Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Die Epoche der Romantik ist sowohl zeitlich als auch inhaltlich schwer einzugrenzen. Sie ist nicht an einen festen Ort gebunden, sondern wird in Jenaer-, Heidelberger- und Berliner Romantik unterteilt. Als geistige Klammer dieser Epoche gilt die Poesie. Sie verbindet alle Werke und Autoren. Einer der populärsten Dichter dieser Zeit ist Joseph von Eichendorff. Sein Gedicht „Lied in der Fremde“ soll im Folgenden im Hinblick auf Inhalt und Aufbau, Formale Gestaltung, Sprachliche- und stilistische Elemente und der Epoche erschlossen und interpretiert werden.
In „Lied in der Fremde“ thematisiert Joseph von Eichendorff die Nacht, die das lyrische Ich in der Natur, fern der Zivilisation verbringt.
In der ersten Strophe führt der Autor den Leser in die Situation ein. Das lyrische Ich befindet sich bei Nacht auf einem Berg mit einer Zither und reflektiert den Tag.
Die Verwandlung der Natur vom Tag auf die Nacht wird in der darauf folgenden Strophe beschrieben. Ebenso wird auf das innere, fröhliche Befinden des lyrischen Ichs tagsüber eingegangen.
Die dritte Strophe handelt davon, wie sich das hektische Treiben des Tages in der Nacht beruhigt. Alles scheint verwandelt und die fröhliche, laute und hektische Stimmung des Tages ist der Ruhe und Dunkelheit der Nacht gewichen.
Die Natureindrücke der Nacht, auch im Bezug auf die Tiere, werden in der vierten Strophe genau geschildert. So sind nun eine Nachtigall und das geheimnisvolle Rauschen der Bäume zu vernehmen.
In der fünften Strophe wird erneut Bezug auf den Tag genommen, wenn das lyrische ich beschreibt, wie die Freude eines Tages auch in der Nacht noch zu spüren ist, also das Geschehene gewissermaßen nachklingt.
Die letzte Strophe bezieht sich inhaltlich auf die erste Strophe, denn es wird beschrieben, wie das lyrische Ich auf der Zither spielt und singt und dabei über die Menschen, insbesondere ein Mädchen im Tal nachdenkt.
Das Gedicht besteht aus sechs Strophen, die je aus vier Versen aufgebaut sind. Dieser gleichmäßig strukturierte Aufbau korrespondiert mit dem Titel „Lied in der Fremde“, denn er macht das Gedicht sehr sanglich. Den Rhythmus des Textes bestimmt ein vierhebiger Jambus, wobei sich männliche und weibliche Kadenz Versweise abwechseln. Da dies ohne Unterbrechung der Form bzw. des Metrums geschieht, ist der Rhythmus sehr ruhig und gleichmäßig. Der Jambus verdeutlicht also die Ruhe der Nacht und die abwechselnd harten und weichen Kadenzen1 unterstreichen den kontinuierlichen Wechsel von Tag und Nacht. Auch das Reimschema, bei dem es sich um einen durchgehenden Kreuzreim handelt, generiert Ruhe. Zudem bilden Metrik2 und Syntaktik eine Einheit, es liegt also ein Zeilenstil3 vor. Dies ist die formale Umsetzung der Einheit von Natur und Nacht, die in dem Lied thematisiert wird.
Auch der Satzbau erzeugt Ruhe, so liegen überwiegend Hypotaxen vor (V. 1-2, V. 3-4, V. 9-12). Eine Ausnahme bildet die Exklamation4 in Vers sieben, bei der das lyrische ich ausruft, wie still der Wald sei. Hier wird verdeutlicht, dass das singende und sinnierende lyrische Ich das einzig Laute in der ruhigen, nächtlichen Natur ist. Um die Natur des Waldes genau zu beschreiben werden Begriffe wie Buchen (V. 8) und Nachtigall (V. 13) verwendet. Anstatt von Bäumen und Vögeln zu sprechen differenziert der Autor genauer, um dem Leser eine genauere Vorstellung der Nacht zu ermöglichen. Neben dem Wortfeld „Wald“ wird auch das Wortfeld der „Nacht“ ausgeschöpft. Hieraus werden Wort wie Mond (V. 7), Träume (V. 13) aber auch das „heimliche Flüstern“ (V. 16), das die Dunkelheit und Mystik der Nacht beschreibt, verwendet. Um die Ruhe der Nacht zu verdeutlichen wendet Joseph von Eichendorff eine Antithese5 an. In Vers 6-7 wird die Fröhlichkeit während des Tages der Stille der Nacht gegenübergestellt. Diese stilistische Besonderheit hebt den Kontrast