Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Einleitung und Einordnung der Ballade „Der König von Thule“ in das Drama
Das tragische Drama „Faust“ wurde verfasst von Johann Wolfgang von Goethe. Er arbeitete an seinem Werk von 1772 bis 1831, der erste Teil, „Faust I“, wurde 1808 veröffentlicht. Durch die lange Arbeit an seinem Werk, wurde das Drama von mehreren literaturgeschichtlichen Epochen beeinflusst, darunter fallen die Weimarer Klassik, die Aufklärung, der Sturm und Drang und die Romantik. „Faust I“ beinhaltet die Gelehrten- und Gretchentragödie.
In der vorliegenden Szene verarbeitet Gretchen ihre Begegnung mit Faust.
Der Protagonist Faust ist in seiner Verzweiflung einen Pakt mit dem Teufel eingegangen. Durch den Trank einer Hexe wird er verjüngt und es kommt zur Begegnung mit Magarete, woraufhin sich Faust in sie verliebt. Nach dieser Begegnung singt Gretchen das Lied König von Thule in ihrer Stube und schwärmt darin von einer Liebe, die so grenzenlos und tief wie das Meer ist.
Nach einem arrangierten Treffen durch die Nachbarin, von Magarete, Marthe und dem Teufel (Mephisto) kommt es in der Szene „Gartenhäuschen“ zum ersten Kuss zwischen Faust und Magarete.
Beide verarbeiten den Kuss allein („Gretchens Stube“) und „Wald und Höhle“), bis es zu einem zweiten Treffen kommt, in dem beide eine Liebesnacht vereinbaren. Ab diesem Punkt beginnt die Gretchentragödie: Durch das Schlafmittel, welches Magarete von Faust erhalten hat, tötet sie ungewollt ihre Mutter. Das Schlafmittel sollte eigentlich nur dafür sorgen, dass die beiden in ihrer Liebesnacht ungestört bleiben. Aus dieser Liebesnacht folgt Gretchens Schwangerschaft, die ihr Bruder Valentin mitbekommt. Dadurch kommt es zum Kampf zwischen Faust und Valentin, woraufhin Faust Valentin tötet. Gretchen wird nach diesem Kampf von Faust im Stich gelassen. In ihrem Wahn tötet sie ihr Kind und wird zum Tode verurteilt.
Analyse des Gedichts König von Thule
Das Gedicht „Der König von Thule“ wurde verfasst von Johann Wolfgang von Goethe und wird von Gretchen in der Szene „Abend“ in dem Drama Faust I gesungen.
Nach dem ersten Lesen entsteht bei mir der Eindruck, dass das Gedicht bzw. das Lied Gretchens Anforderungen an die Liebe zeigt.
Das Gedicht handelt von einem König, der einen Becher von seiner Gemahlin am Sterbebett erhält (Strophe eins und zwei). Der Becher hat für ihn einen starken persönlichen Wert und zeigt seine Treue gegenüber seiner Frau, weshalb er ihn mit seinem Tod im Meer versenkt (Strophe drei und vier), sodass ihn keiner mehr benutzen kann (Strophe fünf und sechs).
„Der König von Thule“ besteht aus sechs Quartetten und das Metrum1 ist ein unregelmäßiger dreihebiger Jambus. In jeder Strophe liegt ein Kreuzreim vor und die Kadenzen2 sind in jedem ersten und dritten Vers jeder Strophe weiblich und in jedem zweiten und vierten Vers männlich.
Das lyrische Ich nimmt die Position des Beobachters und Erzählers ein.
Im Gedicht dominieren die Wortfelder Tod („Grab“ (V. 2760), „sterbend“ (V. 2761), „sterben“ (V. 2767) und „letzte Lebensglut“ (V. 2776)) und Reichtum („König“ (V. 2759), „goldnen“ (V. 2762), „Reich“ (V. 2769), „Königsmahle“ (V. 2771) und „Schloss“ (V. 2774)).
Die Erwähnung des Reichtums zeigt vor allem den Wunsch Gretchens nach sozialem Aufstieg, außerdem deutet dies auf den weiteren Verlauf der Handlung an, denn nachdem Gretchen das Lied zu Ende gesungen hat, findet sie das Goldkästchen, welches Faust und Mephisto in ihrem Schrank versteckt haben. Des Weiteren symbolisiert das Lied die Erwartungen Gretchens an die Liebe, sie möchte einen Mann, der ihr auch nach ihrem Tod treu bleibt: „treu bis an das Grab“ (V. 2760).
