Autor/in: Rainer Maria Rilke Epoche: Symbolismus Strophen: 4, Verse: 14 Verse pro Strophe: 1-4, 2-4, 3-3, 4-3
Unter türkischen Linden, die blühen, an Rasenrändern,
in leise von ihrem Heimweh geschaukelten Ständern
atmen die Ara und wissen von ihren Ländern,
die sich, auch wenn sie nicht hinsehn, nicht verändern.
Fremd im beschäftigten Grünen wie eine Parade,
zieren sie sich und fühlen sich selber zu schade,
und mit den kostbaren Schnäbeln aus Jaspis und Jade1
kauen sie Graues, verschleudern es, finden es fade.
Unten klauben2 die duffen3 Tauben, was sie nicht mögen,
während sich oben die höhnischen Vögel verbeugen
zwischen den beiden fast leeren vergeudeten Trögen.
Aber dann wiegen sie wieder und schläfern und äugen,
spielen mit dunkelen Zungen, die gerne lögen,
zerstreut an den Fußfesselringen. Warten auf Zeugen.
Anmerkungen
1
Mineralisches Gestein, welches zu Schmuck verarbeitet wird. Jaspis hat einen markant gesprenkelten Farbverlauf, während Jade besonders zäh ist.
2
etwas aufsammeln (hier Futter)
3
dumpf, matt, glanzlos (im Gegensatz zum prachtvollen Gefieder der Papageien)
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
August Macke: Zoologischer Garten I (1912)
In dem Gedicht von Rainer Maria Rilke „Papageien-Park“ wird in Form eines Sonettes, die Situation von Papageien beschrieben, welche in Gefangenschaft leben.
Im ersten Teil des Sonettes (in den ersten zwei Quartetten) wird beschrieben wie die Papageien leben, an was sie denken und welchen Eindruck sie bei dem Betrachter hervorrufen. Im zweiten Teil (in den zwei Terzetten) wird ein Vergleich zu den einheimischen Tauben gezogen, welche auch in dem Käfig der Papageien leben. Nach dem ersten Textverständnis lässt sich vermuten, dass Rainer Maria Rilke sich sehr lange und intensiv mit diesen Vögeln beschäftigt hat. Durch seine Zeit in Paris, wo er mit dem Bilderhauer Auguste Rodin gearbeitet hat, liegt die Vermutung nahe, dass er selbst einmal im „Jardin des Plantes“ in Paris war und dieses Gedicht nach langer und intensiver Studie der Tiere verfasst hat. Die Betonung der Situation und des Ausdrucks der Vögel unterstreicht dies noch einmal. Mit dieser detaillierten Beschreibung versucht Rilke dem Leser zu vermitteln, dass die exotischen Tiere hier zwar leben können, sich aber hier niemals heimisch füllen werden, da die Anpassungsfähigkeit der Tiere begrenzt ist.
Dieses Sonett ist, wie für ein Gedicht dieser strengen Art üblich, in zwei vier-versigen Quartette und zwei drei-versigen Terzette gegliedert. Zwischen den Quartetten und den Terzetten besteht eine Antithetik, die bei der genauen Analyse des Gedichtinhaltes noch einmal eine Rolle spielt. Nicht nur die Anzahl der Verse und Strophen ist typisch für die Form des Sonettes, sondern auch die klare Anzahl der Silben in den Strophen. Die Silbenanzahl liegt bei diesem Gedicht immer bei 14, jedoch nicht bei dem dritten, sechsten und dreizehnten Vers. In diesen Versen liegt die Anzahl bei 13 bzw. 12 Silben. Auffällig ist, dass die Reime in den Strophen durchgängig sind, sodass sich immer das letzte Wort der Verse, in der entsprechenden Strophe reimt. Dies wird aber in den Terzetten nicht vorgeführt, hier reimt sich das letzte Wort des Verses auf das übernächste letzte Wort des Verses („mögen“ (V. 9) / „Trögen“ (V. 11) / „lögen“ (V. 13) reimen sich und „verbeugen“ (V. 10) / „äugen“ (V. 12) / „Zeugen“ (V. 14)), unabhängig davon, wann das Terzett aufhört oder beginnt.
Weiterhin auffällig ist, dass die Strophen besser harmonieren würden, wenn man die letzten Worte ein wenig vertauscht, sodass es hieße: „mögen“, „lögen“, „trögen“ in Strophe drei und: „äugen“, „verbeugen“, „Zeugen“ in Strophe vier.
In den letzten Versen der zweiten Strophe und in dem ersten Vers der dritten Strophe gibt es jeweils eine Assonanz2 („kauen“ / „Graues“ (V. 8); „klauben“ / „Tauben“ (V. 9).
