Gedicht: Sogenannte Mesalliance (1938)
Autor/in: Mascha KalékoEpoche: Neue Sachlichkeit
Strophen: 5, Verse: 20
Verse pro Strophe: 1-5, 2-5, 3-4, 4-4, 5-2
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt und kann daher nicht angezeigt werden.
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt und kann daher nicht angezeigt werden.
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht "Sogenannte Mesalliance", welches im Jahre 1938 von Mascha Kaléko geschrieben wurde, handelt von einem weiblichen lyrischen-Ich, das dem Werben von Männern nicht ernst gegenübersteht und auch lange Zeit keine Muße dazu hat, bis es auf einen ärmlichen Wanderer trifft, der sich aus der grauen Masse der Männerschaft abhebt.
Er wird als naturnah, wild und sich selbst treu beschrieben.
Das lyrische Ich ist ihm sehr zugetan und stellt seine Individualität, die Naturnähe und seinen Freiheitsdrang über Reichtum und gesellschaftliches Ansehen.
Mascha Kalékos "Sogenannte Mesalliance" ist der Epoche der neuen Sachlichkeit während der Weimarer Zeit zuzuordnen.
Monotonie, Pauschalisierungen und das einerseits hektische und doch durch strenge Normen geordnete Leben des Einzelnen als Prototyp für jeden, in dem außer Reichtum, Erfolg und Ansehen für nichts anderes genügend Zeit bleibt, prägen diese Epoche.
Das lyrische Genre ist dem motivisch-inhaltlichen Muster der Liebeslyrik zuzuordnen.
Mein erster subjektiver Eindruck des Gedichts war, dass es sich nur eingeschränkt mit den Merkmalen der Epoche der neuen Sachlichkeit vereinbaren lässt.
Es ist für dessen Maßstäbe sehr romantisch formuliert und scheint eher rebellischen Charakter zu haben, da sich das lyrische Ich eindeutig gegen Normen und Werte, wie, dass eine Frau das Reichtum-versprechende Heiratsangebot eines Mannes nicht ablehnen sollte, auflehnt.
Einen armen, heimatlosen Mann einem reichen, stattlichen Herren vorzuziehen, kommt einem Ausbruch aus einer monotonen, geregelten und sehr normenorientierten Gesellschaft gleich.
Auch der äußere Aufbau des Gedichts lässt auf Unregelmäßigkeiten schließen.
Es besteht aus 5 Strophen, bei denen die ersten zwei jeweils 5 Verse, die dritte und vierte jeweils 4 Verse und die letzte bloß 2 Verse aufweisen.
Das Reimschema verändert sich im Laufe des Gedichts.
Die erste und zweite Strophe haben jeweils eine Art Auftaktvers, worauf ein umarmender Reim folgt.
In der dritten und vierten Strophe ist dagegen ein Kreuzreim vorzufinden und zuletzt ein einfacher Paarreim.
Ab der zweiten Strophe verändert sich das erste mal der Aufbau der Strophe; von fünf zu vier Versen. Wie oben schon erwähnt, verändert sich ebenfalls das Reimschema.
Diese Veränderung schreibe ich der Begegnung des lyrischen-Ichs mit dem Wanderer zu.
Wo vorher die Männer ein- und ausgingen und sowohl das lyrische-Ich, als auch dessen Umgebung nicht mehr an eine positive Entwicklung der Zukunft des lyrische-Ichs glaubte, tritt nun nicht nur eine tatsächliche Veränderung in dessen Leben ein, sondern parallel dazu auch im strukturellen Aufbau des Gedichts.
Den einzelnen letzten Paarreim sehe ich als eine Art Fazit oder Erkenntnisgewinn des lyrischen Ichs, dass aller Reichtum wertlos ist, wenn man die Gesellschaft des geliebten Mannes genießen kann.
Das Metrum1 des Gedichts ist ein regelmäßiger 5-hebiger Jambus.
Wird dieser noch zu Beginn als Unterstützung der Heiterkeit über die stetigen und vergeblichen Versuche der Männer eingesetzt, erfüllt er danach die Rolle, das gefundene Glück des lyrischen Ichs zu unterstreichen.
Die metrische Struktur in Form von Kadenzen2 weist keine Auffälligkeiten auf, sie sind ohne Ausnahme dem Reimschema angepasst (d. h. abaab → mwmmw etc.)
