Autor/in: Johann Wolfgang von Goethe Epochen: Sturm und Drang / Geniezeit, Weimarer Klassik
Über die Epochenzuordnung von Faust I
Goethes Faust entstand zwischen 1770 (der sog. Urfaust) und 1832. Aufgrund der langen Entstehungsgeschichte ist die Zuordnung zu einer einzelnen Epoche schwierig. Je nach Gegenstand der Betrachtung lassen sich Merkmale der Aufklärung (ca. 1720-1800), des Sturm und Drangs (ca. 1767-1785), der Weimarer Klassik (ca. 1794-1805) und der Romantik (ca. 1795-1848) erkennen.
Die nachfolgende Szenenanalyse bezieht sich auf Vers 1635 bis 1713 und wird auch als Studierzimmer (II) - Teufelspakt, Schülerszene bezeichnet. Faust schließt in dieser Szene den teuflischen Pakt mit Mephisto.
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
Das Drama „Faust - Der Tragödie erster Teil“ wurde von Johann Wolfgang von Goethe verfasst und im Jahr 1808 erstmals veröffentlicht. Der Autor thematisiert Fausts Sinnsuche im Leben, bei der er zwischen den zwei Polen der „Weltlichkeit“ und „Geistlichkeit“ hin- und hergerissen ist.
Der Protagonist Heinrich Faust befindet sich in einer Erkenntniskrise und sucht verzweifelt nach dem höheren Sinn des menschlichen Daseins. Er strebt nach der Überwindung der Grenzen der Wissenschaft und möchte einen Ausweg aus dieser Begrenzung. Gleichzeitig sucht er (insbesondere in der Gretchentragödie wird dies deutlich) nach einem „Zugang“ zum Menschlichen, nach bewusster Begrenzung! In der Hoffnung, wieder neue Lebensfreude zu entdecken, lässt er sich auf einen Pakt/eine Wette mit dem Teufel Mephisto ein. Im Zuge dieser Wette ist es Mephistos Ziel, Faust zu „versuchen“ und ihn vom rechten Weg abzubringen.
Das Drama läst sich verschiedenen literarischen Strömungen/Epochen zuordnen: dem „Sturm und Drang“, der „Aufklärung“ und der „Weimarer Klassik“. Zum einen wendet Faust sich dem Körperlichen und der Weltlichkeit zu, was in Verbindung steht mit dem Geniegedanken und dem Schöpferkult. Somit kann man Faust als „Stürmer und Dränger“ bezeichnen. Die Emotionen und Gefühle („emotio“) überwiegen und das Gefühl von Begrenzung spielt eine wichtige Rolle. Auf der anderen Seite jedoch sucht Faust nach Entgrenzungsmöglichkeiten und wendet sich dem Metaphysischen/ Transzendentalen zu. Dabei strebt er nach Allwissenheit und geistiger Erhöhung, wobei er von einem starken Erkenntnisdrang („ratio“) geprägt ist. Aus diesem Grund wird Faust auch als „Aufklärer“ angesehen. Dazu gehört auch seine z.T. unmenschliche Kühle und seine Egozentrik. Diese zwei Denkrichtungen, emotio und ratio, scheinen zunächst unvereinbar. Das Wesen von Faust ist geprägt von der Suche nach einer Einheit und einer Harmonie dieser zwei gegensätzlichen Pole. Er strebt nach einem Idealzustand und durchaus auch nach Humanität, was ihm jedoch in diesem Drama nicht gelingt. Im Sinne der Weimarer Klassik sucht er demnach nach einer harmonischen Einheit zwischen emotio (Gefühle, Körperliches) und ratio (Verstand, Logik, Erkenntnis). Diese Zerrissenheit spiegelt somit Fausts inneren Konflikt wieder.
Der zu analysierende Szenenausschnitt (V. 1635-1713, im Folgenden V. 1-81) befindet sich in der Szene „Studierzimmer 2“. Nachdem Mephisto Faust in der Szene „Studierzimmer 1“ in der Gestalt eines Pudels erscheint, sich ihm vorstellt und nach einer Unterhaltung wieder verschwindet, betritt er zu Beginn der Szene „Studierzimmer 2“ erneut den Raum und wird von Faust durch eine Klagerede über sein irdisches Leben begrüßt. Es folgt der zu analysierende Dramenausschnitt, nach dem die Unterzeichnung des Vertrags mit Blut erfolgt. Das Geschehen wird von einem Schüler Fausts unterbrochen, bevor Mephisto mit Faust die Reise in die Welt beginnt, die in Auerbachs Keller startet.
