Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Gliederung
- A. Wunsch nach Rückzugsorten
- B. Analyse des Gedichts Nachtzauber
- I. Form und Inhalt
- 1. Regelmäßigkeiten in der Form
- 2. Frage nach der Wahrnehmung des Wasserrauschens V. 1-5
- 3. Beschreibung eines Sehnsuchtsortes in der Nacht V. 6-10
- 4. Frage und Darstellung einer Blume V. 11-15
- 5. Ausdruck der wunderbaren Zeit an dem Sehnsuchtsort V. 16-20
- II. Sprachliche Analyse
- 1. Verwendung von weichen Vokalen, positiven Wortfeldern zur Schaffung einer beruhigenden Atmosphäre
- 2. Verwendung von Wortfeldern aus allen Sinnen zur Steigerung der Wahrnehmung des Sehnsuchtsortes
- 3. Exclamatio, Aufrufe, rhetorische Fragen, Antithesen1 zum Ausdruck der Begeisterung und Sehnsucht des lyrischen Ichs
- 4. Positive Adjektive, Hyperbeln2, Metaphern3, Symbole als Verstärkung der Schönheit des Sehnsuchtsortes
- 5. Ellipsen4, Inversionen5, Personifikationen6, Antithesen als Ausdruck des zauberhaften Charakters des Sehnsuchtsortes
- III. Romantische Motive
- 1. Historischer Hintergrund der Romantik
- 2. Bezug auf das Mittelalter
- 3. Nacht und Traum als zentrales Merkmal der Romantik
- 4. Naturverbundenheit
- 5. Reise zu dem Sehnsuchtsort
- 6. Sehnsucht und Streben nach dem Sehnsuchtsort
- 7. Entfliehen der Realität und Vernunft
- C. Eichendorff als bekanntester Romantiker
Inhalt
Moderne Arbeitswelt bedeutet arbeiten bis zum Umfallen. Vom Chef unter Druck gesetzt und mit Arbeit überhäuft ist es nahezu unmöglich, das Leben stressfrei zu genießen. Manch einer frägt sich deshalb, ob es nicht irgendeinen Ausweg oder Ruheplatz gibt, an dem er nur für sich ist und vom Leben Abstand nehmen kann. Genau dieser Wunsch wird in dem romantischen Gedicht „Nachtzauber“ von Joseph Freiherr von Eichendorff behandelt.
Dieser lyrische Text ist aufgebaut aus 2 Strophen á 10 Versen und jede Strophe beginnt zuerst mit einer Frage des lyrischen Ichs und einer darauffolgenden längeren Passage. Formal gesehen lassen sich viele Regelmäßigkeiten finden. So hat das Gedicht das Reimschema abaabccdcd, was eine Mischform aus Kreuzreim und umarmender Reim ist. Darüber hinaus ändert sich die Folge von männlicher und weiblicher Kadenz7 äquivalent zum Reimschema, wobei die stumpfe Kadenz das b bzw. d im Reimschema ist. Auch im Versmaß ist ein sehr regelmäßiger 4-hebiger Trochäus zu finden, der nur vereinzelt im siebten und 17. Vers unregelmäßig wird. Die zahlreichen zusätzlichen Enjambements8 lassen das Gedicht als ein abgerundetes, vollkommenes und auch als eine Art „fließendes“ Gedicht erscheinen, das auf den Leser beruhigend wirkt und ihn mit einem beschwingten Gefühl erfüllt.