Das Gedicht beginnt wie ein Märchen „Es war ein König in Thule“ (V. 2759), dies verdeutlicht Gretchens Kindlichkeit und Naivität, da sie sich noch immer kindlichen Märchen zu wendet und sich Gleiches erhofft. Der goldene Becher den ihm, dem König, „sterbend seine Buhle“ (V. 2761) gibt, ist die einzige im Lied erwähnte Verbindung, die dem „König“ (V. 2759) zu seiner Geliebten bleibt, weshalb er „sooft“ (V. 2766) daraus trinkt (vgl. V. 2766), das Goldene stellt neben dem Reichtum auch das Material des klassischen Eherings dar. Da aber im Gedicht von einer „Buhle“ (V. 2761) gesprochen wird, was so viel wie Geliebte heißt, kann es sich auch um eine uneheliche Beziehung handeln. Auch dies könnte man auf Gretchen und Faust beziehen, da sie beide eine uneheliche Beziehung führen werden.
Im weiteren Verlauf wird darüber berichtet, wie der König jeden Tag aus diesem Becher trinkt und weint (vgl. V. 2764-2766), vermutlich zeigt dies Gretchens Hoffnung, dass auch Faust den sie in der Szene „Straße“ zum ersten Mal getroffen hat, über sie nachdenkt.
Im nachfolgenden Verlauf zeigt sich, dass der König sich von allem trennen kann, außer dem Becher; dies wird vor allem an den Reim „sterben“ (V. 2767) und „Erben“ (V. 2769) deutlich. Er wirft den Becher ins Meer, sodass ihn keiner nach ihm benutzen kann. Der Fall des Bechers symbolisiert auch seinen Zerfall. Während er früher auf „hohem Vätersaale“ (V. 2773) beim „Königsmahle“ (V. 2771) saß, „sinken“ (V. 2781) ihm jetzt seine Augen, die ihm sonst, während er aus dem Becher trank, übergingen (vgl. V. 2765).
Die Alliteration3 „letzte Lebensglut“ (V. 2776) zeigt, dass der König kurz vor seinem Tod steht; die „Flut“ (V. 2278) symbolisiert die gestörte Ordnung: Der König, der sonst immer aus dem Becher trank, sieht jetzt, wie der Becher sich im Meer volltrinkt (vgl. V. 2779-2780). Das Meer steht zu dem für die Unendlichkeit, also auch für die Unendlichkeit seiner Liebe zu seiner „Buhle“ (V. 2763).
Der letzte Satz „Trank nie einen Tropfen mehr“ (V. 2782) zeigt im Zusammenhang mit dem Becher den Tod des Königs, er ist treu bis an sein Lebensende, und da der Becher im Meer versinkt, trinkt er aus keinem anderen Becher mehr, was seine Treue brechen würde, sondern stirbt.
Wie bereits angedeutet stellt das Gedicht ganz klar Gretchens innere Lage dar, ihre kleine Welt ist geordnet wie das Gedicht, jedoch ist sie nach dem Aufeinandertreffen mit Faust etwas aufgewühlt und denkt über die Liebe nach. Mit dem vorliegenden Gedicht zeigt sie ihre persönlichen Erwartungen an die Liebe und ihren Partner, gleichzeitig zeigt sie aber ihre Kindlichkeit, da sie sich einem Gedicht zu wendet, das ähnlich wie ein Märchen erzählt wird und Gleiches für ihre eigene Beziehung erwartet. Zudem deutet das Gedicht teilweise auf die Gretchentragödie an: Der Reichtum durch das Schmuckkästchen, die verstorbene Buhle mit der Gretchen vielleicht ohne zu wissen ihren eigenen Tod vorausahnt und der Becher, aus dem der König trinkt, könnte auch eine Anspielung auf den Trank sein, denn Faust in der Szene „Hexenküche“ zu sich genommen hat, um ein jüngeres Aussehen zu erhalten.
Obwohl das Gedicht welches vermutlich 1774 entstanden ist, nicht zeitlich in die Epoche der Romantik (1795-1848) einzuordnen ist, lassen sich zahlreiche Merkmale und Motive der Romantik finden, wie zum Beispiel die feste Form, ein Liebespaar als Hauptfiguren und die Liebe und Sehnsucht.
Tatsächlich ist das Gedicht jedoch in die Epoche des Sturm und Drangs einzuordnen, ein besonderes Element des Sturm und Drangs, ist der Tod des Helden, der am Ende der Handlung folgt, wie auch in dem vorliegenden Gedicht.