Zu Beginn des vorliegenden Auszugs bietet Mephisto Faust seine Dienste als Helfer und Diener an (vgl.V. 1-4), worauf Faust zunächst mit Zurückhaltung und der Frage nch dem zu zahlenden Preis reagiert (vgl. V. 15-20). Nach der Erklärung Mephistos (vgl.V. 22-25) lässt Faust sich auf diesen Pakt ein (vgl.V. 26-40). Trotz starker Zweifel am Gelingen der Abmachung (vgl. V. 41-53), wandelt Faust den Pakt eigeninitiativ in eine Wette um, was von Mephisto freudig angenommen wird (vgl. V. 54-74). Zum Ende des Abschnitts betont Mephisto die Gültigkeit dieser Wette, was von Faust akzeptiert und als rechtens erachtet wird (vgl. V-75-81).
Dieser Ausschnitt ist eine Schlüsselszene und entscheidend für die Entfaltung des zentralen Konflikts im Drama. Durch die Vereinbarung der Wette wird die Grundlage für die späteren, zum Teil tragischen Ereignisse gelegt, da alle Ereignisse (wie beispielsweise die Gretchentragödie) auf dieser Wette aufbauen. Somit trägt Faust ferner die Verantwortung und wird zum „Mitschuldigen“ an Gretchens Tragödie. Zudem wird deutlich, dass Mephisto von Beginn an taktisch und strategisch handelt um sein Ziel zu erreichen.
Zur Überprüfung der aufgestellten Deutungshypothese werden im Folgenden die Figurenkonstellation, die Charaktereigenschaften/Handlungsmotive der Figuren sowie deren Gesprächsverhalten untersucht.
Bezüglich der Figurenkonstellation kann man bereits zu Beginn sagen, dass Mephisto sehr dominant auftritt, was besonders auffällt durch den Befehl „Hör auf, mit deinem Gram zu spielen“ (V. 1). Er erwartet, dass Faust seine Anweisung beachtet und bietet sich ihm anschließend als „Diener“ (V. 14) und „Knecht“ (V. 14) an, wobei er zunächst unterwürfig/untergeordnet erscheint. Dass dies jedoch nicht der Fall ist, wird spätestens durch die Aussage „Dazu hast du noch eine lange Frist“ (V. 16) und die darauf folgenden Aussagen (vgl.V. 22-25) klar. Bei allem, was Mephisto tut, besitzt er Hintergedanken und geht sehr taktisch vor, wodurch er Faust zunächst überlegen ist und in der Hierarchie über ihm steht. Jedoch ist er Faust in manchen Punkten sehr ähnlich: auch Mephisto ist von Hybris/Selbstüberschätzung geprägt, was durch das Prahlen „Ein solcher Auftrag schreckt mich nicht, mit solchen Schätzen kann ich dienen“ (V. 54f.) deutlich wird. Dieses Versprechen kann er nicht halten. Im Gegensatz zu Mephisto steht Faust als Mensch in einer Hierarchie unter Mephisto, da ihn Mephistos falsche Absichten und Hintergedanken nicht wirklich zu interessieren scheinen (vgl.V. 26-36). Er akzeptiert eine Wette mit ungleichen Bedingungen, wobei es nicht ganz ersichtlich ist, ob ihm bewusst ist, dass er Mephisto eine ganze Ewigkeit als Diener zur Verfügung stehen müsste. Diese Gleichgültigkeit gegenüber dieser Tatsache zeigt jedoch, dass Mephisto Faust deutlich überlegen ist, sowohl in seinem Handeln als auch in seinem Denken. Diese Überlegenheit führt schließlich zur Vereinbarung der Wette, womit die Grundlage für die Konfliktentfaltung im Drama gelegt ist. Somit wird die zu Beginn aufgestellte Deutungshypothese bestätigt.
