Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
Zu einem der bedeutendsten und meist zitierten Werke der deutschen Literatur zählt „Faust I“. Diese Tragödie, die Johann Wolfgang von Goethe über einen längeren Zeitraum verfasste, erschien 1808 und enthält somit wichtige Elemente sowohl aus der Epoche des Sturm und Drangs, als auch aus der Weimarer Klassik. Das Drama handelt von einem Wissenschaftler namens Heinrich Faust, welcher aufgrund seines Wissensdurstes nach Erkenntnis strebt und einen Pakt mit dem Teufel schließt, um zu erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Auf diesem Weg lernt er das Mädchen Margarete, genannt Gretchen, kennen und stürzt mit ihr zusammen in eine Reihe tragischer Ereignisse.
Ob die Liebe von Gretchen und Faust auf Gegenseitigkeit beruht und welche Bedeutung ihre Beziehung für den jeweils anderen hat, gilt es nun zu analysieren.
Noch bevor Faust Gretchen überhaupt kennenlernt, ist er ein Wissenschaftler, der die damals wichtigsten Gebiete Philosophie, Juristerei, Medizin und Theologie studiert hat, (vgl. V. 354 ff.) sich jedoch in einer Existenzkrise befindet, da er begriffen hat „(…) dass wir nichts wissen können!“ (V. 364). Seinen Selbstmordversuch bricht er aufgrund des Glockenklangs und des Chorgesangs des Ostermorgens ab (vgl. V. 735 ff.) und der Frühling mitsamt seiner Natur füllt ihn mit neuer Lebensenergie (vgl. V. 904 ff.). Den eigentlichen Rahmen der Geschichte bildet der Prolog im Himmel, da dort der Herr mit Mephistopheles eine Wette eingeht. Das Ziel Mephistopheles‘ ist es, Faust auf seinen Weg zu lenken, der Herr hingegen ist sich sicher, dass „Ein guter Mensch (…) / sich des rechten Weges wohl bewusst“ (V. 328f.) sei. Voll Selbstsicherheit die Wette zu gewinnen, überzeugt Mephistopheles in „Studierzimmer II“ Faust davon, mit ihm eine Wette einzugehen, wodurch eine Parallele zum Prolog im Himmel erzeugt wird. Solange sich die zwei auf Erden befinden, so ist Mephistopheles Fausts Diener (vgl. V. 1656f.). Sobald jedoch Faust zum Augenblick sagt: „Verweile doch! Du bist so schön!“, „dann“ mag Mephistopheles ihn „in Fesseln schlagen“, „dann will“ er „gern zugrunde gehen!“ (V. 1698 ff.). Faust verkauft Mephistopheles seine Seele und wird sein Diener im Jenseits, sollte dieser es schaffen, ihm vollkommenes Glück zu beschaffen. Nachdem Mephistopheles‘ erster Versuch, Faust vom Leben, welches auf den Genuss ausgerichtet ist, zu überzeugen, fehlschlug, (vgl. „Auerbachs Keller in Leipzig“ V. 2073 - V. 2336) da dieses ihm zu animalisch war, bringt er Faust in die Hexenküche, wo ihm ein Verjüngungstrank verabreicht wird und wo er die griechische Helena in einem Spiegel erblickt: „Das schönste Bild von einem Weibe!“ (V. 2436). Mephistopheles verspricht ihm nun, eine schöne Frau zu finden (vgl. V. 2601 ff.). Den Auftakt zur Gretchentragödie bildet „Straße I“, die Szene, in der Faust Gretchen das erste Mal sieht, sie ihn jedoch beschämt abweist: „Bin weder Fräulein, weder schön / Kann ungeleitet nach Hause gehn“ (V. 2608f.). Er jedoch, wendet sich an Mephistopheles mit den Worten: „Hör, du musst mir die Dirne schaffen!“ (V. 2621) und obwohl Mephistopheles über das tugendhafte Mädchen keine Gewalt hat (vgl. V. 2626), so muss er sie Faust beschaffen, nachdem dieser ihm ein Ultimatum setzt: „Wenn nicht das süße junge Blut / Heut Nacht in meinen Armen ruht; / So sind wir um Mitternacht geschieden“ (V. 2636 ff.). Die beiden platzieren ein Schmuckkästchen in Gretchens Zimmer, über welches sie äußerst entzückt ist (vgl. V. 2785: „Es ist doch wunderbar!“), welches ihre Mutter jedoch zum Pfarrer trägt (vgl. V. 2813 ff.). Mephistopheles stattet Gretchens Nachbarin Marthe, deren Mann verschwunden scheint, einen Besuch ab und erklärt ihr, dass er gestorben sei. (vgl. V. 2915f.). Er bietet ihr eine Zeugenaussage zusammen mit Faust an, damit sie einen Totenschein erhält (vgl. V. 3008 ff.). So überredet er sie zu einem Doppeltreffen, zu dem Gretchen und Faust erscheinen sollen. Die Szene endet mit Marthes Worten zur Verabredung: „Da hinterm Haus in meinem Garten / Wollen wir der Herrn heut Abend warten“ (V. 3023f.).
