Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „In Danzig“ wurde 1824 von Joseph v. Eichendorff veröffentlicht und kann somit in die Spätromantik eingeordnet werden. Es handelt von dem Ausbruch aus dem Alltag durch die veränderte Atmosphäre einer Stadt in der Nacht. Das lyrische Ich beschreibt seine Wahrnehmungen der Stadt. Dabei denkt es auch an frühere Erinnerungen, die sich nicht verändert haben. Einem ersten Leseverständnis nach zu urteilen, möchte der Dichter zeigen, dass sich jede Stadt, ganz unabhängig davon, wie sie eigentlich ist, in eine märchenhafte Traumwelt durch die Atmosphäre der Nacht und den Einfluss einer mythischen Macht, wie zum Beispiel Gott, ändern kann.
Über das lyrische Ich selbst gibt es keine Informationen. Es beschriebt zwar seine subjektive Wahrnehmung, doch nicht sich selbst. So kennt der Leser nur die Innenwelt des lyrischen Ichs.
Das Gedicht ist in vier Quartette aufgeteilt, hat also 16 Verse. Formal unterscheiden sie sich nicht voneinander. Inhaltlich gibt es einen Wandel zwischen den Strophen, thematisch sind sie aber ähnlich angelegt.
Es gibt einen durchgehenden Kreuzreim (abab). Das Metrum1 ist ein Trochäus und es gibt abwechselnde männliche und weibliche Kadenzen2, angefangen mit einer männlichen.
Diese formalen Aspekte unterstützen die ruhige und harmonische Atmosphäre des Inhalts und erzeugen auch einen volksliedartigen Charakter.
In der ersten Strophe beschreibt das lyrische Ich die Stadt, von der es träumt, oder welche es beobachtet. Diese hat eine schaurige und finstere Atmosphäre. Im ersten Vers beschreibt es das Gebäude der Stadt mit Adjektiven, wie „dunkel“ (V. 1) oder „hoch“ (V. 1). So gibt er dem Leser eine Vorstellung der Stadt, eine mit hohen Gebäuden (vgl. V. 1). Der in Vers 2 erwähnte „Nebel“ verleiht der Atmosphäre der Stadt sich etwas Schauriges. Als nächstes nutzt der dichter einen vergleich („bleiche Statuen wie Gespenster“, V. 3). Hieraus wird deutlich, dass das lyrische Ich die Stadt als leblos wahrnimmt. Akustische Wahrnehmungen gibt es erst einmal nicht, wie durch „lautlos“ (V. 4) deutlich wird.
So wird eine negative und schaurige Vorstellung von der Stadt erzeugt.
In Strophe 2 ändert sich diese Atmosphäre jedoch: Die Stadt liegt in der Nacht im Mondschein (vgl. V. 5), welcher sie „träumerisch“ (V. 5) waren lässt. Hier wird also das Traum- und Nachtmotiv wichtig für die Wahrnehmung der Stadt. Im nächsten wird der Mond personifiziert („(…) gar wohl gefällt“ ,V. 6) so schreibt das lyrische Ich der Nacht beziehungsweise dem Mond einen eigenen Charakter zu. Dieser wird durch etwas Übermächtiges oder Mystisches erzeugt, wie auch nachher noch aufgegriffen wird. Dass die Stadt dem Mond „wohl gefällt“ weist darauf hin, dass hinter den schaurigen Seiten der Stadt wohl auch positive und traumhafte Seiten decken, die vor allem bei Nacht deutlich werden. Es beschriebt die unter dem Mondschein liegende Stadt als eine „Märchenwelt“ (V. 8), was aber nur einer Vorstellung entspricht, wie an dem Konjunktiv „als lag“ (V. 7) deutlich wird. Diese erträumte Atmosphäre der Stadt besteht immer un ändert sich nie, denn das lyrische Ich sagt dieses „Zauberhafte“ sei „versteinet“ (V. 7).
In Strophe 3 gibt es eine wahre Wahrnehmung aus der Realität, die die märchenhafte Illusion unterstützt. Das lyrische Ich „lauscht“ (V. 1) nämlich dem „Rauschen des Meeres“ (V. 11), welches eine ruhige und harmonische Stimmung erzeugt. Dieses Rauschen“ kommt aus er „Ferne“ (vgl. V. 11) über die ganze Stadt hinweg (vgl. V. 10). So wird das Motiv nach dem Streben zum Unendlichen sowie die Sehnsucht zur Ferne aufgegriffen. Die Nacht eröffnet einen weiteren Horizont für den Wahrnehmenden, da dieser nicht mehr von der Hektik des Alltags abgelenkt oder gestört wird.
Der letzte Vers der Strophe ist eine Ellipse3. Dieser enthält den Ausruf „Wunderbare Einsamkeit!“ (V. 12). Durch diesen Euphemismus4 wird ausgerückt, wie sehr das lyrische ich es genießt, diese Illusion alleine zu erleben. Er kann so seine subjektive Innenwelt besser darstellen.