Auch die Handlungsmotive und Charaktereigenschaften beider Figuren eignen sich zur Überprüfung der Deutungshypothese. Nachdem Mephisto sich Faust als Diener anbietet (vgl.V. 10-14), erkennt Faust, dass der Teufel eine Gegenleistung erwartet (vgl.V. 15), was dessen Intelligenz und Grundskepsis eines aufgeklärten Wissenschaftlers unterstreicht. Die Aussage „Der Teufel ist ein Egoist“ (V. 17) zeigt, dass er Mephisto relativ gut einschätzen kann, wodurch er gleichzeitig auf das folgende Geschehen und die daraus resultierende Gefahr vorausdeutet (vgl.V. 21). Dennoch schafft es Mephisto, Fausts Erregtheit auszunutzen- Faust geht also halb wissend, halb fühlend in die weitere Dramenhandlung. Auffällig ist zudem die Gleichgültigkeit die Faust gegenüber dem Pakt empfindet, was offensichtlich wird durch die Aussage „Das Drüben kann mich wenig kümmern“ (V. 26). Es ist Faust demnach egal, dass der Pakt auf ungleichen Bedingungen basiert und er Mephisto eine Ewigkeit dienen müsste, während Mephisto Faust nur ein kurzes Menschenleben lang dient. Seine verzweifelten Gefühle über sein irdisches Dasein sind so groß, dass er für Momente der Freude und Glückseligkeit alles macht, sogar seine eigene Seele als Gegenleistung versprechen. Seine Überzeugung von dieser Idee wird besonders deutlich durch die klar erkennbare Phase der Systole, in der er sich befindet (vgl.V. 58-64). Aus lauter Vorfreude und Übermütigkeit verwandelt er den vom Teufel vorgeschlagenen Pakt sogar in eine Wette „Die Wette biet ich!“ (V. 64), wodurch er sein eigenes Schicksal ohne Anzeichen von Zweifel oder Misstrauen gegenüber Mephisto besiegelt, was für eine gewisse Naivität im Wesen Faust spricht. Auch die Polarität/der Dualismus wird herausgestellt: der Satz „Aus dieser Erde quillen meine Freuden und diese Sonne scheinet meiner Leiden“(V. 29f.) ist nur einer von mehreren Kontrasten (vgl.V. 34-36), der den inneren Konflikt bzw. Zwiespalt Fausts darstellt. Er ist hin- und hergerissen zwischen der Weltlichkeit und der Geistlichkeit, sodass er sich ohne weiteres auf eine Wette mit dem Teufel selbst einlässt, wodurch er zum Mitschuldigen am weiteren Schicksal, vor allem Gretchens, wird.
Mephisto hingegen besitzt eine ganz klare Vorstellung von seinen Zielen und dem, was er erreichen will, sodass es ihm recht leicht fällt, Faust zu „versuchen“ und ihn in eine gezielte Richtung zu lenken. Er bietet sich Faust an, jedoch nicht aus dem Grund, dass er Faust etwas Gutes tun will, sondern weil er als Gegenleistung dessen Dienste verlangt (vgl.V. 22-25). Dass er auf Fausts Frage nach den Bedingungen zuerst die ausweichende Antwort „Dazu hast du noch eine lange Frist“(V. 16) gibt, zeigt, dass er zunächst die Wahrheit für sich behalten möchte, um Faust und sein Vertrauen zu gewinnen, was sein taktisches Handeln unterstreicht. Eine weitere Auffälligkeit, die die Deutungshypothese bestätigt, ist die Erklärung der Bedingungen „Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden, Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn, Wenn wir uns drüben wiederfinden, So sollst du mir das Gleiche tun“(V. 22-25). Mephisto formuliert den Pakt so, dass man den Eindruck einer Gleichheit der Bedingungen bekommt, was jedoch nicht der Fall ist. Den wenigen Jahren von Fausts Leben steht eine Ewigkeit zugunsten des Mephistos gegenüber. Diese Art der Formulierung zeigt seine Gerissenheit und die Taktik, mit der Mephisto vorgeht. Um Faust von seinen Künsten, Fähigkeiten und von seinem Können zu überzeugen, macht er ihm große Versprechungen (vgl.V. 38-40, V. 54-57), wodurch auch seine Selbstüberschätzung hervorgehoben wird, da es ihm nicht vollständig gelingt, Faust einen Moment purer Glückseligkeit zu verschaffen. Es ist jedoch ganz offensichtlich, dass er Fausts Wünsche, Begehren und Streben für seinen eigenen Zweck nutzt, um ihn ganz gezielt in seine gewünschte Richtung zu lenken. Nach der Untersuchung der Handlungsmotive und Charaktereigenschaften der beiden Figuren ist klar, dass auch hier die Deutungshypothese bestätigt werden kann. Es ist eindeutig, dass Mephisto von Anfang an taktisch handelt, wodurch er eine entscheidende Rolle für die Konfliktentfaltung darstellt.
