Inhaltsangabe/Zusammenfassung
Am 16. Oktober 1927 wurde Günter Grass in Danzig geboren, seine Eltern waren Kolonialwarenhändler. Er wurde katholisch erzogen und trat im Alter von 15 Jahren in die Wehrmacht ein, 1944 wurde er zur Waffen-SS einberufen. Nach kurzer amerikanischer Kriegsgefangenschaft absolvierte er zunächst eine Steinmetzlehre, studierte dann Grafik und Bildhauerei und veröffentlichte erste Gedichte. Als Mitglied der Gruppe 47 trug er zum Renommee der deutschen Nachkriegsliteratur bei. 1999 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. Die Novelle „Im Krebsgang“ erschien 2002 und verknüpft den realen Untergang der „Wilhelm Gustloff“ 1945 mit der fiktionalen Gestalt des Ich-Erzählers Paul Pokriefke und seinen Recherchen Ende des 20. Jahrhunderts. Die Erzählung wird als Ergänzung von Grass' Danziger Trilogie zur Vergangenheitsbewältigung angesehen.
14 Wochen lang stand die Krebsnovelle auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Kurz danach gründete Grass ein jährliches Literatentreffen im Stil der Gruppe 47 in seinem Haus bei Lübeck. Günter Grass starb am 13. April 2015.
Kapitelübersicht
Kapitel 1
Es werden die Protagonisten vorgestellt, voran der Erzähler Paul Pokriefke, ein Journalist, der die Geschichte der Wilhelm-Gustloff erzählt, jenem Schiff, welches am 30.1.1945 von einem sowjetischen U-Boot versenkt wurde. Bei dem Unglück starben knapp 9000 Menschen, Tulla Pokriefke, die Mutter des Erzählers, wurde gerettet und gebar ihren Sohn noch in der Unglücksnacht auf dem Rettungsschiff. Paul Pokriefke ist geschieden, Vater eines Sohnes namens Konrad und wird immer wieder angetrieben von der inneren Stimme eines „Alten“, der die Geschehnisse aufgeschrieben sehen will.
Der NSDAP-Funktionär Wilhelm Gustloff wurde 1936 von dem jüdischen Studenten David Frankfurter erschossen und später vom Nationalsozialismus als Blutzeuge gefeiert. Bei den Recherchen zur Geschichte seiner Herkunft stößt der Erzähler auf eine Website der Kameradschaft Schwerin und blutzeuge.de, wo die Vergangenheit einseitig rechtslastig beschrieben wird.
Neben David Frankfurter und Wilhelm Gustloff wird auch Alexander Marinesko skizziert, der das sowjetische U-Boot befehligte.
Kapitel 2
Der Erzähler schreibt die als Ghostwriter für seinen alten Dozenten die Geschichte der Wilhelm Gustloff auf. Seine Mutter übermittelt ihm auf zahlreichen Wegen ihre Forderung, die Gustloff-Geschichte der Welt zu übermitteln. In einem Rückblick wird die Geschichte der gescheiterten Ehe des Erzählers erzählt, welcher den sporadischen Kontakt zu seinem Sohn bedauert. Nach dem Fall der Mauer kommt es zu einer starken Annäherung zwischen Oma Tulla und ihrem Enkel Konrad in Schwerin.
Die Beisetzung von Gustloff und sein Aufstieg zum Märtyrer der Nazis wird erzählt, ebenso der Umstand, dass dem Attentäter kaum ein Wort gewidmet wird. Der Erzähler interessiert sich immer mehr für die Website blutzeuge.de, auf der dazu aufgerufen wird, Gustloff ein Denkmal zu setzen. Im Chatroom der Website liefern sich User mit den Nicknamen Wilhelm und David detailreiche Wortgefechte.