In der letzten Strophe macht das lyrische Ich deutlich, dass es diese Illusion schon länger kennt und die Sehnsucht nach etwas Neuem hat.
Der erste und zweite Vers der Strophe sind als Enjambement5 verbunden. So wird auf formaler Ebene die Stimmung des lyrischen Ichs widerspiegelt, welches die Illusion als endlos sieht. Er nutzt die Metapher6 „uraltes Lied“ (V. 14). Damit beschriebt er alte Erinnerungen an die Stadt in der Nacht. Die „Märchenwelt“ erscheint ihm also wohl schon seit langer Zeit.
Im nächsten Vers werden die Ansichten und die Verbindung des lyrischen Ichs mit der Illusion deutlich. Er erwähnt nämlich Gott (vgl. V. 15). Die in Strophe 2 gemachten Andeutungen auf das Übernatürliche und Mythische der Traumwelt werden präzisiert. Diese wird nämlich von Gott „erzeugt“ oder stellen eine Verbindung zu Ihm her. Er spielt hierbei eine zentrale Rolle bei der Verbindung von Transzendenz und Immanent während der Nacht.
Gott soll den „Schiffer“ (V. 15) wahren. Dieser ist ein wichtiges Symbol für das Motiv der Sehnsucht nach dem Fernen. Er steht für das Reisen Inder Welt. So wird das Fernweh des lyrischen Ichs sehr deutlich. Er liebt und vergöttert sogar seine traumhafte Stadt bei Nacht, möchte jedoch aus diesem „Bekannten“ ausbrechen und neue Facetten der Nacht kennenlernen.
Der Dichter stellt die Illusion des lyrischen Ichs einer Traumwelt bei Nacht dar. Es wird deutlich gemacht, dass diese für das lyrische Ich ein Ausbruch aus dem hektischen Alltag, der in der Stadt Danzig (vgl. Titel) herrscht, ist. Sie stellt außerdem eine Verbindung zu Gott und einer mystischen Welt her.
Trotz seiner Hingabe und Liebe zu dieser Traumwelt hat es eine große Sehnsucht zur Ferne, da diese Illusion den Horizont durch seine mystische Atmosphäre erweitert.
Die Intention des Dichters könnte sein, zu zeigen, dass Illusionen und Verbindungen zu etwas Mystischem einen Ausbruch aus dem Alltag und eine Ablenkung zu negativen Seiten der Realität bewirken können. Somit kann die zu Beginn aufgestellte Deutungshypothese bestätigt werden, jedoch gibt es noch einen weiteren Aspekt, der nach der Analyse deutlich wurde: Auch eine sehr schöne Traumwelt wird irgendwann „langweilig“, da diese das Bedürfnis nach etwas Neuem, wie zum Beispiel Transzendenz, erzeugt.
Einordnung in eine Epoche
Das Gedicht wurde von Joseph v. Eichendorff, einem der wichtigsten Dichter in der Spätromantik, verfasst. Es ist sehr typisch für diese Epoche, in der es darum ging sich von der Aufklärung und der damit verbundenen Vernunft abzuwenden.
Das lyrische Ich erlebt eine Traumwelt, welche in der Nacht erscheint. Das Traum- und Nachtmotiv spielen eine wichtige in der Romantik, in diesem Gedicht beispielsweise der Mond (V. 5). In der Nacht kann man sich so nämlich von dem Alltag und der Vernunft abzuwenden.
In dem Gedicht offenbart es seine Innenwelt und seine subjektive Wahrnehmung auf die Traumwelt. Diese war in der Romantik wichtig, denn man konzentrierte sich auf seine Gefühle und seine subjektive Wahrnehmung. Wichtig war bei diesen Wahrnehmungen auch die Verbindung mit etwas Transzendentem. Dies gibt es auch in Eichendorffs Gedicht, das lyrische Ich verbindet nämlich seine weltliche Umgebung mit Gott als Beschützer (vgl. V. 15).
Durch die Eröffnung einer neuen Welt kam auch die Sehnsucht nach Ferne und dem Unendlichen, da man jede Möglichkeit suchte, der Realität zu entkommen. Diese Sehnsucht gibt es auch in diesem Gedicht. Vor allem das Symbol des „Schiffers“ (V. 15) macht dieses Fernweh deutlich.
Der Aufbau durch Quartette und die formellen Aspekte, also die Regelmäßigkeit von Metrum, Reimschema und Kadenzen, sind auch sehr typisch für die Romantik. Diese unterstützen die ruhige und harmonische Stimmung, die meist herrscht.
Auch die im Gedicht verwendete simple und bildhafte Sprache, die trotzdem eine komplexes Geflecht von Sinneseindrücken und -wahrnehmungen erzeugen und so zur. Subjektiven Deutung von Welt und Natur beitragen, sind typisch.
Joseph v. Eichendorff hat durch Form, Sprache, Motive und Thematik eine für die Romantik typisches Gedicht geschaffen.