Die nun zu analysierende Szene „Straße II“ folgt unmittelbar nach der, von Mephistopheles arrangierten, Verabredung und ist ein Dialog zwischen Mephistopheles und Faust. Letzterer empfängt ihn aufgeregt mit drei Fragen: „Wie ist‘s? Will‘s fördern? Will‘s bald gehen? (V. 3025). Seine Nervosität bzw. Vorfreude erkennt man anhand der Ellipsen1 und den vielen Fragen. Mephistopheles antwortet vergnügt mit einer Exclamatio: „Ah bravo!“. Auch sieht man, dass er das ganze amüsant findet an: „Find ich Euch in Feuer?“ (V. 3026). Diese rhetorische Frage weist darauf hin, dass er sich erhofft durch diesen Genuss Faust vollkommen zufrieden zu stellen, denn seine Wette zum Herrn behält er stets im Hinterkopf. Er verkündet das bevorstehende Treffen und verspricht ihm Gretchen: „In kurzer Zeit ist Gretchen Euer. / Heut Abend sollt Ihr sie bei Nachbar Marthen sehn“ (V. 3027f.). Die Nachbarin Marthe bezeichnet er als „Kuppler- und Zigeunerwesen“ (vgl. V. 3030). Faust ist sehr erfreut von dieser Neuigkeit, „So recht!“ (V. 3031), wird jedoch schnell von Mephistopheles unterbrochen: „Doch wird auch was von uns begehrt“ (V. 3032). Im Folgenden schildert Mephistopheles Faust die Situation und erklärt, er habe Marthe gesagt, ihr Mann sei in Padua gestorben und begraben (vgl. V. 3033ff.). Faust zeigt sich mit größtem Verständnis, „Ein Dienst ist wohl des andern wert“ (V. 3032), und möchte sogleich zur Reise aufbrechen, um den Beweis für den Tod Marthes Mannes zu finden (vgl. V. 3036). Darauf antwortet Mephistopheles, dass sie keine Reise machen würden, weswegen Faust den Plan für verworfen hält (vgl. V. 3039 ff.). Er wird jedoch sofort von Mephistopheles für sein Verhalten und Denken kritisiert, was sich an den spöttischen Fragen äußert. „O‘ heil‘ger Mann! Da wärt Ihr‘s nun!“, die Apostrophé zeigen seine Erstauntheit und sind gefolgt von einer Frage: „Ist es das erste Mal in Eurem Leben, / Dass Ihr falsch Zeugnis abgelegt?“ (V. 3040ff.). Hier wird deutlich, dass Mephistopheles von einem Meineid spricht. „Habt Ihr von Gott, der Welt und was sich drin bewegt, / Vom Menschen, was sich ihm in Kopf und Herzen regt, / Definitionen nicht mit großer Kraft gegeben?“ (V. 3043ff.). Er fängt an mit großen Reden und hohen Worten, Faust zu überzeugen, indem er ihn fragt, ob seine Seele, sein Inneres, nie etwas so unbedingt haben wollte, dass es sich lohnte zu lügen. „Und wollt Ihr recht ins Innre gehen / Habt Ihr davon, Ihr müsst es grad gestehen / So viel als von Herrn Schwerdtleins Tod gewusst!“ (V. 3047ff.). Er macht ihm hier bewusst, dass er nur über den Tod von Marthes Mann aussagen muss, um zu Gretchens Innerem, ihrer Seele, zu kommen. Faust antwortet zwar mit: „Du bist und bleibst ein Lügner, ein Sophiste“ (V. 3050), da er sich immer mehr durch Mephistopheles in seinem Handeln beeinflusst fühlt, jedoch trifft ihn das Argument mit Gretchen, welches Mephistopheles nun weiter ausführt: „Denn morgen wirst, in allen Ehren / Das arme Gretchen nicht betören/ Und alle Seelenlieb ihr schwören?“ (V. 3052ff.). Diese weitere rhetorische Frage beantwortet Faust mit „Und zwar von Herzen“ (V. 3052). Die Antwort beglückt Mephistopheles natürlich äußerst, da er seinem Ziel immer näher kommt und erwidert mit einem Hendiadioyn: „Gut und schön!