Kapitel 3
Die Geschichte von Tulla Pokriefkes Eltern wird berichtet, die mit dem ersten klassenlosen Schiff, der Wilhelm Gustloff, noch nach Norwegen reisten und immer von der Atmosphäre an Bord schwärmten - ohne zu bemerken, dass das Schiff nichts anderes als ein Transportmittel in die faschistische Gedankenwelt war. Ab 1939 war die Gustloff kein Passagierdampfer der Kraft-durch-Freude-Bewegung mehr, sondern diente als Truppentransporter. 1945, als die Flüchtlinge in Sicherheit gebracht werden sollten und stattdessen versenkt wurden, bekam Tulla als erst 17-jährige Mutter weiße Haare. Dem Kapitän des gegnerischen U-Bootes hingegen wurde ein Denkmal gesetzt.
Der Enkel Konrad ist allein zu Besuch bei Tulla und versinkt in rechtsradikalem Gedankengut. Der Erzähler macht Tulla dafür verantwortlich, spricht mit seiner Exfrau Gabi, die von einer solchen Entwicklung des gemeinsamen Sohnes nichts wissen will . Tulla selbst ist entzückt von dem Interesse Konrads an ihrer Vergangenheit.
Der Erzähler entdeckt, dass der User Wilhelm auf der Internetseite das Alter Ego seines Sohnes ist und ist entsetzt über dessen faschistische Ansichten.
Kapitel 4
Der Alte tritt wieder in Erscheinung, der dem Ich-Erzähler übergeordnete Auftraggeber. Es scheint Grass selbst zu sein, er fordert eine Aufarbeitung der Vergangenheit von Paul, stellvertretend für ihn selbst.
Konrad zieht zu seiner Großmutter nach Schwerin und hält in einem Lokal einen Vortrag über Wilhelm Gustloff, was ihm in der Schule nicht erlaubt wurde. Seine Rede wird ausgebuht und er flüchtet sich ins Internet. 1995 besuchen Tulla, Paul und Konrad ein Treffen der Überlebenden der Gustloff, was bei Paul widersprüchliche Gefühle auslöst. Die zunehmende Radikalisierung Konrads wird durch das Geschenk seiner Großmutter, einen Mac, noch weiter technisch unterstützt.
In einem zweiten Erzählstrang wird beschrieben, wie die Gustloff 1939 ihre letzten Kraft-durch-Freude-Fahrten unternimmt und dann bei Kriegsbeginn zunächst zum Lazarett-Schiff umgewandelt. 1940-1944 liegt sie als Kasernenschiff in Gotenhafen fest.
Kapitel 5
Auf der Flucht vor der Roten Armee finden sich rund 10.000 Ostpreußen auf der Wilhelm Gustloff ein, um nach Westen zu entkommen, Tulla ist eine von ihnen. Das Schiff legt am 30.Januar 1945 ab. Tulla wird nicht müde, ihrem Enkel davon zu erzählen. In ihm findet sie den Zuhörer und Mitstreiter, den sie in ihrem Sohn gesucht hat.
Der Erzähler verfolgt die Recherchen und Aussagen seines Sohnes auf der Website und argwöhnt, Konrad habe sich seinen streitbaren Chatroom-Partner David nur ausgedacht. Zwischen Konrad und David entsteht eine Hassliebe, die sich wie jüdische und nationalsozialistische Propaganda liest, der aber immer ein gegenseitiger Respekt zu entnehmen ist.
Die Ereignisse bei der Einschiffung auf der Gustloff werden von Tulla als schrecklich und chaotisch geschildert, von Konrad als deutschtypisch wohlgeordnet im Internet beschrieben. Der Erzähler fühlt eine Machtlosigkeit gegenüber den Geschehnissen.
Kapitel 6
Die Ereignisse des 30. Januar 1945 werden in schrecklicher Detailgetreue berichtet. Alexander Marinesko, der Kapitän des sowjetischen U-Bootes befiehlt den Abschuss der drei Torpedos, die die Gustloff zum Sinken bringen. Ein in der Nähe kreuzendes Torpedoschiff, die Löwe, kann die hochschwangere Tulla und einige andere hundert Passagiere aufnehmen. Der Erzähler beschreibt seine Geburt und bedauert, nicht das letzte überlebende Findelkind gewesen zu sein, welches erst Stunden nach dem Angriff auf die Gustloff gefunden wurde.
Über den Vater von Paul wird auch in dieser Beschreibung nichts deutlich, auf der Gustloff war er nicht dabei.
