Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
Der Roman „Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders“ wurde von Patrick Süskind verfasst und im Jahr 1985 erstmals veröffentlicht. Der Autor thematisiert in dem Roman die Bedeutung von Gerüchen in menschlichen Beziehungen, welche auf den Protagonisten Grenouille einen so starken Einfluss haben, dass er zum Mörder wird.
Die Handlung spielt in Frankreich im 18. Jahrhundert. Jean-Baptiste Grenouille, welcher mit einem außergewöhnlich ausgeprägten Geruchssinn zur Welt kam, beschließt im Laufe der Zeit, das ‚perfekte’ Parfum zu kreieren, für das er den Duft 25 junger Frauen nutzt indem er sie umbringt.
In dem zu untersuchenden Romanauszug erreicht Grenouille sein Ziel, von den Menschen durch seinen selbst geschaffenen Menschengeruch als Teil der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Er begibt sich zufrieden in eine Kirche und wird sich in dieser über seinen Erfolg und seine eigene Macht bewusst. Zudem fasst er den Entschluss, die Menschen mithilfe eines ‚perfekten’ Eigengeruchs zu kontrollieren indem er von allen angebetet wird.
Die Szene ist dem dritten Viertel der Handlung zuzuordnen (Montpellier!): nachdem Grenouille es nach langer Zeit des Experimentierens schafft, den menschlichen Geruch herzustellen, um somit selbst einen Eigengeruch zu besitzen, begibt er sich hier das erste Mal mit diesem in die Öffentlichkeit, um diesen auszutesten.
In dieser Szene wird der Leser näher an die Figur von Grenouille herangeführt, d. h. die Figur von Grenouille wird präzisiert. Er fasst den endgültigen Entschluss, die Mensche zu beherrschen, wobei ebenfalls seine starker Menschenhass und seine antichristliche Haltung zum Vorschein kommen. Jedoch zeigt Grenouille in dem vorliegenden Auszug auch eine maßlose Selbstüberschätzung, wodruch sein langfristiges Scheitern vorausgeahnt werden kann. Somit stellt die Konflikthandlung im Auszug einen Wendepunkt dar, da Grenouille auf dem gefühlten Höhepunkt der Macht in Selbstverliebtheit und Habgier zergeht.
Die aufgestellte Deutungshypothese lässt sich unter anderem durch die Charaktereigenschaften und das Verhalten von Grenouille beweisen. Er geht „in die Kirche“ (Z. 3), jedoch nicht um zu Gott zu sprechen oder sich zu besinne, sondern „um sich von seiner Erregung zu erholen und auszuruhen“ (Z. 3). Er sitzt mit „einer sehr kalten und nüchternen Zufriedenheit“ (Z. 3) in der Kirche, was seine Emotionslosigkeit verdeutlicht. Er besitzt ein „Bewusstsein der eigenen Macht“ (Z. 12), das heißt er hat genaue Kenntnisse über seine genialischen Fähigkeiten und weiß, was er für eine Macht auf andere Menschen ausüben kann. Er möchte von den Menschen geliebt werden, „wenn sie im Banne seines Duftes standen“ (Z. 22), was ebenfalls seinen Wunsch nach der Herrschaft über die Menschen zum Ausdruck bringt. Dieser Wunsch nach Anerkennung und Liebe lässt sich auf das fehlende Urvertrauen zurückführen, welches er während seiner komplizierten Kindheit ohne eine feste Bezugsperson nicht aufbauen konnte. Dass dieser Wunsch, alle Welt solle „ihn lieben bis zum Wahnsinn“ (Z. 23f.), ausgerechnet im Dom als Ort der christlichen Nächstenliebe durch Grenouille ausgedrückt wird, ist ziemlich auffällig. Als er den Entschluss fasst, die Menschen zu beherrschen ist „kein wahnsinniges Flackern in seinen Augen, und keine verrückte Grimasse überzog sein Gedicht“ (Z. 41f.) Dies zeigt, dass er gegenüber seines grausamen Plans ausschließlich Gleichgültigkeit empfindet, was seine Unmenschlichkeit unterstreicht. Dazu kommt die Gotteslästerung in Z. 53-55, wodurch seine antichristlichen Charakterzüge verdeutlicht werden. Zudem zeigen Formulierungen wie „Gott war ein kleiner, armer Stinker“ (Z. 53f.), dass sich sein Hass sowohl gegen die Menschheit als auch gegen Gott richtet.
