Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Der Wald hat viele Seiten, immer abhängig vom persönlichen Zustand, von der Tageszeit, und von Art und Größe des Waldes. Der Wald ist in der Nacht eher als Bedrohlich anzusehen. Ein Ort wo es zu Verbrechen kommt, wo man sich fürchtet. Dagegen am Tag ist der Wald ein wunderschönes Naturerlebnis, bei dem man das Heim vieler Tiere und Pflanzen ganz aus der Nähe betrachten und erleben kann. Der Naturraum, gebildet aus vielen Bäumen, kann aber auch ein Ort des Verloren-Seins darstellen, im absichtlichen oder unabsichtlichen Sinne. Man sucht Schutz darin, und versteckt sich, oder man verläuft sich und findet wie in einem Labyrinth den Weg nicht mehr heraus. Bei Eichendorff, den man durchaus als größten Vertreter der Romantik, vor allem der Spätromantik bezeichnen könnte, hat der Wald eine ebensolche Labyrinthfunktion, die ein „Verloren-Sein“, eine Reise ins Innere des Protagonisten darstellt. In dem Gedicht „Waldgespräch“ von Josef von Eichendorff, was ich im Folgenden analysieren werde geht es hauptsächliche um das „labyrinthische“ und mystische des Waldes.
Inhaltlich geht es in dem Gedicht um die Hexe Lorelei und ein Mann, der nicht weiter benannt wird, welche ein Gespräch im Wald führen, bei dem zu Beginn der Mann der Hexe Hilfe anbietet, da er denk, sie habe sich verlaufen. Das Misstrauen der Hexe gegenüber dem Mann ist in ihrer Natur als Hexe Lorelei begründet. Der Mann weiß zu Beginn nicht, dass es sich bei der Frau um die Hexe Lorelei handelt, erkennt sie jedoch bald und gerät schließlich selbst in der Rolle des im Wald Verlorenen, in die Fänge der Lorelei.
Das Gedicht ist in einer Monologstruktur aufgebaut, da Mann und Hexe in den vier Strophen jeweils abwechselnd Sprechen und somit einen direkten Monolog führen. Dabei verwendet Eichendorff durchgehend die einfache Struktur des Paarreimes in seinen vierversigen Strophen. Für jeden einzelnen Vers verwendet Eichendorff durchgehend den vierhebigen Jambus mit männlichen Kadenzen1. Äußerlich auffallend ist außerdem, dass die Sprache des Gedichts sehr einfach ist und somit leicht verständlich.
Die Überschrift des Gedichts von Eichendorff lautet „Waldgespräch“ (Titel). Schon aus dieser kann man die Lokalität der Handlung, den schon in der Einleitung charakterisierten „Wald“ entnehmen und den Aufbau des Gedichtes erahnen: Die Dialogstruktur. Den Dialog, der von Strophe zu Strophe wechselt, beginnt der Mann. Der parallistische erste Vers und der unpersönliche Auftakt sind einerseits typisch für Eichendorff, andererseits ähnelt dieser Vers auch dem Beginn eines Märchens, dem die Romantik sehr verbunden ist. Ein Volksmärchen hat dabei bis zu den Gebrüdern Grimm2 stets auf mündlicher Überlieferung beruht. Diese jedoch schon über mehrere Jahrhunderte hinweg. Hier könnte dieser märchenhafte Auftakt „Es ist schon spät“ (V. 1) einen Vorverweis auf die sagenhafte Figur der Lorelei, die im Verlaufe des Gedichtes noch auftreten wird, sein. Der parallistisch dazu angeordnete Satzteil „es ist schon kalt“ (V. 1) drückt eine gewisse drückende, düstere Atmosphäre des Waldes aus. Die im nächsten Vers folgende Frage lässt zum erstem Mal indirekt den Gesprächspartner des Mannes, den er erste im weiteren Verlauf als Hexe erkennen wird, auftauchen. Er fragt sie, warum sie so einsam durch den Wald reite. Dabei verwendet er eine Synkope „reit’st“, um das Vermaß des vierhebigen Jambus nicht zu verändern und damit die Ordnung im Gedicht, die die klare Monologstruktur unterstreicht, beizubehalten. Ohne die Antwort der von ihm als „schöne Braut“ (V. 4) bezeichneten Frau abzuwarten bietet er ihr in den folgenden beiden Versen seine Hilfe an. Dabei stellt er in Vers drei vorerst