zwischen Tag und Nacht hervor, wodurch die Nacht umso dunkler erscheint. Die Mystik des Waldes wird in Vers acht nochmals durch eine Metapher6 unterstrichen. Der Autor spricht von einem „Buchensaal“. Mit dem Wort Saal assoziiert der Leser einen sehr großen, meist dunklen, majestätischen Raum, der nur für besondere Anlässe genutzt wird. In dem Wort „Buchensaal“ gibt der Autor dem Wald die Attribute eines Saals und verdeutlicht so die Mystik dieses Ortes. Die Mystik der Nacht wird durch die Personifikation7 „Die Ströme […] blicken […] silbern auf“ (V. 9f.) verdeutlicht. Dieses Stilmittel unterstreicht zum einen die abgelegene und erhöhte Lage des Lyrischen Ich das die Dinge von oben herab betrachten kann und so auch den Kontrast zwischen Tal und Hügel wahrnehmen kann. Zum anderen wird das silberne Schimmern von Wasser, insbesondere von Flüssen, bei Mondschein beschrieben. In dieser mystischen und ruhigen Atmosphäre reflektiert das lyrische Ich den vergangenen Tag. Die Reflexion wird verdeutlicht, indem alles was sich auf den Tag bezieht im Perfekt (V. 6, V. 9) beschrieben wird, während die Nacht im Präsens erzählt wird (V. 1, V. 3, V. 5, V. 21). Abgerundet wird das Gedicht schließlich durch eine Wiederholung (V. 21), bei der die Zither, die bereits in der ersten Strophe erwähnt wird, wieder aufgegriffen wird und das lyrische Ich letztendlich zu singen beginnt.
Dominierend ist das Motiv der Nacht („nächt´ger Stunde“ (V. 1), „Mond“ (V.7), „Träumen“ (V.13)) verknüpft mit dem Motiv der Natur („Hügel“ (V. 3), „Wald“ (V. 7) „Bäumen“ (V. 15)). Auch das Motiv des Wanderns spielt eine gewisse Rolle. So zielt der Titel „Lied in der Fremde“ sowohl auf einen unbekannten Ort, als auch auf einen Musiker ab. Die Musik, insbesondere wenn sie auf einer „Zither“ (V. 2), also einem leicht zu transportierenden Instrument gespielt wird, ist eng mit dem Wandern verknüpft. Auch, dass das lyrische Ich den Tag im Tal (V. 6) und die Nacht im Wald (V. 7) verbringt, lässt darauf schließen, dass es sich um einen Wandernden Sänger handelt. Durch das Motiv des Wanderns und der Nacht ist eine eindeutige Zuordnung zur Epoche der Romantik möglich. Ein weiteres typisches Motiv wäre die Heimatlosigkeit. Das lyrische Ich befindet sich zwar tagsüber in Gesellschaft (V. 6), hat also gewissermaßen eine Heimat, zieht sich nachts aber bewusst auf einen Hügel, umgeben von der Natur zurück (V. 3).
Der Titel „Lied in der Fremde“ suggeriert, dass es sich an einem fernen Ort befindet, der allerdings nicht unbekannt ist, denn die Leute im Tal kennen „den Sänger“ (V. 24). Bei dem lyrischen Ich handelt es sich also um einen Sänger mit seiner Zither (V. 2), der sehr einsam und in sich gekehrt dargestellt wird, sich aber dem Leser öffnet und erzählt. Er scheint sehr zufrieden mit der nächtlichen Ruhe, sehnt sich aber doch nach der Aufmerksamkeit eines Mädchens (V. 22), das „den Sänger an dem Gruß“ (V. 24) erkennen könne. Dies, und auch die Beschreibung „des Tages Glanz und Lust“ (V. 18), sowie das Gefühl der Fröhlichkeit im Tal (V. 6) lässt darauf schließen, dass der Sänger die Tage in der Gesellschaft verbracht hat und sich nun nachts in die Ruhe der Natur zurückzieht, um den Tag reflektieren zu lassen (V. 19,20). Die sehnsüchtige Reflexion, als Lied an einem ruhigen Ort, abgeschieden von der Hektik des Tages ist als die Hauptaussage des Autors zu verstehen.
Das Motiv des Wanderns und der Natur thematisiert Eichendorff in vielen seiner Gedichte, beispielsweise in „Sehnsucht“. Anders als bei „Lied in der Fremde“ steht hier das Motiv des Wanderns im Vordergrund. Bei dem vorliegenden Gedicht ist das Motiv des Wanderns und der Ferne eher versteckt wahrnehmbar, hier steht die Natur, v.a. die Mystik der Natur bei Nacht im Vergleich zu der Fröhlichkeit bei Tag im Vordergrund. Trotzdem sind die Hauptmotive ähnlich, Joseph von Eichendorff variiert nur ihre Gewichtung.