Inhaltsangabe, Gedicht-Analyse und Interpretation
„I won't give up, won't give up, don't let me give up,
I won't give up, come here, let me go up fast,
Take me up quick, take me up, up to the belly of a ship
And the ship slides open and I go inside of it where I am not human.”
Birdland, Patti Smith
Hinauf, hinauf strebt´s. Es schweben die Wolken. Abwärts die Wolken. Neigen sich der der sehnenden Liebe mir, mir!
Das immerwährende, das von nicht ungefähr verzweifelte Streben des Menschen „zu erkennen was die Welt im Innersten zusammenhält“, das faustische Wanken und Ranken um die Bedeutung des letzten Konstanten und nicht wenig auch die betrübende Erkenntnislosigkeit, die Parametrisierung der Erfahrung im kantschen Gedanken beschwören in jenem, seltenen Glücklichen, der trotz allem den Zugang zu den Obrigen, den Göttlichen, zu der immateriellen Welt jenseits der Wissenschaft gefunden hat, nur umso mehr die überschwängliche, nektargetränkte Glückseligkeit, welcher mangelnd die Menschen hier auf der Erde nur so darben.
Eines solchen Gedankens, der durchaus in das Gesamtkonzept seines Werkes passt, könnte sich Goethe bedient haben, als er 1774, wohl in einer glücklichen Phase seines Lebens, den Hymnus „Ganymed“ verfasste.
Ganymed, die Figur und noch stärker deren philosophischer Ausdrucksgehalt stehen dabei für jenen polytheistischen, lebensvernarrt- naturverliebten, kunstgetriebenen Typus Goethes der sich nicht nur im Werther sondern Jahrzehnte später auch im Faust der Gretchentragödie zeigen wird. Prometheus, Protagonist des eng verwandten gleichnamigen Gedichts, hingegen steht für das „andere“ am Faustischen: Das Zweifelnde, das Anklagende, das Ungewisse. Nur zusammen scheinen sie den endgültigen Sinn, eben jenes faustische zu enthalten, das Goethe in eben jener Gegenüberstellung intendiert hatte.
Um bei Ganymed zu bleiben: Er ist polytheistisch, überall findet er sie, die dem Faust Unbekannten, die Götter: In den Blumen, im Gras, in der Nachtigall wie im Nebeltal.
Er ist lebensvernarrt, wünscht sich nichts weiteres als auch dort zu sein, in der ewigen Wärme, über den ewigen Wolken, im Schoße seines Vaters, wo Nektar und Ambrosia fliest, an seinem Busen, wohin sein Herz sich drängt.
Denn er ist ein Getriebener: Direkt spricht er jenen Übernatürlichen, jenen Geliebten, jenen Alliebenden an, von welchem er jenes Heil, jene unendliche Schöne zu erhalten versucht, welche er auf Erden, wenn auch nur auszugsweise, durch die Kunst zu erblicken vermag.
Die Worte Ganymeds sind rein, erübrigen sich jeglichen Schemen, scheinen direkt aus dem Herzen kommend nichts weiteres zu sein, als die Gefühle, die instinktive Lust jenes Getriebenen, gejauchzt und euphorisch in den Himmel gejubelt, hoffend und beinahe erbittend um Einlass. Mehrfach wiederholt er: Hinauf, hinauf! Aufwärts will er streben, als ob ihn der Vater nicht sofort antworten würde, wiederholend: Aufwärts, Umfangend umfangen! Er möchte ihn fassen, das Schöne, das Göttliche, den Vater, doch sobald er ihn das erste Mal persönlich anspricht unterbricht das Gedicht, ein luftleeres Rufzeichen verbleibt im vakuumierten Raum und der Leser fragt sich: Hat er sie nun die erreicht, die Glückseligkeit, das Beisammensein der Götter, den Olymp?
Der Mythos sagt ja, doch Goethe lässt dies offen, wissend und wohl auch darauf hinweisend, dass es eben nicht nur Ganymed war, welcher seine schicksalsschwangeren, überschwänglichen Worte gen Himmel warf, Hilfe von den Göttlichen erhoffend, sondern auch Prometheus, der anderen Part des Faustischen, jener Verzweifelte, dessen flehenden Gesänge, im Gegensatz zum wissenden Ganymed letztendlich doch lediglich im Wut und Narzissmus eines Zynikers endeten.