“ (V. 3055). Er lässt es hierbei jedoch nicht gut sein, sondern fährt fort: „Dann wird von ewiger Treu und Liebe / Von einzig überallmächt‘gem Triebe / Wird das auch so von Herzen gehen?“ (V. 3056ff.). Für ihn äußert sich Liebe in Form der Triebe, weswegen er Faust danach ausfrägt, ob er diesen nachgeben wird. Faust jedoch fühlt sich gedrängt und antwortet „Lass das! Es wird!“ (V. 3059). Sein oberstes Ziel ist es, ihr überhaupt erst näher zu kommen und sie kennenzulernen. „Wenn ich empfinde, / Für das Gefühl, für das Gewühl / Nach Namen suche, keinen finde, / Dann durch die Welt mit allen Sinnen schweife, / Nach allen höchsten Worten greife, / Und diese Glut, von der ich brenne, / Unendlich, ewig, ewig nenne, / Ist das ein teuflisch Lügenspiel?“ (V. 3059 – V. 3066). Hier bekommt man einen Einblick in Fausts Innenleben: Er ist sich unsicher, welche Gefühle sich noch weiter entwickeln werden und ob das, was er dann empfindet, wenn er für seine Gefühle keinen Namen findet, durch die Welt taumelt und von seinen Trieben (vgl. „Glut, von der ich brenne“, Metapher2 für das, was ihn treibt.) gesteuert wird, ob dies dann nur ein reines Spiel Mephistopheles‘ sei. Er selbst sieht die Liebe als „ewig, ewig“ (vgl. V. 3065) an, was sich durch die Wiederholung verstärkt und an seinen Zweifeln an der Echtheit der Gefühle, sieht man, dass er sich wahres Glück erhofft. Mephistopheles sieht sich in seinen Gedanken bestätigt: „Ich hab doch recht!“, denn er weiß, dass Faust aufgrund seiner zwei Seelen (vgl. V. 1112: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“) hin- und hergerissen ist zwischen Erkenntnis und der Hingabe zu seinen Trieben. Faust äußert sich ein letztes Mal in dieser Szene: „Hör! merk dir dies – (…) / Wer recht behalten will und hat nur eine Zunge, / Behält‘s gewiss. / Und komm, ich hab‘ den Schwätzens Überdruss, / Denn du hast recht, vorzüglich weil ich muss“ (V. 3067ff.). Hierbei sieht man, dass Faust Mephistopheles‘ Lügen und viele Worte (vgl. „Zunge“ und „des Schwätzens Überdruss) satt hat und lieber Taten sehen möchte, um Gretchen wirklich für sich zu gewinnen, denn letztendlich gibt er Mephistopheles Recht – Er muss den Meineid eingehen, um Gretchen zu treffen (vgl. V. 3072).
In dieser Szene, V. 3025-3072, erkennt man anhand des größeren Redeanteil Mephistopheles‘, dass er die Führung Fausts übernimmt. Dieser ist sich seiner Absicht bewusst (vgl. „Du bleibst ein Lügner, ein Sophiste“ V. 3050), lenkt schlussendlich trotzdem ein. Faust klagt Mephistopheles seiner Lügen an, doch dieser kann ihn aufgrund seiner Argumente mit Gretchen und den hohen Worten (vgl. V. 3040 – V. 3049) einlullen. Der Dialog wandelt sich von einer Anfangs freudigen Mitteilung zu einer Art Verhörgespräch, bei dem Mephistopheles Faust ausfragt. Es handelt sich in dieser Szene eher um eine freie Rede. Am Anfang findet man auf viele Paarreime, was man damit in Zusammenhang setzen kann, dass es sich um die Verabredung der zwei Paare handelt. Im Folgenden, bei Mephistopheles‘ größtem Sprachanteil, findet man auf drei Reime (vgl. V. 3042ff. „abgelegt“, „bewegt“ und „regt“). Dies könnte man mit der Dreiecks-Beziehung zwischen Faust, Gretchen und Mephistopheles verbinden. Zu Ende gibt es wieder Paarreime.