Inhaltlich stellt das lyrische Ich am Beginn der ersten Strophe eine Frage an einen fiktiven Gesprächspartner oder den Leser selbst, ob auch dieser das Rauschen einer Quelle hört, der an einen einsamen und leisen Waldsee, der umringt von Marmorbildern ist, führt. Im zweiten Teil der Strophe wird nun der Einzug einer Mondnacht über diesem Ort beschrieben, die offenbar Erinnerungen an alte Erzählungen weckt und den Waldsee und die Umgebung durch das Licht des Mondes glänzen lässt. Diese Idylle wird von dem lyrischen Ich als Traumvorstellung des fiktiven Gesprächspartners beschrieben. Die zweite Strophe beginnt ebenfalls mit einer Frage des lyrischen Ichs, ob jener auch von einer Blume weiß, die an dem beschriebenen Ort wächst. Dieses Gewächs wird als eine Pflanze dargestellt, die noch nicht ganz blüht, aber schon Ansätze von roten und weißen Blüten zeigt. Im letzten Abschnitt des Gedichts beschreibt das lyrische Ich die vermeintlich wunderbare, aber schon vergangene Zeit an diesem Ort und beendet den lyrischen Text mit einem Aufruf, dass der fiktive9 Gesprächspartner zu dem angeblich vollkommenen Platz kommen soll. Aber nicht nur inhaltlich lassen sich viele wichtige Aspekte dieses Gedichts erkennen, sondern auc h sprachlich versucht der Dichter Eichendorff bestimmte Akzente zu setzen.
In dem Gedicht ist besonders signifikant, dass Eichendorff eine beruhigende und auch faszinierende Atmosphäre schafft. Das gelingt ihm durch einige sprachliche Auffälligkeiten. Eine davon ist die Verwendung von weichen Vokalen wie „o“, „a“ oder „e“ in zahlreichen Wörtern. Beispiele dafür wären „Waldesseen“ (V. 3), „schlagen“ (V. 16), „klagen“ (V. 17) oder „Nachtigallen“ (V. 16). Damit wirkt das Gedicht und auch der Fluss des Gedichtes viel weicher und auch angenehmer. Man könnte meinen, das Gedicht fliegt nur so an dem Leser beim Rezipieren10 vorbei, so fließend und geschmeidig wird diese Lyrik durch jene Vokale. Um diese Wohlfühlatmosphäre, ausgelöst durch das Gedicht, zu verstärken werden in dem Text fast nur Wörter, besonders Adjektive, aus positiven Wortfeldern verwendet. So erzeugen die Beispiele„schön“ (V. 5), „wunderbare“ (V. 8) oder „Traum“ (V. 10) die angenehme und positive Grundstimmung des Gedichtes und machen es zu einem sehr lesenswerten Text. Darüber hinaus fällt bei dem Gedicht auf, dass viele Sinne durch die Verwendung von mit diesen in Bezug stehenden Wortfeldern angesprochen werden. So findet man zum einen das Verb „Hörst“ (V. 1), zum anderen das Nomen „Lieder“ (V. 7), welche beide mit dem Ohr als Sinnesorgan verbunden werden. Aber auch „roter“ (V. 15) und „weißer“ (V. 15) sprechen das Sehen an, da Farben nur mit den Augen wahrgenommen werden können. Dieser Bezug auf die Sinne lässt den Leser das Gedicht viel intensiver „miterleben“ und zieht ihn nahezu in das Geschehen hinein. Dadurch wird der Text viel aufmerksamer gelesen und die Botschaft des Gedichtes viel besser an den Adressaten übermittelt. Eine weitere sprachliche Auffälligkeit des Gedichtes ist die Verwendung der Exclamatio „Ach“ (V. 18) und des Aufrufs „Komm, o komm“ (V. 20). Dies verbunden mit den rhetorischen Fragen am Anfang der jeweiligen Strophe (vgl. V. 1 ff. beziehungsweise V. 11 ff.) drücken die Begeisterung und vor allem die Sehnsucht des lyrischen Ichs nach dem im Gedicht beschriebenen Traumort aus. So sehr ist das lyrische Ich fasziniert von diesem vermeintlich perfekten Platz und fordert auch den fiktiven Gesprächspartner auf, der vielleicht der Leser selbst sein könnte, an diesen Ort zu kommen, der nichts an Wünschen übrig lässt. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die Antithese „schöne Einsamkeit“ (V. 5). Denn das lyrische Ich ist so sehr „besessen“ von diesem Sehnsuchtsort, dass es sogar eigentlich negativ besetzte Wörter mit positiven verbindet. Aber Eichendorff verwendet auch sehr viele sprachlichen Mittel zur Verstärkung der Schönheit und Perfektheit des beschriebenen Ortes. So werden fast nur positive Adjektive wie „schönen“ (V. 19) verwendet. Dazu kommen viele Hyperbeln, mit denen Eichendorff wiederum versucht, den Sehnsuchtsort als unbegreiflich faszinierenden und in seiner Gesamtheit unübertrefflichen Traum- oder Rückzugsort zu beschreiben. Als Beispiele dienen hier „wunderbare“ (V. 8) oder „uralten“ (V. 7). Noch mehr wird diese Besonderheit dieses Zauberortes mit der Metapher „weiße Arme, roter Mund“ (V. 15), mit der Eichendorff versucht, die an diesem Platz wachsende Blume, mit einer Frau zu vergleichen. Dadurch wird die Schönheit des Ortes nochmals gesteigert. Als weiterer Ausdruck dieses wundersamen Ortes kann man viele Symbole im Gedicht erkennen. So steht natürlich die gerade genannte Metapher für die Liebe (vgl. V. 15), die „Nachtigall“ (V. 16) für bezaubernden Vogelgesang und Marmorbilder ganz klar für die vollendete Schönheit durch „edle Einfalt und stille Größe“ wie schon Winckelmann feststellte. Eine weitere sprachliche Auffälligkeit sind die oft vorkommenden Ellipsen (vgl. V. 14 f) und Inversionen (vgl. V. 1 ff.). Dies lässt den beschriebenen Ort unbegreiflich, nicht fassbar und rätselhaft wirken, also wie ein richtiger mythischer Zauberort. Dieser Ausdruck der Ungewöhnlichkeit des Ortes wird wiederum verstärkt durch die Personifikation der „Nacht“ (vgl. V. 8) und der „Quellen“ (V. 1 ff.). Diese Vermenschlichung von eigentlich toten und abstrakten Erscheinungen lassen auch den Sehnsuchtsort als übernatürlich erscheinen. Dieser Eindruck wird schlussendlich noch damit abgerundet, dass auch Antithesen wie „Liebe todeswund“ (V. 18) zu finden sind, die nochmals den zauberhaften Ort als etwas Rätselhaftes und Ungewöhnliches darstellen. Doch nicht nur in der Sprache lassen sich Besonderheiten erkennen, sondern es finden sich auch viele romantische Motive in diesem Gedicht.
Die Literaturepoche der Romantik kam in einer Zeit auf, die geprägt war von Industrialisierung, Rationalität und Effizienzdenken. Deshalb lehnten die Gestalter dieser literarischen Epoche all diese für sie verwerflichen Gedanken ab und widmeten sich den Gefühlen, der Poesie und der Sehnsucht nach einer Flucht in eine traumhafte Gegenwelt. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich schon sehr viele romantische Motive in diesem Gedicht erkennen. So ist in dieser Lyrik der Bezug zum Mittelalter sehr signifikant. Deutlich wird das durch die Phrase die „uralten Lieder“ (V. 7) und das Wort „Marmorbilder“ (V. 4). Dadurch versucht man eine Verbindung zu der alten Zeit zu schaffen, die in der Romantik eine große Rolle spielte. Denn damals war noch Platz für märchenhafte und irrationale Gedanken und Geschehnisse. Die Romantiker wolltensozusagen zu der „guten, alten Zeit“ ohne Naturwissenschaften, die alles genau erforschten und kein Platz für Spekulationen oder Träume ließ, zurückkehren. Ein weiteres und wahrscheinlich eines der bedeutendsten Motive der Romantik, das auch in diesem Gedicht zu finden ist, ist das Motiv der Nacht und des Traumes. So wird der zauberhafte Ort größtenteils bei einer Nacht beschrieben (vgl. V. 8) und dieser Platz wirkt wie im „Traum gedacht“ (V. 10). Dieses Motiv steht in der Beziehung mit dem Wunsch der Romantiker, in eine Gegenwelt zu fliehen, die sie von der Realität