaltlichen Kontrast, denn eine Romanze im Sinne einer „Ballade“ kann kein sachlicher Text sein. Ebenso kann eine Romanze im Sinne einer „Liebesbeziehung“ nicht formell, trocken und nüchtern sein. In diesem Fall ist es eindeutig eine emotionale Angelegenheit, die man mit dem Adjektiv „sachlich“ ebenfalls nicht in Verbindung bringen würde. Das Oxymoron2 „Sachliche Romanze“ verweist damit schon auf das Bemühen um eine neutrale Beobachtung einer emotionalen Situation.
Dieser Kontrast wird im Text des Gedichts weitergeführt, denn hier wird deutlich, dass die „Romanze“ bereits hinter dem Paar liegt. Was hier beschrieben wird, ist das Ende der Liebe.
Das Thema der verlorenen Liebe ist allgegenwärtig - beschrieben werden jedoch Belanglosigkeiten wie Kaffeetrinken, Herumsitzen, das Beobachten vorbeifahrender Schiffe etc. Zugleich wird deutlich, dass es keine Gleichgültigkeit ist, die das Paar empfindet, was man daran sehen kann, dass die Frau weint (vgl. V. 8) und beide ihre Bestürzung und Gefühle nicht in Worte fassen können (vgl. V. 16 und 17).
Doch der Ton des Gedichts ist nüchtern, eben „sachlich“. Auffällig sind die unterkühlte Wortwahl und der lakonische Satzbau. Die sprachlichen Mittel, die eingesetzt werden, haben etwas Beiläufiges: Der Verlust der Liebe wird mit dem Verlust eines Gegenstands verglichen und damit versachlicht. Ein starkes Gefühl wird wie eine Sache abgehandelt. Diese Versachlichung zeigt sich auch in den antithetischen Konstruktionen (vgl. V. 5).
Auch in der letzten Strophe findet sich dieser Kontrast: Sie gehen „ins kleinste Café am Ort“ (s. V. 13), was emotionale Nähe und ein intensives Gespräch erwarten lässt, doch die beiden „rühren in ihren Tassen“ (s. V. 14).
Der Kontrast zwischen einem starken Gefühl, dem Verlust der Liebe, auf der einen und der Beschreibung von gewöhnlichen Handlungen auf der anderen Seite in Kombination mit einem nüchternen Sprachstil macht die starke Wirkung dieses Gedichts aus.
Des Weiteren ist ein Vergleich bezogen auf Kleidungsstücke (vgl. V. 4) erkennbar. Es veranschaulicht, dass die Liebe nach und nach verloren geht, wie dies auch schnell und einfach mit einem Kleidungsstück passieren kann.
Durch die Adjektive „traurig“ und „heiter“ (s. V. 5) wird eine Entgegenstellung betont, denn das Paar versucht sich selbst einzureden, dass die Beziehung stabil sei, wobei es sich gleichzeitig bewusst ist, dass dies nicht stimmt.
Diese Aussage wird durch die Alliterationen3 „sahen dich an wussten nicht weiter“ (s. V. 7) deutlich, da sie widerspiegelt, dass die beiden sich der zwischenmenschlichen Probleme bewusst sind, jedoch keine mögliche Lösung wissen.
Metaphorisch gedeutet werden kann auch der Vers „Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken“ (s. V. 9). Dies kann man als Bild für die Sehnsucht deuten, vielleicht für die Flucht oder zumindest die Flucht aus der Situation heraus, in der die beiden sich befinden. Doch der Mann redet von Banalem, es ist an der Zeit, Kaffee zu trinken (vgl. V. 11).
Diese Metapher der „Schiffe“ (vgl. V. 9) wird zudem benutzt, um zu symbolisieren, dass das Paar sich der weiten Außenwelt demonstrativ zuwendet und sich von dieser ablenken lässt, sodass es sich auf alles andere außer als auf die Zweisamkeit konzentriert (vgl. V. 12). Dies steht im Kontrast mit der vermeintlichen Lösung, sich um die Liebe und Beziehung zu kümmern.
Darüber hinaus verwendet Kästner die Alliteration „Viertel nach vier" (vgl. V. 10), um zu verdeutlichen, dass das Paar sich dem gewöhnlichen auf die Minute genau geplanten und durchstrukturierten Alltag widmet, sodass die zwischenmenschliche Problematik überspielt wird und geleugnet werden kann.
Des Weiteren zeigt ebenfalls eine Alliteration (vgl. V. 14), dass das Paar sich nichts zu sagen hat und sich anderen Beschäftigungen und alltäglichen Gewohnheiten (vgl. V. 11) widmet.
Außerdem verwendet der Autor zwei weitere Alliterationen (vgl. V. 15 und 16), um zu betonen, dass das Paar auch nach langer Zeit nicht für ein ehrliches, aufrichtiges und emotionales Gespräch bereit ist. Stattdessen ignoriert es die angespannte Situation. Dementsprechend wird auch ein solches drückendes und gezwungenes Klangbild erzeugt, da das Problem trotz der Spannung unausgesprochen ist.
In diesem Zusammenhang verwendet der Autor schlichte, parataktische Sätze (vgl. V. 8), welche verstärkt symbolisieren, dass das Paar die Umstände nicht erklären kann und will.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die alliterative Struktur und die Metaphern4 sowie Kontraste einen gewissen schlichten und sachlichen Sprachgestus erzeugen. Die Beziehungsprobleme des Liebespaares sind unausgesprochen, sorgen für Frust und deuten auf eine kommunikationsgestörte Beziehung. Dies entspricht ebenfalls der Hauptaussage des Gedichts.