Inhaltsangabe, Gedicht-Analyse und Interpretation
Die Natur ist für die Menschheit seit Jahrhunderten von eminenter Bedeutung. Sei es in Bezug auf den kommerziellen, wirtschaftlichen Nutzen, den sie erzeugt, oder die spirituelle, anziehende Wirkung, welche sie für etliche Menschen darstellt.
Wie unterschiedlich die Natur wahrgenommen wird, zeigt sich hervorragend an den vorliegenden Gedichten. Das Gedicht „Mondnacht“ von Eichendorff, veröffentlicht im Jahr 1837, stellt die Nacht als befriedigend, beruhigend dar, und macht diese sogar verantwortlich für transzendente1, metaphysische Erlebnisse. Den Kontrast dazu bildet das Werk von Kunert, ebenfalls mit dem Titel „Mondnacht“, allerdings erst 1983 verfasst. Der Mond wird als Auslöser für Leid, Trauer und Missgunst dargestellt, ebenfalls wird die Nacht mit negativen Gefühlen assoziiert.
In Eichendorffs „Mondnacht“ küsst der Himmel die Erde, worauf die Erde von dem Himmel träumt. Im weiteren Verlauf weht Luft durch Felder, Getreidestiele bewegen sich und Wälder rauschen. In der letzten Strophe wird sich auf das lyrische Ich bezogen, dessen Seele sich ausbreitet und durch die Landschaft fliegt.
Zu Beginn wir die Erde mit dem Himmel in eine Art „Liebesbeziehung“ gesetzt. Dies wird einerseits durch das Verb „küssen“ (vgl. V.2) verdeutlicht, andererseits durch die Verflechtung beziehungsweise durch das Zusammenbringen eines männlichen und eines weiblichen Personalpronomens („die Erde“ und „der Himmel“ V.1ff). Die Elemente bekommen dadurch Eigenschaften einer Person, werden also personifiziert und auf die gleiche Ebene mit dem Menschen gestellt. Dies schreibt dem Himmel und der Erde eine große Bedeutung zu. Ebenfalls wird ein Enjambement benutzt: „Es war als hätt der Himmel die Erde still geküsst“ (vgl. V 1ff). Die Erde rückt somit verstärkt in den Vordergrund. Verursacht durch den Kuss des Himmels muss die Erde „träumen“ (V. 4). Der Traumzustand wird mit „Blütenschimmer“ (V.3) verbunden, was den transzendenten Zustand als etwas Schönes und Fröhliches beschreibt. Zudem wird die Erde durch den Befehl „müssen“ (vgl. V.4) aufgefordert, in einen Traum zu verfallen. Der Himmel hat eine immense einschläfernde und fürsorgliche Wirkung der Erde gegenüber, dass diese ihm nicht widerstehen kann. Durch das Verb „gehen“ (vgl. V.5) wird die Luft personifiziert, wodurch sie eine sehr wichtige Rolle bekommt. Sie ist verantwortlich für das „wogen“ der „Ähren“, also der Getreideholmen (vgl. V. 5f). Darüber hinaus verursacht ihr „Gang“ durch die Natur ein Rauschen der Wälder (vgl. V.7). Das Adjektiv „rauschen“ wird begleitet von einem sehr beruhigenden, zustandsbeschreibenden Verb „lies“, was für Entspannung sorgt. Durch gezieltes Verwenden des Topos: „Wälder rauschen“ wird ein allgemein bekanntes Phänomen für die Verdeutlichung des Zustands genutzt, wodurch es dem Leser ermöglicht wird, eine tiefere Bedeutung zu dem Geschehen aufzubauen. Die Nacht wird als „sternklar“ beschrieben, was sie positiv hervorhebt. Zudem wird die Klarheit, die Reinheit mit Sternen in Verbindung gebracht, was diese erhöht. In der letzten Strophe kommt das lyrische Ich mit ins Spiel. Durch die Naturgeräusche und die generell sehr beruhigende Stimmung verfällt das lyrische Ich in einen Traum. Symbolisiert wird dieser Übergang zum Metaphysischen durch das „Spannen“ der Seele, was anschließend in das „Ausbreiten der Flügel“ übergeht. Die Flügel tragen das lyrische Ich und begleiten, wenn nicht sogar führen es durch die Umgebung. Des Weiteren wird der imaginäre Flug als beruhigend dargestellt, das die Lande „keinerlei Töne“ von sich geben. Dies kann auf einen gewollten Realitätsbezug des lyrischen Ichs deuten. Durch den Traum erfährt es einen Zustand der Freiheit, Entspannung und sorgenlosem Handelns. „Als flöge sie nach Haus“ (vgl. V. 12) steht für die Sehnsucht des lyrischen Ichs nach Erfüllung durch transzendente Zustände. „nach Haus“ wirkt beruhigend und symbolisiert die vollkommene Zufriedenheit nach Erhabenheit. Durch den Zustand des Traumes kann das lyrische Ich in Welten eintauchen, um den eigenen Horizont zu erweitern und inneren Frieden zu finden.
In Kunerts „Mondnacht“ hingegen werden negative Erinnerungen an den Mond und die Nacht beschrieben. Es wird beschrieben, dass Menschen heulen und sich bezogen auf die Mondlandung unsicher fühlen und vieles hinterfragen. Im letzten Abschnitt wird das Leben auf dem Mond als „nicht möglich“ beschrieben.