Die Website von Konrad gedenkt am 30. Januar des Unglücks und beginnt einen vom Streitfreund David ersehnten Diskurs über die Rollen von Wilhelm Gustloff, David Frankfurter und Alexander Marinesko.
Kapitel 7
Tullas erste Schritte als Mutter auf der Flucht vor den alliierten Bombern werden beschrieben - sie flieht auf dem Landweg bis nach Schwerin, wo sie eine Tischlerlehre macht und es bis zur Meisterin bringt.
Alexander Marineskos Rückkehr nach der Versenkung der Gustloff war weniger heldenhaft, als er es sich erhofft hatte, David Frankfurter wurde wiederum nach dem Krieg vorzeitig aus der Haft entlassen und emigrierte nach Israel, wo er Beamter im Verteidigungsministerium wurde.
1997 treffen sich David, der eigentlich Wolfgang heißt, und Konrad in Schwerin. Nach einem Rundgang durch die Stadt und guten Gesprächen besuchen sie ausgerechnet am 20.April das Denkmal für die Opfer der Gustloff im Schweriner Hafen. David spuckt abfällig auf den Gedenkstein, Konrad zieht eine Pistole und erschießt ihn mit vier Schüssen, so, wie David Frankfurter Wilhelm Gustloff erschoss. Und ebenso wie dieser zeigt er sich selbst an, nachdem er für David noch, wenn auch vergeblich, den Notruf wählte.
Kapitel 8
Tulla verteidigt ihren Enkel vor Gericht, erklärt, dass sie ihn so sehr in ihre Vergangenheit gezogen habe und er einfach nur getan hätte, was lange notwendig war: Die Aufmerksamkeit auf das Unrecht an den Opfern der Gustloff zu lenken. Mit ihrer Rede hilft sie ihrem Enkel nicht. Dem Erzähler gegenüber gibt sie zu, die Pistole für Konrad besorgt zu haben. Die Eltern des Verstorbenen Wolfgang Stremplin, alias David, sind evangelische Angehörige des Bildungsbürgertums und verstehen das Abdriften ihres Sohnes in den jüdischen Aufklärungswahn ebenso wenig wie Gabi und Paul die Radikalisierung von Konrad verstehen.
Frühere Lehrer von Konrad werden vernommen und ihre Unterdrückung seines Interesses für die Vergangenheit seiner Familie wird kurz zum Schuldschauplatz des Mordes. Drei unterschiedliche Gutachten versuchen, Konrads Motivation und Schuldfähigkeit zu analysieren. Konrad selbst hält eine Abschlussrede, in der er Verantwortung für seine Tat übernimmt und seine Eltern von einer Mitschuld losspricht. Konrad wird zu sieben Jahren Jugendarrest verurteilt.
Kapitel 9
Der Erzähler besucht seinen Sohn oft, wenn auch nicht ganz so oft wie die Großmutter, im Gefängnis. Konrad nimmt keinerlei Abstand von seinem nationalsozialistischen Denken, doch er ist fleißig, besteht sein Fernabitur, engagiert sich in der Tischtennismannschaft der Strafanstalt und gibt Computerkurse für Mitgefangene. Bei einem seiner Besuche zeigt er seinem Vater ein gebasteltes Modell der Wilhelm Gustloff. Der Erzähler fürchtet, sein Sohn werde den Faschismus nicht aufgeben und möchte sich mit seiner Exfrau über ihn aussprechen, die jedoch alle weitere und vergangene Verantwortung für ihren Sohn ablehnt. Er trifft sich auch mit Rosi, der vergangenen Freundin von Konrad, die weiterhin an das Gute in ihm glaubt.
Bei seinem letzten Besuch bei Konrad scheint dieser verwandelt und zertrümmert plötzlich sein Schiffsmodell. Paul weiß nicht recht, was er davon halten soll. Konrad spricht nicht weiter mit ihm. Bei weiteren Recherchen im Netz entdeckt der Erzähler eine Internet-Seite, die Konrad Pokriefke als Märtyrer feiert. Das Schlusswort der Erzählung lautet: Nie hört das auf.