Das Gedicht ist sehr geordnet strukturiert, es lassen sich viele Regelmäßigkeiten, sowohl im Metrum, als auch in Struktur und Reimschema erkennen. Und doch tritt ab der Begegnung mit dem Wanderer, wie bereits erwähnt, eine Veränderung ein und Versanzahl, Reimschema und Kadenzen der Strophen verändern sich, genauso wie das bis dato eintönige Leben des lyrischen Ichs.
Im inneren Aufbau des Gedichts lassen sich einige rhetorische Mittel und Besonderheiten finden.
Gleich zu Beginn wird eine Alliteration3 (V.1 „Die Herren offerierten Hof und Haus“) eingesetzt, durch die in Verbindung mit dem 5-hebigen Jambus ein heiterer Auftakt gesetzt wird.
Da das Wort „Herren“ Plural ist, kann man außerdem davon ausgehen, dass das lyrische Ich begehrt ist, da es gleich mehrere Angebote bekommt.
Im Folgenden wird durch einen Vergleich eine rosige Zukunft auf die Größe eines Blumenstraußes komprimiert (V.2 f. „um mir die Zukunft rosig zu gestalten. Sie hielten sie mir hin wie einen Strauß [...]“)
Der Vergleich lässt das Versprechen auf ein schönes Leben abstrus und lächerlich erscheinen, da dieses Vorhaben nicht so leicht umzusetzen ist, wie einen Strauß Blumen zu verschenken.
So ähnlich scheint es auch das lyrische Ich zu sehen, denn es ist eher belustigt als geschmeichelt und flüchtet ohne Antwort, anstatt das Angebot dankbar anzunehmen. (V3 „Ich lachte mir meinen Teil und lief hinaus“)
Im letzten Vers der Strophe stehen die „Bügelfalten“ für die in der damaligen Gesellschaft herrschende Starrheit, Ordnung und Langeweile, die diese Männer verkörpern sollen. (V.5 „Da saßen sie mit ihren Bügelfalten“)
Außerdem erzeugt der Ausdruck „da saßen sie [...]“ den Eindruck, dass diese Männer sich bei Frauen anstellen und auf ihren Empfang und damit ihre Chance warten.
Stolz und die weitbekannte „Männerehre“ scheint somit bei dieser Art von Mann nicht vorhanden zu sein.
Sie tragen keinen „Kampf“ mehr um die Frau ihres Herzens aus, so wie es nicht nur beim Menschen urzeitlich so verankert ist, sondern setzen sich still hin und warten darauf, ihr Angebot von Wohlstand unterbreiten zu können.
In der zweiten Strophe wird deutlich, dass das Verhalten des lyrischen Ichs in der Gesellschaft nicht anerkannt und verstanden wurde. (V.6 „Die klugen Nachbarn schüttelten das Haupt“) da nach den Ansprüchen des Prototyps von Frau damals die Männer mehr als eine Lebensversicherung waren und man solche Angebote nicht ausschlagen durfte.
Im achten Vers wird auch erwähnt, dass ebenso das lyrische-Ich Bedenken habe, ob ihre Zukunft ohne die Versprechen der werbenden Männer einmal rosig aussehen könne. (V.8 „Und Zeiten gab's, da ich es selbst geglaubt“) Direkt im Anschluss werden diese Bedenken jedoch wieder relativiert, da nun der Wanderer ins Bild tritt.
Die zwei Wörter „Wanderer“ und „bestaubt“ zeigen sofort deutlich auf, dass es sich hierbei um eine andere Art von Mann handelt. Einen Wanderer kann man als heimatlosen, umherziehenden und zähen Mann definieren, der sich um die Belange oder Erwartungen der Gesellschaft nur wenig Gedanken macht.
Dies macht auf das lyrische Ich, das, wie schon erwähnt, nichts von Monotonie hält, großen Eindruck.
Der Sprachstil wird romantischer und in dessen Zuge kommt eine Personifikation4 zu tragen (V.10 „Und als er sprach, mein Herz begann zu singen“)
In der dritten und vierten Strophe wird die Persönlichkeit des Wanderers beschrieben.
