Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Wenn wir schlafen, sind wir meist ruhig und friedlich. Wir sind entspannt, träumen und nehmen so gut wie nichts von unserer Umwelt war. So ist es auch in Goethes Gedicht „Nachtgesang“, das 1804 erschienen ist. Im Gedicht geht es um einen Mann, der mit seiner schlafenden Liebsten spricht und sie bittet, ihm im Traum zuzuhören. Das Gedicht besteht aus fünf Strophen mit jeweils vier Versen, wobei der dritte Vers jeder Strophe den ersten der darauffolgenden bildet. Dadurch wirkt das Gedicht in sich geschlossen und stimmig. Außerdem liegt im Gedicht ein Kreuzreim vor, der abwechselnd sowohl rein als auch unrein auftritt.
Der Mann, der sich an seine schlafende Liebste wendet, übernimmt in diesem Gedicht die Rolle des lyrischen Ichs. So beginnt die erste Strophe mit der Bitte „ O gib vom weichen Pfühle, Träumend, ein halb Gehör!“ Er bittet darum, dass seine Liebste ihn im Traum erhören möchte, auch wenn sie ihn durch ihren schlafenden Zustand nur ein „halb[es] Gehör“ schenken kann. Die ganze Situation wirkt sehr friedlich, zum einem durch das „[weiche Pfühl]“, also Kissen, auf das die Frau gebettet ist, zum anderen durch das im dritten Vers der Strophe erwähnte „Saitenspiele“. Das lyrische Ich spielt also für seine Liebste auf einem Saiteninstrument. Die Musik von Saiteninstrumenten hat etwas sehr beruhigendes und harmonisches an sich, ist also gut geeignet als eine Art Einschlafmelodie. Doch trotz dieser harmonischen Stimmung, wird man das Gefühl nicht los, dass das lyrische Ich der Frau, schon bevor diese eingeschlafen war, dringend etwas hätte sagen müssen. Vielleicht sind es die Gefühle seiner Liebsten ihm gegenüber, die dem Mann Sorgen bereiten, denn der letzte Vers der ersten Strophe (und auch jeder folgenden) endet mit der Frage „was willst du mehr?“. Allerdings geht dieser Frage die Aufforderung „Schlafe!“ voraus, der Mann will also, dass seine Liebste weiterschläft, damit er ihr weiter seine Gedanken offenbaren kann. Daraufhin deutet auch der erste Vers der zweiten Strophe hin, der ja dem dritten der erstem gleicht („Bei meinem Saitenspiele“). Anscheinend spielt der Mann weiterhin auf dem Saiteninstrument. Es wirkt so, als ob er Angst hätte, dass wenn er aufhört zu spielen, seine Liebste erwachen könnte, was er natürlich nicht will, um weiter mit ihr sprechen zu können. Der Mann redet nun davon, dass die „ewigen Gewühle“, also seine ewige Liebe von einem „Sterne Heer“ gesegnet wären. Da das lyrische Ich hier von „ewigen Gefühlen spricht, ist anzunehmen, dass der Mann und die Frau verheiratet sind, da die Ehe, gerade als kirchlicher Bund, oft als ewig angesehen wird. Zu diesem Gedanken passt auch, das Heer von Sternen, das über diese „ewigen Gefühle“ wacht. Diese Umschreibung ruft die Vorstellung hervor, dass Engel im Himmel oder sogar Gott selbst über die „ewige“ Liebe wachen würden.
Auch in der dritten Strophe geht es weiterhin um diese „ewigen Gefühle“. Das lyrische Ich beschreibt, wie es von den Gefühlen „hoch und her“ gehoben wird. Die Alliteration1 „hoch und her“ soll verdeutlichen, dass das lyrische Ich durch die Liebe zu seiner Frau hin und hergerissen ist, denn die „[hebt]“ es zum einen aus dem irdischen Gewühle“ also der Unsicherheit des Alltags, zum anderen verleiht gerade das Adjektiv „irdischen“ der Aussage den Anschein, als würde die Liebe das lyrische Ich realitätsfremd machen. Beide Möglichkeiten wären in diesem Fall denkbar, sodass die Frage am Strophenende diesmal so wirkt, als würde gefragt werden, was der Frau lieber sei: ihrem Mann ein Gefühl der Sicherheit zu geben oder in aus der Realität zu entführen?
Es scheint so, als würde das lyrische Ich in der vierten Strophe diese Frage jedoch nun selbst beantworten, denn es sagt, dass seine Liebe es „[nur zu sehr vom irdischen Gewühle trennt]“, es also fern von der Realität hält. Die Frau scheint ihm außerdem auch keine Sicherheit zu geben, sondern hat sich stattdessen von ihrem Mann abgewendet, ihn also in die „Kühle [verbannt]“. Doch der Mann versteht nicht, warum seine Frau dies tut und so fragt er sich am Ende der Strophe wieder: „was will [sie] mehr?“. Wobei die Frage diesmal schon deutlich verzweifelter wirkt, als in den Strophen zuvor.
Diese Verzweiflung steigert sich in der fünften und letzten Strophe noch mit der Aussage „Gibst nur im Traum Gehör“. Während es am Anfang des Gedichtes noch so schien, als ob der Mann seiner Liebsten etwas gestehen müsste, aber nicht wusste wie, wird am Ende des Gedichtes deutlich, dass dem Mann anscheinend von seiner Frau kein Gehör geschenkt wird, sie sich aber auch nicht an ihn wendet, um Probleme zu besprechen. Die Stimmung im gesamten Gedicht hat sich von der sanften und harmonischen Atmosphäre der ersten Strophe zu einer verzweifelten, ja fast düsteren Stimmung auf Seiten des Mannes entwickelt, wohingegen die Frau noch immer sanft auf ihrem „weichen Pfühle“ ruht. Und da sie immer noch so ruhig daliegt und der Mann noch immer nicht weiß was er tun soll, fragt er noch ein letztes Mal „was willst du mehr?“
Das Gedicht lässt sich der Epoche der Weimarer Klassik zuordnen. Dies lässt sich zum einem am Jahr der Veröffentlichung (1804) erkennen, zum anderen an dem Versuch des Mannes Harmonie und Gleichgewicht zwischen ihm und seiner Frau zu schaffen.
Ich denke, dass Goethe mit diesem Gedicht zum Ausdruck bringen wollte, wie wichtig es ist, dass man miteinander redet und seinem Gegenüber zuhört. Damit ist das Thema auch heute noch aktuell, da viele Probleme viel einfacher und schneller zu lösen wären, wenn die Menschen mehr miteinander reden würden.