Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Die Verbundenheit zwischen dem Menschen und der Natur war in der Epoche der Romantik ein zentrales Thema. Auch Eichendorffs Gedicht „Frische Fahrt“ (1842) behandelt als typisch romantisches Gedicht die phantastischen Eindrücke eines Frühlingsanfangs, die in eine Transzendenz1 in der Natur münden. Eichendorff intendiert den Leser durch die phantastischen Erlebnisse des Lyrischen Ichs in der Natur auf die Verbundenheit des Menschen mit der Natur hinzuweisen. Außerdem könnte Eichendorff durch den Hinweis auf die Verbundenheit zwischen Mensch und Natur auch auf die Natur als regenerativen Rückzugsort hinweisen. Diesem Interpretationsansatz wird im Folgenden gemäß der linearen Vorgehensweise nachgegangen.
Formal lässt sich anmerken, dass das Gedicht in zwei Strophen à acht Verse gegliedert ist. Das Gedicht folgt einem vier hebigen Trochäus mit abwechselnd weiblichen und männlichen Kadenzen2, was das Fluss der Natur im Menschen widerspiegelt. So wie das Metrum3 einen Lesefluss erzeugt so führt auch die Natur im Menschen zu einem Fluss von Glückshormonen. Der Kreuzreim, ((abab), „geflossen“(V.1), „sein“(V.2), „geschlossen“(V.3), „Schein“(V.4)) betont die verbundene Einheit des Menschen und der Natur. So wie die Reimpaare ineinander Verschränkt sind, so sind auch der Mensch und die Natur miteinander verflochten. Auch die Kadenzen harmonieren mit dem Kreuzreim, was die sowohl die Harmonie in der Natur als auch die Verschränkung des Menschen und der Natur darstellen könnte. Das Gedicht ist überwiegend im Zeilenstil4 verfasst, um den Enjambements5, die den Fluss von Gefühlen in der Natur widerspiegeln Bedeutung zu schenken. Das Gedicht ist im zunächst (S. 1-5) im indikativ Präteritum („zogen“ (V. 1)) und später (S. 6) im indikativ Präsens („singen“ (V.26) verfasst, um die Aktualität der Gefahr des Scheiterns im romanischen Sinne zu betonen. Eichendorff verwendet typisch romantische Symbole wie die Gesellen als Symbol für den Menschen im romantischen Sinne, um dem Gedicht eine typisch romantische Stimmung zu verleihen.
Im Inscriptio beschreibt Eichendorff den Frühlingsanfang in der Natur, um die Schönheit der Natur zu betonen. (V. 1-3)
Zunächst beschreibt das Lyrische Ich bildhaft die Natur, um die Schönheit der Natur zu etablieren. Die „Laue Luft kommt blau geflossen“ (V. 1) kreiert ein kraftvolles Bild des Frühlings in der Natur, nach der das Lyrische Ich sich sehnt. Die Alliteration6 „Laue Luft“ (V. 1) kreiert einen Lesefluss, der den Leser die Harmonie in der Natur empfinden lässt. Das Motiv des Wassers, das durch das Verb „geflossen“ (V. 1) konfiguriert wird, erzeugt im Leser auch das Bild eines Flusses, welcher den reibungslosen Fluss der Natur veranschaulicht. Auch die Farbe „blau“ (V. 1), die der Luft zugewiesen wird, erzeugt ein lebendiges Bild der Natur, das schon jetzt phantastische Ausmaß annimmt.
Außerdem lässt Eichendorff das Lyrische Ich Sehnsucht nach dem Frühling empfinden, um die Schönheit der Natur zu betonen. Das Verb „soll“ (V. 2) sowie das Repetitio7 „Frühling, Frühling“ (V. 2) lassen den Leser vermuten, dass sich das Lyrische Ich den Frühling sehnlichst wünscht. Durch das Repetitio scheint das Lyrische Ich sich den Frühling Stück für Stück näher zu holen und reeller zu machen und weist somit auf die Euphorie des Lyrischen Ichs hin. Die Euphorie des Lyrischen Ichs lässt auch im Leser Erwartungen an einen außerordentlichen Frühling erwecken und deutet somit auf die Schönheit des Frühlings in der Natur hin.