Die Deutungshypothese wird ebenfalls durch Grenouilles Handlungsmotive und Absichten bewiesen: Nachdem er bereits den „Duft des Menschen“ (Z. 14) geschaffen hat, möchte er nun einen Duft kreieren, „der nicht nur menschlich, sondern übermenschlich war“ (Z. 17f.). Sein auffälligstes Handlungsmotiv was in dem ganzen Auszug aufzufinden ist, ist der Wunsch nach einer Kreation eines neuen perfekten Duftes, bis die Menschen „ihn lieben bis zum Wahnsinn, bis zur Selbstaufgabe, Zittern vor Entzücken“ (Z. 23f.). Grenouille „wollte der omipotente Gott des Duftes sein“ (Z. 27) und somit „die Herzen der Menschen“ (Z. 38) beherrschen. Er verfolgt die Absicht, von den Menschen die gleiche Ehrfurcht zu erlangen, welche diese Gott gebieten, um ein noch größeres Machtgefühl zu verspüren (vgl. Z. 25-29). All diese genannten Aspekte bringen seine Habsucht, Machtgier und Eitelkeit zum Ausdruck.
Auch die sprachlich-stilistische und die bildliche Gestaltung lassen sich mit der zu Beginn aufgestellten Deutungshypothese verknüpfen. Der Vergleich des Weihrauches mit „einer erstickenden Decke“ (Z. 6) zeigt, dass Grenouille nichts Positives mit dem Weihrauch verbindet, welcher ein typisches Symbol für die Kirche und Gott ist. Er empfindet diesen als erstickend und erdrückend, was erneut seine anti-christliche Haltung zum Vorschein bringt. Wenn er den Duft beschreibt, mit dem er die Menschen beherrschen möchte, nutzt er den Neologismus1 „Engelsduft“ (Z. 18), was zeigt dass er von den restlichen Menschen als Engel angesehen möchte und somit höher gestellt sein möchte als der Rest.. Dieser geplante Engelsduft soll damit seine Allmachtsfantasien vom Plomb du Canal in die Wirklichkeit umsetzen. Dies ist ebenfalls eine Vorausdeutung auf seinen Tod am Ende der Romanhandlung, welcher stattfindet, da die Obdachlosen ihn aufgrund seines Geruches für einen Engel halten und einen Teil von ihm „in sich aufnehmen“ möchten. Der Vergleich „auf die Knie sollten sie sinken wie unter Gottes kaltem Weihrauch“ (Z. 25f.) zeigt, dass Grenouille die gleiche Macht wie Gott besitzen möchte, wobei die Menschen ihn auch so behandeln sollen wie den Herrn. Die Formulierung der Duft „unterschied dort kategorisch über Zuneigung und Verachtung, Ekel und Wut, Liebe und Hass“ (Z. 36f.) enthält eine Enumeration und verdeutlicht was Gerüche in sozialen Beziehungen für einen großen Einfluss haben und wie wichtig diese für die Ausführung von Grenouilles Plan sind.
Der parataktische Satzbau zum Ende des Auszugs (vgl. Z. 53f.) zeigt, wie viele Gedanken in Grenouilles Kopf herum „schwirren“ und mit was für einem großen Plan er beschäftigt ist. Die Gedanken „Gott stank. Gott war ein armer, kleiner Stinker“ (Z. 53f.) bringen erneut sein negatives Gottesbild und seine eigene Position als Antichrist zum Vorschein. Er vergleicht sich selbst mit Gott und bezeichnet Gott und sich selbst als „Betrüger“ (Z. 54f.), wobei Gott ein „viel schlechterer“ (Z. 55) sei.
Zur Erzählsituation des vorliegenden Auszugs lässt sich sagen, dass der Wechsel vom auktorialen Erzählverhalten zu Beginn des Auszugs (vgl. Z. 1-8) als Hinführung zum anmutenden personalen Erzählverhalten (vgl. 22-38) sehr auffällig ist. Dazu kommt die Dominanz der erlebten Rede mit einem ungefilterten Einblick in Grenouilles Gedankenwelt und moralisches Empfinden (vgl. z. B. Z. 22ff. und 43ff.) Durch diesen starken Einblick fällt es dem Leser leicht, sich in diese Szene hineinzuversetzen, wobei allerdings auch die Gefahr besteht, dass der Leser Grenouilles Wertanteil übernimmt und dessen Kategorien vom richtigen und falschen handeln.
Nach der Untersuchung der zuvor dargestellten Aspekte lässt sich sagen, dass sich die aufgestellte Deutungshypothese bestätigen lässt. Während seines Aufenthalts in der Kirche fasst Grenouille den endgültigen Entschluss, die Menschen zu beherrschen. Sein Menschenhass, der sich von Beginn der Handlung an entwickelt, findet hier in der Kirche seinen Höhepunkt. Zudem wird sein negatives Gottesbild verdeutlicht und seine Deutung als Antichrist.