Drama: Das Parfum / Die Geschichte eines Mörders (1985)
Autor/in: Patrick SüskindEpoche: Gegenwartsliteratur / Literatur der Postmoderne
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt und kann daher nicht angezeigt werden.
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt und kann daher nicht angezeigt werden.
Grenouilles Ende – Eine Interpretation der Schlussszene von „Das Parfüm“
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Es ist der 28.06.1767. Der Tag von Jean-Baptiste Grenouilles Tod. In Paris ist es genauso heiß wie am Tag der Geburt desjenigen, der heute einen Suizid begehen wird. Der Hauptcharakter der Geschichte betritt in der Nacht den Friedhof, wo sich verschiedene finstere Gestalten tummeln. In einem Akt des Selbstmords übergießt er sich mit seinem Parfüm, welches die Menschen verzaubert und wahnsinnig macht. Die versammelten Diebe, Mörder und Messerstecher werden von der Wirkung des Parfüms erfasst, zerstechen Grenouille und essen ihn auf, sodass nichts mehr von ihm zurückbleibt.
Doch warum hat Grenouille das getan? Warum hat er sein Leben am Höhepunkt seiner Macht aufgegeben?
Der Waise hat von Anfang an nur einen seiner Sinne wirklich benutzt: Seinen Geruchssinn. Er hat sich regelrecht durch das Leben gerochen und im Laufe dessen ein Ziel entwickelt: Er will die Welt beherrschen, indem er einen Duft herstellt, mit welchem er die Menschheit dazu bringt, ihn zu lieben. Die Herstellung dieses Parfüms macht er zum Sinn seines Lebens und dafür ermordet er 25 Jungfrauen, aus deren Gerüchen er das Elixier mischt. Als er für seine Gräueltaten hingerichtet werden soll, besprenkelt er sich mit seinem Parfum und der Hass, welchen die versammelten Menschenmassen auf ihn hegen, wandelt sich schlagartig in Liebe um. Das anfängliche Mitgefühl geht über zu Sympathie, bis es in einer Massenorgie ausartet. Grenouille, der Initiant dieses Geschehens, steht auf dem Podest und beobachtet die Verzauberten.
„Es erschien den Menschen, als lächle er mit dem unschuldigsten, liebevollsten, bezauberndsten und zugleich verführerischsten Lächeln der Welt. Aber es war in Wirklichkeit kein Lächeln, sondern ein hässliches, zynisches Grinsen, das auf seinen Lippen lag (…)“ (S. 304, Zeilen 3-10)
Hier wird deutlich, dass die Menschen gar nicht Grenouille sehen. Er lächelt nämlich nicht. Was die Menschen anlächelt, ist Grenouilles Duft. Sie fühlen sich eigentlich von diesem Parfüm angezogen, nicht vom Träger des Dufts. Dies bemerken die Menschen jedoch nicht. Sie projizieren ihre Emotionen auf die Gestalt, deren Anwesenheit ihre Gefühle vermeintlich erweckt hat.
Grenouille beobachtet die Menschen, wie sie ihm zujubeln und in Ekstase schwelgen. Auf der Stelle hätten sie ihn angebetet, wie Grenouille sich dies in seinen Phantasien erträumt hat. „Er erlebte in diesem Augenblick den größten Triumph seines Lebens und es wurde ihm fürchterlich.“ (S. 305, Zeilen 11-13) Er kann diesen Augenblick nicht genießen, da er selbst erkennt, dass die Menschen ihn nicht um seiner selbst willen lieben. Sie lieben nur das Parfüm. Grenouille wird in diesen Momenten klar, dass sein Wunsch, solch ein Parfüm zu besitzen, gar nicht seine ursprüngliche Sehnsucht war. Der Besitz dieses Dufts kann die Menschheit verzaubern und verleiht ihm Macht. Doch welches Bedürfnis wirklich zutiefst in ihm verankert ist, wird mit folgendem Zitat klar: „Er wollte ein Mal, nur ein einziges Mal, in seiner wahren Existenz zur Kenntnis genommen werden und von einem anderen Menschen eine Antwort erhalten(…)“ (S. 306, Zeilen 21-23)
Grenouille möchte wahrgenommen werden in seiner Existenz. Er wünscht sich eine Reaktion von anderen Personen auf seine Art, seine Gefühle, auf das, was er selbst ist.