Zudem untermauert Eichendorff den Frühlingsanfang in der Natur mit typischen Symbolen, um die Natur als Ort des Frühlingsanfangs zu verdeutlichen. Der „Hörnerklang“ (V. 4) kommt „Waldwärts […] geschossen“ (V. 3), was ein unverkennbares Symbol für den Frühling in der Natur. Der Schuss und Hörnerklang symbolisieren dabei den Jagdbetrieb als unverkennbares Zeichen für das Einsetzen des Frühlings. Die Ortsangabe „Waldwärts“ (V. 3) betont dabei nochmals, dass sich die Jagd in der vom Romantiker geschätzten unveränderten und ungezähmten Natur, dem Wald, abspielt. Daher verwendet Eichendorff Symbolik, um dem Leser zu verdeutlichen, dass es sich bei dem Frühlingsbeginn um einen Frühlingsbeginn in der Natur handelt.
Eichendorff etabliert somit den Frühling in der Natur als ein Thema des Gedichts und beschreibt die Schönheit dieser Situation.
Des Weiteren beginnt das Lyrische Ich von realen Eindrücken der Natur in Phantasien überzugehen, um in die Transzendenz in der Natur einzuleiten. (V. 4-8)
Darüber hinaus lässt Eichendorff den Leser erkennen, dass der Frühling in der Natur einen Einfluss auf das Lyrische Ich hat, um die Einheit von Mensch und Natur anzudeuten. Eichendorff lässt den Leser durch die Lichtmetaphorisch glücklichen und euphorischen „Augen lichter Schein“ (V. 4) erkennen, dass das Lyrische Ich Freude an der Natur empfindet. Die Augen dienen hierbei als Einblick in den Körper des Menschen, der das Herz und damit auch den wahren Sitz des Menschen im romantischen Sinne beherbergt. Somit dienen die Augen hier als pars pro toto und lassen den Leser die lichtmetaphorisch positive Wirkung der Natur auf den Menschen erkennen.
Zudem greift Eichendorff das Motiv des Wassers wieder auf, um den Zustand des Lyrischen Ichs zu erläutern. Zunächst verwendet Eichendorff nur das Verb „geflossen“ (V. 1), um die Luft zu beschreiben. Jetzt erlebt das Lyrische Ich jedoch einen „magisch wilden Fluss“ (V. 6). Hierbei hat sich nicht nur die wilde Intensität erhöht, sondern das Motiv wird nun auch „magisch“ (V. 6) und irreal dargestellt, was den Anschein einer Transzendenz gibt.
Außerdem wird die Transzendenz in der Natur als reizvoll und düster dargestellt, um dem Leser diese anzupreisen. Der magische Strom „Lockt“ (V. 8) das Lyrische Ich in „die schöne Welt hinunter“ (V. 6). Raummetaphorisch wechselt das Lyrische Ich somit an einen tiefer gelegenen und somit gefährlicheren und düsteren Ort. Das Verb „lockt“ (V. 8) kreiert dabei die Vermutung, dass das Lyrische Ich einer Versuchung nicht widerstehen kann. Das Enjambement zeigt an dieser Stelle die Verführung, die das Lyrische Ich wie ein Fluss mit sich zieht. So wie das Enjambement am Ende des Verses keine Unterbrechung erlaubt, so lässt auch die Verführende Natur das Lyrische Ich vor der Transzendenz nicht warten. Eichendorff zeigt somit durch die verführende Kraft der Natur und hebt hervor, dass der Weg in die Transzendenz gefährlich und unheimlich wirken kann.
Eichendorff lässt den Leser den Übergang in die irreale Welt erkennen und weist den Leser dabei auf die Probleme die bei diesem Übergang auftreten können hin.