ablenkt. Denn im Traum und damit auch in der Nacht „entflieht“ man sozusagen der Wirklichkeit in eine märchenhafte „Traumwelt“, in der man frei von gesellschaftlichen Zwängen und dem verhassten Bürgertum, dem sogenannten Leben eines Philisters, seine Gedanken frei entfalten und seine Gefühle ohne Einschränkungen ausleben kann. Darüber hinaus lässt sich das Motiv der Naturverbundenheit oder Naturbegeisterung in diesem Gedicht feststellen. So besteht nicht nur das nahezu komplette Gedicht aus Wörtern, die mit der Natur in Verbindung stehen (vgl. V. 2), sondern die Umwelt wird fast schon in den Himmel gelobt. Diese Begeisterung von der Natur rührt daher, dass die Romantiker in der Natur das eigentliche und natürliche Leben sahen, in das sie wie in eine Traum- oder die genannte Gegenwelt entfliehen können und schlussendlich wieder frei von allen Zwängen sind. In der Natur wurde nämlich die ursprüngliche Lebensform gefunden, die noch nach dem Gefühl definiert wird und den reinen Verstand vernachlässigt. Ein weiteres romantisches Motiv des Gedichtes ist die Reise und zwar in diesem speziellen Fall die Reise an den im Text beschriebenen Sehnsuchtsort. Denn das lyrische Ich fordert auf, an diesen Platz zu kommen und erzwingt sozusagen ein Bezug zum Reisemotiv. Dieses ist ähnlich zu erklären wie das Motiv des Traumes, weil durch eine Reise, möglichst in die Natur, erreicht man auch andere Welten und kann sich so aus der Realität entfliehen. Hier spielt natürlich auch die Ferne eine Rolle, die den Wunsch eines Romantikers entstehen lässt, an weit entfernte Orte zu gehen und diese zu entdecken. Diese Ferne drückt auch das in der Romantik stark ausgeprägte Kennzeichen der Unendlichkeit aus, die unbegreiflich, irrational und dadurch mythisch und märchenhaft erscheint, was den romantischen Autoren sehr wichtig war. Eines der stärksten Motive in diesem Gedicht ist aber die Sehnsucht und das Streben. Dieses Streben und die nie endende Sehnsucht, in diesem Fall nach dem beschriebenen Ort, war sehr bedeutend für die Literaturepoche dieser Lyrik. Denn ein Romantiker sah sich in einem Zustand der Unzufriedenheit, in dem er immer bleiben wird. Deshalb war es für diesen sehr wichtig, ständig nach einem verbesserten Lebensweg zu suchen und nie aufzuhören, sich nach einem romantischen Leben zu sehnen. Diese Sehnsucht wird in diesem Gedicht mit der Sehnsucht und dem Verlangen nach dem im Text dargestellten Traumort gleichgesetzt, wird aber vor allem durch das Symbol der Blume (vgl. V. 11), eigentlich meistens einer blauen Blume, deutlich, da die Blume in der Romantik stellvertretend für die Sehnsucht stand. Das aber wohl wichtigste und schon öfters genannte romantische Motiv in diesem Gedicht ist aber die Flucht in eine Gegenwelt. In diesem Fall soll man an einen wunderbaren und vollkommenen Ort fliehen, der eine Gegenwelt zur tristen Wirklichkeit eines Philisters ist. In dieser Gegenwelt befreit man sich von der Vernunft und den alltäglichen Sorgen, sodass man in einer Art Schwebelosigkeit und Traum leben kann, in dem Platz für märchenhafte und unwirkliche Geschehnisse ist.
Schlussendlich erkennt man, dass trotz des relativ geringen Umfangs des Gedichtes eine Menge an Raffinessen und Besonderheiten zu finden sind. Diese Kunst, auf kleinstem Raum so viel Inhalt zu verpacken, beherrschte Joseph Freiherr von Eichendorff vorzüglich, was man auch an seinem Gedicht mit dem Namen „Wünschelrute“ festmachen kann. Deshalb ist er nicht zu Unrecht einer der bekanntesten und populärsten Dichter der Romantik geworden, der weit über die Grenzen Deutschlands hinaus gekannt wird.