Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Die Zeit des Barock, eine Epoche voller Gegensätze, war geprägt von den Schrecken des 30-jährigen Kriegs, dem Wüten der Pest und der Herausbildung des Territorialabsolutismus‘. Durch den Krieg und seine unmittelbaren Folgen starben ein Drittel der zu der Zeit im deutschen Reich lebenden Menschen. Das eigene Leben war während dieser Jahre nie sicher, der Tod konnte einen jederzeit ereilen. Dessen waren sich die Menschen bewusst, es bildete sich die Antithetik heraus: Carpe diem – Memento mori; Diesseits – Jenseits; Schein – Sein. Der allumfassende Begriff ist hierfür der Vanitas-Gedanke, der die Vergänglichkeit des Lebens ausdrückt. Neben diesem Gedanken prägte auch die Ständeordnung die Bevölkerung: Das gesamte Leben einer Person schien vorgezeichnet. Ein Ausbruch aus den Grenzen des Lebens war nicht möglich. Selbst in der Kunst waren durch Opitz‘ Werk „Buch von der deutschen Poeterey“ (1624) Grenzen gesetzt.
Diese Merkmale des Barock, die Gegensätze und die festen Formen in den Werken der Lyriker sind auch in „An sich“ von Paul Fleming erkennbar. Das Werk erschien nach dem Tod des Lyrikers im Jahre 1641 bzw. ’42. In dem Sonett1 spricht das lyrische Ich zu sich selbst, es erläutert, wie man auf der Welt zu leben habe. Thematisiert wird auch hier der Vanitas-Gedanke.
Das Sonett unterliegt den festen Formen des Barock, diese unterstützen und stärken die Aussagen Flemings. Dies sind u.a. die 14 Verse, die sich in zwei Quartette und zwei Terzette gliedern. Erkennbar ist außerdem ein sechshebiger Jambus, der Alexandriner. Des Weiteren liegt das für das Sonett typische Versmaß vor. Der umarmende Reim ist dominierend und wird nur in den letzten beiden Versen durch einen Paarreim unterbrochen. Auffallend ist weiterhin der Wechsel zwischen männlichen und weiblichen Kadenzen2. Das Reimschema sowie die Kadenzen geben dem Sonett einen fließenden, fast liedhaften Charakter.
Der Titel „An sich“ gibt wieder, was das Gedicht darstellt: eine Aufforderung an sich selbst.
Dementsprechend beginnt auch die erste Strophe; im Imperativ geschrieben, fordert Vers eins („Sei dennoch unverzagt! Gib dennoch unverloren!“), den harten Bedingungen zu trotzen. Dieser carpe-diem-Gedanke wird zusätzlich durch den Parallelismus „Sei dennoch […]! Gib dennoch […]!“ (V. 1) gestützt. Es folgt im zweiten Vers eine asyndetische doppelte Verneinung. „Weich keinem Glücke nicht“ (V. 2) verlangt, dass man sein Glück packen und festhalten solle. Kein Umstand darf es rechtfertigen, dass man nicht nach seinem eigenen Glück strebt bzw. diesem sogar ausweicht. Sinngemäß ähnlich darf auch die folgende Aufforderung des lyrischen Ichs verstanden werden: Kein Leid und keine Schrecken dürfen das Leben dominieren, sondern haben hinter den Freunden des Lebens zurückzustehen (V. 3). Allein aufgrund der Schnelllebigkeit, d. h. einem möglichen unerwarteten Ende des Lebens, wenn sich „Glück, Ort und Zeit [gegen dich] verschworen“ (V. 4) haben, sollte man, um sich einem heute gängigen Sprichwort zu bedienen, jeden Tag leben als sei es der letzte. Die verwendete Akkumulation (V. 4) verdeutlicht zudem, dass es immer wieder zu dem Gefühl kommen werde, dass die ganze Welt gegen einen sei; trotz allem habe man den Vorzügen des Lebens zu frönen.
In der ersten Strophe fordert Fleming auf, dass man das eigene Glück und die Vorzüge des Lebens trotz aller negativen Umstände, mit denen der Mensch zu kämpfen habe, nicht zurückstellen solle.
Strophe zwei wirkt dahingehend unterstützend. In Vers fünf stellt Fleming die These auf, dass alles, sowohl Glück als auch Leid, vorherbestimmt sei. Der Glaube daran, der in diesen Jahren von der Mehrzahl der Menschen gepflegt wurde, half, sämtliches Elend zu ertragen, indem für das eigene respektive fremdes Leiden eine Erklärung gefunden wurde. Dennoch wird im siebten Vers gefordert, dass man etwas für sein Glück tun, sich dieses erarbeiten solle. Heute würde man wohl sagen: „Jeder ist seines Glückes eigener Schmied.“ Schließlich wird noch die Hoffnung thematisiert. Worauf man zu hoffen vermag, kann möglich werden (vgl. V. 8).
Strophe drei beginnt mit einem Parallelismus. Das lyrische Ich stellt die Frage, weshalb man Gegebenheiten noch beklage respektive lobe (V. 9). Es wird damit an die vorherigen Verse angeknüpft, denn auch hier wird die Behauptung aufgestellt, dass jeder für sein eigenes
(Un-)Glück verantwortlich (vgl. V. 9 f.) sei. Es folgen in den Versen zehn und elf weitere Aufforderungen an sich selbst. Zum einen scheint es, als wollte sich das lyrische Ich selbst begreifbar machen, dass alles erreichbar und möglich sei, da sich sämtliche Möglichkeiten bereits in einem befinden würden (vgl. V. 10 f.). Zum anderen fordert es sich selbst – in Strophe drei zunächst unvollständig – auf, den eigenen „eitlen Wahn“ (V. 11) zu lassen.
Das lyrische Ich widmet sich in der dritten Strophe ganz der These, dass man sein eigenes Glück in der eigenen Hand habe, dass man alle Möglichkeiten in sich trage und sie mithin verwirklichen könne.
Das zweite Terzett greift diese Gedanken ebenfalls auf: Verfügt man über Selbstbeherrschung, Pflichtbewusstsein, Gewissenhaftigkeit (vgl. V. 13), so stehe einem die Welt offen, sei alles möglich (vgl. V. 14). Somit liegt das Glück zunächst bei einem selbst – die Kernaussage des ersten Terzetts.
Paul Fleming thematisiert mit seinem Sonett das Rezept für ein erfolgreiches Leben. Dabei sind seine Ansichten keinesfalls veraltet, sondern aktueller denn je: Die Leistungsgesellschaft in der wir leben schenkt niemandem etwas. Für Erfolg in der Schule, im Studium oder im Job muss man diszipliniert sein sowie gewissenhaft und v.a. viel arbeiten. Schwierige Umstände erlauben es einem nie, zu stagnieren. Damals wie heute ist man selbst für sich und sein Leben verantwortlich. Dessen war sich schon Paul Fleming in seinem Werk „An sich“ bewusst.