Drama: Leben des Galilei (1939)
Autor/in: Bertolt BrechtEpoche: Literatur im Nationalsozialismus / Exilliteratur / Emigrantenliteratur
Analyse des Gesprächs
Das Drama und Schauspiel „Leben des Galilei“ wurde 1955/56 von Bertolt Brecht verfasst und ist in 15 Bildern unterteilt, wobei der Handlungsspielraum die Zeit zwischen 1607 und 1637 umfasst und sich in den wechselnden italienischen Schauplätzen Venedig, Florenz und Rom zuträgt. Brecht thematisiert in seinem Drama den Disput zwischen den gegnerischen Fronten, die Kirche als Vertreter der „Alten Zeit“ und die Wissenschaft als „Wegbereiter“ der „Neuen Zeit“, vor dem Hintergrund der sozialen Verantwortung. Die zentrale Gestalt ist hierbei der Astronom Galileo Galilei, der als Verfechter des kopernikanischen Weltsystems zu den ersten Vorreitern der „Neuen Zeit“ gehört und daher im ständigen Zwist mit der Kirche steht. Hierbei behandelt das dritte Bild ein Gespräch zwischen Galilei und Sagredo über die Entdeckung, die das kopernikanische System beweist und den Umgang mit der menschlichen Vernunft thematisiert.
Galilei macht mithilfe eines Fernrohrs eine Entdeckung, welche das kopernikanische System beweist. Obwohl sein Freund ihn vor den möglichen Folgen seiner Forschung warnt, bezeugt Galilei seinen Glauben an die menschliche Vernunft. Anlass für das Gespräch bietet das gemeinsame Forschen am Sternenhimmel. Hierbei ziehen beide auf eine neue Entdeckung ab, wobei Galilei bereit ist, alte Annahmen und Systeme zu widerlegen, Sagredo diese zu verteidigen. Die Redeanteile Galileis überwiegen am Anfang, werden aber von denen Sagredos abgelöst.
Das dritte Bild lässt sich in drei Teile gliedern, wobei zuerst die Forschung an den Gestirnen erfolgt (vgl. Z. 1 - 40), gefolgt von den Schlussfolgerungen der Ergebnisse (vgl. Z. 41 - 68) und der Argumentation der Bedeutung dieser im gesellschaftlichem und sozialem Kontext (vgl. Z. 69 - 115).
Zunächst zieht Galilei Aufmerksamkeit auf sich, indem er die Apostrophe und Epipher „Sagredo, ich frage mich. Seit gestern frage ich mich“ (s. Z. 12 f.) verwendet. Damit erklärt er seine bisherigen Beobachtungen, die besagen, dass sich die Positionen der Jupitersternen stetig ändern (vgl. Z. 14 – 20). Dabei verwendet er parataktische Sätze, wie „Sagredo, ich frage mich“ (s. Z. 12 f.) sowie die Frage „Was ist das?“ (s. Z. 20), die seine Verwirrung kundtun. Sogleich ruft er aus: „Sie du durch!“ (s. Z. 21), was seine aufbrausende Art betont und durch die Regieanweisung „In Bewegung“ (s. Z. 20 f.) auf non-verbaler Ebene verstärkt. Daraufhin bestätigt Sagredo, er sehe drei Sterne (vgl. Z. 22), was Galilei dazu anregt eine Frage zu stellen (vgl. Z. 23) und eine erforderliche Maßnahme zur Klärung dieses Phänomens einzuleiten (vgl. Z. 24 – 25). Mithilfe von Regieanweisungen (vgl. Z. 26 – 30) wird ihre Begeisterung und langandauernde Auseinandersetzung (vgl. Z. 26, 29) verdeutlicht. Nachdem Galilei beweist, dass sich ein Stern hinter dem Jupiter befinde (vgl. Z. 31 – 34), hinterfragt Sagredo seine Annahme (vgl. Z. 35f.). Darauf kommentiert Galilei mit rhetorischen Fragen, wie „Ja, wo ist sie jetzt“ (s. Z. 37), und Ausrufen, wie „Da ist eine andere Sonne!“ (s. Z. 40), um das ptolemäische System echauffiert1 als falsch darzustellen (vgl. Z. 37 – 40). Dies wirkt somit emotionaler und zeugt davon, dass das Thema für Galilei ein persönliches als auch wissenschaftliches Anliegen ist. Ergo möchte er um jeden Preis, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Infolgedessen versucht Sagredo, ihn zu beruhigen, doch infolge Galileis Begeisterung nutzt dieser parataktische Sätze, Ausrufe und die Antithese2 „Was du siehst, hat noch keiner gesehen“ (s. Z. 43 f.). Das verdeutlicht wiederum, dass Galilei sehr echauffiert ist und gleichzeitig vor Begeisterung sprudelt. Die Antithese ist nämlich zugleich eine Hyperbel3, also eine Übertreibung. Die von Sagredo gestellten Fragen (vgl. Z. 44) sorgen für mehr Aufruhr seitens Galileis (vgl. Z. 45 – 49), sodass dieser auch Frau Sarti von der Entdeckung berichten möchte. Doch da Galilei Sagredos Bitte um Ruhe (vgl. Z. 49) ignoriert (vgl. Z. 50 f.), versucht dieser auf ihn einzureden, er solle nicht „wie ein Narr herum […] brüllen“ (s. Z. 53 ff.). Nichtsdestotrotz provoziert Galilei ihn durch nachgeahmte Apostrophen4 und Anaphern5 (vgl. Z. 49 f., 52 – 55). Da aber Sagredo offen seine Angst anspricht, Galileis Annahmen könnten der Wahrheit entsprechen (vgl. Z. 56 f.), kann der Protagonist nur mit einer kurzen Frage reagieren: „ Was?