Doch seiner eigenen Definition zufolge hat Grenouille keine Existenz, keine Identität. Die Seele einer Person oder Sache beschränkt der Besitzer der weltbesten Nase auf ihren Eigengeruch; er liebt oder hasst aufgrund von Gerüchen. Die Antwort der Menschen, welche seine Existenz zur Kenntnis genommen haben, kann er nicht erhalten, denn niemand nimmt seine Persönlichkeit, die des geruchlosen Grenouille, zur Kenntnis. Grenouille hat gar keine Persönlichkeit. Er hat keinen Geruch. Deshalb ist dieses Trachten nach einer hassvollen Antwort, nach dem Verzehrt werden, nach dem Zerplatzen und Explodieren, nur eine Folge seiner unerfüllten, existenziellen Sehnsucht: Jean-Baptiste Grenouille wünscht sich zutiefst einen eigenen Geruch. Und mit dem Geruch eine Identität.
Dieses Ziel ist unerreichbar. Einen Eigengeruch kann sogar der größte Duftkünstler nicht erzeugen. Da ebendiesem auch klargeworden ist, dass er seinen Lebenstraum nicht realisieren kann, hat er die Lebenslust verloren. Die leise Vorahnung, welche ihn während seiner Zeit in der Höhle beschlichen hat, nämlich, dass er an seinem fehlenden Eigengeruch scheitern wird, hat sich bestätigt. Während die Leute ihm oder seinem Parfüm zujubeln, erkennt Grenouille, dass er sein Dasein damit verbracht hat, sein Defizit zu kompensieren und dass es ihm nicht gelungen ist. Deshalb gibt er auf.
Er begibt sich nach Paris, wo er geboren wurde und wo sich der Kreis schließt. Auf dem Friedhof lässt er sich auffressen, denn der Tod ist die einzige Möglichkeit, welche einen Ausweg aus Grenouilles Krise bietet. Die Macht braucht er nicht. Sie nützt ihm nichts. Sie kompensiert seine Geruchlosigkeit nicht. Deshalb gibt er hier sein Leben auf. Er wird aufgegessen und nichts von ihm bleibt übrig.
Ferner will Grenouille mit seinem Tod die Menschen in einem letzten Versuch dazu zwingen, ihm eine hassvolle Antwort auf seine Existenz zu erteilen. Dank seinem Parfüm gelingt es, die Anwesenden soweit zu bringen, dass sie ihn zerfleischen. Doch auch der letzte Versuch, den Menschen eine Antwort auf seine Existenz zu entlocken, ist zum Scheitern verurteilt: Die Mörder und Diebe reagieren auf das betörende, wie eine Droge wirkende Parfüm. Nicht auf ihn, Jean-Baptiste Grenouille. Des Weiteren tun sie die Gräueltat nicht aus Hass. Im Gegenteil: „Sie hatten zum ersten Mal etwas aus Liebe getan.“
Grenouille hat sein Leben am Höhepunkt seiner Macht aufgegeben, da er bemerkt hat, dass ihm seine Macht nichts nützt. Sein einziger Wunsch ist es, sein Defizit zu kompensieren und dies vermag er nicht zu tun.
Es ist eine traurige Tatsache, dass Grenouille in seinem Leben nie die Möglichkeit erhalten hat, das zu erleben, wonach er sich zutiefst sehnte. So unsympathisch und böswillig er auch ist, so grässlich seine Taten waren; diese Erkenntnis entfacht einen winzig kleinen Funken Mitleid für Jean-Baptiste Grenouille.