Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Formale Analyse
Eichendorffs Gedicht besteht aus zwei Strophen zu je sechs Versen. Jede Strophe besteht aus nur einem Satz. Die Verse 1,2 / 4,5 / 7,8 / und 10,11 bilden jeweils einen Paarreim, wohingegen die Verse 3,6 und 9,12 einen umarmenden Reim bilden. Das Metrum1 weist eine jambische Struktur auf. In der ersten Strophe kommen außer in Vers 4 und 5 weibliche Kadenzen2 vor, in der zweiten Strophe findet man diese nur mehr in Vers 9 und 12. Da die Strophen ja nur aus einem Satz bestehen, kommen natürlich viele Enjambements3 vor.
Analyse und Interpretation
In der ersten Strophe beschreibt das lyrische Ich hauptsächlich die nächtliche Umgebung in der es sich gerade befindet. Gleich zu Beginn wird die Szene stark beruhigt, besonders durch die Worte „stille“, „schleicht“, „heimlich“ und „sacht“. Das lyrische Ich wandert durch die Nacht als der Mond zum Vorschein kommt. Es scheint aber etwas bedeckt zu sein, da er nicht nur einmal hervorkommt, sondern „[o]ft aus der dunklen Wolkenhülle“ schleicht. Hier wird besonders das Auge als Sinnesorgan angesprochen. Außerdem kommen gleich zwei sehr wichtige romantische Motive vor, nämlich die Nacht, die ja schon im Titel vorkommt und der Mond. Diese Motive tragen zu einer gewissen Mystifizierung der Szene bei, vielleicht gruselt sich das lyrische Ich sogar etwas. Es scheint aber kein negatives Gefühl zu sein, denn es gibt kein Wort das darauf hindeuten würde. Viele Romantiker wollten ja auch die Welt poetisieren indem sie sie mystifizierten. Und sie verehrten die Nacht weil sie einen gewissen Gegensatz zum Tag darstellt an welchem manche womöglich einem eher eintönigen Beruf nachgehen mussten. Zudem ist sie natürlich weitaus mysteriöser als der Tag, genauso wie der Mond damals noch weit rätselhafter war als heute.
Nun erwacht also die Nachtigall und sie beginnt zu singen. Das wird zwar nicht explizit erwähnt, aber es muss so sein denn in der zweiten Strophe geht es um diesen Gesang. Außerdem heißt es im Vers sechs: „Dann wieder alles grau und stille.“ Es muss also etwas zu hören gewesen sein, denn sonst könnte es nicht heißen „Dann wieder alles … stille“. Ein weiterer Hinweis auf den Gesang der Nachtigall sind die Wörter „Und hin und her“. Das könnte eine klangliche Assoziation auf den Widerhall des Gesangs zwischen den zwei Talseiten sein, durch welches das lyrische Ich wandert. Der Gesang dauert aber nur kurz, was aus Vers sechs hervorgeht.
In der zweiten Strophe spielt der Gesang nun eine große Rolle. Er hat beim Wanderer also einen bleibenden Eindruck hinterlassen. In dieser Strophe werden dem Leser besonders die Gedanken und Träume des Wanderers mitgeteilt. Das lyrische Ich wird also durch den Nachtigallengesang an Flüsse in fernen Ländern erinnert, wobei „der Ströme Gang“ auch als Metapher4 für das Leben in fernen Ländern insgesamt stehen könnte. Warum genau der Gesang einer Nachtigall solche Gedanken hervorruft bleibt offen. Es könnte sein, dass die Menschen damals schon wussten, dass Nachtigallen Zugvögel sind und daher wissen, wie es in weit entfernten Gebieten aussieht. Durch die Formulierung „der Ströme Gang“ wird, ein Bild der ständigen Bewegung symbolisiert, wie das Wandern selbst ja auch ständige Bewegung ist. Diese Bewegung wird auch besonders gut durch den jambischen Rhythmus verstärkt und dadurch, dass jede Strophe aus einem Satz besteht. Man könnte dieses Gedicht auch singen, was wiederum gut zum Gesang der Nachtigall passen würde. Diese Gedanken an fremde Länder scheinen auf jeden Fall eher sehnsüchtig als abschreckend zu sein. Vor allem da der Wanderer den „Nachtgesang“ als „wunderbar“ bezeichnet.
Aufgrund einer Sinneswahrnehmung wird nun der Wanderer aus seinen Gedanken gerissen: „Wirrst die Gedanken mir,“. Das leise Schauern in den Bäumen verwirrt ihn. Der Wanderer wird aus seinen Träumen wieder in die Realität zurückgeholt. Auf formaler Ebene wäre hier der Gedankenstrich nach Vers 9 zu bemerken, welcher diesen Einschnitt auch veranschaulicht. Nun bezeichnet das lyrische Ich sein eigenes Singen, also seine Gedanken, als „irre“. Vorhin war der Gesang der Nachtigall „wunderbar“, jetzt ist sein eigener Gesang „irre,“. Vielleicht deshalb, weil der Wanderer keine Möglichkeit sieht, wie die Nachtigall fort zu fliegen und fremde Gegenden und Kulturen zu bereisen. Er erkennt, dass sein Singen nur ein „Rufen“ aus „Träumen“ ist. Hier ist wieder ein wichtiges Motiv der Romantik zu erkennen, nämlich die romantische Sehnsucht. Besonders durch das Wort „Träume“ wird diese verdeutlicht.