Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Nachtzauber“ von Joseph von Eichendorff, welches 1853 erschien und der Epoche der Romantik zugeordnet wird, thematisiert die Sehnsucht nach einer Liebe, die der lyrische Sprecher nur in seinen Träumen und Erinnerungen finden kann.
Formal besteht das Gedicht aus zwei Strophen mit jeweils zehn Versen. Das Reimschema, das in beiden Strophen gleich aufgebaut ist, unterscheidet sich lediglich in den ersten fünf Versen jeder Strophe (abaabccdcd). Das somit unregelmäßige Reimschema bestehend aus Paar- und Kreuzreimen ist ebenso abwechselnd wie die weiblichen und männlichen Kadenzen1. Das Metrum2 ist der Trochäus.
In der ersten Strophe wird sehr detailliert die Natur mithilfe von metaphorischen Ausdrücken beschrieben. Die zweite Strophe behandelt eine Liebe, welche durch das Motiv einer Blume noch mehr zum Ausdruck gebracht wird und genau erläutert wird.
Zunächst wird durch das unregelmäßige Reimschema eine gewisse Dynamik ins Gedicht gebracht, was die Natur mit ihren vielen verschiedenen Facetten darstellen soll.
Beginnend mit einer Frage „Hörst du nicht …?“ (V. 1-5) wird der Leser direkt ins Geschehen versetzt, sodass ein authentischeres Nachvollziehen der im Gedicht dargestellten Szene möglich ist. Die im ersten Vers vorkommende Personifikation3 „Quellen gehen“ (V. 1) steht für den Ursprung von allem und nochmals für das dynamische Auftreten der Natur. Nun wird die Natur in all ihrer Schönheit genauer beschrieben, dabei werden verschiedene Sinneseindrücke, ob auditive („stille Waldesseen“ (V. 3)) oder visuelle („Marmorbilder“ (V. 4)) verwendet. Die Marmorbilder stehen nicht nur für die Reinheit der Natur, sondern auch für eine Ewigkeit, die visuell zum Vorschein gebracht wird. Somit wird die Natur als unendlicher Kreislauf des Lebens indem sich der lyrische Sprecher befindet, dargestellt. Die Antithese4 „Stein und Blumen“ (V. 2) verdeutlicht die hier beschriebene Vielfältigkeit. Diese Vielfältigkeit wird durch die Enjambements5 in den ersten Versen noch weiter unterstützt. In der Natur findet der lyrische Sprecher Ruhe, was durch die „schön(e) Einsamkeit“ (V. 5), welche aber hier durchaus positiv besetzt ist, deutlich wird. In Kombination mit der zu anfangs aufgeworfenen und über mehrere Verse ziehende Frage zeigt dies deutlich, dass sich der lyrische Sprecher nach Ruhe und Beglückung sehnt, um z. B. aus einem hektischen typischen Leben in der Gesellschaft zu entfliehen. Die „uralten Lieder“ (V. 7), die von „den Bergen sacht hernieder“ (V. 6) kommen, stehen für die Erinnerungen des lyrischen Ichs und erzeugen somit eine nostalgische Atmosphäre. Die Natur zusammen mit den alten Liedern macht die Natur „wunderbar“ (V. 8). Die positive Atmosphäre wird weiter durch die Alliteration6 „Gründe glänzen“ (V. 9) verstärkt. Im letzten Vers der ersten Strophe spricht sich der lyrische Sprecher selbst an (vgl. V. 10), da hier zum zweiten Mal das Pronomen „du“ verwendet wird. Die zuvor beschriebene Darbietung spiegelt lediglich in Kombination mit den alten Erinnerungen die Träume des lyrischen Sprechers wieder. Besonders durch das häufige Denken an diese Träume (vgl. V. 10) wird die Sehnsucht des lyrischen Sprechers deutlich.