Gleich zu Beginn wird der Mond als „leblos“ und als „Klotz“ bezeichnet. Dadurch assoziiert der Leser negative Gefühle mit dem Mond. Die Bezeichnung „Klotz“ (V.1) macht den Mond schwerfällig und gibt ihm eine erdrückende Wirkung. Des Weiteren wird er für eisige Nächte verantwortlich gemacht, wodurch dieser allein für das Kalte in der Nacht steht. Der Mond verursacht zudem Erinnerungen an „bittere Märchen“ (vgl. V.3) und an „fremdes Leben“ (vgl. V.3f). Diese abstoßenden Worte rücken den Mond weiter in den Schatten. Durch Benutzung von Enjambements3 wird die Schwerfälligkeit gut symbolisiert und der Mond wirkt bremsend. „Wo die Menschen heulten, anstelle der Wölfe“ (vgl. V. 6f): Dies distanziert die Natur von der Menschheit. Normalerweise heulen Wölfe den Mond an, nun sind es aber Menschen, die ihre negativen Gefühle in Anwesenheit des Mondes preisgeben. Durch das Mondlicht wirkt der Schnee „blass“ (vgl. V.8), folglich verliert der Schnee seinen ursprünglichen Glanz im normalen Lichte und dessen Eigenschaft, zu glänzen, existiert nicht mehr. Darüber hinaus wird der Zustand „schweigen“ benutzt, um die negative, störende Beeinflussung des Mondes zu zeigen. Im weiteren Verlauf beginnt die Mondlandung, bei der allerdings nur Schatten der Menschen landen und nicht wirkliche Personen (vgl. V. 10ff). Dadurch nimmt die Bedeutung des Menschen in der Natur ab. Ebenso wird es an dem Verb „taumeln“ deutlich, was unkoordiniertes Verhalten und Unsicherheit darstellt. Der Mensch ist somit anscheinend nicht dafür erschaffen, derartige Bereiche des Universums zu besuchen. „Viel zu leicht für die Last unserer Herkunft“ (vgl. V. 14f) zeigt die Unerreichbarkeit und die Aussichtlosigkeit auf Korrelation zwischen Mensch und Natur. „Wo Leben unmöglich ist“ (V. 18) macht deutlich, dass der Mond niemals ein Ort des Gedeihens und der menschlichen Entwicklung sein kann. Er steht der Menschheit eher im Weg und ist eine Art Bedrohung oder Unheilbringer. Wörter, die die Gesamtsituation gut beschreiben sind „lebloser Klotz“ (V. 1), eisig (V. 2), bitter (V. 3), fremd (V. 4) und heulen (V. 6). Durch oftmalige Einschübe von Nebensätzen zieht sich das Gedicht in die Länge und sorgt für Monotonie und Bewegungslosigkeit. Durch Inversionen4 wird die befremdende Wirkung des Mondes hervorgehoben (vgl. V. 4ff). Zudem ist das ganze Gedicht lediglich ein Satz, mit Ausnahme des letzten Verses und sorgt somit ebenfalls für eine Ausweitung des Inhalts.
Beim Vergleich der beiden Werke fällt grundlegend auf, dass die Stimmung sehr unterschiedlich ist. In Eichendorffs „Mondnacht“ werden die Natur und vor allem die Nacht ausschließlich mit positiven Eigenschaften in Verbindung gebracht, wohingegen die „Mondnacht“ von Kunert den Mond und die Nacht als äußerst abstoßend und fremd beschreibt. Bei Eichendorffs „Mondnacht“ fällt zudem auf, dass die Erde, also die Menschen Erinnerungen verarbeiten und diese in Träumen ausleben, wobei bei Kunerts Gedicht direkt von Menschen die Rede ist. Dadurch rückt bei Eichendorff primär die Natur in den Vordergrund, bei Kunert der Mensch. Im modernen Gedicht „Mondnacht“ werden zudem Teile der Natur, in dem Fall der Schnee als blass bezeichnet und in der Dichtung aus der Spätromantik „wogten die Ähren sacht“, wodurch eine angenehme Stimmung entsteht. In beiden Texten gerät das lyrische Ich in einen schwerelosen Zustand. Allerdings unterschieden sich diese enorm. In Eichendorffs Gedicht wechselt das lyrische Ich in den metaphysischen Zustand und erreicht durch die Trennung von Psyche und Körper einen schwerelosen Zustand des Fliegens. Im Kontrast zu der psychischen Schwerelosigkeit erfährt das lyrische Ich bei Kunert lediglich einen rein physikalischen, nachvollziehbaren Zustand der Schwerelosigkeit im Weltall. Darüber hinaus wird der physische Schwebezustand nicht als befreiend wahrgenommen sondern erzeugt Unsicherheit und ein schlechtes Gewissen beim lyrischen Ich. Im anderen Gedicht kommt es zu einer Art Horizonterweiterung des lyrischen Ichs, es profitiert von dem unglaublich starken Nutzen der Natur und verfällt damit in tiefe Kontemplation und schließlich in den Traum. Besonders deutlich wird die Differenz beider Gedichte beim Betrachten des Schlusses. „Als flöge sie nach Haus“ und „wo Leben unmöglich ist“ stellen hier direkte Gegensätze dar. Durch den Einfluss der Natur wird dem lyrischen Ich eine Heimfahrt ermöglicht, ein befriedigendes Gefühl der Erlösung, Obhut und des Schutzes. Mit den Worten „wo Leben unmöglich ist“ wird deutlich, dass die Natur keinen sonderlich großen Nutzen für die Menschheit bietet. Eher Missgunst und Unzufriedenheit. Das Werk von Eichendorff liest sich deutlich leichter als das Gegenstück von Kunert. Da abwechselnd männliche und weibliche Kadenzen5 ein flüssiges, vorantreibendes Lesen unterstützen. Vor allem fällt auf, dass bei dem Werk von Kunert nur ein Satzzeichen verwendet wird (vgl. V. 18). Dies verursacht ein im Gegensatz zu dem anderen Werk stockendes, sich in die Länge ziehendes Lesen.