“ (s. Z. 58). Dies stellt den Wendepunkt im Gespräch dar, weil sich das Verhältnis der Gesprächsbeteiligung ändert und Sagredo einen größeren Anteil nun übernimmt, da der Galilei eines Besseren belehren möchte. Er verurteilt und hinterfragt ihn, was auch an der Alliteration6 und rhetorischen Frage „Hast du allen Verstand verloren?“ (s. Z. 69) erkennbar ist. Daraufhin bestätigt Galilei das kopernikanische System (vgl. Z. 65 – 67). Im Verlauf des Gesprächs fragt Sagredo wiederholt, wo in Galileis Weltsystem Gott sei (vgl. Z. 68 f., 71, 75, 78). Galileis Reaktion schwankt zwischen Missverständnis und Leugnung (vgl. Z. 70, 72, 76, 79). Anschließend spricht Sagredo ihn auf die Gefahr an, aufgrund der Häresie verbrannt zu werden, wie dies schon davor getan wurde (vgl. Z. 80 – 84). Hierbei nutzen sich Galilei und Sagredo abwechselnd parataktische Sätze, um aufeinander einzureden (vgl. Z. 80 – 84), was wiederum ihre Sorge um die Folgen widerspiegelt. Daraufhin versucht Sagredo Galilei mit der positiv konnotierten Wortwahl und Apostrophe „Galilei, ich habe dich immer als einen schlauen Mann gekannt“ (s. Z. 87 f.) zu besänftigen und ihm zugleich vorzuweisen, er habe sich in der Vergangenheit an die vorgegebenen Systeme der Kirche gehalten, obgleich er diese für falsch erachtet habe (vgl. Z. 87 – 94). Obwohl Galilei dieses Verhalten begründet (vgl. Z. 95), hinterfragt Sagredo, ob das Nicht- Beweisen einen Unterschied mache. Dieses Hinterfragen wird hierbei durch die Regieanweisung „ungläubig“ (s. Z. 96) betont. Seine Frage bejaht Galilei, weil er an die Menschen und die damit einhergehende Vernunft glaubt (vgl. Z. 98 – 102). Hiermit ändert sich die Rolle Sagredos, der sich zuerst von Galilei belehrten lassen hat und nun sich ihm widersetzt, indem er bekräftigt, dass die Vernunft der Menschen nicht zugänglich sei, was er mithilfe von teils übertriebenen Beispielen unterfüttert und belegt (vgl. Z. 103 – 111). Die dabei verwendeten hypotaktischen Sätze (vgl. Z. 106 – 109) spiegeln seine Entschlossenheit und Überzeugung wider, dass das kopernikanische Weltsystem trotz seines vernünftigen Hintergrundes den Menschen nicht zugänglich sein wird. Die würden nämlich solche wissenschaftlichen und vernünftigen Belege „einfach auslache“ (s. Z. 111). Da Galilei diese Position als „ganz falsch und eine Verleumdung“ (s. Z. 112) bezeichnet und Sagredos Autorität und Person noch dazu hinterfragt (vgl. Z. 113 f.), wird seine Gegenposition deutlich. Hierbei betont er, dass er an die Vernunft des Menschen glaubt und an das damit einhergehende Verbreiten seiner Erkenntnisse über die Richtigkeit der kopernikanischen Lehre. Dies unterstreicht er mit der Metapher7 „Nur die Toten lassen sich nicht mehr von Gründen bewegen“ (s. Z. 114 f.), welche verdeutlicht, dass jedes menschliche lebende Individuum von rationalen Gründen überzeugt sei.
Darüber hinaus kann man noch sagen, dass das Gespräch für die Entwicklung der Geschehnisse im Drama von großer Bedeutung ist. Hierbei ist anzumerken, dass Galilei sich in Bezug auf seinen Glauben an die „Vernunft der Menschen“ basierend auf dem Gespräch mit Sagredo im weiteren Verlauf entwickelt. Obwohl er zuerst für die Vernunft der Menschen und die Wissenschaft einsteht, ändert sich dies, als er versucht, mehrmals seine Ergebnisse und Beobachtungen Gleichgesinnten vorzustellen. Diese lassen sich nicht ein einziges Mal dazu ein und streiten seine Annahmen ab. Da noch dazu Galileis Lehre und Dialog trotz Richtigkeit vom Vatikan verboten wird, zeigt dies, dass die Menschen noch nicht dazu in der Lage sind, das vermeintlich Vernünftige zu tun bzw. das Richtige und Rationale zu erkennen. Dieses Verhalten veranlasst auch Galilei, seinen Glauben an die menschliche Vernunft anzuzweifeln. Zuweilen er selber zum Schluss emotional handelt, um sich selbst vor den Folterinstrumenten zu schützen und nicht richtigerweise die Lehre verteidigt.
Zusammenfassen lässt sich sagen, dass das Verbreiten einer vernünftigen Lehre an der Vernunft der Menschen scheitern oder erfolgen kann. Die zwei Gegenpositionen werden hierbei durch Galilei und Sagredo repräsentiert, wobei Galilei an die Vernunft der Menschen glaubt und dies durch überzeugende Ausrufe unterstreicht. Sagredo wiederum erklärt die Vernunft für die Menschen für unzugänglich, was durch seine Ausführungen verdeutlicht wird.