Die Resignation der Aras in diesem Gedicht, lässt sich an der inneren Form festmachen, denn durch das Stilmittel der Repetition, welche die Gleichgültigkeit der Vögel vermittelt, wird klar, dass sie keine Möglichkeit haben sich für ihre alte Heimat zu interessieren und sich somit mit ihrem „neuem Leben“ arrangiert müssen. Diese Wortwiederholung bezieht sich vor allem auf die erste Strophe („die sich, auch wenn sie nicht hinsehen, nicht verändern.“ (V. 4)), welche noch einmal die Gleichgültigkeit der Aras zeigt, welche sie gegenüber ihrer Vergangenheit haben. In den darauffolgenden Strophen tauchen immer wieder Alliterationen4 auf, z. B.: „Jaspis und Jade“ (V. 7), „finden es fade“ (V. 8) oder auch „klauben die duffen Tauben“ (V. 9). Diese Alliterationen schaffen eine gewisse Monotonie und Gleichmäßigkeit in dem Gedicht, welche die Resignation und die Trägheit der Papageien noch einmal untermalt. Die Wortwahl von Rilke ist insofern auffällig, dass er viele Umlaute oder Diphthonge verwendet, die beim Lesen ein lautmalerisches, vogelähnliches Krächzen vermittelt, das eben jene Laute der Aras nachahmen soll.
Durch die verwendete Personifikation5 („in leise von ihrem Heimweh geschaukelten Ständern“, V. 2), wird die Situation der Vögel noch einmal dem Leser nähergebracht, sodass man sich stärker mit ihnen und ihrer Situation verbunden fühlt. Dazu dient auch der Vergleich „Fremd im beschäftigten Grünen wie eine Parade“ (V. 5).
Die bereits angesprochene Antithetik in diesem Sonett, entsteht durch den Vergleich der Aras mit in Strophe drei und vier erstmals auftretenden heimischen „duffen Tauben“ (V. 9). In der ersten Strophe, wo beschrieben wird wie die Vögel im Käfig verweilen, stehen die Aras im Mittelpunkt. Die zweite Strophe beschreibt die Arroganz und Anmut der Vögel, da sie sich zu „fein“ sind, das ihnen vorgesetzte Futter zu fressen. Die Tauben hingegen verschmähen das Futter, in der dritten Strophe, nicht, wodurch die Aras als „höhnische Vögel“ (vgl. V. 10) dargestellt und auch so bezeichnet werden, was in Strophe vier fortgeführt wird.
So kann zusammenfassend der Ablauf des Sonettes als Klimax6 bezeichnet werden, denn die anmutigen Aras werden mittels der Antithese7 immer mehr zu bemitleidenswerten Geschöpfen, welche ihren Glanz in der Gefangenschaft verloren haben. Dies versuchen sie aber zu überspielen, was in Strophe vier zu erkennen ist. Wenn man unter Zuhilfenahme der Verben diese Strophe einmal näher betrachtet, wird klar, dass „lögen“ (V. 13) der Konjunktiv zu „lügen“ ist. Somit bekommt diese Stelle die Bedeutung zugewiesen, dass die Aras lügen möchten, um ihre Situation in der Gefangenschaft, wo sie ihren Glanz verloren haben, zu verdecken. Dasselbe kann auch auf das Heimweh der Vögel bezogen werden, welches sie vor dem Beobachter tarnen wollen. Weiterhin spielen sie an ihren Symbolen der Gefangenschaft, den „Fußfesselringen“ (V. 14), herum und dies auch noch „zerstreut“ (V. 14), was ebenso als Zeichen ihrer Beschämtheit gedeutet werden kann.
„Warten auf Zeugen.“ (V. 14) steht am Ende des Sonetts für sich allein und bildet somit den Abschluss des Gedichtes. Hiermit soll wahrscheinlich ausgedrückt werden, dass die Aras sich nach Individuen sehnen, welche ihre Not und ihr Heimweh erkennen und ihnen vielleicht sogar helfen können.
Wenn man die „türkische Linde“ (V. 1) und die Aras vergleicht, befinden sie sich in einer ähnlichen Situation. Beide sind fremd in diesem Land und wirken in gewisser Weise fehl am PlatV. Trotz der künstlich geschaffenen Welt des „Jardin des Plantes“ in Paris ist allein anhand der Schlagwörter („Heimweh (V. 2), „Fremd“ (V. 5), „Graus“ (V. 8) und „Fußfesselringen“ (V. 14)) in diesem Gedicht zu erkennen, in welch einer befremdlichen Situation sich die sowohl die Papageien als auch die Linden befinden. Dies kann auch sinnbildlich für Menschen stehen, welche sich in einem fremden Land befinden oder auch allgemein für Personen, die sich mit der „neuen Welt“ nicht anfreunden können.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Hypothese vom Anfang bestätigt wurde, aber ergänzt werden muss. Denn trotz der Unbehaglichkeit der fremden Aras, haben sie trotz ihres Heimwehs nicht ihren Stolz verloren, da sie immer noch versuchen ihr Heimweh und die Gefangenschaft zu überspielen. Dieses Sonett steht sinnbildlich für alle Menschen, die sich in ihrer Umgebung aufgrund anderer Gedanken oder anderem Aussehen fremd fühlen oder durch die gesellschaftlichen Zwänge und Normen eingesperrt sind. Da diese Thematik noch heute aktuell ist, wirkt dieses Sonett zeitlos und auf den Leser sehr ansprechend, denn fast jeder von uns hat einmal eine Situation erlebt, in der er sich wie die Aras gefühlt hat. Letztendlich lässt sich sagen, dass die detaillierte Beschreibung von Rainer Maria Rilke, in Form eines Sonettes, sehr gelungen ist und im Kontrast zu anderen Dichtern seiner Zeit steht, welche weniger ästhetische Gedichte verfasst haben.
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