Vergleich zu der Szene „Gretchens Stube“
Eine Szene anhand derer man Gretchens Gefühle für Faust sieht, ist „Gretchens Stube“. Hier findet man auf Gretchen, die alleine am Spinnrad sitzt und ihre Gefühle für Faust in einer Art Gedicht schildert. Dieses besteht aus zehn Strophen mit jeweils vier Versen, wobei sich eine Strophe drei Mal wiederholt: „Meine Ruh ist hin, / Mein Herz ist schwer; / Ich finde sie nimmer / Und nimmermehr“. Die sonst innere Ruhe, die sie durch ihr Christentum besaß, ist durch Faust verloren gegangen. In den ersten vier Strophen kommt ihre Liebessehnsucht zur Geltung, welche man ganz besonders an Strophe zwei sieht: „Wo ich ihn nicht hab / Ist mir das Grab, / Die ganze Welt / Ist mir vergällt“ (V. 3378ff.). Sie sieht ohne ihn keinen Sinn mehr in ihrem Leben. Es handelt sich hierbei zudem um einen zwei-hebigen Jambus, welcher im ersten Vers jedoch nicht ganz klar ist. Die Betonung könnte man auf „ich“ oder „ihn“ setzen – Wer ist die wichtigere Person? Da Gretchen bereit ist für Faust alles zu tun, könnte man sie eher auf „ihn“ setzen. In den nächsten drei Strophen kommt Gretchens Verliebtheit und Verehrung Fausts zum Ausdruck. Dies sieht man vor allem in folgenden Versen: „Sein hoher Gang, / Sein‘ edle Gestalt, / Seines Mundes Lächeln, / Seiner Augen Gewalt“ (V. 3394ff.) und „Sein Händedruck, / Und ach sein Kuss!“ (V. 3400f.). In den letzten drei Strophen wird dem Leser bewusst, dass Gretchen gerne die Aktive wäre, denn sie äußert ihre Lust und Begierde: „Mein Busen drängt / Sich nach ihm hin. / Ach dürft ich fassen / Und halten ihn!“ (V. 3406ff.) und „Und küssen ihn / So wie ich wollt, / An seinen Küssen / Vergehen sollt!“ (V. 3411ff.). Am „ich“ in V. 3411 sieht man, dass sie es gerne realisieren würde, „So wie ich wollt“ (V. 3411) zeigt aber, dass es nicht geht, denn für diese Zeit war es sehr untypisch für die Frau. Die Szene gibt sehr deutlich einen Einblick in Gretchens Gedanken, ihr Herz und ihren Kopf und zeigt, dass sie überaus verliebt in Faust ist und sich eine Beziehung sehnlichst wünscht.
Vergleicht man nun die Beziehung aus der jeweils anderen Sicht anhand dieser Szenen, so sticht deutlich Gretchen als die Verliebtere der beiden heraus. Bei ihr kommt keine Frage auf, sie ist bereit, alles für ihn zu tun, was sich unschwer im Verlaufe der Geschichte erkennen lässt. Faust hingegen, freut sich zwar auf die bevorstehende Begegnung und ist auch im weiteren Verlauf unglaublich von Gretchen berührt, jedoch befindet er sich stets in diesem Zwiespalt seiner zwei Seelen. Er gibt seinen Trieben nach, lässt Gretchen aber am Ende der Tragödie alleine und folgt Mephistopheles. Dies wirft die Frage auf, ob er sich nicht genau wie Gretchen seinem Schicksal überlassen hätte, wenn er sie tatsächlich geliebt hat, so wie sie es getan hat. Faust hat Gretchens ganzes Leben verändert und das nicht nur im positiven Sinne, er hat sie in eine Tragödie mit vielen Morden gestürzt, die letztendlich zu ihrem eigenen geführt haben. In einer Beziehung geht es um Geben und Nehmen und alles miteinander durchzustehen. Dies hat Faust nicht erfüllt, somit handelt es sich um keine bedingungslose Liebe.