Hervortreten tun hier besondere Merkmale und Schlagwörter wie wild, naturnah und Individualität.
Er scheint nicht nicht nur anders als der Großteil der Männer zu sein, sondern man gewinnt ebenfalls den Eindruck, dass er das andere Extrem vertritt, den absoluten Rebell. (V.11 „Er hatte nichts als seine wilden Träume“; V.13 „In seiner Art - wie Tiere oder Bäume“; V.15 „Er glich in keinem Atemzug den andern“)
Bestärkt wird dieser Eindruck durch den bereits oben (V.13) zitierten Vergleich mit Tieren oder Bäumen.
Außerdem hält er sich nie lange bei Altem, Bekanntem auf; sein Fokus liegt immer auf etwas Neuem, etwas Unbekanntem. (V.17 „Das Ufer jenseits war sein Ziel beim Wandern“)
Der Begriff jenseits steht allgemein für etwas Anderes und Neues. Er sagt aus, dass der Wanderer nie mehrmals einen Ort besucht, sondern stetige Veränderung in seinem Leben wünscht.
Dies lässt sich natürlich gut mit den Ansichten und Wünschen des lyrischen Ichs vereinbaren, das sich ebenso nach Veränderung zu sehnen scheint.
Beide haben gemeinsam, dass sie ihre Priorität auf neue Erfahrungen, freie Gedanken und freies Handeln setzen.
Etwas, das in der Epoche der neuen Sachlichkeit in der Rangfolge weit abgeschlagen hinter Sicherheit (vor allem finanziell und sozial), Erfolg, Ansehen und Reichtum stand.
Ähnlich lässt sich dann auch die letzte Strophe mit nur zwei Versen lesen, in der der Erkenntnisgewinn und das Verständnis von Glück des lyrische-Ichs metaphorisch geschrieben ist. (V.19 f. „-Wer tauschte nicht des Krösus Scheckbuch ein, in seiner Nähe bettelarm zu sein“)
Die These, die ich zu Anfang der Gedichtsanalyse aufstellte, hat sich während des genaueren Betrachtens struktureller, rhetorischer und inhaltlicher Besonderheiten als zutreffend erwiesen, wobei man natürlich noch weitere Erkenntnisse hinzufügen kann.
Das vorliegende Gedicht habe ich als eine Art Erkenntnisgewinn oder persönlichen Fortschritt Mascha Kalékos gesehen, da ich es mit ihrem 5 Jahre älteren Gedicht „Großstadtliebe“ verglich.
War das Gedicht noch geprägt von stillschweigender Akzeptanz des Gleichartigen, Monotonen, der Einsamkeit ergo des Unerträglichen, scheint bei dem vorliegenden Werk Mascha Kalékos eine Art Ausbruchversuch vorzuliegen. Zumindest das lyrische-Ich scheint als Resultat von Unzufriedenheit und Einsamkeit die verhärteten gesellschaftlichen Strukturen aufbrechen zu wollen, auch wenn es dadurch auf Geld oder Ansehen in der Gesellschaft verzichten muss.
Freies, unabhängiges Denken und Handeln, Individualität und eine anti-materialistische Einstellung treten nun vereinzelt in den Vordergrund. Das Gedicht zeigt die Unabhängigkeit des lyrischen Ichs, was einen Aspekt der weiblichen Lyrik der Epoche der neuen Sachlichkeit darstellt.
In Bezug auf den historischen Hintergrund um das Erscheinungsjahr 1938 lassen sich ebenfalls einige Fakten ableiten.
Die Weltwirtschaftskrise und die Hyperinflation Mitte der 20er Jahre waren gerade vorüber, trotzdem ging es den deutschen Volk finanziell und sozial nicht gut, sie waren unzufrieden mit der Regierung, der Arbeitslage und sehnten sich einen Umschwung herbei.
Ein Jahr später folgte der Beginn des 2.Weltkrieges, womit ein Umschwung dann auch tatsächlich eintritt.
Der Wunsch nach einer Veränderung ist auch in „Sogenannte Mesalliance“ zu finden, wobei dieser zwar auch aus Unzufriedenheit resultiert, jedoch ganz andere Ziele und Motive hat.
Trotzdem war es eine Zeit der Veränderung, deren Charakter sich damit teilweise auch auf die Lyrik niederschlug.