Weiterhin transzendiert das Lyrische Ich in der Natur, um die Einheit und Verbundenheit von Mensch und Natur zu etablieren. (V. 9-16)
Eichendorff lässt das Lyrische Ich von einem beobachtenden Lyrischen Ich zu einem aktiven Lyrischen Ich wechseln. Dem Leser wird dadurch deutlich, dass die Schönheit des Frühlings in der Natur einen Einfluss auf das Lyrische Ich hat, da dieses nur erstmals eigene Gefühle erlebt und ausdrücken kann. Dieser Wechsel kann daher auch als Einstieg in die Transzendenz gesehen werden, da dieses Erlebnis starke Gefühle auslöst, die das Lyrische Ich in dem Gedicht von einem beobachtenden Ich zu einem erlebenden Ich verändert.
Eichendorff lässt das Lyrische Ich die persönliche Gefühlslandschaft beschreiben, um die Bedeutung der Natur für den Menschen zu betonen. Das Lyrische Ich verwendet nun erstmals das Personalpronomen8 „ich“ (V. 9), um in die Wirkung der Natur auf sich, als Repräsentant aller Menschen, einzuleiten. Das Lyrische Ich lässt den Leser durch seine Raummetaphorisch außerordentliche Gefühlslage, „Weit von euch“ (V. 10), die Transzendenz in der Natur erkennen. Das Verb „will“ betont dabei, dass das Lyrische Ich diese Transzendenz erleben möchte und es sich daher um eine positive Erfahrung handelt.
Zudem lässt Eichendorff den Leser erkennen, dass Mensch und Natur während der Transzendenz interagieren, um die Einheit von Mensch und Natur darzulegen. Während der Transzendenz „treibt […] der Wind“ (V. 10) die Gefühle des Lyrischen Ichs. Durch das Treiben wird eine Wahre Interaktion sichtbar, da die Natur dem Menschen hier auf sanfte Art und Weise behilflich wird. Während der Transzendenz erlebt das Lyrische Ich auch „Tausend Stimmen“ (V. 21), die sogar auf eine verbale Kommunikation zwischen dem Menschen und der Natur deuten, was eine noch viel intimere Beziehung darstellt.
Zuletzt betont das Lyrische Ich die Überlegenheit der Transzendenz in der Natur im Vergleich zu der Realität, um die Verbundenheit von Mensch und Natur zu bekräftigen. Im finalen Vers mag das Lyrische Ich „nicht fragen, Wo die Fahrt zu Ende geht!“ (V. 23f.). Die Exklamation9 veranschaulicht dem Leser, dass das Ende der Fahrt keineswegs ungewiss ist, sondern dem Ende nur Ausgewichen wird. Das Ende der Fahrt ist das Ende der Lebhaften, warmen Jahreszeiten, da der bunte und wilde Fluss der Natur dann verlangsamt wird. Das Lyrische Ich „mag“ (V. 15) am Ende jedoch „nicht fragen, Wo die Fahrt zu Ende Geht“ (V. 15f.), was demonstriert, dass das Gefühl des Lyrischen Ichs im Frühling in der Natur deutlich angenehmer ist als der kalt, leblose Winter.
Eichendorff lässt das Lyrische Ich in der Natur Transzendieren, um auf die Verbundenheit zwischen Mensch und Natur aufmerksam zu machen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Eichendorff die Schönheit der Natur und die Verbundenheit des Menschen mit dieser darstellt. Eichendorff macht durch das Lyrische Ich, das als Repräsentant aller Menschen in der Natur Transzendiert, auf die Einheit von Mensch und Natur aufmerksam. Besonders in der heutigen Welt, die oftmals unerträglichen Stress im Menschen erzeugen kann, bekommt der regenerative Exkurs in die Natur eine ganz neue Bedeutung. Eichendorffs „Frische Fahrt“ preist, durch das Aufzeigen unserer Verbundenheit mit der Natur, die Natur als regenerativen Rückzugsort für alle Menschen an.