Die zweite Strophe ähnelt der ersten vom Aufbau her signifikanterweise. Nochmals wird hier die Strophe mit einer Frage eingeleitet. Eine positiv besetzte Blume, welche aus dem „mondbeglänzten Grund“ (V. 12) entspross wird nun thematisiert. Ihre „Knospe“ (V. 13) steht symbolisch für das Leben oder genauer gesagt, für ein noch sehr junges Leben. Die Metapher7 „(j)unge Glieder blühend sprossen, (w)eiße Arme, roter Mund“ (V. 14 ff.) ist der Inbegriff für Schönheit und steht für ein weibliches Wesen, das die Liebe des lyrischen Sprechers ist. Hier wird die Natur nochmals personifiziert, indem Pflanzenteile menschlichen Körperteilen zugeordnet werden. Die weißen Arme stehen hierbei für eine helle, noch jugendliche Haut und ihre Schönheit wird u.a. durch ihre sehr farbigen Lippen hervorgehoben. Ab Vers 16 macht sich ein Umschwung in der Stimmung des Gedichtes bemerkbar. Die noch vormals positiv konnotierte Stimmung wird jetzt durch die Anapher8 (V. 16 ff: „Und die Nachtigallen schlagen, (u)nd rings hebt es an zu klagen“) mit ihren als negativ zu verstehenden Verben „schlagen“ und „klagen“, die für eine gewisse Unruhe sorgen, geprägt. Die Nachtigallen sollen den Frühling ankündigen und stehen als Symbol für die Liebe. Wieder werden auditive Sinneseindrücke angedeutet, so z. B. durch die Nachtigallen, die bekannt für ihren Gesang sind. Die aufwühlende Atmosphäre wird durch die Klimax9, welche sich von Vers 16 bis zum Versende zieht unterstrichen. Durch den Ausruf „Ach“ (V. 18) wird die aufkeimende Verzweiflung des lyrischen Sprechers deutlich. Die Aussage „vor Liebe todeswund“ (V. 18) ist hier keinesfalls beschönigend zu verstehen und deutet zum einen Liebeskummer seitens des lyrischen Sprechers und zum anderen einen Todeswunsch an. Die Erinnerungen an damalige schöne Zeiten werden im letzten Vers nochmals aufgegriffen (vgl. V. 19), um den Entschluss des lyrischen Sprechers zu unterstützen. Durch die Wortwiederholung „komm, o komm“ (V. 20) verknüpft mit dem Ausruf „o“ (ebd.) wird der Euphemismus10 „stille® Grund“ (ebd.) untermauert. Der stille Grund steht hierbei symbolisch für den Tod, wobei dieser als solcher nicht als Qual, sondern als Befreiung von der Sehnsucht gesehen wird. Durch die Verwendung des Imperativs fordert sich der lyrische Sprecher selbst auf, sich dem Tod hinzugeben. Im Gedicht wird nicht nur der ewige Kreislauf des Lebens angesprochen, sondern auch die Vergänglichkeit. Dadurch, dass der lyrische Sprecher sich im Gedicht selbst anspricht, wird klar, dass er die Liebe nur im Traum finden kann. Die Träume und Erinnerungen ermöglichen eine Flucht aus der Realität in eine selbsterschaffene Traumwelt. Zum anderen macht die Natur eine Flucht aus der Gesellschaft möglich, wie auch eine intensive Gefühlswahrnehmung.
Das Gedicht weist viele epochenspezifische Merkmale auf, sodass es ein typisches lyrisches Werk der Romantik ist. Die Sehnsucht (hier nach einer Liebe) steht als zentrales Motiv klar im Vordergrund. Dabei wird sie durch Naturmotive und der menschlichen Nähe zur Natur stark unterstützt. Weitere Merkmale sind u.a die Nacht mit ihren Mondmotiven und der hierbei erfolgte Ausbruch aus dem Alltag. Auch die Unendlichkeit, die durch die Marmorbilder symbolisiert wird, unterstreicht die Epochenmerkmale.
Festhaltend kann man sagen, dass in dem Gedicht „Nachtzauber“ Erinnerungen und Träume im Fokus stehen, sodass die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen. Die nur im Traum existierende Liebe, verdeutlicht die starke Sehnsucht des lyrischen Ichs. In der Nacht erwecken die Träume und die in den Träumen vorkommende Liebe steht für den Zauber, also das märchenhafte. Besonders die Verknüpfung von Natur und Zauber stellt den Liebeskummer angemessen dar.