noch antithetisch den Unterscheid zwischen der, in seinen Augen hilflosen Frau, die „allein“ ist, und dem „groß[en]“ Wald dar. Zu dem Wort „allein“ (V. 3) könnte man noch Adjektiv „einsam“ (V. 2) hinzuziehen. Somit sind die Attribute, die Eichendorff durch den Mann der Frau zuschreibt Hilfe- und Schutzsuchende. Der Mann versucht eventuell auch die Frau in ihrer Not für sich zu gewinnen, sie zu verführen. Dies wird vor allem im letzten Vers der ersten Strophe deutlich, wo er die spätere „Hexe“ (V. 12) als „Braut“ (V. 4) bezeichnet. Das erinnert natürlich an eine Hochzeit, und unterstützt damit die Verführungsziele des Mannes aus dem vorhergehenden Vers. Außerdem fällt im letzten Vers noch die Subjekt-Objekt-Relation, zwischen „ich“ (V. 4) und „dich“ (V. 4) auf. Hierbei zeigt sich die höhere Stellung des Mannes, der die Frau nach Hause führen möchte. Abermals tritt der Mann als Beschützer und Hilfeleistender hervor; der große Mann, der seine Frau beschützen möchte und muss. Das Männer-Frauen-Bild der Romantik lässt sich hier deutlich erkennen; in der Romantik wurde nämlich die Frau als unvollendeter Mann gesehen und war ihm somit unterlegen. Die möglichen eigenen Interessen, an einer Rettung der Frau, die nach dieser dann eine Schuld an ihn hätte, werden nur indirekt, z. B. durch „schöne Braut“ (V. 4) erwähnt.
Die Antwort der noch unbekannten Frau in der folgenden zweiten Strophe drückt nun die Stellung der Braut gegenüber dem Angebot des Mannes aus, die im Gegensatz zur Erwartung des Mannes gar nicht dem romantischen Ideal entspricht. ‚Groß ist der Männer Trug und List‘ (V. 5), antwortet sie und drück mit dem gleichen Adjektiv, mit dem der Mann in der ersten Strophe die Bedrohlichkeit und Größe des Waldes ausgedrückt hat, jetzt die Hinterhältigkeit der Männer aus. Dafür verwendet sie eine toto pro parte ‚Trug und List‘ (V. 5) für die Unberechenbarkeit des Mannes. Dieses Misstrauen begründet sie im folgenden Vers, indem sie sagt, dass sie schon oft von Männer enttäuscht worden ist. Eichendorff könnte hierin wieder ein romantisches Motiv versteckt haben: In der Romantik experimentierte man mit der Liebe. Die Hexe Lorelei, ist laut der Sage auch Opfer solcher Experimente, bei denen ihr Mann ihr nicht treu gewesen ist, geworden. In den folgenden Versen vermutet die Hexe, die der Mann noch nicht als solche enttarnt hat, dass ihn das ‚Waldhorn‘ (V. 7) hierhergeführt hat, legt ihm aber Nahe zu fliehen. Diese Warnung beginnt mit der Personifikation3 des ‚Waldhorn[s]‘. Das Horn stellt ein weiteres romantisches Symbol dar und ruft normalerweise die Menschen zur Wanderung auf, raus aus ihrem Alltag, zu gehen. Allerdings ‚irrt‘ (V. 7) dieses Horn und führt den Mann damit auf den falschen Weg, was auch durch die Inversion4 am Ende des Verses ‚her und hin‘ (V. 7) verdeutlicht wird. Die Frau gibt ihm nun im letzten Vers die Möglichkeit, sich aus dieser Misere, in die er geraten ist zu befreien. Mit der Exklamatio ‚o flieh‘ (V. 8) fordert sie ihn auf die Flucht zu ergreifen. Bekräftigend unterstreicht sie ihre Aufforderung damit, dass er gar nicht wisse, wer sie sei und somit die Warnung und Aufforderung zur Flucht lieber sofort wahrnehmen solle, bevor er sie erkennt. Äquivalent5 zur ersten Strophe befindet sich auch am letzten Vers der zweiten Strophe ein Ausrufezeichen zur Bekräftigung. An dieser Stelle des Gedichtes, fordert aber die Frau den Mann zu etwas auf. Damit lässt sich an diesem achten Vers klar festmachen, dass ein Rollentausch stattgefunden hat. Dieser Vers, der Mittelvers des Gedichtes, stellt also den Wendepunkt in jeder Hinsicht dar; jetzt befindet sich der Mann in Angst und nicht scheinbar die Frau und damit steht die Frau jetzt über dem Mann.