Der letzte zu analysierende Aspekt ist das Gesprächsverhalten der Figuren. Zu Beginn des Auszugs hat Mephisto einen sehr langen Redeanteil, wodurch sein Auftreten sehr beeinflussend, manipulierend und mächtig wirkt (vgl.V. 1-14). Im weiteren Verlauf jedoch ist Faust derjenige, der deutlich mehr spricht als Mephisto, der insgesamt drei Anläufe benötigt.
Dies zeigt Fausts dreifache Zurückweisung: er dominiert demnach den Verlauf des Gesprächs. Faust verspottet Mephisto in vielen Fällen und lenkt damit die Richtung des Gesprächs. Beeinflusst durch Mephisto entsteht eine „Rage“, sodass Faust schließlich eigeninitiativ die Wette einleitet (vgl.V. 56-74). Ein auffälliges sprachliches Mittel ist die Verwendung des Superlativs „die schlechteste Gesellschaft“ (V. 3), wodurch Mephisto die menschliche Gesellschaft als zu schlecht und unwürdig für Faust darstellt, mit dem Ziel sein Vertrauen zu gewinnen. Dies wird erneut verdeutlicht durch den degradierenden Ausdruck „Pack“(V. 6). Mit der Enumeration „Bin ich dein Diener, bin ich dein Knecht“ (V. 14) strebt Mephisto eine Betonung und Hervorhebung dessen an, was er alles für Faust tun würde. Er möchte ihn durch taktisches Vorgehen als Partner gewinnen, um zum einen seine Wette mit Gott zu gewinnen (s.Prolog im Himmel), und zum anderen, um Faust als Diener für die Ewigkeit beanspruchen zu können. Faust jedoch provoziert und spottet Mephisto gezielt, was deutlich wird durch die rhetorischen Fragen „Was willst du armer Teufel geben? Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben, Von deinesgleichen je gefasst?“(V. 41-43). Er degradiert Mephisto durch diese Ausdrucksweise und betont zusätzlich sein nicht vorhandenes Vertrauen in dessen Fähigkeiten. Eine weitere Auffälligkeit ist die Vorausdeutung „Ein Spiel, bei dem man nie gewinnt, Ein Mädchen, das an meiner Brust“ (V. 47f.), mit der Faust auf die Gretchentragödie hinweist. Er kann Gretchen in der weiteren Handlung nicht komplett für sich gewinnen, da sie ihn im Kerker gewissermaßen von sich stößt. Dazu kommt die Anapher2 (vgl.V. 69-72), die eine Auflistung von dem darstellt, was passieren sollte, wenn es Mephisto gelingen sollte, Faust aus der Krise zu befreien. Hiermit stellt Faust erneut seinen Willen, Mephistos Diener zu werden, unter Beweis. Zum Ende hin möchte Mephisto seine Vertrauenswürdigkeit noch einmal abschließend unter Beweis stellen, um Faust letztendlich zu „versuchen“ und ihn für sich zu gewinnen (vgl.V. 80f.).
Nach der Untersuchung der verschiedenen Aspekte lässt sich sagen, dass die zu Beginn aufgestellte Deutungshypothese bestätigt wurde. Dieser Auszug spielt eine sehr wichtige Rolle, da er die Grundlage für die Entfaltung des zentralen Konflikts im Drama darstellt. Somit ist er die Basis für alle späteren Ereignisse, und auch Mephistos taktisches und strategisches Handeln wird verdeutlicht.
146;
Bewertungen
Bisherige Besucher-Bewertung: 12 Punkte, gut (+) (12,4 Punkte bei 234 Stimmen) Deine Bewertung: