Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Mondnacht“ wurde im Jahre 1837 von Joseph von Eichendorff verfasst und thematisiert das Hauptmotiv der Romantik nämlich die Sehnsucht. Das Gedicht gehört zudem zur Natur- und Stimmungslyrik. Das nächtliche Szenario in der Natur spiegelt die Sehnsucht des lyrischen Ich nach Heimat wieder, wodurch dieses eine Verbundenheit zur Natur aufbaut und sich mit dieser identifiziert.
In der ersten Strophe beschreibt das lyrische Ich eine irreale und zugleich surreale Handlung, in der der Himmel die Erde küsst. In der zweiten Strophe wird die sternenklare Nacht und das Geschehen in der Natur dargestellt. In der dritten und letzten Strophe gibt das lyrische Ich den Flug seiner Seele nach Hause wieder.
Das Gedicht besteht aus drei Strophen mit jeweils 4 Versen und besitzt somit 12 Verse. Das Reimschema, der Kreuzreim (Endreim) wird in Vers 1 und 3 durch die gebildeten Waisen und in Vers 9 und 11 durch den unreinen Reim unterbrochen. Jeder Vers im Gedicht unterliegt einem dreihebigen Jambus, der den Lesefluss verstärkt. Zusätzlich ist das Gedicht durch die alternierenden Kadenzen1 gekennzeichnet, wobei jeweils der erste und dritte Vers in den Strophen weibliche Kadenzen, die übrigen Verse männliche Kadenzen besitzen. Alle Verse in den einzelnen Strophen sind mit Zeilensprüngen verbunden, wodurch jede Strophe eine „Einheit“ bildet und die Inhalte stärker in Bezug gesetzt werden. Zudem ist eine Rahmenstellung vorhanden. Die Binnenstrophe besteht nur aus Hauptsätzen und wird von der ersten und der letzten Strophe „umklammert“, die sowohl aus Haupt- als auch Nebensätzen bestehen. Zudem sind die beiden Außenstrophen im Konjunktiv, die Binnenstrophe im Gegensatz dazu im Indikativ verfasst.
Das Gedicht ist in einer bildhaften und metaphorischen Sprache verfasst, die eine besondere Funktion im Gedicht einnimmt. Das explizite lyrische Ich (vgl. V. 9: „meine“) stellt sich den „Himmel“ (V. 1) und die „Erde“ (V. 2) als zwei Partner in einer Beziehung vor, wobei der männliche Partner, der Himmel, dem weiblichen Partner, der Erde, einen Kuss gibt (vgl. V. 2). Dies wird auch durch die Personifikation2 deutlich. Durch die Verwendung des Konjunktiv wird deutlich, dass es sich um eine Vorstellung handelt. Die Stelle, an der sich die beiden Betroffenen küssen, ist hierbei der Horizont, der sich in unerreichbarer Ferne zum lyrischen Ich befindet. Es wird eine Sehnsucht des lyrischen Ich deutlich, die sich auf ein in der Ferne befindliches Objekt bezieht, welches in der ersten Strophe noch nicht genauer beschrieben wird. Der Himmel als Bild der Unendlichkeit und der Unerreichbarkeit steht im Kontrast zur Erde, dem Bild der Vergänglichkeit. Somit ist ein Kuss zwischen diesen beiden „Personen“ unmöglich, und das einzige was der Erde bleibt, ist von ihrem Geliebten zu „träumen“ (V. 4). Anhand des Neologismus3 „Blütenschimmer“ (V. 3) und des Titels „Mondnacht“ wird gezeigt, dass es Nacht ist. Durch den Neologismus wird zudem eine mystische und magische Atmosphäre erschaffen, die durch die alternierenden Kadenzen und den drängenden Jambus verstärkt wird. Durch die beschriebene Stille (vgl. V. 2) wird die Einsamkeit des lyrischen Ich hervorgehoben.
In der zweiten Strophe wird das Geschehen in der Natur näher beschrieben: Diese bezieht sich auf eine Beschreibung der Realität, was an der Verwendung des Indikativs deutlich wird. „Die Luft“ (V. 5) wird personifiziert und gehe durch „die Felder“ (V. 5). Der Wind bewegt sich hierbei zielgerichtet in eine Richtung. Auch das lyrische Ich sehnt sich („zielgerichtet“) danach, sich an einem bestimmten Ort zu befinden (womöglich die Heimat). Die wiegenden „Ähren“ (V. 6) führen eine beruhigende Bewegung aus, die durch den Jambus und durch die alternierenden Kadenzen unterstützt wird. Diese Bewegung spendet dem lyrischen Ich Trost in seiner Einsamkeit. Auch hier wird wieder die Stille benannt (vgl. V. 7), die auf die Einsamkeit des lyrischen Ich verweist. Aufgrund der „[sternenklaren] Nacht“ (V. 8) ist der Mond (vgl. Titel) sichtbar. Durch das beschriebene Geschehen in der Natur wird die mystische Atmosphäre weiterhin verstärkt. Die einzelnen Vorgänge in der Natur nehmen alle somit eine ähnliche Wirkung ein. Diese mystische und romantische Wirkung wird durch die Anapher4 „Die“ (V. 5f) betont. Zuletzt ist in dieser Strophe eine Synästhesie5 der Sinne aufzufinden (vgl. V.5, 7, 8). Kombiniert werden der Tastsinn, der Hörsinn und der Sehsinn. Das lyrische Ich hat sich in die Natur zurückgezogen, um sich seiner Sinne hinzugeben und sich auf seine Emotionen zu fokussieren. Somit entflieht es der Realität und distanziert sich von seinem Schmerz.
Die letzte Strophe ist wieder im Konjunktiv verfasst und drückt somit die Wünsche des lyrischen Ich aus. Hier tritt das lyrische Ich zum ersten Mal zum Vorschein (vgl. V. 9), wodurch ein klimatischer Aufbau des Gedichtes erkennbar wird. Seine „Seele“ (V. 9) spreizt ihre „Flügel aus“ (vgl. V. 10) und macht sich somit zum Fliegen bereit. Durch die Personifikation wird die Bedeutung und die Intensität der Gefühle des lyrischen Ich hervorgehoben. Durch den indirekten Vergleich der Seele mit einem Vogel (einem Teil der Natur) wird die Identifikation des lyrischen Ich mit der Natur deutlich. Da die Seele fliegt und sich somit sehr schnell fortbewegt, wird die starke Sehnsucht und das starke Heimweh (vgl. V. 12) des lyrischen Ich deutlich. Es wünscht sich nichts sehnlicher als „nach Haus“ (V. 12) zurück zu kehren. Der Jambus, der Kreuzreim, die alternierenden Kadenzen und die Zeilensprünge unterstreichen hierbei die eilenden und drängenden Bewegungen der Seele und betonen somit die intensive Sehnsucht des lyrischen Ich.
Der Titel „Mondnacht“ greift mehrere Aspekte des Gedichts auf und fasst die zentralen Aspekte zusammen: In der Dunkelheit der Nacht erinnert sich das lyrische Ich an seine Heimat. Mit dem Wissen, dass es diese unmöglich erreichen kann, träumt es in der Nacht davon. Um sich von der Wirklichkeit und damit dem Schmerz zu distanzieren, flieht das lyrische Ich in die Natur. Die nächtliche Natur spendet dem lyrischen Ich nämlich ein wenig Trost in der Einsamkeit, da auch dieses durch die Stille und Einsamkeit geprägt ist. Das lyrische Ich identifiziert sich in Folge dessen mit der Natur und ersetzt damit womöglich das Fehlen der Heimat.
Das Gedicht greift die zentralen Motive der Epoche der Romantik auf und vereint diese in einem Gedicht: Aufgegriffen werden die Sehnsucht, das Heimweh, die Nacht und die Liebe. Wie in vielen Gedichten der Romantik üblich, entflieht das lyrische Ich der Zivilisation und zieht sich in die Natur zurück. Somit wird der Fokus auf die Emotionen als Taktgeber des Lebens gelegt. Durch eine bildhafte Sprache wird zudem eine mystische und romantische Atmosphäre erzeugt, die sehr gut zu der Gefühlswelt des lyrischen Ich passt. Zuletzt ist zu nennen, dass die Formalaspekte, wie bspw. der Jambus, der Kreuzreim und die alternierenden Kadenzen sehr gut den Inhalt des Gedichts unterstützen. Die drängende Wirkung der Formalaspekte unterstreicht nämlich die Eile und die intensiven Gefühle des lyrischen Ich.