In der folgenden Strophe erkennt der Mann die Frau nun als „Hexe Lorelei“ (V. 12); jedoch erst am Ende der Strophe. Die Strophe beginnt mit einer Bewunderung des Mannes gegenüber der Hexe in den ersten zwei Versen. Erste staunt er über „Roß und Weib“ (V. 9), anschließend schließt mit einer Anapher6 „So“ (V. 9,10) die Bewunderung des Körpers der Frau selbst an. In der ersten Strophe hat der Mann die Hexe wie durch eine „rosarote Brille“ betrachtet, jetzt wo sie ihn aber gewarnt hat, sieht er zwar immer noch die Schönheit der Frau, allerdings nimmt er diese jetzt ab, da sie ihn an eine ganz bestimmte schöne Frau erinnert, die sehr gefährlich ist. Laut der Sage sitzt diese nämlich auf einem Felsen im Rhein und sorgt durch das kämen ihrer wunderschönen goldenen Haare dafür, dass die Seemänner nicht mehr auf die Rheinströmung achten, und in den Felsen fahren. Die Fänge der Lorelei, in die er geraten ist, erkennt er in jenem Moment „Jetzt kenn‘ ich dich“ (V. 11) und bittet nach einer kleinen Pause, während der er seine Situation einschätzt, die Eichendorff durch den Gedankenstrich ausdrückt, Gott um Beistand. Das ist typisch für Eichendorff, drückt aber auch aus, wie bedrohlich die Situation für den Mann geworden ist, sodass er gleich Gott um Hilfe bitten muss: „Gott steh mir bei!“ (V. 11) Die Strophe endet mit der endgültigen Feststellung „Du bist die Hexe Lorelei“ (V. 12).
Die letzte Strophe, beinhaltet eine finale Antwort der Lorelei. Diese bestätigt, die Einsicht des Mannes die Lorelei zu kennen und erklärt diesem noch in Kürze die Grundzüge der Sage. Der ‚hohe Stein‘ (V. 13) ist eine Umschreibung für den Felsen, auf dem die Lorelei laut Sage sitzt. Die Personifikation ihres ‚Schloß[es]‘ (V. 14), dass ‚still (…) in tiefen Rhein‘ (V. 14) schaut, drück einerseits aus, dass es dort gerade ruhig ist, weil die Lorelei sich im Wald aufhält, andererseits jedoch auch, dass das Schloß die Stellung für sie hält. Die Raumsemantik zwischen dem ‚hohen‘ (V. 13) Felsen, auf dem die Lorelei sitzt und und dem ‚tiefen Rhein‘ (V. 14) in dem ihre Opfer versinken, stellt nochmals die umgedrehte Frau-Mann-Rolle gegenüber Beginn des Gedichtes heraus. Zwar hat die Lorelei ihr Opfer gerade im Wald gefunden, dennoch steht sie über ihm und der Mann wird tief sinken, versinken. Eine Ringkomposition ergeben die letzten beiden Verse mit den ersten Beiden. Mit einigen leichten Abweichungen sind sie fast identisch und könnten somit auch als Refrain bezeichnet werden. Ein entscheidender Unterschied zwischen erstem und zweitem Refrain ist das letzte Satzzeichen. Im ersten Refrain noch ein Fragezeichen, was die Besorgnis des Mannes ausgedrückt hat steht im letzten Vers ein Ausrufezeichen, das besiegelt, dass der Mann ‚nimmermehr‘ (V. 16) aus diesem Wald kommt. Ein weiter Unterschied veräußert sich von der Veränderung des Verbs „ist“ (V. 1) zum ‚wird‘ (V. 16). Wo der Mann den Wald schon in Vers eins als kalt bezeichnet, sagt die Hexe in Vers 16, dass es erst richtig kalt wird und stellt damit nochmals ihre Überlegenheit gegenüber dem Mann heraus: Sie hält entgegen der Besorgnis des Mannes aus der ersten Strophe die Kälte des Waldes gut aus, hingegen für den Mann scheint es erst richtig kalt und bedrohlich zu werden. Ob sich der Mann möglicherweise noch aus den Fängen der Verführerin retten kann, für immer unter ihrer Obhut bleibt, oder gar stirbt, darüber gibt das Gedicht keinen Aufschluss mehr.
Mit dem mystischen Element, was Eichendorff mit der Sagenfigur Lorelei, dem gefährlichen Wald und dem ungewissen Ausgang mit hineinbringt, wird er durchaus dem Geist der Zeit gerecht. Der Zeitraum der Spätromantik, der sein Zentrum in Berlin hat, ist auch geprägt von mystischen Werken, u.a. E.T.A. Hoffmann und die Elixiere des Teufels. Eichendorff kann man nicht wirklich zu den mystischen Romantikern zählen, dennoch greift er hier auf eine negative Sagenfigur zurück und lässt das „Waldgespräch“ an einem bedrohlichen Ort spielen.